E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-641-16555-0
Verlag: Gütersloher Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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I. FRIEDEN UND KRIEG IN DER HEBRÄISCHEN BIBEL Andreas Kunz-Lübcke 1. Die Realität des Krieges 1.1 Das biblische Israel und der Krieg Im ersten Teil dieses Buches soll es insbesondere um die Frage gehen, in welchem Verhältnis die Phasen von Frieden und Krieg in den circa 850 Jahren standen, die die Geschichte Israels und Judas, beginnend von der Gründung des Königreiches bis zur Endabfassung der Hebräischen Bibel (im Folgenden: HB) in der Mitte des zweiten Jh.s v. Chr. umfasst haben. Dabei soll es weniger um die Frage einer Militärgeschichte bzw. einer politischen Geschichte gehen. Vielmehr steht die Frage im Mittelpunkt, welche Rolle das Erleben von Frieden und Krieg in der Alltagswirklichkeit gespielt hat. Eines lässt sich mit Bestimmtheit sagen: Die hier besprochenen Zeiträume wiesen sehr lange Phasen unmittelbarer kriegerischer Konfrontation auf. Neben Konflikten, die es insbesondere bis zur Mitte des 9. Jh.s mit den Nachbarkulturen auf lokaler Ebene auszutragen galt, spielte das permanente Vordringen der mesopotamischen Großmächte Assur und Babylon eine derart große Rolle, dass schon von einer Alltäglichkeit des Krieges gesprochen werden kann. a) Der Frieden, der Krieg und der Alltag i) Der Krieg und seine Gräuel Zeiten des Friedens und der Stabilität hat es durchaus gegeben. Dies betrifft insbesondere die Phasen, in denen die südliche Levante1 unter der Oberherrschaft sich abwechselnder Großmächte stand. Diese Phasen verliefen offensichtlich deswegen so friedlich, weil die Möglichkeit einer gewaltsamen kollektiven »Konfliktlösung« gar nicht bestand. Nicht zu vergessen sind dabei die Zeiten eines erzwungenen Friedens. Das betrifft insbesondere die Phasen, in denen sich die südliche Levante im Herrschaftsbereich einer Großmacht befand und vorher von dieser militärisch »befriedet« worden ist. Nach modernen Definitionen stellt der Krieg eine gewaltsame kollektive Handlung gegen ein anderes Kollektiv mit dem Ziel dar, eine wie auch immer geartete Überlegenheit gegenüber dem bekämpften Gegner durchzusetzen. Die Mehrzahl der neuzeitlichen Kriege wurde (bis in die jüngste Zeit) von Staaten gegen Staaten geführt. Hinzu kommen ethnisch motivierte Kriege, Unabhängigkeitskriege und Bürgerkriege, die nicht von Staaten, sondern von Gruppen mit einer mehr oder weniger klar definierten Identität geführt wurden. Moderne Kriege müssen in gewisser Weise kontrolliert und limitiert geführt werden. Zumindest setzen internationale Konventionen und Verträge – wenn auch zu oft nur auf dem Papier – dem Krieg gewisse Grenzen. Die Kriege des Alten Orients kennen keine Restriktionen. Diese werden gegen das Militär des angegriffenen Kollektivs und gleichermaßen gegen dessen »zivile« Gesellschaft geführt. Dabei war die Anwendung brutalster Gewalt in der Sichtweise der altorientalischen Ideologie und Propaganda kein außergewöhnlicher Exzess, der irgendwie eine Erklärung finden musste, vielmehr gehörte das Verüben von Gräueltaten an den besiegten Gegnern zu den »Ruhmestaten«, mit denen sich insbesondere die assyrischen Könige gern schmückten. So stellten etwa das Abziehen der Haut vom lebendigen Leib und eine anschließende öffentliche Präsentation derselben, das Aufschlitzen von Schwangeren und das Abschlagen von Gliedmaßen von lebenden Personen Taten dar, die zu den militärischen Erfolgen hinzugezählt worden sind. Für Grausamkeiten dieser Art ist gelegentlich notiert worden, dass es sich hierbei um Akte ritueller Gewalt handeln soll, mit der der Widerstand gegen den Weltherrschaftsanspruch der assyrischen Götter und ihres Königs mit einer größtmöglichen Intensität geahndet worden sind.2 Gegen die rituelle Begründung der vielfach begegnenden Folterszenen spricht allerdings, dass für die benannten Vorgänge des zu Tode-Folterns keine entsprechenden Ritualtexte existieren. Wahrscheinlicher ist, dass die genannten Grausamkeiten und ihre propagandistische Inszenierung als psychologische Kriegsführung anzusehen sind.3 Dem potenziellen Gegner wird vor Augen geführt, was ihm im Fall seiner (sicheren) Niederlage blüht. PFÄHLUNG Die Zeichnung stellt einen Ausschnitt aus einer größeren Komposition dar, die die Einnahme einer Stadt und die daraus folgenden Konsequenzen für die Bewohnerschaft zeigt. Die Körper der Besiegten werden nackt zur Schau gestellt. Nicht zu erkennen ist, ob die Hinrichtung durch Pfählung erfolgt ist oder ob die Leichname der zuvor Getöteten zur Schau gestellt werden. Bei den sonstigen Darstellungen der Behandlung von Gegnern fällt auf, mit welcher unverhohlenen Grausamkeit diese repräsentiert werden. Die Szene erinnert an 2Sam 4,12 und an den Tod von Saul und seinen Söhnen in 1Sam 31,10: »…aber seinen Leichnam hängten sie auf an der Mauer von Bet-Schean.