E-Book, Deutsch, Band 2, 464 Seiten
Reihe: Allgäu-Niederrhein-Krimis
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 2, 464 Seiten
Reihe: Allgäu-Niederrhein-Krimis
ISBN: 978-3-492-96765-5
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Arnold Küsters, geboren 1954 in Nettetal-Breyell, studierte unter anderem Anglistik, Amerikanistik, Pädagogik und Psychologie. Seit 1986 ist er als Journalist tätig, vor allem für den Westdeutschen Rundfunk und die ARD, und berät Unternehmen in Presse- und Imagefragen. Küsters lebt in Mönchengladbach, ist verheiratet und hat einen Sohn. Wie seine Ermittler liebt er den Blues und spielt privat in der Rockband STIXX sowie bei »streng geheim«, Deutschlands einziger Band, die aus Krimiautoren besteht. Nach »Schweineblut«, »Totenstimmung« und »Ein Knödel zu viel« erschien mit »Endstation Allgäu« sein vierter Krimi bei Piper.
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II.
»Was willst du, meine Liebe?« Justus Liebig musterte sie von oben bis unten und schickte ein spöttisches »Karriere machen?« hinterher. Katharina war mal wieder spät dran. Wie immer hatte sie keinen Parkplatz gefunden. Laut fluchend war sie durch den Platzregen zur Redaktion gelaufen. Nun saß sie im Büro des Chefredakteurs. Ihre nackten Füße steckten in nassen Ballerinas, und ihre Haare waren eine einzige Katastrophe. Sie verkniff sich eine Antwort. Sie wollte möglichst schnell raus aus ihren Schuhen und raus aus der Redaktion. »Wenn du vorankommen willst, sei wenigstens pünktlich. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.« Liebig hob die Hand, als erwarte er Widerspruch. »Und bring mir eine Story, die deine Oma berührt. Keine C-Promis, nix über aufgespritzte Lippen. Obwohl«, er grinste anzüglich, »na ja – nee, schon gut, brauchst gar nicht so pikiert zu tun. Ich will das echte Leben. Die Leser haben genug von Irak, Syrien oder Ukraine. Bring mir den«, er warf sich mit übertriebener Geste in eine Denkerpose, »ja, bring mir den echten Menschen. Die besten Geschichten liegen vor deiner Haustür. Du musst nur zugreifen.« Liebig sah ihr direkt in die Augen. »Als ob du das nicht wüsstest, meine Liebe.« Der Redaktionsleiter wippte auf seinem Drehstuhl vor und zurück und spielte dabei mit seinem Kugelschreiber. Seine Augen wanderten ungeniert über ihr feuchtes Sommerkleid. Dann warf er eine Büroklammer Richtung Terminplaner, der an der Wand gegenüber hing. »Und beeil dich. Ich habe noch jede Menge Platz.« Blablabla. Liebig war ein dickes, trotziges Kind. Katharina bekam Kopfschmerzen. Sie hätte seine Unverschämtheiten parieren können, doch sie beschloss, weiterhin zu schweigen. Stattdessen schoss ihr der Gedanke an den Trockner ihrer gehbehinderten Nachbarin durch den Kopf. Sie hatte vergessen, ihn auszuschalten! Na prima! Vor zwei Jahren wäre fast das Haus abgefackelt, weil das Ding im Keller einen Kurzschluss gehabt hatte. Sie hatte damals der alten Dame versprochen, ihr regelmäßig mit dem Trockner zu helfen. Liebigs überfallartiger Anruf hatte sie völlig aus dem Konzept gebracht. »Was ist?« Liebig deutete ihren erschrockenen Blick als Reaktion auf seine Forderung. »Ich muss dann mal wieder.« Katharina griff nach ihrer Tasche und stand auf. In ihren Schuhen schmatzte es hörbar. Liebig hob mit gespieltem Erstaunen eine Augenbraue. »Willst du nicht wissen, warum ich dich herbestellt habe?« Was denn noch? Der Chefredakteur grinste. »Setz dich ruhig wieder.