E-Book, Deutsch, Band 3805, 160 Seiten
Reihe: Horror Western
E-Book, Deutsch, Band 3805, 160 Seiten
Reihe: Horror Western
ISBN: 978-3-95719-285-1
Verlag: Blitz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Craid
Dem ersten Schuss folgte nach einem kurzen Moment der Stille eine wahre Salve von Schüssen aus verschiedenen Waffen, Revolvern und Gewehren, wie Hardin am Klang erkennen konnte. Leute schrien durcheinander und einige Kugeln schlugen in der Wand des Saloons ein. Ein paar der Gäste waren auf die Straße gelaufen, als die Schießerei begann, andere hatten sich auf den Boden geworfen. Nur Hardin, McKinnean und Ron, der Barkeeper, blieben weitestgehend unbeeindruckt. „Ist das normal in Virginia City?“, wollte Hardin wissen und zündete seine Zigarette an. McKinnean schüttelte den Kopf. „Früher einmal, da gab’s das jeden Abend. Nicht aber in den letzten fünf, sechs Jahren. Kann mich nicht erinnern, dass seit ‘69 oder ‘70 hier eine Schießerei stattgefunden hat.“ Die Saloontüren flogen auf und ein kreidebleicher Kerl mit einem rauchenden Revolver stürmte herein. Hardins Hand zuckte sofort zum Kolben seines Revolvers, aber der Kerl trat vor die Bar, legte die offenbar leer geschossene Waffe auf die Mahagoniplatte und ließ sich auf einen Barhocker sinken. „Ich brauch ’nen Schnaps, Ron! ’nen doppelten! Nee, mach mir ’nen dreifachen!“, forderte er lautstark. „Was ist denn los, da draußen?“, fragte Ron neugierig und nahm ein Glas aus dem Regal, das groß genug für die bestellte Menge war. „Du glaubst es nicht, Mann, aber es war Craid!“ „Unsinn! Craid ist tot. Seit Jahren unter der Erde!“ Der Barkeeper schob dem aufgelösten Mann seinen Drink hin, der das Glas mit zittrigen Fingern nahm und in einem Zug leerte. „Ich weiß!“, sagte er und stellte das Glas ab. „Das ist ja das Gruselige! Kam aus der Dunkelheit, hat Robertson umgelegt und ist dann in aller Seelenruhe gegangen! Wir haben aus allen Rohren auf ihn draufgehalten, aber anscheinend haben wir ihn nicht getroffen. Ist einfach weitermarschiert. Ich sag dir was, Mann! Das war Craids Geist!“ „Noch mal Blödsinn! Wer immer das war, ihr seid eben beschissene Schützen und habt danebengeschossen!“, bekräftigte Ron seine Meinung und grinste breit. „Summers? Summers schießt nie daneben mit seiner Rifle! Der schießt einer Fliege auf hundert Yards ’n Flügel ab und das weißte du, Hieronymus Billings!“, konterte der Blasse und griff nach seinem Revolver. „Nenn mich noch einmal Hieronymus und du kannst deine Drinks woanders anschreiben lassen, Arthur!“, knurrte der Barmann und sah seinen Gast giftig an. „Kein Grund, unangenehm zu werden! Is’ wahr, Summers trifft immer, aber der Kerl ist weitermarschiert, als sei nichts gewesen. Ich sage dir, es war der Geist von Craid!“, beharrte der Mann, den der Barkeeper Arthur genannt hatte, und lud seine Waffe. Er schob sie in den Gürtel, legte eine Münze auf den Tisch und tippte gegen sein leeres Glas. „Und ich lass nicht anschreiben! Mach noch mal voll, dann geh’ ich wieder.“ Ron schenkte nach, Arthur trank und ging. Hardin und McKinnean hatte die Szene schweigend beobachtet. „Wer ist dieser Craid? Und wer war Robertson?“ Hardin fragte in den Raum hinein, ohne McKinnean anzusehen. Er goss einen weiteren Brandy in ihre Gläser und rollte sich eine weitere Zigarette. „Robertson war mal Teilhaber der Bonanza-Mine“, antwortete der ehemalige Besitzer der Mine leise. „Guter Mann, soweit ich das sagen kann. Pünktlich bei der Arbeit, immer zuverlässig.“ Das war nur die halbe Antwort auf die Fragen, die Hardin gestellt hatte. „Und wer war dieser Craid?“, hakte er nach und zündete seine Zigarette an. „Ein Killer“, war die knappe Antwort. „Davon gibt es viele“, stellte Hardin lakonisch fest und fragte sich gleichzeitig, ob er sich selbst dazuzählte. Er hatte im Krieg viele Männer um ihr Leben gebracht und danach noch ein paar mehr, doch diese hatten ihn dazu genötigt. Es war Selbstverteidigung, wenn er getötet hatte. Aber sprach ihn das frei? „Der hier muss schon was Besonderes sein, wenn jemand glaubt, er würde nach seinem Tod zurückkehren und weiter morden.“ „Er ist eine Art lokale Berühmtheit, könnte man sagen“, antwortete McKinnean unwillig. „Hat vor ein paar Jahren für einen Minenboss ein paar Männer umgelegt, die sich gegen die Arbeitsbedingungen unter Tage aufgelehnt hatten und so etwas wie einen Streik anzettelten. Es gab einen Einsturz in einem von deren Schächten und er wurde mit einigen Minenarbeitern verschüttet. Sind alle verreckt. Wir haben sie ein paar Wochen später ausgegraben. Nun ja, die meisten zumindest. War nicht mehr viel, was die Ratten von ihnen übrig gelassen hatten, aber das, was übrig war, haben wir nach guter christlicher Tradition beerdigt. Du kannst die Gräber auf unserem Friedhof besuchen, Mister, wenn du willst. Die waren mausetot! Kannst du mir glauben!