Kolf | Agentinnen gab es damals nur bei James Bond | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Kolf Agentinnen gab es damals nur bei James Bond

Von Bestsellern und Büchermenschen
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-641-30187-3
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Von Bestsellern und Büchermenschen

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-641-30187-3
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Leben für die Bücher – Fräulein Kolfs Gespür für Bestseller

Für die einen ist sie Gründerpersönlichkeit und Legende der Buchbranche, andere bezeichnen sie liebevoll als „Trüffelschwein“, sie selbst sieht sich als „Kupplerin“ zwischen Verlagen und Autor*innen. Lianne Kolf gründete 1982 die erste literarische Agentur für deutschsprachige Autor*innen und hat seitdem zahlreiche Bestseller auf den Weg gebracht. Jetzt erzählt sie aus ihrem Leben, das selbst wie ein Romanstoff ist: von der Kindheit in Starnberg als Tochter geflüchteter Eltern, die Rumänien noch lange als eigentliche Heimat begreifen, über die Zeit als Buchhändlerin und Vertriebsleitung im pulsierenden München der 1960er und 70er Jahre bis hin zu den Erfolgen und auch Tiefschlägen ihrer mehr als 40 Jahre unter Büchermenschen.
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KAPITEL 1
Heimatlos


Meine Eltern entstammten beide wohlhabenden Familien aus Siebenbürgen, einem Gebiet, das heute im Zentrum Rumäniens liegt. Die Kolfs hatten ihr Vermögen mit Finanzgeschäften und Ländereien gemacht, die Wagners im Viehhandel. Beide Familien lebten keine zehn Kilometer voneinander entfernt in der Nähe von Kronstadt. Vielleicht hatten die Eltern oder Großeltern schon mal miteinander zu tun gehabt, Martin und Lieselotte aber kannten sich nicht – bis zu ihrer schicksalhaften Begegnung in Frankfurt an der Oder im Dezember 1946.

Ich war vielleicht 13 oder 14, als ich meinen Tata zum ersten Mal nach seinen Erlebnissen in den Kriegsjahren fragte. Bei diesem wie auch meinen späteren Versuchen, ihm etwas zu entlocken, antwortete er immer mit dem gleichen Satz: »Fuschi, das war so schrecklich, darüber kann ich nicht sprechen.« Er, der sonst so redselige Vater, schwieg eisern.

Es war nicht so wie später bei den 68ern: Auch sie fragten ihre Eltern, vor allem die Väter, was sie im Krieg gemacht hatten. Aber deren Weigerung, darüber zu sprechen, ließ meistens auf den Typus Täter oder Mitläufer schließen, oder wenigstens auf eine Angehörigkeit zur Wehrmacht. Bei meinem Vater war es die Opferrolle, über die er nicht reden mochte. Er muss Furchtbares erlebt und gesehen haben.

Das Wenige, das ich in Erfahrung bringen konnte, ist Folgendes: Als alliierte Soldaten im April 1945 die »Reichswerke Hermann Göring« im niedersächsischen Salzgitter befreiten, war unter den tausenden ausgemergelten, ausgelaugten und bis auf die Knochen abgemagerten Zwangsarbeitern auch mein Vater. In dem Betrieb, in dem kriegswichtige Güter hergestellt wurden, vor allem Munition und Sprenggranaten, hatte er als Feinmechaniker gearbeitet – ein Arbeitssklave ohne Rechte, mit kaum mehr als einer wässrigen Suppe am Tag abgespeist. Die Ernährungslage der tausenden Elenden war so schlecht, dass selbst der NSDAP-Kreisleiter eine Beschwerde nach Berlin sandte.

Wann und wie mein Vater von Kronstadt nach Salzgitter gekommen war – die Orte liegen ja nicht gerade um die Ecke – , und was vorher gewesen war, sagte er nicht. Und irgendwann habe ich aufgehört zu fragen und seinen Wunsch respektiert, nicht über das Schreckliche zu reden, was er damals erlebt hat.

War Martin Kolf zunächst, wie so viele Siebenbürger Sachsen, begeistert zum Auslandsableger der Hitlerjugend gegangen? Und später, als der rumänische Diktator Ion Antonesco an Hitlers Seite gegen die Sowjetunion kämpfte, Soldat geworden? Und noch später, weil er es nicht mehr ausgehalten hat, desertiert? Haben sie ihn aufgegriffen, irgendwo eingelocht, windelweich geschlagen und schließlich nach Salzgitter abgeschoben? Oder war es ganz anders, und er hatte sich, obwohl Mitglied der »Deutschen Volksgruppe in Rumänien« einer Rekrutierung zur Waffen-SS widersetzt und war deshalb als Zwangsarbeiter ins »Reich« abgeschoben worden?