« Sie zögerte. In ihrer Phantasie loderten bereits die Flammen. Sie musste die Redaktion augenblicklich verlassen! Liebig! Der Fettsack wollte mal wieder sein Lieblingsspiel spielen: Ich bin dein Chef! Katharina zog ungeduldig Luft durch die Nase. »Du bist jung und gut – aber du musst noch eine Menge lernen. Bilde dir auf das Lob bloß nichts ein. Also: Ich finde deine Story über diesen Dings, diesen Arzt im Praktikum, gar nicht mal so schlecht. Hätte ich nicht gedacht, dass du daraus was stricken kannst. Wir setzen sie auf Seite eins der Sonntagsbeilage. Aber«, er hob den Zeigefinger, »nicht abheben, Frau Starjournalistin.« Ole! Wenn Liebig wüsste! Sie war mit dem angehenden Dr. med. Ole Olsen zum Abendessen verabredet. Wenn nicht noch ein Notfall dazwischenkam. »War’s das?« Katharina klang ungehaltener als gewollt. Aber es geschahen noch Zeichen und Wunder: Liebig war tatsächlich zufrieden! Andererseits, sie hatte schließlich alles gegeben. Bei dem Gedanken an Oles Hintern lächelte sie. »Dein überhebliches Grinsen kannst du dir sparen.« Liebig drehte sich mit seinem Stuhl schwungvoll zu seinem Bildschirm hin. Für Katharina das untrügliche Zeichen dafür, dass die Besprechung beendet war. »Mein Mentor hat immer gesagt, die besten Storys schreibst du nur, wenn du sie auch selbst erlebt hast. Nur so gibt’s den Pulitzerpreis. Merk dir das.« Liebig starrte angestrengt auf seinen Bildschirm. Eben, dachte Katharina. Sie verließ Liebigs Büro auf Zehenspitzen. Sie wollte nicht, dass er das Schmatzen ihrer Ballerinas hörte. Sie würde einen Schnupfen bekommen. Welch ein Spätsommer. Justus Liebig sah ihr hinterher. Warum nur lief sie wie auf Eiern? Ein Meter achtzig schwankendes Weib. Er grinste. Nicht die schlechteste Aussicht. Der Chefredakteur der Rheinischen Allgemeinen Nachrichten warf einen Blick in seinen Kaffeebecher. Auf der Oberfläche hatte sich ein schillernder Film gebildet. Er trank dennoch einen Schluck. Er verzog das Gesicht. Kalt, der Kaffee. Und der Text über die Sitzung des Heimatvereins viel zu lang. Auch der Volontär musste noch viel lernen. Er speicherte den Text ab und schob sorgfältig die Papiere zusammen, die sich auf seinem Tisch angesammelt hatten. Eigentlich hasste er Unordnung, aber hier in der Redaktion entstand ständig neues Chaos. Liebig hielt einen Augenblick inne und betrachtete versonnen den Terminplaner, der fast die gesamte Stirnwand seines Büros einnahm. Katharina! Das Mädchen würde er auch noch knacken. Die Kleine würde bald das beste Pferd in seinem Stall sein. Er drehte sich um. »Kann jemand mal die Tür zumachen? Der Lärm ist ja nicht zu ertragen!«, brüllte Liebig ansatzlos Richtung Großraum. Die Kollegen verstummten und duckten sich hinter ihre Bildschirme. Schließlich stand die Praktikantin auf und schloss mit unsicherem Lächeln die Tür zu seinem Büro. Liebig grinste. Es klappte doch immer wieder. »Du, es geht heute Abend nicht. Wirklich nicht. Ich habe noch Termine.