Kroh | Transnationale Erinnerung | Buch | 978-3-593-38598-3 | sack.de

Buch, Deutsch, 266 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 215 mm, Gewicht: 338 g

Kroh

Transnationale Erinnerung

Der Holocaust im Fokus geschichtspolitischer Initiativen

Buch, Deutsch, 266 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 215 mm, Gewicht: 338 g

ISBN: 978-3-593-38598-3
Verlag: Campus


Europa wächst zusammen und auch beim Gedenken an den Holocaust gibt es Versuche, verschiedene nationale Erinnerungskulturen zu einer gesamteuropäischen zusammenzuführen. Jens Kroh untersucht die Projekte und Netzwerke, die sich in jüngster Zeit ausgebildet haben, und beschäftigt sich besonders mit der Stockholmer 'Holocaust-Konferenz', bei der im Jahr 2000 über 600 Delegierte zusammenkamen, darunter mehr als 20 Staats- und Regierungschefs. Die Konferenz, die als Geburtsstunde eines offiziellen europäischen Gedächtnisses gilt, markiert gleichzeitig den Beginn transnationaler Kooperation im Politikfeld 'Holocaust-Erinnerung'.
Kroh Transnationale Erinnerung jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Inhalt

Vorwort

1 Einleitung
1.1 Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust als Forschungsgegenstand
1.2 Die Analyse des "Stockholm-Prozesses": Zur Methodik
1.2.1 Ereignis, Event und Medienereignis: Die Forschungsdiskussion
1.2.2 Aufbau der Arbeit
1.2.3 Quellenlage und -auswertung

2 Öffentlichkeit, Erinnerung, Politik
2.1 Konstituierung transnationaler Öffentlichkeiten
2.1.1 Konzeptualisierung
2.1.2 Transnationalisierung
2.2 Erinnerungskultur als transnationales Politikfeld
2.2.1 Erinnerungskulturen und kollektives Gedächtnis
2.2.2 Symbolische und materielle Geschichtspolitik
2.3 Zwischenfazit

3 Tendenzen der Transnationalisierung des Holocaust
3.1 Der Holocaust als globaler Erinnerungsort
3.2 Der Holocaust als Gegenstand internationaler Politik

4 Schlüsselereignis: Die Stockholmer "Holocaust-Konferenz"
4.1 Planung und Diskussionsprozess
4.2 Konferenzverlauf
4.2.1 Dominanz der Politik?
4.2.2 Im Plenum: Die Reden der Politiker
4.2.3 Die "Stockholmer Deklaration"
4.3 Auswirkungen
4.3.1 Genese einer "europäischen Innenpolitik"?
4.3.2 Folgekonferenzen
4.4 Berichterstattung

5 Vertiefung und Verstetigung: Die ITF
5.1 Organisation und Funktionsweise
5.2 Erweiterung: Kriterien, Kontroversen, Konsequenzen
5.3 Öffentlichkeitsrelevanz im Politikfeld