« Die Zurschaustellung der Leichname der getöteten Feinde ist zugleich Schmähung und Grabverweigerung (vgl. auch 2Sam 21,7-14). Die Vernichtung des Gegners ist damit komplettiert. Abb. 1: Pfählung Detailszene aus einem Palastrelief aus Ninive zur Belagerung, Eroberung und »Bestrafung« der judäischen Stadt Lachisch durch die Assyrer unter Sanherib im Jahr 701 v. Chr. Zeichnung nach H. Gressmann, Altorientalische Bilder zum Alten Testament, Berlin/Leipzig 2. Aufl. 1927, Abb. 141. Dennoch handelt es sich bei den aufgeführten Grausamkeiten nicht um ausschließlich verbale bzw. theoretische Gewalt. Die literarisch und ikonographisch artikulierte Gewalt ist mit Sicherheit auch zur Anwendung gekommen. Das aus heutiger Sicht Befremdliche ist, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Grausamkeiten zur Schau gestellt werden. Dass in den assyrischen Darstellungen im Zusammenhang mit der Eroberung einer Stadt exekutierte Gegner, der Abtransport von Gefangenen und von Beute in Szene gesetzt werden, mag man noch zu den »Alltäglichkeiten« des Krieges zählen. Der Bildausschnitt zeigt das brutale Vorgehen gegenüber den besiegten Bewohnern einer Stadt. Die Gesamtkomposition beinhaltet die einzelnen Phasen und Techniken des Belagerungskampfes. Zwei am Boden liegende nackte Männer werden von assyrischen Soldaten gefoltert. Sehr wahrscheinlich wird dabei die grausame Hinrichtungsmethode des Häutens angewendet. Dass diese von den Assyrern angewendet worden ist, geht auch aus Textbelegen hervor. Der Szene wohnen ein weiterer Kämpfer, der sich allerdings in der Art und Weise seiner Ausrüstung von den Soldaten in typischer assyrischer Montur unterscheidet, sowie zwei Kinder bei. Der Mann hat beide Hände erhoben. Die dargestellte Szene erinnert an Ez 25,6: »Denn so spricht Adonai, JHWH: Weil du in die Hände geklatscht und mit dem Fuß gestampft hast und dich von Herzen mit all deiner Häme über (den Untergang) des Landes Israel gefreut hast[…].« Der Kontext der Stelle enthält eine bittere Polemik gegen die Nachbarvölker Judas, die sich bei der Einnahme Jerusalems durch die Babylonier im Jahr 587 v. Chr. auf die Seite der Neubabylonier geschlagen hatten. Zwischen den beiden Kindern besteht eine räumliche und emotionale Nähe zu dem Mann. Wer sind diese? Die Kinder der Gefolterten, die gezwungen werden, der Szene beizuwohnen? Abb. 2: Häutung Abb. 1 Assyrische Soldaten foltern Judäer nach der Eroberung von Lachisch; zwei Kinder sehen den Tortouren zu (Palastrelief aus Ninive; 700-692 v. Chr.). Zeichnung Theresa Steckel; © Andreas Kunz-Lübcke (British Museum, WA 124906). Wenn allerdings, wie auf der nebenstehenden Darstellung, Kinder (zwangsweise?) das Abziehen der Haut von Gefangenen, möglicherweise ihrer Väter, mitansehen müssen, ist eine Aussageintention klar zu erkennen: Den besiegten Gegner trifft eine – in assyrischer Perspektive – gerechte Strafe, die aufgrund der Schwere des Vergehens (nämlich sich dem assyrischen König nicht freiwillig unterworfen zu haben), nicht intensiv genug sein kann. ii) Typologien des Krieges Die relevanten Texte der HB lassen erkennen, dass dergleichen Grausamkeiten »eben« zu der Alltagswirklichkeit des Krieges gehören. Diese werden gleichermaßen von und an den Gegnern begangen: Den verschiedenen Gegnern wird u.a. angelastet: das Aufschlitzen von Schwangeren (2Kön 8,12), das Töten der Söhne in Anwesenheit des Vaters und dessen anschließende Blendung (vgl. 2Kön 8,13; 25,7). Demgegenüber wird an den Gegnern verübt bzw. für diese herbeigesehnt: das Versklaven von Kriegsgefangenen sowie das Töten von Säuglingen, indem diese gegen Felsen geworfen werden (vgl. 2Sam 12,31; Ps 137,9). Von einzelnen Ausnahmen, etwa der Beteiligung Israels an der Schlacht bei Qarqar und eine zeitweilige Expansion auf dem Gebiet Moabs (s.u.) einmal abgesehen, fanden die Kriege auf dem Territorium der südlichen Levante statt. Dabei lassen sich folgende Typen unterscheiden: Typ A) Die Phase symmetrischer lokaler Konflikte Typ B) Die Phase asymmetrischer überregionaler Konfrontationen Typ C) Die Phase hegemonialer Befriedung Typ A betrifft die Konflikte, die die beiden Reiche Israel und Juda mit ihren lokalen Nachbarn ausgetragen haben. Dabei handelt es sich um Auseinandersetzungen, in denen beide Seiten über ein ungefähr gleich großes militärisches Potenzial verfügen. Konflikte dieser Art führen zu relativ geringfügigen Gebietsgewinnen bzw. -verlusten. Typ B betrifft die militärischen Kampagnen der Großmächte Ägypten, Assur, Babylonien, Persien, Griechenland und der Seleukiden bzw. der...