Kuessner | Der christliche Staatsmann | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

Kuessner Der christliche Staatsmann

Ein Beitrag zum Hitlerbild in der Deutschen Evangelischen Kirche und zur Kirchlichen Mitte

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

ISBN: 978-3-7543-8163-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die übergroße Mehrheit der evangelischen Kirchenglieder aller Schattierungen in Deutschland war Hitler hinterhergelaufen und hatte die NS-Kriegspolitik gestützt. Ab 1945 verkürzte sich die Wahrnehmung jedoch auf den Gegensatz "Bekennende Kirche" und "Deutsche Christen". In diesem Buch lenkt Dietrich Kuessner den Blick wieder auf die "Kirchliche Mitte", die als "Volkskirche" abseits der Gruppenbildung allen Konflikten aus dem Weg ging und sich durch eine irrige Lehre über den Staatsgehorsam von vornherein widerstandsunfähig machte. Hitlers Selbstinszenierung als "christlicher Staatsmann" wurde dankbar aufgegriffen. Die Behördenkirche erfreute sich steigender Geldeinnahmen und funktionierte reibungslos. Während des Weltkrieges festigte sich das bereits erprobte Nebeneinander von Nationalsozialismus und Evangelischer Kirche. Nachdem ein Pfarrer die Leichenberge in Bergen Belsen unfreiwillig mit vielen anderen Bürgern hatte mit ansehen müssen und in sein Celler Pfarrhaus zurückgekehrt war, stammelte er nur leichenblass: "Das haben wir nicht gewollt." Dieser Satz wurde im Sommer 1945 zur Standardbehauptung des konservativen Bürgertums, das sich durch Gedächtnisverlust und innere Abspaltung auszeichnete. Umgangen wurde auch die naheliegende Frage, ob die Kirche durch die Anerkennung Hitlers als Obrigkeit an Terror und Massenmord mitschuldig geworden war. Die "Kirchliche Mitte" schickte sich alsbald an, die neue Ämterverteilung in ihrem Sinne zu regeln. Reihe: Kirche & Weltkrieg - Band 10

