Kobold | Reinhard Mey. 100 Seiten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 100 Seiten

Reihe: Reclam 100 Seiten

Kobold Reinhard Mey. 100 Seiten

Reclam 100 Seiten
Originalausgabe 2022
ISBN: 978-3-15-962086-2
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Reclam 100 Seiten

E-Book, Deutsch, 100 Seiten

Reihe: Reclam 100 Seiten

ISBN: 978-3-15-962086-2
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Meys Lieder sind Feier des Gelungenen wie Einspruch gegen das Schlechte. Wovon handeln sie? Von der Liebe zwischen Asphalt und Wolken. Von den Widrigkeiten des Alltags. Vom ganzen Leben.« »Ich wollte wie Orpheus singen« - selten hat jemand mit dem ersten Lied seine Karriere und sein öffentliches Bild so genau vorweggenommen. Alles ist schon da: der Bänkelsänger, der sogar die Felsen zum Weinen bringen will; die Lieder aus Wein und Rauch, die von der Liebe ebenso handeln wie vom »Pfandleihhaus« und dem Gefühl der eigenen »Mittelmäßigkeit«. Meys 28 Studioalben ergeben nicht nur eine Autobiographie in Liedern. Sie erschöpfen sich nicht im Privaten. Vielmehr erzählen sie, wie es sich in Deutschland so leben ließ in den letzten fast sechs Jahrzehnten. Auf 100 Seiten blickt Oliver Kobold auf die wichtigsten Stationen von Meys langer Karriere, begegnet dessen Weggefährten und zeigt, was seine Lieder, ihre Sprache und Wirkung so unverwechselbar und einzigartig macht.

Oliver Kobold, geb. 1970, ist Literaturwissenschaftler, Lektor und Autor zahlreicher Sachbücher. Er ist Co-Autor der erfolgreichen Autobiographien von Wolfgang Niedecken und Heinz Rudolf Kunze. Kobold lebt in Stuttgart.

