Kraus | Theater-Proteste | Buch | 978-3-593-38335-4 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 9, 389 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 213 mm, Gewicht: 546 g

Reihe: Historische Politikforschung

Kraus

Theater-Proteste

Zur Politisierung von Straße und Bühne in den 1960er Jahren

Buch, Deutsch, Band 9, 389 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 213 mm, Gewicht: 546 g

Reihe: Historische Politikforschung

ISBN: 978-3-593-38335-4
Verlag: Campus


Die Frage, was politisches Theater ist, wurde in der Bundesrepublik seit den frühen 1960er Jahren kontrovers diskutiert. Auch für die 68er- Bewegung spielte sie eine wichtige Rolle. Dorothea Kraus rekonstruiert diese Auseinandersetzungen um das Politische, die im Theater, um das Theater und mit den Mitteln des Theaters geführt wurden. Im Zentrum stehen neben den theatralen Protesten der Außerparlamentarischen Opposition (APO) die Politisierung des Dramas, das Aufkommen des Regietheaters und die Forderung nach innerbetrieblicher Mitbestimmung. Ein Theater, dem die Gesellschaft politischen Charakter zugesprochen hätte, konnte sich auf Dauer freilich weder institutionell noch künstlerisch durchsetzen.
Kraus Theater-Proteste jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Inhalt
Prolog 9
I. Einleitung 13
II. Politisierungsprozesse: Das westdeutsche Berufstheater nach 1945 35
1. Das Feld des Theaters in den fünfziger Jahren 38
Theatersystem und Spielplanentwicklung - Dichterwort und Werktreue - Klassizistische Humanität

2. Politisches Theater im Deutungskampf 65
Studententheater - Politische Dramatik - ›Theater der Revolution‹

III. Mobilisierungsstrategien:
Die Außerparlamentarische Opposition 104

1. Kunstkritik und Kulturrevolution: Leitideen und Aktionsformen 108
Aufklärung und Aktionismus - Selbstverwirklichung und Selbstverwaltung - Revolution im Kulturbereich

2. Parallelaktionen: Theaterkritik als Mobilisierungsfaktor 132
Protest gegen die Notstandsgesetze - Viet Nam Diskurs - Theater zwischen Pop Art und Gesellschaftsanalyse

IV. Gegenkultur oder ›gegen Kultur‹: Theatrales Handeln als Kritik in der Aktion 169

1. Happenings 170
Theatrale Aktion als Performance - Die Ambivalenz des Politischen

2. Straßentheater 203
Agitprop - ›Representational action‹ - Rehabilitation der Sinnlichkeit

V. Inszenierung und Institution: Aspekte politischen Theaters 233

1. Aufklärung durch Aktion? Peter Zadek und Hansgünther Heyme 234
Collagierte Klassiker I: Maß für Maß - Collagierte Klassiker II: Wallenstein

2. ›Zeitgenössisches Theater‹: Claus Peymann und die Schaubühne 268
Claus Peymann und das Theater am Turm - Die Schaubühne am Halleschen Ufer (1962-1969) - Analyse der bürgerlichen Befindlichkeit: Peter Stein

3. Wider die ›Zuhälter im Hausvaterrock‹: Demokratisierung im Theater der frühen siebziger Jahre 302
Initialisierungsphase - Zuspitzungs- und Stabilisierungsphase - Institutionalisierungsphase