Dietrich Kuessner, geb. 1934 in Ostpreußen, evangelischer Theologe und Historiker. Bereits Vater und Großvater waren Geistliche. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges flüchtete die Familie angesichts der heranrückenden Roten Armee nach Westen. - Nach Besuch des Predigerseminars in Braunschweig Vikar in Melverode und Schöningen; Dezember 1962 Ordination. 1963-1999 Pfarrer in den Gemeinden Offleben und Reinsdorf-Hohnsleben. Anschließend Ruhestand. "Zu einer heftigen Auseinandersetzung mit der Landeskirche kam es, als Kuessner sich 1998 als Bundestagskandidat für die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) aufstellen ließ. Einem Ausschluss aus der Landessynode und einem Disziplinarverfahren konnte er wirksam entgegentreten [...]. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich Kuessner intensiv mit verschiedenen Aspekten der Geschichte der Stadt Braunschweig und des Landes Braunschweig unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig vor, während und nach der Zeit des Nationalsozialismus" (Wikipedia.org, 25.06.2019). - Buchveröffentlichungen (kleine Auswahl): Evangelische Kirche und Nationalsozialismus im Salzgittergebiet (1983), Die Deutsche Evangelische Kirche und der Russlandfeldzug (1991/2021), Das Braunschweigische Gesangbuch (2007), Ansichten einer versunkenen Stadt (2012).
Kuessner Der christliche Staatsmann jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Erster Hauptteil:
Hitlers Angebot an die Kirchen zur
Mitarbeit an einem
nationalsozialistischchristlichen Deutschland
Am 30. Januar 1933 beauftragte Reichspräsident Hindenburg den „Führer“ der größten Reichstagsfraktion, Adolf Hitler, mit der Regierungsbildung. Das war keine Machtergreifung des Bösen, sondern ein traditioneller Regierungswechsel.1 Er „vollzog sich innerhalb der Formen, die die Weimarer Reichsverfassung vorschrieb und die der Parlamentarismus erlaubte.“2 Einige Zeitgenossen erhofften sich einen baldigen, erneuten Regierungswechsel. Theodor Eschenburg erinnert sich: „Nicht wenige rechneten mit einer kurzen Lebensdauer dieser Regierung. Entweder würde Hitler gezähmt und die Partei würde enttäuscht von ihm abfallen oder Hindenburg würde ihn absetzen – so wie er es mit Brüning, Papen und Schleicher getan hatte.“3 Viele Menschen reagierten einfach gleichgültig. Nach Beobachtungen des britischen Botschafters in Berlin, Horace Rumgold, nahm die Bevölkerung im ganzen Land die Nachricht „phlegmatisch“ auf.4 Die Regierung Hitler/Hugenberg hatte keine Mehrheit im Reichstag. Die jeweils kommunistische und sozialdemokratische Reichstagsfraktion beantragten unabhängig voneinander die sofortige Einberufung einer Reichstagssitzung, um die fehlende Reichstagsmehrheit der neuen Regierung der Öffentlichkeit vorzuführen. Der Reichstagspräsident Göring verschleppte beide Anträge. Hindenburg löste den Reichstag auf und damit waren beide Anträge gegenstandslos geworden. Die Verfassungsgemäßheit des Regierungswechsels unterstützte den Eindruck der Legalität des Regierungsantritt Hitlers, aber Hitler brauchte dringend Koalitionspartner. HITLERS ANGEBOT VOM 1. FEBRUAR 1933
Hitler bot im Aufruf an das deutsche Volk am 1. Februar 1933 überraschend der Kirche eine fundamentale Rolle in seiner Politik an. Schon in seiner ersten Ansprache als Reichskanzler am 1. Februar 1933 erklärte Hitler über den Rundfunk, die neue Regierung werde „das Christentum als Basis unserer gesamten Moral, die Familie als Keimzelle unseres Volkes und Staatskörpers in ihren festen Schutz nehmen“5. Die Weimarer Demokratie sei eine Zeit ohne den Segen Gottes gewesen, der Grund sei der Marxismus und Nihilismus gewesen, denen er einen „unbarmherzigen Krieg“ ankündigte.6 Hitler schloss mit dem frommen Wunsch: „Möge der allmächtige Gott unsere Arbeit in seine Gnade nehmen, unseren Willen recht gestalten, unsere Einsicht segnen und uns mit dem Vertrauen unseres Volkes beglücken. Denn wir wollen nicht kämpfen für uns, sondern für Deutschland.“7 Der Aufruf wurde am folgenden Tag noch zweimal vom Rundfunk wiederholt und der Text an die Litfaßsäulen angeschlagen. Er sollte von der deutschen Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen werden. Dieser „Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk“ ließ aufmerken. Keine der Vorgängerregierungen hatte derart häufig ein christliches Vokabular verwendet. Sollte der Regierungswechsel auf einen Systemwechsel zielen, auf ein christliches Deutschland? Schon Franz von Papen hatte bei seiner ersten Regierungserklärung nach seinem Putsch gegen die amtierende preußische Regierung Braun 1932 vom „christlichen Staat“ gesprochen, den er nun in Preußen errichten wolle. Auf seinen Wunsch wurde diese Passage in die Hitlersche Regierungserklärung am 1.2.1933 eingefügt.8 Das war ein gravierender Einschnitt in die Weimarer Verfassung. Artikel 137 der Weimarer Verfassung bestimmte den religionsneutralen Staat, allerdings nicht den religionslosen Staat, wie es von den Gegnern der Weimarer Verfassung gerne missdeutet und polemisch gegen die Befürworter des Weimarer Staates interpretiert wurde. Der Hamburger Pfarrer Franz Tügel und spätere Bischof schilderte im Rückblick von zehn Jahren seinen persönlichen Eindruck von dieser Rede Hitlers: „Als ich diese ernste, männliche Stimme am Rundfunk hörte, da habe ich meine Hände gefaltet und Gott, dem Herrn der Geschichte, gedankt und ihn angefleht, er möge helfen und segnen.