“ „Tu ich“, sagte Hardin und trank einen Schluck von seinem Brandy. Er wusste genau, dass tot sein kein Grund war, nicht noch mehr Ärger zu machen. Tote waren nicht, wofür man sie hielt. Das hatte er in den letzten Monaten lernen müssen. Der Saloon füllte sich langsam wieder. Die Leute, die zum Gaffen nach der Schießerei auf die Straße gelaufen waren, versammelten sich vor dem Tresen, und Ron hatte alle Hände voll zu tun, ihren Durst zu stillen. Als einer der Letzten betrat Marshal Dickkins den Saloon. Offenbar war er noch nicht abgereist. Hardin hob den Arm und winkte dem Gesetzeshüter zu. „Marshal! Trinkst du ein Glas Brandy mit einem Durchreisenden?“, rief er quer durch den Raum. Zögerlich und sichtlich ein wenig irritiert kam Dickkins zu ihm herüber. „McKinnean!“, grüßte er den Minenbesitzer und blickte Hardin mit gerunzelter Stirn an. „Ah, du bist das! Hardin war der Name, wenn ich mich recht erinnere. Habe dich wirklich nicht gleich erkannt, in dem Anzug!“ Die Stirn des Gesetzesvertreters glättete sich. „Richtig!“, bestätigte Hardin. „Wie steht es nun mit einem Drink?“ „Da sage ich nicht nein!“ Dickkins nahm seinen Hut ab und legte ihn auf den Tresen. Hardin winkte dem Barkeeper zu. „Ron! Noch ein Glas, wenn’s geht!“ Der Barmann brachte das verlangte Trinkgefäß und Hardin schenkte die drei Gläser voll. „Worauf trinken wir?“, wollte der Marshal wissen. „Darauf, dass wir die Scheiße bis hierher überlebt haben?“, schlug McKinnean spontan vor. Hardin lachte leise und hob sein Glas. „Das ist der verdammt beste Trinkspruch, den ich je gehört habe! Wir haben die Scheiße überlebt! Darauf trinke ich gerne!“ Auch McKinnean und Dickkins ergriffen ihre Gläser. „Aufs Überleben!“, sagte McKinnean. „Auf die Scheiße!“, sagte Hardin. „Auf uns!“, sagte Dickkins. Der Marshal stellte sein Glas hart auf die polierte Mahagoniplatte der Theke. „Nach diesem Abend heute habe ich mir genau so was verdient! Bei meinem Stern! Das ist ein verflucht guter Brandy!“ „Was war da eigentlich los, Marshal?“, fragte McKinnean zu Hardins Erleichterung, der schon überlegte, wie er auf das Geschehen auf der Straße zu sprechen kommen konnte. „Wenn ich das wüsste!“, knurrte der Marshal und seufzte. Er winkte Ron zu und bestellte drei Bier und eine Flasche Whiskey. „Ich bin ein Mann, der viel gesehen hat, Gott ist mein Zeuge!“, fuhr er mit gesenkter Stimme fort. „Ich habe drei Kriege mitgemacht, hab mir ein paar Kugeln eingefangen, mich mit versoffenen Subjekten und Möchtegern-Revolverhelden duelliert! Und ich glaube nicht an Gespenster, verdammt noch mal!“ Ron brachte die Biere und die Flasche Bourbon. Dickkins schob Hardin und McKinnean je ein Glas zu und zog das dritte zu sich heran. „Aber ich frage mich, ob es vielleicht doch Geister gibt, nach dem, was ich heute gesehen habe. Lasst euch das Bier schmecken, Gentlemen!“ Er setzte das Glas an und trank, bis es zur Hälfte geleert war, bevor er es absetzte. Hardin und McKinnean tranken etwas langsamer, hatten sie doch dem Marshal gegenüber einen gewissen Vorsprung, was den Konsum von Alkohol anging. „Ich habe heute einen Mann gesehen, der seit Jahren tot ist. Ich sah, wie er einen Mann auf offener Straße einfach so abgeknallt hat. Und ich habe gesehen, wie er in einem Kugelhagel davonspazierte, als gehe ein warmer Sommerregen auf ihn nieder.“ Langsam wurde Hardin klar, was er hier, in Virginia City, verloren hatte. Ein Toter, der Männer umlegte, klang nach einer Aufgabe für jemanden, der einen magischen Colt sein Eigen nannte. „Wer ist oder war dieser Craid?“ Hardin schenkte die Gläser nacheinander wieder voll. Der Inhalt der Flasche neigte sich seinem Ende zu, aber drei Drinks gab sie noch her. „Ein gedungener Killer, den Fergusson bezahlt hat, um einen Streik seiner Minenarbeiter zu brechen. Hat nicht funktioniert und Fergusson landete am Galgen“, antwortete McKinnean. „Gut, aber danach habe ich nicht gefragt. Was ist mit diesem Craid passiert, das wollte ich wissen“, hakte Hardin nach und hob sein Glas. Die anderen beiden Männer folgten seinem Beispiel. „Auf die, die unter Tage geblieben sind!“, sagte Hardin und kippte seinen Drink hinunter. Er wusste, dass dergleichen Trinksprüche bei Minenarbeitern gut ankamen, insbesondere, wenn sie angetrunken waren. „Well, Craid ist in den Stollen der Fergusson-Mine umgekommen, als die eingestürzt sind. Er, seine Männer und die Minenarbeiter, die an diesem unglückseligen Tag da unten...