E-Book, Deutsch, 160 Seiten
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-96861-014-6
Verlag: Aquamarin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dietmar Krämer und Hagen Heimann kennen als erfahrene Indien-Reisende die Welt der tantrischen Spiritualität aus eigener Anschauung und langjähriger Erfahrung. Sie schildern in dieser ausgezeichneten Einführung in eine geheimnisvolle Welt sowohl die bedeutendsten Orte einer noch immer von Mysterien umrankten Sphäre als auch ihren inneren geistigen Kosmos.
Zentrales Anliegen ist es dabei, die durch tantrische Praktiken im Menschen erweckten Kräfte zu beschreiben und vor nicht sachkundig geleiteten Übungen zu warnen. Wer als Laie hochwirksame Kundalini-Techniken anwendet, kann sich in die Gefahr begeben, den eigenen feinstofflichen Körpern nachhaltig Schaden zuzufügen.
Ein wichtiges, weil aufklärendes Buch, das jeder gelesen haben sollte, der sich auf den Pfad des Tantra begeben möchte!
Autoren/Hrsg.
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2. Der spirituelle Weg des Yoga
a) Samadhi als Ziel des Yoga
Unter Selbstverwirklichung versteht man im Westen die Realisierung der eigenen Ziele, Wünsche, Begierden und Sehnsüchte, um der eigenen Persönlichkeit zur größtmöglichsten Entfaltung zu verhelfen. Im Yoga geht es dagegen um die Verwirklichung des eigenen Selbst. Das Selbst (Atma) bezeichnet den transzendenten Urgrund unserer eigenen Existenz, jenseits von Raum und Zeit. Es ist formlos, eigenschaftslos, unwandelbar, unzerstörbar, unvergänglich und allgegenwärtig. Ohne Anfang und ohne Ende währt es ewig und unterliegt nicht den Beschränkungen des manifestierten Universums. Es ist reines, unmanifestiertes Sein und eins mit dem Urgrund allen Seins (Brahman). Dieses Sein in der Tiefe der eigenen Seele zu erfahren und eins mit ihm zu werden, ist das letztendliche Ziel des Yoga. In diesem Zustand existiert nichts mehr außer dem Selbst: Kein Raum, keine Zeit – nur ewiges Jetzt. Dieses Einssein mit dem eigenen Selbst wird Samadhi genannt und stellt neben Wachen, Schlafen und Träumen einen vierten Bewusstseinszustand dar. Dieser ist unveränderlich, kann nur in tiefer Versenkung erfahren werden und unterscheidet sich vollkommen von den drei anderen, sich verändernden Bewusstseinszuständen. Der Meditierende ruht in einem Zustand unendlicher Glückseligkeit im eigenen Selbst. Er erlebt dieses Sein nicht so, wie Wachen, Schlafen und Träumen erlebt wird – er ist dieses Sein. Aus diesem Grund lässt sich auch nicht beschreiben, was dabei erlebt wird, denn um etwas zu beschreiben, ist eine Trennung zwischen Subjekt und Objekt erforderlich. Im Samadhi ist dies nicht mehr der Fall. Der Wahrnehmende, der Vorgang der Wahrnehmung und das Objekt der Wahrnehmung sind eins. Der Meditierende ist eins mit seinem Selbst – er ist das Selbst. Diese Form des Samadhi tritt in tiefer Meditation getrennt von den anderen drei Bewusstseinszuständen (Wachen, Schlafen, Träumen) auf. Danach endet die Vereinigung mit dem Selbst – der Meditierende kehrt wieder in den gewohnten Wachzustand zurück. Es gibt jedoch eine höhere Form des Samadhi, Nirvikalpa Samadhi genannt, die Vereinigung, die nicht mehr endet. Sie ist das eigentliche Ziel des Yoga. Hier bleibt Samadhi, das Einssein mit Atma, bestehen, während man wach ist, schläft oder träumt. Derjenige, der diesen erhabenen Zustand ewiger Glückseligkeit erreicht hat, ist für immer verankert im Selbst – er ist eins mit Brahman, dem göttlichen Urgrund. b) Die unterschiedlichen Yoga-Wege