VI. Theater zwischen Politisierung und Entpolitisierung:
Resümee und Ausblick in die siebziger Jahre 347

Abkürzungsverzeichnis 355
Quellen und Literatur 357
Dank 388


Heinrich, du tust zuviel für deine Gage! - Der junge Schauspieler Heinrich Giskes, dem dieser Zuruf eines Kollegen gilt, ist nur mit Mühe zu bremsen. Er hat einen Schuh ausgezogen und zielt damit von der Bühne herab auf einen Zwischenrufer im Publikum. An diesem 14. Januar 1969 kocht an der Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer die Stimmung hoch. Selten zuvor ist ihre programmatische Selbstbezeichnung ›Zeitgenössisches Theater‹ so sehr Ausdruck eines konkreten Theaterereignisses geworden. Die Premiere von Peter Weiss' Viet Nam Diskurs hat kaum das Ende des ersten Teils erreicht, als die überwiegend jüngeren Zuschauer voller Empörung einzugreifen beginnen. Ihren Unmut ruft vor allem der revueartige, scheinbar oberflächliche Stil hervor, in dem sich zweieinhalb Jahrtausende vietnamesischer Unterdrückungsgeschichte auf der dekorationslosen, nur vom Grau der nackten Wände, der Eisenleitern und Beleuchterbrücken umrahmten Bühne präsentieren. Mit ihrer bewegungsreichen, tänzerischen Bühnenchoreographie folgt die Inszenierung weniger dem dokumentarischen Anspruch des Dramentextes als der ebenfalls in ihm angelegten "eigentlich ungeschichtliche[n], rituelle[n] Darbietung". Der Kabarettist Wolfgang Neuss, der als Conférencier und Kommentator die Vorstellung begleitet, bekommt den Protest als Erster zu spüren. Reaktionsschnell versucht er, Zwischenrufe von der Bühne abzuwehren. "Komödiantische Volkshochschule" nennt er von sich aus einlenkend und zugleich distanzierend den Schnelldurchlauf durch die Geschichte Vietnams. Einen Zuschauer, der seine Einwürfe als "Scheißgeschwätz" bezeichnet, lädt er spontan ein, auf die Bühne zu kommen: "Na, komm rauf, Kleiner, kannst mitspielen." Die Einladung wird angenommen, aus einer anderen Ecke des Zuschauerraums allerdings prompt gekontert: "Störungen bitte erst im 2. Akt. Das ist jahrhundertealte Tradition." Zwar bleibt der junge Mann nicht lang auf der Bühne. Der Saal beruhigt sich jedoch erst wieder, als der zweite Teil des Stücks die amerikanische Vietnam-Politik der Gegenwart an den Pranger stellt. Die Aufführung kann zu Ende gebracht werden.

Offensichtlich stieß vor allem die theatrale Darbietung des Themas auf Widerstand, nicht aber die amerikakritische Ausrichtung des Stücks. Mochte auch die Mehrheit der westdeutschen Bürger am Prinzip der uneingeschränkten Solidarität mit der ›Schutzmacht‹ USA festhalten - gerade in West-Berlin und gerade unter jüngeren Menschen wies diese Solidarität schon länger deutliche Risse auf. Seit Beginn des offenen militärischen Engagements der Amerikaner in Nordvietnam im August 1964 hatte in der Bundesrepublik der Protest insbesondere studentischer Gruppen gegen die amerikanische Vietnam-Politik vielfältige Formen angenommen. Die Antivietnamkriegsproteste in den USA wirkten in diesem Zusammenhang als Aufforderung und Vorbild zugleich. Ein Höhepunkt wurde am 17./18. Februar 1968 mit dem Internationalen Vietnam-Kongress in West-Berlin erreicht. Er fand in den Räumen der Technischen Universität statt und versammelte nicht nur Mitglieder des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), sondern auch zahlreiche Vertreter linker Gruppen aus anderen Ländern (Großbritannien, Frankreich, Italien, USA). Für viele Teilnehmer war die Abschlussdemonstration des Kongresses, bei der die Demonstranten, zu rhythmischen Wellenbewegungen "Ho-Ho-Ho-Chi-Minh" rufend, durch die Straßen Berlins zogen, Inbegriff internationaler Solidarisierung und politischer Klimaveränderung. Vom Erlebnis dieses Kongresses geprägt, hatten auch die Viet Nam Diskurs-Regisseure Peter Stein und Wolfgang Schwiedrzik die Ho-Chi-Minh-Rufe in ihre Inszenierung übernommen. Von der politisch-sinnlichen Protestdynamik des Vietnam-Kongresses jedoch war Anfang 1969 im Zuschauerraum der Schaubühne wenig zu spüren.


Dorothea Kraus, Dr. phil., promovierte an der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Universität Bielefeld.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.