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»Rechnet nicht mit mir beim Fahnenschwenken« – Anfänge auf der Burg Waldeck
Nur vor einem einzigen Auftritt in seiner Karriere habe er kein Lampenfieber verspürt, hat Reinhard Mey in Interviews gesagt: vor dem ersten wirklich wichtigen. Man kann sich diesen Auftritt heute noch anhören, drei Lieder, länger dauerte er wohl nicht. Eine spanische Copla, ein Chanson von Jacques Brel und die Vertonung einer Nonsensballade von Fritz Graßhoff – das war Meys Repertoire, damals, Mitte Mai 1964 auf der Burg Waldeck, beim ersten deutschen Open-Air-Festival überhaupt. Es stand unter dem Motto »Chanson Folklore International – Junge Europäer singen«. Das von Walter Breker gestaltete Ankündigungsplakat zierten zwitschernde Spatzen, gemacht aus Fingerabdrücken, wie sie Verdächtigen abgenommen werden. »Krämer, holt eure Habe rein, / die Butiken schließt ab, / Musikanten sind in der Stadt!« Wobei es keine städtische Umgebung war, die die Musiker bei den Waldeck-Festivals vorfanden, sondern ein Idyll an der Mosel. Ein entlegenes Tal im Hunsrück mit Wald, sanft abfallenden Wiesen und die Ruine jener Burg, die der Veranstaltung ihren Namen gab. Musik wurde vor allem in einer Art Amphitheater gemacht, aber auch überall sonst auf dem Gelände. Diskussionen und Workshops flankierten die Konzerte. Dreihundert, höchstens vierhundert Zuschauer sollen 1964 in den Hunsrück gekommen sein. Auf zeitgenössischen Fotografien sieht man sie entspannt im Gras sitzen, nach Einbruch der Dunkelheit wurden vor den Zelten und Jurten Lagerfeuer angezündet. »Chanson Folklore International« auf der Burg Waldeck, 1966. Schon früher hatten auf der Burg Waldeck Jugendgruppen wie die Nerother Wandervögel Volkslieder aus aller Herren Länder gesungen. An diese Weltoffenheit konnte das bewusst international ausgerichtete Festival nun anknüpfen. Einladungen ergingen nicht nur an Musiker aus dem europäischen Ausland, sondern, in späteren Jahren, auch nach Übersee. Gleichzeitig bemühte man sich um den deutschen Nachwuchs. Dem verhassten Schlager, der die Musikszene dominierte, sollte etwas Eigenständiges entgegengesetzt werden. Problem dabei: Das singbare Material war korrumpiert. Nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Diktatur war dem deutschen Liedgut jede Unschuld abhandengekommen. »Tot sind unsre Lieder, / Unsre alten Lieder. / Lehrer haben sie zerbissen, / Kurzbehoste haben sie verklampft, / Braune Horden totgeschrien, / Stiefel in den Dreck gestampft.« Berühmte Zeilen, Franz Josef Degenhardt hat sie geschrieben. Zwei Auswege blieben. Die Rückbesinnung auf lange verschüttete, genuin demokratische Liedtraditionen durch Interpreten wie die Brüder Hein & Oss Kröher. Oder neue Lieder zu schreiben, die auf die zunehmende Erstarrung der Verhältnisse im Wirtschaftswunderland reagierten. Keiner vermochte es besser als Franz Josef Degenhardt, der satten Republik ihre Lügen und Verdrängungen abzulauschen. Er war der Polarstern, an dem sich die nachwachsende deutsche Sängergeneration orientierte. Auch Reinhard Mey hat aus seiner Bewunderung insbesondere für Degenhardts Frühwerk nie einen Hehl gemacht. Noch 2013 erweist er ihm mit einer beklemmenden Coverversion von »Wölfe mitten im Mai« die Ehre. Mit dem Auftritt auf der Burg Waldeck war Mey in gewisser Weise angekommen. Zum ersten Mal viele Zuhörer, zum ersten Mal die Ahnung, dass der Traum, das Leben ganz der Musik zu widmen, für den Jungen aus Berlin-Wilmersdorf vielleicht tatsächlich eines Tages wahr werden könnte. Mey ist ein Kriegskind. Geboren wird er am 21. Dezember 1942 im Flur eines Berliner Krankenhauses, draußen fallen Bomben, die um vier Jahre ältere Schwester Christine ist bei entfernten Verwandten in Sicherheit. Bis der Vater aus der Gefangenschaft nach Hause kommt, wird der kleine Reinhard Friedrich Michael von den Frauen in der Familie aufgezogen, von der Mutter, der Tante und der Oma. Seine Kindheitslandschaft findet er in Schulzendorf und Frohnau und damit im beinahe ländlichen Norden Berlins, dort, wo die Straßen noch ungepflastert sind und die Sonne auf märkischen Sand fällt. »Eine glückliche Zeit aus bitt’ren Zeiten« wird Mey 1986 im seiner Mutter gewidmeten Lied »Das Foto vor mir auf dem Tisch« singen. Auch sonst geht im Werk der Blick immer wieder liebevoll zurück auf die Eltern – der Vater arbeitete beim Berliner Senat, die Mutter war Berufsschullehrerin – und auf ein Aufwachsen in Liebe, Toleranz und Freiheit. Um den Eltern die Sorgen zu nehmen, absolviert Mey nach schwierigen Jahren in der Schule eine Lehre zum Industriekaufmann bei der Schering AG, einem großen Pharmaunternehmen. Das sich anschließende BWL-Studium an der Berliner TU betreibt er aber