“9 Hitlerbegeisterte Berliner versammelten sich auf Einladung der Deutschen Christen zu einem Dankgottesdienst in der geräumigen Marienkirche, die die dankbare Gemeinde nicht fassen konnte. Die Kirche musste noch vor Beginn des Gottesdienstes geschlossen werden. Dann marschierten SA-Leute mit angeblich 300 Sturmfahnen und Standarten in die Kirche und stellten sich um den Altar. Der 34jährige Führer der Deutschen Christen, Joachim Hossenfelder, Pfarrer an der Berliner Christuskirche, predigte in Anwesenheit von Vertretern der frischen Reichsregierung, Mitgliedern des Reichstags und des Landtags über die Wiederkehr deutscher Erhebung und sprach die Hoffnung aus, „dass das große Werk unseres Führers zu einem glücklichen Ende gelange.“10 Mitglieder der neuen Reichsregierung in einem evangelischen Gottesdienst? – Das verriet einen neuen Stil. HITLER ALS VERTEIDIGER DES CHRISTENTUMS
IM „WAHLKAMPF“ IM FEBRUAR 1933
Die Kirche spielte für Hitler in den folgenden Wochen eine besondere Rolle. Hitler hatte als Reichskanzler keine parlamentarische Mehrheit. Aber Hindenburg war Hitler entgegengekommen und hatte den Reichstag aufgelöst, ein schwerer politischer Fehler des Reichspräsidenten. Anstatt sich in die Regierungsgeschäfte einzuarbeiten, ging Hitler sofort auf Wahlreisen für eine eigene Mehrheit im Reichstag und agierte wie ein „christlicher Staatsmann“. In seiner Wahlrede am 10. Februar 1933 im Berliner Sportpalast beschrieb er das neue Deutschland als das „bitter erworbene, neue deutsche Reich der Größe und der Ehre und der Kraft und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit“, und damit jeder die Gebetsform auch bemerkte, schloss Hitler mit „Amen“.11 Der Rundfunk übertrug die Ansprache reichsweit. Goebbels notierte im Tagebuch: „Hitler hält eine phantastische Rede. Ganz gegen Marxismus. Zum Schluss großes Pathos ‚Amen!‘. Das hat Kraft und haut hin. Ganz Deutschland wird Kopf stehen.“12 Obwohl Hitler mit dieser Massenveranstaltung im Berliner Sportpalast den Wahlkampf für die Reichstagswahl am 5. März eröffnete, hielt er keine Wahlrede, er warb nicht um Stimmen für die NSDAP, es fiel nicht ein einziges Mal der Name der Partei, er setzte sich auch nicht mit anderen Parteien auseinander, sondern er entwarf ein Sehnsuchtsbild von einem Wiederaufstieg des deutschen Volkes. Er sprach nicht als Parteiführer, sondern als Kanzler der Regierung zur deutschen Bevölkerung. Wie schon der Aufruf an das deutsche Volk vom 1. Februar löste nun auch diese Rede eine weitere Strömung hoher Erwartungen aus, wobei Hitler die Bevölkerung zur Mitarbeit für ein Deutschland ohne Klassenunterschiede aufrief. „Wir wollen durch eine Erziehung von klein an den Glauben an einen Gott und den Glauben an unser Volk einpflanzen, … wir wollen unsere Jugend wieder hineinführen in dieses herrliche Reich unserer Vergangenheit. Demütig sollen sie sich beugen vor denen, die vor uns lebten.“ 13 Dieses strahlende Bild eines neuen christlichen deutschen Reiches wurde auf dem trüben Hintergrund einer anhaltend herabsetzenden, völlig überzogenen Beschreibung der Weimarer Zeit entworfen, die eine Zeit des Verfalls und der Unsauberkeit gewesen sei. Die verfaulte Demokratie werde abgeschafft. „Wir werden kämpfen gegen die Erscheinungen unseres parlamentarisch-demokratischen Systems“14. Nicht nur das 1918 mühsam erkämpfte Frauenwahlrecht würde abgeschafft, sondern das Wahlrecht überhaupt. Daran ließ Hitler keinen Zweifel. Wie jede Strömung gefährliche Strudel entwickelt, die den Schwimmer hinabziehen, so konnte der Zuhörer Hitlers leicht in den Strudel einer nationalsozialistischen Strömung geraten, wie eine französische Karikatur Le Remous warnte. Die Rede Hitlers drang bis ins kleinste ostpreußische Dorf. Der 30 Jahre junge, frische Pfarrer im Dorf Moltainen schrieb an seine Mutter in Königsberg: „Gestern hörte ich eine ganz ausgezeichnete Rede Hitlers durch Rundfunkübertragung aus dem Berliner Sportpalast. Man hat doch bei ihm den Eindruck, dass hier eine willensstarke Persönlichkeit, nur erfüllt von dem einen Gedanken der Rettung und Freiheit des Vaterlandes, jenseits aller politischen Phrasen, sachlich und nüchtern, aber darum gerade vertrauenserweckend, an der Führung ist, die willens ist, innen und außen saubere Verhältnisse zu schaffen und sich vor allem durchzusetzen.“15 Der ostpreußische Dorfpfarrer war mit seinem Urteil keineswegs allein. Die prominente Allgemeine Evangelisch Lutherische Kirchenzeitung (AELKZ) schrieb zu dieser Rede Hitlers im Berliner Sportpalast: „Wirkungsvoller kann man sich die Eröffnung des Wahlkampfes kaum denken, als es mit den Massenversammlungen der Regierungsparteien im Berliner Sportpalast und durch die Übertragung der...


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.