E-Book, Deutsch, Band 3, 160 Seiten
Reihe: wtb Wieser Taschenbuch
Kosmac / Kosmac Tantadruj
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-99047-022-0
Verlag: Wieser Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 3, 160 Seiten
Reihe: wtb Wieser Taschenbuch
ISBN: 978-3-99047-022-0
Verlag: Wieser Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tantadruj, der Dorfnarr, zieht mit vierzig Glocken (für jeden Märtyrer eine) zum Kirtag, um das Glück zu suchen. Glücklich werde er erst, wenn er sterbe - seit ihm das seine Mutter »irgendwie« eingab, lebt er für diesen Wunsch: sterben. Auf dem Weg schließen sich ihm drei Freunde an, jeder auf seine Weise weise Randfigur. Doch irdische wie überirdische Mächte wissen die Erfüllung von Tantadrujs und seiner Komplizen Sehnsucht zu verhindern: Der Dorfpolizist Teigig (»Sterben ist verboten«) und die vier Pfarrer (»Wir müssen alle dulden, bevor wir in die Grube fahren«). Als es auf dem Friedhof gar zum Probeliegen kommt (»Tantadruj, es geht kein Wind«), ist das Verbrechen und die Sünde perfekt, wenn auch von Glück (k)eine Spur. Die vier müssen wieder in ihre vier Täler zurück.
Ciril Kosma?, der bedeutende slowenische Epiker, erinnert sich am Ende seines Lebens an diese Geschichte seiner Mutter, und inmitten der Eiseskälte der Welt erscheint ihm eine Sternschnuppe: »Resurrecturis!« - Eine weise Parabel, das serene Lob der Phantasie.
Ciril Kosma? wurde am 29. August 1910 als Sohn von Bauern im slowenischen Küstengebiet geboren. Handelsschule, Matura in Görz. Wegen »nationaler und antifaschistischer Betätigung« in Italien inhaftiert. 1938 an der jugoslawischen Botschaft in Paris, danach Aufenthalt in London. 1949 Unterstützung der Partisanen. Bis zu seinem Tod am 28. Jänner 1980 freier Schriftsteller, Redakteur und Dramaturg. Veröffentlichte vier Romane, Erzählungen, Kindergeschichten, Essays.
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II
Endlich hatte sich Tantadruj doch zum Kirchtag hingebimmelt. Dort war es fast so schön wie im Himmel, aber doch nicht ganz so schön, denn der Wind blies, und es herrschte ziemlicher Frost, obgleich die goldene Wintersonne schien. Unter dem gewölbten Eingang zu Podkoritars Gasthaus stand Wachtmeister Dominik Teigig in feierlichem Habit. An seiner Hüfte hing der lange Säbel, geschmückt mit einer Seidenquaste, auf seinem Kopf leuchtete der Helm mit der langen und scharfen Spitze, als wüchse ihm ein silbernes Horn aus dem Scheitel. Er war ernst und mächtig wie Gottvater selbst und blickte stier und ebenso von oben herab über den Marktplatz. Tantadruj wandte sich zu ihm, weil er ihm gern erzählt hätte, daß er jetzt das Richtige gefunden habe, aber Dominik Teigig warf sich so wild in die Brust und zuckte so drohend mit dem buschigen Schnurrbart, daß Tantadruj Angst vor ihm bekam. Das Mannsbild war nämlich noch völlig nüchtern und mußte bis zur feierlichen Messe auch nüchtern bleiben, deshalb wäre es ihm nie eingefallen, sich jetzt irgendwelche dummen Verrücktheiten anzuhören, am wenigsten solche, die vom Tod handelten. Tantadruj seufzte enttäuscht und ging auf den Markt. Dort waren Verkaufsstände in vier Reihen aufgestellt, und an denen gab es Waren und Wunder für alle Bedürfnisse und für alle Wünsche. Das Ringelspiel drehte sich, die Drehorgeln der Bettler sangen, die Ziehharmonikas krähten, in den Kinderhänden schrillten die Mundharmonikas und pfiffen die Flöten. Und wie viele Kirchtagsbesucher