Ich werde es nie erfahren. Und auch nicht, warum meine Großmutter ihm zum Abschied in Kronstadt Goldstücke in den Mantel genäht hat. Wohin hatte er sich da verabschiedet? Wo und wie das Gold jemals zum Einsatz kam, ich weiß es nicht.

Ich weiß nur, dass sich mein Vater nach der Befreiung durch die Alliierten irgendwie nach Bayern durchschlug, wo er für kurze Zeit in einem Lager für »Displaced Persons« bei Wolfratshausen unterkam. Hier hatten die Nazis 1939 ein Lager für Zwangsarbeiter eingerichtet, die in zwei nahegelegenen Sprengstoff- und Munitionsfabriken schufteten, die man als Schokoladenfabrik getarnt hatte. Nach der Kapitulation wurde das Lager, das nun in der amerikanischen Besatzungszone lag, zu einem Camp für »Displaced Persons« umfunktioniert. Das Lager Föhrenwald, das erst 1957 aufgelöst wurde, war das größte seiner Art in der US-Besatzungszone. »DPs«, das waren Staatenlose, ehemalige KZ-Häftlinge, Fremdarbeiter, Verschleppte, Entwurzelte. Menschen, die nirgendwo richtig hingehörten, und die auch niemand wirklich haben wollte. Zu tausenden waren sie nach dem Krieg durch das verwüstete Land geirrt, bis sie in einem der Lager strandeten. Die Deutschen, mit ihren eigenen Problemen mehr als ausgelastet, wähnten sie dort gut aufgehoben.

Föhrenwald war so etwas wie das letzte »jüdische Schtetl« auf europäischem Boden. Die meisten, die hier ausharrten, konnten oder wollten nicht zurück in die alte Heimat. Viele Shoah-Überlebende setzten auf einen Neuanfang in Palästina, andere, wie die Familie meiner Freundin Rachel Salamander, blieben im Lager, bis es schließlich in eine Siedlung für Heimatvertriebene umgewandelt wurde.

Mein Vater jedenfalls hatte vom Lagerleben ein für alle Mal genug. Nach einer kurzen Übergangszeit zog er weiter, nach Starnberg. Das Städtchen am See erinnerte ihn an seine Heimat und schien ihm nicht der schlechteste Ort, um hier zumindest für einige Zeit zu leben. Dass er hier sogar Wurzeln schlagen würde, war vermutlich nicht geplant. Er hatte seinen Eltern einen Brief geschrieben, dass es ihm gutgehe und er hoffe, bald wieder nach Siebenbürgen zu kommen. Doch der Antwortbrief aus der Heimat machte seine Pläne zunichte.

Im August 1944 war es zu einem Sturz des faschistischen Regimes und einem Seitenwechsel Rumäniens gekommen. Die Rote Armee besetzte das Land, zehntausende, vor allem aus dem Banat und aus Siebenbürgen, flohen. Seit Kriegsende, so erfuhr mein Vater, führten die Besatzer ein Schreckensregiment, unter dem vor allem die Deutschstämmigen zu leiden hatten. Seine Mutter schrieb, dass so gut wie alle jungen Männer ab 16 und alle jungen Frauen ab 17 Jahren gefangen genommen und in die Sowjetunion verschleppt worden seien. Auch seine geliebte Schwester Hilde.

Die Siebenbürger Sachsen standen bei Stalin unter Generalverdacht. Und es stimmte ja auch: Viele von ihnen hatten im Krieg gemeinsame Sache mit den Nazis gemacht. Selbst Jahrzehnte später sprachen Siebenbürger noch vom »Reich«, wenn die Rede auf Deutschland kam. Für sie folgten Jahre der Diskriminierung und Verfolgung, der Deportation zu Zwangsarbeit in die Sowjetunion, der Enteignung, dem Entzug einiger staatsbürgerlicher Rechte sowie der Diffamierung als »Hitleristen« und »Faschisten«.