Der Begriff Yoga kommt aus dem Sanskrit und bedeutet so viel wie „Joch“. Er ist abgeleitet von dem Verb „yuj“, das sich mit „anschirren“, „einspannen“ oder auch „anjochen“ übersetzen lässt. Yoga versteht sich als Weg zur Anschirrung des Körpers an die Seele mit dem Ziel, Nirvikalpa Samadhi oder die Verwirklichung des Selbst zu erlangen. Im Osten wird dieser Zustand mit „Erleuchtung“ gleichgesetzt. Im Westen dagegen ist dieser Begriff vielschichtig und wird oft auch dafür verwendet, dass jemandem eine bestimmte Erkenntnis zuteil wird. „Erkenntnis“ meint im Osten wiederum, dass jemand durchdrungen ist von dem Wissen über das entsprechende Objekt und dieses „realisiert“ hat. Eine Person, die das Selbst „erkannt“ hat, hat demnach das Selbst verwirklicht und verweilt im Zustand des Nirvikalpa Samadhi. Im Westen meint dieselbe Formulierung, dass jemand ein Buch darüber gelesen und den entsprechenden Sachverhalt verstanden hat. Dass hieraus fatale Fehlinterpretierungen resultieren und sich viele westliche Yoga-Enthusiasten für erleuchtet halten, versteht sich fast von selbst. Um das endgültige Ziel, Verankerung im eigenen Selbst (Atma) und damit Einssein mit dem göttlichen Urgrund (Brahman), zu erlangen, gibt es unterschiedliche Pfade. Raja Yoga
Raja Yoga, der „königliche“ Yoga, beruht auf dem achtgliedrigen Pfad von Patanjali. Er wird daher auch als Ashtanga Yoga bezeichnet, abgeleitet von Astha (Sanskrit: acht) und Anga (Sanskrit: Glieder). Patanjali, ein indischer Weiser, der vor etwa 2000 Jahren gelebt hat, beschreibt in seinen Yoga-Sutras den Weg zur Befreiung (Kaivalya) in Form von 195 Aphorismen. Kaivalya definiert er11 als „Gegründetsein im eigenen Wesen oder in der Kraft des reinen Bewusstseins“. Der Weg des Raja Yoga (Raja, Sanskrit: König, Herrscher) besteht in der stufenweisen Beherrschung des Geistes, indem dessen Bewegungen (Gedankenwellen) kontrolliert und schließlich zur Ruhe gebracht werden. Von Gedankenwellen entleert, ist der Geist fähig zur tiefen Versenkung (Samapatti), in welcher der Wahrnehmende, der Vorgang der Wahrnehmung und das Objekt der Wahrnehmung eins sind. Hieraus entsteht schlussendlich Samadhi. Raja Yoga besteht aus den acht Gliedern: Yama (Regeln im Umgang mit anderen Menschen) Niyama (Regeln im Umgang mit sich selbst) Asana (Körperhaltung) Pranayama (Regulierung des Atems) Pratyahara (Zurückziehen der Sinne) Dharana (Fokussierung der Gedanken) Dhyana (Meditation) Samadhi (Einssein) Yama beinhaltet Gewaltlosigkeit (Ahimsa), Wahrhaftigkeit (Satya), Nicht-Stehlen (Asteya), Handeln im Bewusstsein eines höheren Ideals (Brahmacarya) und Genügsamkeit (Apigraha). Niyama steht für Reinheit (Shaucha), Zufriedenheit (Santosha), Selbstdisziplin (Tapas), Selbststudium (Svadhyaya) und Hingabe an den göttlichen Funken (Ishvara Pranidhana). Asana bezeichnet bei Patanjali lediglich die Körperhaltung in der Meditation. Diese sollte stabil und angenehm sein, damit der Körper vollkommen entspannt ist. Um stabil zu sitzen, ist jedoch eine gewisse Anspannung erforderlich, um den Körper in einer aufrechten Position zu halten. Der Geist sollte gleichzeitig in einen Zustand völliger Entspannung gebracht werden. Erst aus dieser Polarität von körperlicher Spannung und