6 Fazit

7 Anhang
7.1 Reden und Dokumente
7.2 Literatur
7.3 Interviews
7.4 Abkürzungen


4 Schlüsselereignis: Die Stockholmer "Holocaust-Konferenz"

Die Stockholmer "Holocaust-Konferenz" (26. bis 28. Januar 2000) markiert die Hinwendung zur gegenwarts- und zukunftsgerichteten Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Es geht nicht mehr um die Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern um die Frage, wie der Holocaust zukünftig narrativiert und vergegenwärtigt werden soll. Die thematische Verlagerung von der restitutionsbezogenen Raubgold- und Vermögenswertproblematik auf die Frage von Holocaust-Erinnerung und -Erziehung ist von einer Reihe von Veränderungen begleitet. So unterscheidet sich die Stockholmer Konferenz nicht nur in Hinblick auf ihre Organisation (Kapitel 4.1) und ihren Verlauf (Kapitel 4.2) von den Vorgängerveranstaltungen in London und Washington. Sie hebt sich auch in Bezug auf ihre Größenordnung und die Dimension ihrer Effekte ab, wie die Kommentare zeitgenössischer Beobachter andeuten. So konstatieren Daniel Levy und Natan Sznaider, dass in Stockholm die "Basis eines (offiziellen) europäischen Gedächtnisses" (2001: 211) gelegt werde, und auch Michael Jeismann stuft die Bedeutung der "Holocaust-Konferenz" hoch ein. Seiner Auffassung nach verkörpert sie einen "Gründungsmythos neuer Weltpolitik" (2001: 147).
Was sind die Gründe dafür, dass der Veranstaltung in Schweden eine derart herausragende Funktion zugeschrieben wird? Ein erster Hinweis auf die Bedeutung der Konferenz ist, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts rund 600 Delegierte aus 46 Ländern zusammenkommen, um die internationale Aktualität des Holocaust zu bezeugen und sich über zukünftige Aktivitäten im Bereich Holocaust-Erinnerung und -Aufklärung zu verständigen. Abgesehen von der bloßen Zahl der Teilnehmer findet die Relevanz der Veranstaltung jedoch vor allem in der Prominenz und dem Prestige der geschichtspolitischen Akteure ihren Ausdruck, die der Einladung gefolgt sind. Es versammeln sich in der beinahe vollständig abgeriegelten Innenstadt von Stockholm nämlich nicht nur vornehmlich Diplomaten und Ministerialbeamte wie noch in London und Washington, sondern mehr als zwanzig Staats- und Regierungschefs.
Die Konferenz ist hierdurch im Vergleich zu allen bisher mit dem Holocaust befassten Veranstaltungen einzigartig: sie ist ein veritabler Polit-Gipfel und entwickelt sich beinahe folgerichtig zum Medienereignis. Ein Indiz hierfür ist, dass annähernd 900 Journalisten vor Ort über sie berichten. Dies hängt auch damit zusammen, dass die "Holocaust-Konferenz" eine Reihe weiterer Nachrichtenfaktoren bereithält. So sollte die Vielzahl der Politiker, die nach Stockholm reist, nicht darüber hinweg täuschen, dass auch wichtige Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Gesellschaft ein Podium erhalten und damit ein weiterer Berichterstattungsanlass für Fach- und Massenmedien gegeben ist.
Der spezifische Nachrichtenwert und die Relevanz der "Holocaust-Konferenz" speist sich zusätzlich aus einer Reihe von politischen Ereignissen der vergangenen Monate. Neben der andauernden Debatte um die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern trägt der Kosovo-Konflikt zur Aktualität des Holocaust am Ende des 20. Jahrhunderts bei. Die ethnischen Säuberungen auf dem Balkan und die in diesem Zusammenhang häufigen Auschwitz-Analogien in der Mitte des Jahres 1999 führen dazu, dass die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit auf die Gefahr eines neuerlichen Genozids auf europäischem Boden gelenkt wird.
Unmittelbare Auswirkungen hat ferner die Koalition zwischen der bürgerlich-konservativen ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ, die sich quasi mit Beginn des Stockholmer Polit-Gipfels in Österreich anbahnt. Die mögliche Regierungsbeteiligung der maßgeblich von Jörg Haider geprägten Partei hat zur Konsequenz, dass sich während der "Holocaust-Konferenz" verschiedene Regierungschefs in Pressekonferenzen zu den Vorgängen in Österreich äußern und dabei die Wichtigkeit von Toleranz und Antifaschismus unterstreichen. Eine transnationale Debatte über die Richtigkeit und Angemessenheit der Maßnahmen gegen Österreich, die kurz nach der Konferenz durch die vierzehn anderen EU-Mitgliedstaaten beschlossen werden und in der schwedischen Hauptstadt ihren Beginn nehmen, schließt sich an. Hierdurch erhält Stockholm ex post weitere Relevanz.
Bevor allerdings die Effekte der "Holocaust-Konferenz" (Kapitel 4.3) und ihre mediale Aufbereitung (Kapitel 4.4) analysiert werden, widmen sich die folgenden Ausführungen zunächst den Vorbereitungen (Kapitel 4.1) und dem Verlauf (Kapitel 4.2) der rund 1,6 Millionen Euro teuren Veranstaltung. Dabei finden mehrere Gesichtspunkte Beachtung: Erstens stellt sich die grundsätzliche Frage, wer an der Konzeption des Forums beteiligt ist. Das heißt, es ist die Rolle verschiedener kollektiver wie individueller Akteure und ihr Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung der Konferenz zu untersuchen. Von Interesse ist zweitens, weshalb so viele hochrangige Politiker in Stockholm erscheinen. Zwar ist aufgrund der in Kapitel 3.2 skizzierten Ereignisse das Bewusstsein bei politischen Akteuren gestiegen, dass der Holocaust-Bezug ein relevantes internationales Politikfeld darstellt. Jedoch ist noch im Frühjahr 1999 keineswegs absehbar, dass sich die Veranstaltung zu einem derart bedeutsamen Polit-Event entwickelt. Mit dem Andrang der politischen Prominenz ist drittens auch die Erörterung ihres spezifischen erinnerungskulturellen Beitrags verbunden. In diesem Zusammenhang ist zu analysieren, wie und mit welchem Ergebnis sich die Interaktion der Akteure aus Politik und Wissenschaft bei den Vorbereitungen und bei der Veranstaltung selbst vollzieht.


Jens Kroh, Dr. rer. soc., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft in Gießen.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.