es gab! Kopf an Kopf, wie auf dem Bild vom Jüngsten Gericht, das sich Tantadruj schon oft beim Bauern Hotejec angesehen hatte, der eine Art Beschützer aller Bettler, Narren und verlorenen Seelen war. Aber auf dem Bild vom Jüngsten Gericht standen alle regungslos und schwiegen, doch hier drehten sich alle, hasteten, stießen und drängten, redeten, schrien, lachten, begrüßten einander, klopften einander auf die Schultern und reichten einander die Hände, denn jeder stieß auf einen Bekannten, den er schon lange nicht gesehen hatte. Auch Tantadruj traf hier seine Bekannten, denn auf einem Kirchtag treffen sich alle: Gute und Böse, Gerechte und Ungerechte, Vernünftige und Närrische. Zuerst stieß er auf Luka Božorno-boserna. Das war ein baumlanger Kerl in den Fünfzigern. Früher einmal war er als Maurer gut anderthalbe wert gewesen, aber er war von einem hohen Gerüst gefallen und hatte sich alles gebrochen und das Gehirn so durchgeschüttelt, daß er nicht mehr bei rechtem Verstand war. Er war ohne die Rechte geblieben, und anstatt des linken Beines, das sie ihm in der Mitte des Oberschenkels abgesägt hatten, besaß er einen kegelförmigen Holzstumpf, der mit einem richtigen Pferdehufeisen beschlagen war. Er zog durchs Land und erklärte mit apostolischer Begeisterung, man dürfe »nicht mehr nach oben mauern, sondern nach unten, ein wenig eben, und dann geradewegs in die Erde«. Wo immer er auf Maurer stieß, begann er auf sie einzuschreien und am Maurergerüst zu rütteln. Seine Stimme dröhnte, als ob er aus einem Faß spräche, aber auch seine Kraft war noch erheblich, sodaß den Maurern bald die Knie zu wackeln begannen. Sie ließen sich vom Gerüst herab und unterhielten sich mit Luka freundlich über das Mauern nach unten, etwas eben, und dann geradewegs in die Erde. Wenn sie ihm in allem beigepflichtet hatten, verabschiedete er sich fröhlich. »So ist es recht, und božorno-boserna!«, dröhnte er, salutierte und ging weiter. Luka hatte längere Zeit als Maurer in Görz und Triest gearbeitet, deshalb waren bei ihm noch ein paar italienische Brocken hängengeblieben. So grüßte er auch nur auf italienisch, aber er sagte nicht Buon giorno und Buona sera, sondern kurz und abgehackt Božorno-boserna und beides immer zugleich, sei es morgens, mittags oder abends. Alles deutete darauf hin, daß er nicht mehr wußte, was diese Wörter bedeuteten, denn er benutzte sie auch, um seinen Behauptungen Nachdruck zu verleihen. Tantadruj war bei Vojskars Stand auf ihn gestoßen, wo es geschmiedetes Werkzeug zum Anschauen und Kaufen gab. Luka warf gerade die Maurerkellen und Maurerhämmer durcheinander und erläuterte eifrig und mit Donnerstimme seine Art des Mauerns, Vojskar stimmte ihm ebenso eifrig zu, um ihn so schnell wie möglich loszuwerden. Tantadruj sprang schnell näher und sagte überglücklich zu ihm: »Tantadruj, jetzt hab ich’s, und das wird das Richtige sein!« »Božorno-boserna!« dröhnte Luka und salutierte auch vor ihm, und da er noch ganz im Feuer der Erklärung seines Mauerns war, fügte er sofort hinzu: »Wenn es nach oben geht, ist es nicht das Richtige!« »Tantadruj, es geht ja nicht nach oben. Es geht… Nein!« sprang der kleine Narr erschrocken auf und hielt sich die Hand vor den Mund. »Zuerst muß ich es dem Herrn Pfarrer sagen!« »Sag es nur! Aber wenn es nach oben geht, ist es nicht das Richtige, und božorno-boserna!« setzte Luka mit Nachdruck hinzu. »Tantadruj, es geht nicht nach oben!