Da die Deutschen während des Krieges vor allem in der Sowjetunion so furchtbare Zerstörungen angerichtet hatten, sollten sie jetzt auch zum Wiederaufbau beitragen. Das war die Logik hinter den Verschleppungen, von denen rund 30.000 Siebenbürger Sachsen betroffen waren. Diese Art der Wiedergutmachung sah fünf Jahre schwere Zwangsarbeit vor, dann dürften die »Aufbauhelfer« wieder zurück in ihre Heimat.

Ich kann nur mutmaßen, wie groß der Schock für meinen Vater über diese Nachrichten gewesen sein muss. Denn geredet hat er darüber nicht. Und auch meine Tante schwieg über ihre damaligen Erfahrungen. Ich weiß nur, dass die Geschichte meiner Eltern anders verlaufen wäre, wenn es diese Verschleppung in die Tiefen der Sowjetunion nicht gegeben hätte. Denn Hilde lernte dort meine Mutter Lieselotte kennen.

*

Meine Mama war erst sehr spät – ich war schon über dreißig – in der Lage, mir überhaupt nur in einem Atlas zu zeigen, wo sie und Hilde damals hingekommen waren: nach Sibirien. Bis dahin hatte sie es wie mein Vater gehalten: Sie konnte und wollte über das, was sie durchgemacht hatte, nicht reden. Aber als ich noch ein Kind war, habe ich sie oft nachts schreien hören. Diese Schreie, von denen ich aufwachte, waren entsetzlich. Verängstigt tapste ich dann an ihr Bett, sie lag schweißgebadet da, mein Vater schlaftrunken und hilflos daneben. Wenn sie mich entdeckte, flüsterte sie nur: »Ist schon gut, meine kleine Fuschi, ich hab nur schlecht geträumt. Geh schnell wieder in dein Bett.«

Auf dem Transport nach Sibirien, eine Woche unter unwürdigsten und widerwärtigsten Bedingungen in einem Viehwaggon, lernten sich Lieselotte und Martins Schwester Hilde kennen. Beide waren kaum zwanzig Jahre alt. Das Schicksal meinte es gut mit ihnen, ein bisschen wenigstens, denn im Lager hausten sie mit unzähligen anderen Frauen zusammen in einer Baracke, und zusammen fuhren sie auch zum Schuften in den Bergwerksschacht oder die Ziegelei. Gemeinsam ertrugen sie Hunger, Schmach und Schmerz, Schande und Erniedrigung, Kummer und Verzweiflung. Sie schworen sich, bis an ihr Lebensende Freundinnen zu bleiben, wenn sie jemals lebend aus dieser Hölle rauskommen würden.

Nach etwas mehr als einem Jahr Sklavenarbeit bekamen Lieselotte und Hilde fast zeitgleich offene Tuberkulose. Damit waren sie beim tatkräftigen Wiederaufbau der Sowjetunion nicht länger erwünscht. Aber sie hatten Glück. Während unzählige Menschen in den Lagern starben, wurden sie ausgesondert und in einen Transport nach Westen gesetzt, mit dem auch Kriegsgefangene rückgeführt wurden. Der Zug hielt aber nicht in Siebenbürgen, wie sie das erhofft hatten, sondern in Frankfurt an der Oder.

Soll niemand sagen, die Russen hätten nichts von Bürokratie verstanden. Die vorzeitige Entlassung wurde fein säuberlich dokumentiert, amtliche Schreiben gingen hin und her, und irgendwann landete der Vorgang auch auf dem Schreibtisch einer Amtsstube in Siebenbürgen. Von dort gelangte die Nachricht von Hildes Verlegung in die sowjetische Besatzungszone schließlich auch zu meinen Großeltern.

Im Winter 1946 erhielt Martin Kolf in Starnberg die frohe Botschaft, dass seine Schwester demnächst in Frankfurt/Oder eintreffen würde. Und dann ging...


Kolf, Lianne
Lianne Kolf gründete 1982 die erste deutsche Autorenagentur in München. Seitdem hat sie mehr als 4.000 Bücher vermittelt, ihre Autor*innen verkauften weltweit ca. 50 Millionen Bücher, und 80 Filme entstanden nach ihren Vorlagen. Begonnen hat Lianne Kolf ihre berufliche Karriere als Buchhändlerin in München, später war sie eine der ersten und jüngsten Vertriebsleiterinnen der Branche. Sie wurde in Starnberg bei München geboren und verbrachte einige Jahre in Hamburg und London, bevor sie sich wieder in der bayerischen Landeshauptstadt niederließ. Auch nach 40 Jahren geht Lianne Kolf immer noch mit großer Freude ihrem spannenden Beruf nach.



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