Thriller
E-Book, Deutsch, 448 Seiten
ISBN: 978-3-641-07852-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Wir haben deine Frau. Für zwei Millionen Dollar kriegst du sie wieder.' Der mittellose Gärtner Mitch hält diesen Anruf zunächst für einen Scherz. Doch dann erschießt der Entführer einen zufälligen Passanten, um zu zeigen, wie ernst er es meint. 60 Stunden bleiben Mitch im Wettlauf gegen einen Feind, für den Erpressung nur der Anfang eines mörderischen Spiels ist ...
Dean Koontz wurde 1945 in Pennsylvania geboren und lebt heute mit seiner Frau in Kalifornien. Seine zahlreichen Romane - Thriller und Horrorromane - wurden in 38 Sprachen übersetzt und sämtlich zu internationalen Bestsellern. Weltweit wurden bislang über 400 Millionen Exemplare seiner Bücher verkauft. Zuletzt bei Heyne erschienen: 'Abgrundtief'.
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46 (S. 239-240)
Als Mitch pünktlich um halb neun von dem Wecker aus dem Schlaf gerissen wurde, tobte der Wind, der ihn in seinen Träumen beunruhigt hatte, immer noch auch in der realen Welt. Gähnend saß er eine Minute auf der Bettkante und betrachtete seine Hände, erst die Außen-, dann die Innenseite. Nach allem, was diese Hände in der vergangenen Nacht getan hatten, hätten sie eigentlich anders aussehen sollen als bisher, doch er konnte keine Veränderungen feststellen.
Er stand auf, und als er an den verspiegelten Schranktüren vorbeikam, sah er, dass seine Kleider nicht ungewöhnlich verknittert waren. Er war in derselben Körperhaltung aufgewacht, in der er eingeschlafen war; offenbar hatte er sich vier Stunden lang überhaupt nicht bewegt. Im Badezimmer durchsuchte er sämtliche Schubladen und fand gleich mehrere noch in der Verpackung steckende Zahnbürsten.
Er holte eine heraus, putzte sich die Zähne und rasierte sich dann mit Ansons elektrischem Rasierapparat. Pistole und Taser in den Händen, ging er hinunter in die Küche. Der Stuhl klemmte immer noch unter dem Knauf der Waschküchentür. Dahinter hörte man keinen Laut. Mitch schlug drei Eier auf, würzte sie mit Tabasco, briet sie in der Pfanne, streute Parmesan darauf und verzehrte sie mit zwei Scheiben gebuttertem Toast und einem Glas Orangensaft. Aus Gewohnheit räumte er das Geschirr zusammen, um es abzuspülen. Dann wurde ihm klar, dass es unter den gegebenen Umständen völlig absurd war, sich als rücksichtsvoller Gast zu gebärden, und er ließ alles einfach auf dem Tisch stehen. Als er die Tür zur Waschküche öffnete und das Licht anknipste, sah er wie erwartet Anson gefesselt vor sich sitzen. Sein Bruder war in Schweiß gebadet; es war ungewöhnlich warm im Zimmer.
»Na, hast du darüber nachgedacht, wer ich bin?«, fragte Mitch. Anson sah überhaupt nicht mehr zornig aus. Er kauerte zusammengesunken auf dem Stuhl und ließ den kantigen Kopf hängen. Rein körperlich sah er nicht kleiner aus als vorher, aber er hatte doch deutlich an Wirkung verloren. Als er keine Antwort gab, wiederholte Mitch die Frage: »Hast du darüber nachgedacht, wer ich bin?« Anson hob den Kopf. Seine Augen waren blutunterlaufen, die Lippen hingegen bleich.
In seinen Bartstoppeln glitzerten Schweißperlen. »Es geht mir gar nicht gut hier drin«, klagte er mit einer Stimme, die Mitch noch nie von ihm gehört hatte. Der weinerliche, beleidigt klingende Tonfall wies darauf hin, dass er sich als Opfer fühlte. »Noch einmal: Hast du darüber nachgedacht, wer ich bin?« »Du bist Mitch, aber du bist nicht der Mitch, den ich kenne.« »Das ist schon mal ein Anfang.« »Du hast jetzt etwas an dir … ach, ich weiß nicht, was du bist.« »Ich bin ein Ehemann. Ich hege und pflege.« »Was soll das denn heißen?« »Dass du das kapierst, hätte ich auch nicht erwartet.«
»Ich muss aufs Klo.« »Nur zu!« »Ich platze. Ehrlich, ich muss dringend pinkeln!« »Tu dir nur keinen Zwang an.« »Meinst du etwa, ich soll es hier tun?« »Das ist zwar unanständig, aber dafür praktisch.« »Tu mir das doch nicht an, Bruder.« »Nenn mich nicht so.« »Du bist immer noch mein Bruder«, sagte Anson. »Biologisch gesehen.« »Mann, das ist einfach nicht richtig!« »Nein, ist es nicht.« Die Stuhlbeine hatten die Glasur der Bodenfliesen inzwischen noch wesentlich mehr in Mitleidenschaft gezogen. Zwei Fliesen waren gesprungen. »Wo verwahrst du dein Bargeld?«, fragte Mitch. »Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich dir nicht so deine Würde nehmen, wie du es jetzt mir antust.«