Narkosevorbereitung und -durchführung, Intensiv- und Notfallmedizin
E-Book, Deutsch, 572 Seiten
ISBN: 978-3-13-242623-8
Verlag: Thieme
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kinderanästhesie - für die meisten Anästhesisten ist dies eine Herausforderung, zumindest wenn sie Kinder eher selten im OP sehen. In allen Phasen der Versorgung sind die Besonderheiten bei Kindern der verschiedenen Altersgruppen zu berücksichtigen. Je jünger die Kinder sind, umso schwieriger ist das anästhesiologische Vorgehen.
Die überarbeitete, aktualisierte Neuauflage des Referenzwerkes liefert Ihnen das ganze Spektrum des Wissens aus allen klinischen Gebieten der Kinderanästhesie: Spezielle Anästhesieverfahren bei den wichtigsten Diagnosen, die pharmakologischen Besonderheiten bei Kindern, mögliche Komplikationen, Besonderheiten der Anästhesie bei chronischen Erkrankungen sowie Praxiswissen zur perioperativen pädiatrischen Intensivmedizin.
Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.
Zielgruppe
Ärzte
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete AINS Intensivmedizin
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Klinische und Innere Medizin Pädiatrie, Neonatologie
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete AINS Anästhesiologie
Weitere Infos & Material
1 Physiologie des Neugeborenen
Hugo Segerer 1.1 Einleitung
Die Geburt bringt die schwerwiegendsten Veränderungen in der gesamten Entwicklung des einzelnen Menschen mit sich. Praktisch alle physiologischen Vorgänge sind von den dabei ablaufenden Umstellungs- und Anpassungsprozessen betroffen; nur wenige dieser Vorgänge sind bereits in den ersten Lebensstunden oder -tagen abgeschlossen. Daher bedarf der Umgang mit Neugeborenen und insbesondere die Behandlung von kranken Neugeborenen oder von Frühgeborenen besonderer Berücksichtigung dieser Vorgänge. Die Übertragung von Erkenntnissen aus der Physiologie des Erwachsenen in einen „verkleinerten Maßstab“ wird diesem Lebensabschnitt nicht gerecht. Anpassungsstörungen einzelner oder mehrerer Organe sind bei reifen Neugeborenen nicht selten, bei Frühgeborenen häufig. Unreife Funktionen verschiedener Organe müssen bei der Betreuung Frühgeborener und reifer Neugeborener, aber auch im Säuglingsalter berücksichtigt werden. Daher werden im Folgenden Besonderheiten verschiedener Organe und Organsysteme bei Neu- und Frühgeborenen sowie besondere Gefährdungen dieser kleinen Menschen dargestellt. 1.2 Besonderheiten der Neugeborenenlunge
1.2.1 Anatomie der oberen Luftwege
Kinder sind keine maßstäblich verkleinerten Erwachsenen, Neugeborene erst recht nicht (Definitionen ? Tab. 1.1). Dies gilt auch für die Anatomie der oberen Luftwege, die nicht nur viel enger sind als bei Erwachsenen, auch die Lage verschiedener Organe zueinander ist unterschiedlich. So steht der Kehlkopf beim Neugeborenen höher (3.–4. Halswirbelkörper) als beim Erwachsenen (4.–5. HWK), er liegt weiter vorn und seine engste Stelle findet sich nicht auf Höhe der Glottis, sondern im Bereich des Ringknorpels. Merke Wird die Schleimhaut des Kehlkopfes traumatisiert, beispielsweise durch Intubation mit einem zu dicken Tubus, kann sie anschwellen, was zu einer erheblichen Obstruktion und infolge Vernarbung zu einer subglottischen Stenose führen kann. Die Luftröhre des Neugeborenen misst nur ca. 4cm vom Kehlkopf bis zur Karina. Fehlintubationen in den rechten Hauptbronchus sind daher häufig und müssen nach jeder ersten Intubation eines Neugeborenen oder Säuglings durch eine Röntgenaufnahme des Thorax ausgeschlossen werden. Der Auskultationsbefund ist bei Früh- oder Neugeborenen weit weniger sicher zu verwerten als bei größeren