geistiger Entspannung ist, laut Patanjali, tiefe Versenkung möglich. Wichtig dabei ist, dass die Sitzhaltung ohne Anstrengung über einen längeren Zeitraum eingenommen werden kann. Leider ist dies aufgrund von Verspannungen, Wirbelblockaden und schwach ausgebildeter Muskulatur nicht jedem Praktizierenden möglich. Aus diesem Grund kamen später Übungen (Asanas) dazu, die den Körper kräftigen und mobilisieren sollten. Daraus entwickelte sich mit der Zeit ein eigenes System, bei dem gesundheitliche Aspekte im Vordergrund stehen. Dieser Hatha Yoga ist mittlerweile die bekannteste und im Westen am häufigsten praktizierte Form des Yoga. Er beruft sich ebenfalls auf das System von Patanjali und schließt Atemübungen und in geringerer Form auch meditative Praktiken mit ein. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf den Körperübungen. Pranayama ist die Regulierung des Atems. Sie dient zur weiteren Vertiefung der Entspannung und damit als Vorbereitung für die Versenkung (Samapatti). Hierbei wird der Atem beobachtet und sanft beeinflusst, indem die einzelnen Atemphasen möglichst anstrengungslos verlängert und die Atemzüge vertieft und verlangsamt werden. Da der Atem unser inneres Tempo bestimmt, ist es dadurch möglich, eine Beruhigung des Geistes zu bewirken, um die Gedankenwellen zur Ruhe zu bringen. Bei Patanjali dienen diese Atemübungen lediglich der Vorbereitung der Meditation. Im Hatha Yoga sind sie mit den Asanas gekoppelt. Pratyahara bedeutet Zurückziehen der Sinne und ist die Voraussetzung für die nächsten beiden Schritte: Fokussierung der Gedanken (Dharana) und Meditation (Dhyana). Indem wir ein Objekt betrachten, entsteht eine Verbindung zwischen dem Sehenden und dem Gesehenen. Die daraus resultierende Anhaftung fixiert unsere Aufmerksamkeit auf die materielle Welt und erweckt Wünsche und Begierden, deren Befriedigung in den Vordergrund unseres Sehnens und Strebens rückt. Wird unser Geist davon dominiert, ist die Hinwendung nach innen nicht möglich. Pratyahara bewirkt, dass sich der Geist nicht mit äußeren Objekten verbindet und daher in der Lage ist, sich zu fokussieren. Dharana ist die Fokussierung der Gedanken und die Bindung des Geistes an ein Objekt. Voraussetzung dafür ist eine stabile und entspannte Sitzhaltung (Asana), die Beruhigung des Geistes mittels Atemregulierung (Pranayama) und ein Zurückziehen der Sinne (Pratyahara) mit geschlossenen Augen, um die Anhaftung an das Gesehene aufzulösen. Sobald die Gedankenwellen zur Ruhe gekommen sind, konzentriert man sich auf das entsprechende Objekt, etwa ein spezielles Chakra oder eine Gottheit, die man sich bildlich vorstellt. Dhyana (Meditation) bedeutet, einen einzigen Gedankenstrom aufrechtzuerhalten und die Fokussierung der Gedanken (Dharana) kontinuierlich fortzuführen, so dass außer dem Objekt, auf das unsere Aufmerksamkeit gebündelt wird, nichts mehr existiert – keine Gedanken, keine Gefühle, im Idealfall nicht einmal körperliche Empfindungen, da die Sinne durch Pratyahara zurückgezogen wurden und Sinneswahrnehmungen (z. B. Hitze, Kälte, äußere Geräusche) keine Beachtung mehr finden. Samadhi (Einssein) geschieht, wenn bei der kontinuierlichen Fokussierung der Gedanken jegliche Ablenkung durch andere Gedanken, Gefühle oder Sinneswahrnehmungen verschwindet, so dass nur noch das Objekt allein existiert und gleichzeitig das, was wir irrtümlich für unser...