« Katharina sah zum Küchenfenster hinaus, ohne seinem Redeschwall wirklich zuzuhören. »Ich weiß, was ich dir versprochen habe. Ja, wir sehen uns in letzter Zeit nicht mehr so oft. Das stimmt. Aber –« Sie kam nicht weiter. Ja, sie hatte Paul vernachlässigt. Aber ihre gemeinsame Zeit war ohnehin abgelaufen. Sie hatte das Gefühl zwar schon länger gehabt, jedoch ganz intensiv seit dem Wochenende, an dem sie zu seinen Eltern gefahren waren. Nette Menschen, aber auch nervig. Was allerdings weitaus schlimmer gewesen war: Paul war, kaum dass er die Türschwelle passiert hatte, zum Muttersöhnchen mutiert. Paul hatte alles getan, um die vollkommene Aufmerksamkeit seiner Mutter zu bekommen. Mama hier, Mama da. Ein Chamäleon war dagegen ein armseliger Amateur. Unglaublich, was aus einem Mann werden kann, wenn er auf seine Mutter trifft! Sie hatte es Paul schon auf der Rückfahrt sagen wollen. Aber er hatte ihr die ganze Zeit über von seiner glücklichen Kindheit in Celle vorgeschwärmt. Am Ende hatte sie nur noch nach Hause gewollt. »Paul. Paul, hör mir bitte mal einen Augenblick zu!« Eine Katastrophe! Er wollte nicht zuhören, aber er wollte noch viel weniger verstehen. Sie musste es ihm sagen! Nicht am Telefon. Sie würde es Paul ins Gesicht sagen müssen. Katharina hielt den Hörer ein Stück vom Ohr weg und schloss eine Abmachung mit sich selbst: Ich treffe mich mit ihm. Und ja, jetzt am Telefon bin ich nett zu ihm. Ich reserviere noch heute bei seinem Lieblingsgriechen, und dort werde ich endlich reinen Tisch machen. Das war sie ihm schuldig. Und auch sich selbst. Da war schließlich Ole. Mit Ole konnte noch einiges passieren. Und dazu brauchte sie klare Verhältnisse. Katharina lehnte sich an den Küchentisch. Sie brauchte jetzt Halt. »Paul? Hör zu, ich habe eine gute Idee. Was hältst du von einem Abendessen im Zorbas?« Gut. Er hatte zugesagt. Erleichtert legte sie auf und öffnete einen Fensterflügel. Dicke Tropfen trommelten auf das Blätterdach der Bäume und auf das Blech der parkenden Autos. Katharina atmete die klare Luft tief ein. Sie ließ das Fenster geöffnet. Eine Stunde und eine Kanne Tee später hatte sie Simone am Telefon. »Ich hab nicht viel Zeit. Ich muss los. Recherche, weißt du. Paul hat mich aufgehalten.« Katharina biss sich auf die Lippen. Die kleine Notlüge war nicht zu vermeiden gewesen. Simone würde sie sonst totquatschen, aber sie wollte jetzt keinen Small Talk. Sie wollte einfach nur ihre Ruhe. »Wie geht’s dem Guten?« Simones Stimme verrutschte einen Tick ins Kindliche und verriet, was sie über Paul dachte. »Er nervt.« Katharina hatte dummerweise zu spät daran gedacht, dass »Paul« für Simone das Schlüsselwort war. Ihre Freundin hatte eine Menge Meinung zu Paul. »Du bist auch nicht viel anders, wenn du verliebt bist, meine Liebe.« Simone verpackte ihren Vorwurf in ein Kichern. »Bei dem Hintern sollte dir seine Nerverei egal sein. Der Rest ergibt sich.« Das sagte ausgerechnet Simone! Die nach spätestens drei Wochen merkte, dass auch Männer nicht immer nur ins Bett wollten und, außer ihren Kumpels, fast alles vergaßen: Socken, Verabredungen, Geburtstage. Und am Ende sogar den Spaß am aktuellen Betthupferl. »Hör zu, ich muss jetzt wirklich los. Ich melde mich bei dir.« Katharina wollte auflegen. »Wir sollten mal wieder einen Mädelsabend machen. Mit viel Ratschen und viel Wein.« Simone klang ehrlich enttäuscht. »Viel Wein ist immer gut«, versuchte Katharina, versöhnlicher zu klingen, und verabschiedete sich. Typisch Simone. Ein bisschen mehr als »er nervt« hatte sie wohl doch erwartet, dachte Katharina amüsiert. Wie sie Simone kannte, hatte sie garantiert die Chancen ausloten wollen, Paul unter Umständen für eine Zeit übernehmen zu können. Sie wählte Oles Nummer, aber sie stieß lediglich auf seine Mailbox. Dann fiel es ihr wieder ein: Ole hatte Bereitschaft. Trotzdem war sie enttäuscht. Katharina brühte sich...