Patienten, da das Atemgeräusch umso besser fortgeleitet wird, je kleiner der Thorax ist. Einen Anhalt für die korrekte Positionierung des Tubus bietet die Formel „7–8–9 bei 1–2–3“: Bei Körpergewichten von 1, 2 bzw. 3kg soll der Tubus nach oraler Intubation 7, 8 bzw. 9cm tief liegen. Bei nasotrachealer Intubation wird das Gewicht hinzuaddiert: 8, 10 bzw. 12cm. Tab. 1.1 Definitionen im Neugeborenenalter. Begriff Definition Neugeborenen-Periode von der Geburt bis zum 28. Lebenstag reifes Neugeborenes Geburt nach 37, vor 42 abgeschlossenen SSW* Frühgeborenes Geburt vor Abschluss von 37 SSW* Übertragung Geburt mit 42 SSW* oder später very low Birthweight Infant (VLBW) Geburtsgewicht <1500g extremely low Birthweight Infant (ELBW) Geburtsgewicht <1000g extremely low gestational Age Newborn (ELGAN) Geburt vor 28 abgeschlossenen SSW* *SSW: Schwangerschaftswochen 1.2.2 Lungenmorphologie
Nach etwa 23 Schwangerschaftswochen (SSW) treten Kapillaren in Kontakt mit den ersten, unreifen Alveolen. Zu diesem Zeitpunkt beginnt die Möglichkeit des pulmonalen Gasaustausches. Bei termingerechter Geburt ist allerdings die Diffusionsstrecke für Sauerstoff (Alveolarlumen – Surfactant/Flüssigkeitsfilm – Pneumozyt Typ I – Interstitium – Kapillarmembran – Plasma – Erythrozytenmembran) mit etwa 1µm noch deutlich länger als beim Erwachsenen mit ca. 0,2µm. Wesentlichen Anteil an dieser längeren Diffusionstrecke hat der erhöhte Flüssigkeitsgehalt des Interstitiums und der Alveolen bei Neugeborenen und bei Frühgeborenen kurz nach der Geburt. Bis zur Geburt ist die fetale Lunge mit Fruchtwasser gefüllt; unter der (natürlichen) Geburt wird ein Teil dieses Fruchtwassers trachealwärts ausgepresst, ein Teil wird ins Lungengewebe resorbiert. Verbleibendes Fruchtwasser kann die Sauerstoffaufnahme beeinträchtigen und die Atemarbeit erhöhen. Es resultiert das Bild der „Flüssigkeitslunge“ („idiopathische Tachypnoe des Neugeborenen“), das nach Schnittentbindung gehäuft zu beobachten ist. Der Gasaustausch findet in Aussackungen (Sacculi) mit einem Durchmesser von 30µm (sehr kleine Frühgeborene) bis 150µm (Reifgeborene) statt. Echte Alveolen mit einem Durchmesser von 150–300µm treten erst nach der Geburt auf und nehmen bis zum 8. Lebensjahr an Zahl und Größe zu. Merke Das Lungenvolumen des Neugeborenen ist, bezogen auf seine Körperoberfläche, wesentlich kleiner als das älterer Kinder oder Erwachsener, sodass eine wesentlich geringere Reserve an Lungenoberfläche besteht. 1.2.3 Surfactant
Als pulmonaler Surfactant (Surface-active Agent) wird ein spezifisches Stoffgemisch an der alveolären Luft-Wasser-Grenzfläche bezeichnet, das als oberflächenaktive Substanz einen Alveolarkollaps verhindert. Darüber hinaus ist es aber auch an der Resorption von Flüssigkeit aus dem Alveolarlumen in das Interstitium, am Abtransport von Flüssigkeit aus dem Alveolar- bzw. terminalen Luftweglumen trachealwärts sowie an der Steuerung von immunologischen Vorgängen beteiligt ( ? Tab. 1.2). Tab. 1.2 Funktionen des pulmonalen Surfactants. Funktion Erläuterung antiatelektatische Funktion Erniedrigung der Oberflächenspannung des Flüssigkeitsfilms auf dem Alveolarepithel antiödematöse Funktion Flüssigkeitstransport vom Alveolarlumen ins Interstitium Clearance-Funktion Flüssigkeits- und Sekrettransport in Richtung Trachea direkte Abwehrfunktion Interaktion mit Infektionserregern immunregulatorische Funktion Regulation der intrapulmonalen Immunantwort Steuerung von alveolären Makrophagen Hemmung von ruhenden Lymphozyten Scavenger-Funktion Schutz vor Sauerstoffradikalen Pulmonaler Surfactant besteht, soweit bekannt, zu etwa 90% aus Lipiden (zum größten Teil Phospholipide), zu...