« schüttelte der kleine Narr den Kopf und wandte sich um. »Wohin gehst du?« dröhnte Luka. »Tantadruj, drei Glocken gehe ich kaufen«, sagte er fröhlich. »Drei Glocken?« wunderte sich Luka. »Du bist verrückt!« »Tantadruj, ich bin nicht verrückt. Ich bin ein Kind Gottes!« widersetzte sich der kleine Narr. »Das hat Hotejec gesagt!« »Hotejec?« fragte Luka gedehnt und dröhnte sofort hinterher: »Wenn Hotejec das gesagt hat, dann aber božorno-boserna! Und jetzt gehen wir Glocken kaufen!« »Tantadruj, ja, gehen wir!« freute sich der kleine Narr. Luka, der sich schon den ganzen Jahrmarkt angesehen hatte und deshalb wußte, wo Glocken verkauft wurden, legte ihm seine einzige Pranke auf die Schulter und schob ihn durch das Marktgetümmel; er schüttelte ihn, daß es wild bimmelte, und dröhnte aus der Tiefe seines Bauches: »Aus dem Weg! Aus dem Weg! Wir gehen Glocken kaufen!« Noch bevor sie sich bis zu Lokovcen durchgedrängelt hatten, der Kuhglocken verkaufte, stießen sie auf Rusepatacis. Das war ein alter, langer und ausgesprochen knochiger Furlaner. Fast dreißig Jahre hatte er als Knecht bei einem geizigen Bauern gedient, wo es wahrscheinlich nur Rüben und Erdäpfel bzw. »Grundbirnen«, also Kartoffeln, zu essen gegeben hatte. Der Furlaner hatte schon damals, wenn man ihn fragte, wie es ihm gehe, nur mit den Achseln gezuckt und finster geschnaubt: »Pha! Raùs e patacis!« Und da er wußte, daß die Leute kein Furlanisch verstanden, hängte er seine Übersetzung gleich hinten dran: Rüb’m und Grumbirn!« Von allzu scharfem Verstand war der Mann zwar nie gewesen, aber warum sich der bei ihm wirklich verwirrt hatte, wußte niemand. Eines Abends fing er aus heiterem Himmel an zu toben. Er warf die riesige irdene Schüssel mit den Rüben und Kartoffeln vom Tisch und begann wild herumzuspringen, als ob er einen Drachen erschlüge. Man ergriff ihn, übergoß ihn mit kaltem Wasser und sperrte ihn in den Speicher. Am nächsten Morgen sagte der Bauer zu ihm, er solle sein Bündel schnüren und den Hof verlassen. Rusepatacis ging in den Stall, wo er seine Schlafstätte hatte, aber er schnürte nicht sein Bündel, sondern nahm ein Beil und fing an, die Kühe und Pferde zu erschlagen. Ein seltsames Muhen und Wiehern war zu hören, doch als die Leute in den Stall gelaufen kamen, war schon fast alles tot. Der Bauer schrie, als ob man ihm den Kopf abschlagen wollte, sank auf die Knie und flehte den Knecht mit erhobenen Händen an, sich seiner zu erbarmen. Rusepatacis setzte ein verächtliches Grinsen auf und legte das Beil weg. Da ergriffen sie ihn und prügelten ihn unmenschlich durch, dann übergaben sie ihn an die Gendarmen, die ihn wegtrieben. Aber Rusepatacis antwortete den Gendarmen und später den Richtern auf alle Fragen nur mit verächtlichem Schnauben: »Pha! Raùs e patacis, Rüb’m und Grumbirn!« Sie kamen überein, daß sie es mit einem Verrücktgewordenen zu tun hätten, deshalb hielten sie ihn einige Zeit hinter Schloß und Riegel, und als die Ärzte sagten, er sei nicht gefährlich, wurde er in seine Heimatgemeinde geschickt. Aber es hielt Rusepatacis nicht in der Ebene Friauls. Immer wieder riß er aus und vagabundierte jedesmal zurück ins Tolmeinische. Er war friedlich und völlig ungefährlich. Nur wenn ihm jemand Rüben und Kartoffeln vorsetzte, wurde er wütend. Er sprach sehr wenig. Gewöhnlich wischte er über alles nur mit einer Handbewegung hinweg und schnaubte verächtlich: »Pha! Raùs e patacis, Rüb’m und Grumbirn!« Auch über ihn freute sich...