nur noch auf dem Papier. Sein Hauptinteresse gilt längst schon der Musik. Mit Wolfgang Schulz, genannt Schobert, und Christian Pechner bildet er ab 1961 Les Trois Affamés, was man mit »Die drei Hungerkünstler« übersetzen könnte, sicherlich ein passender Name angesichts karger Gagen in Berliner Clubs und Kabaretts. Das Trio besteht aus einem Bass und zwei Gitarren, Mey spielt eine davon. Beim Singen wechselt er sich mit Schulz ab. In Ermangelung eigener Texte stehen Gedichtvertonungen auf dem Programm. Die dafür geeigneten Texte werden bei Autoren abseits des Kanons gefunden, etwa beim schon erwähnten Fritz Graßhoff oder bei Georg von der Vring, dessen oft anrührend karge Kriegs- und Naturgedichte es Mey besonders angetan haben. Die Einladung auf die Burg Waldeck gilt allen drei Hungerkünstlern, aber Pehnert hat keine Lust, und Schulz will lieber Zeit mit seiner Freundin verbringen. Erst 1966 wird auch er auf der Waldeck auftreten, dann als Teil des Duos Schobert & Black. Mey muss es alleine richten. Er nutzt seine Chance und gehört auch in den folgenden Jahren regelmäßig zum Line-up. Noch heißen die Stars Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp oder Hanns Dieter Hüsch. Ihre Konzerte stehen im Mittelpunkt des Festivals, doch immer mehr neue Künstler drängen nach. Bislang hielten sie sich für Einzelkämpfer, nun erkennen sie plötzlich, dass sie nicht alleine sind in dem, was sie tun. 1966 stößt Hannes Wader aus Bielefeld dazu, ein großer, hagerer, virtuos Gitarre spielender Mann mit Baskenmütze, in dessen Lieder sich Mey auf Anhieb verliebt. Der harte Kern der Szene hat sich gefunden. Glaubt man den Beteiligten, waren es unbeschwerte, von großer Kollegialität geprägte Jahre: »Wir saßen alle unter einem Dach / In einem Zelt / Auf einer Wiese / Freundschaft« (Hanns Dieter Hüsch). Von Mal zu Mal steigen die Zuschauerzahlen auf der Waldeck. Auch Verleger und Plattenfirmen lassen sich im Hunsrück sehen und halten Ausschau nach vielversprechenden Talenten. Für die Polydor darf Mey eine Single aufnehmen, produziert wird sie von Joe Menke, und zwar in dessen später durch ein Lied der Countryband Truck Stop berühmt gewordenem Studio in Maschen, gleich bei der Autobahn. Wer auch immer auf die Idee gekommen ist, Mey eine deutsche Coverversion des Donovan-Hits »Catch the Wind« aufnehmen und damit auf den anglo-amerikanischen Folk-Zug aufspringen zu lassen, er hat nur sehr wenig vom Potenzial und den musikalischen Vorlieben des jungen Sängers begriffen. Selbst Produzent und Plattenfirma bringen dem Projekt kaum Interesse entgegen, anders lässt sich die gleich doppelt falsche Schreibweise auf dem Cover nicht erklären. »Geh und fang den Wind« und das Volkslied »Drei Lilien« auf der B-Seite werden gesungen von einem gewissen »Rainer May«. Die Single bleibt ohne nennenswerte Resonanz. Single-Veröffentlichung von »Rainer May«, 1965. Deutlich mehr Gewicht haben da schon die zwei 7-inch-EPs mit insgesamt neun Stücken, die der Voggenreiter Verlag 1966 auf Xenophon veröffentlicht: »Reinhard Mey singt Songs, Bänkellieder, Balladen«. Und zwar, wohlgemerkt, zum überwiegenden Teil selbst geschriebene. Darunter befindet sich das wehmütige »Die drei Musketiere«, eine Erinnerung an Les Trois Affamés: »Ich denk’ oft dran, wie’s war, wenn wir beisammen saßen, / Mit Illusionen hatten wir den Tisch gedeckt …« Zum nicht auf den EPs enthaltenen, aber ebenfalls schon früh auf der Burg Waldeck gespielten Lied »Hauptbahnhof Hamm« wird Mey von keinem Geringeren als Franz Josef Degenhardt beglückwünscht. Mit Recht. Wie Mey da mit wenigen Strichen ein nächtliches Stimmungsbild zwischen ziehendem Fernweh und dem Gestrandetsein im Wartesaal zeichnet, das weist voraus auf spätere Großtaten. Bis in die Anthologie »Linke Lieder« schließlich schafft es das Stück »Vertreterbesuch«, in dem der Kauf eines Globusses auf das damals wohl unendlich fern scheinende Jahr 2003 verschoben wird, »weil mir niemand garantiert, / Dass nicht morgen ein Verrückter ganze Städte ausradiert!« Mey spielt »Vertreterbesuch« 1966 auch auf der Burg Waldeck, nicht ohne vorher eine Warnung ans mehr und mehr politisierte Publikum auszusprechen: »Mein erstes Lied ist engagiert – engagiert aber nur mich selbst.« Als ob er geahnt hätte, wohin die Reise bald schon gehen würde. Bereits zwei Jahre später, im Juni 1968, gerät jeder, der auf der Waldeck seine Lieder nicht der politischen Agitation ausliefert, unter Generalverdacht. Radikale linke Gruppen erklären das Festival kurzerhand zu einem Zentrum des internationalen Widerstands. Wer noch Musik machen will, wird als »singender Fachidiot« abgestempelt, der mit seinen Liedern den Beginn der...



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