E-Book, Deutsch, 144 Seiten
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-95935-531-5
Verlag: Diplomica Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Die vorliegende Arbeit stellt den Status der pädiatrischen Diabetesschulungsangebote und -materialien in Europa erstmalig zusammenfassend dar und analysiert deren Struktur und Qualität. Dazu wurde anhand einer systematischen Literaturrecherche und einer semistrukturierten Befragung national führender pädiatrischer Diabetologen die aktuelle Schulungssituation in der pädiatrischen Diabetologie auf europäischer Ebene erfasst.
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Textprobe:
Kapitel 1.1.1 Schulungsphilosophie:
Seit Beginn der Insulintherapie im Jahr 1921 nimmt die Patientenschulung eine zentrale Stellung in der Diabetesbehandlung ein. In den folgenden Jahrzehnten wurde dazu zunehmend deutlich, dass Diabetesschulungen auf der Grundlage reiner Wissensvermittlung nicht die für die Therapie erforderlichen Einstellungs- und Verhaltensänderungen erzielten (Korhonen et al.1983, Clement 1995).
Bereits damals zeigte sich, dass je intensiver die Patienten geschult wurden, desto kompetenter konnten sie ihre Diabetestherapie im Alltag eigenständig umsetzen. Geringere Kosten für die Behandlung fielen an, und die stationäre Aufenthaltsdauer verkürzte sich (Joslin et al. 1922).
Das seit den 1980er Jahren intensiv diskutierte Konzept des Empowerments geht davon aus, dass die Patienten darin unterstützt werden, ihr Leben mit dem Diabetes eigenverantwortlich und kompetent bewältigen zu können (Anderson et al. 1991, Funnell et al. 1991). Für ein erfolgreiches Krankheitsmanagement sollte deshalb eine selbstständige Behandlung durch die Patienten von Beginn an im Fokus der Schulung stehen (Clement 1995, Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses 2004). Diese patientenzentrierte Schulungsform wird als Selbstmanagement-Schulung bezeichnet (Funnell und Haas 1995, Mensing et al. 2002, Silverstein et al.2005, Funnell et al. 2012). Für junge Patienten und ihre Familien bedeuten Selbstmanagement-Schulungen demzufolge, Behandlungsmaßnahmen aktiv mitbestimmen zu können und deren Umsetzung im Alltag selbstständig durchzuführen sowie Therapiekonzepte flexibel an neue Lebenssituationen anzupassen. Der Empowerment-Ansatz bildet dafür bis heute die konzeptionelle Grundlage nahezu aller Diabetesschulungsprogramme in Deutschland (Kulzer et al. 2013, Mensing et al. 2002).
Schulungen, die dieser Philosophie folgen, führten nachweislich zu einer gesteigerten Selbstwirksamkeit und positiveren Einstellung gegenüber der Diabetestherapie und damit zu Verbesserungen der metabolischen Stoffwechselwerte (Anderson et al. 1995).
1.1.2 Struktur- und Prozessqualität der Diabetesschulung:
Mit der Diagnose des Diabetes verändert sich das Leben der betroffenen Patienten und ihrer Familien völlig unerwartet. Das Erstgespräch sollte der behandelnde Diabetologe und ggf. ein Diabetesberater mit dem erkrankten Kind oder Jugendlichen und dessen Eltern führen (Neu et al. 2015). Hier werden wenige erste Informationen vermittelt und die Auseinandersetzung mit der Erkrankung gebahnt. Die folgende Initialschulung richtet an alle Familien¬mitglieder und bereitet diese theoretisch, vor allem aber praktisch auf die Diabetestherapie im Alltag vor (Danne et al. 2014, Neu et al. 2015, Silverstein et al. 2005). Daran schließen sich in regelmäßigen Abständen strukturierte Folgeschulungen an, die sich an der körperlichen und kognitiven Entwicklung sowie den Entwicklungsaufgaben des betroffenen Kindes oder Jugendlichen orientieren (Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses 2014, Neu et al. 2015).
Die Initialschulung, die im deutschen Gesundheitssystem in der Regel stationär durchgeführt wird, findet individuell für alle Familienmitglieder statt. Dabei stehen beide Eltern im Fokus der Diabetesschulung, in der ihnen die notwendigen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten durch ein multiprofessionelles Diabetesteam vermittelt werden. Darüber hinaus werden die Eltern bei der emotionalen Bewältigung der Diagnose unterstützt und zu Erziehungs¬fragen beraten. Die Schulung folgt einem strukturierten Curriculum, das flexibel an die Bedürfnisse jeder Familie angepasst werden muss. Ein entsprechendes Schulungskonzept wurde in Deutschland multizentrisch evaluiert, die Akzeptanz durch die Eltern und positive Effekte auf metabolische und psychosoziale Ergebnisparameter konnten belegt werden (Lange et al. 2011). In anderen Gesundheitssystemen können die erforderlichen Struktur- und Qualitätskriterien der initialen Schulungsangebote auch ambulant umgesetzt werden (Dougherty et al. 1998, Hampson et al. 2001, Laffel et al. 2003, Siminerio et al. 1999).
Sehr junge Kinder (unter 6 Jahren) können in der Regel noch keinem festgelegten Schulungscurriculum folgen. Die Initialschulung für Grundschulkinder folgt in Deutschland ebenfalls einem strukturierten Curriculum im Umfang von 26 primär praktisch ausgerichteten Unterrichtseinheiten (Lange et al. 2001). Die 6-12-jährigen sollen durch die altersgerechte Schulung ein grundlegendes Verständnis für ihre Stoffwechselstörung und die erforderliche Therapie entwickeln. Außerdem sollen sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten lernen, wie sie trotz dieser therapeutischen Anforderungen möglichst wenig eingeschränkt an altersgemäßen Aktivitäten in Schule und Freizeit teilnehmen können.
Für Jugendliche, die parallel zu ihren Eltern geschult werden, erstreckt sich die Schulung im Mittel wie für die Eltern auf ca. 30 Stunden Theorie und Praxis (Neu et al. 2015). Über verschiedene Lern- und Übungsmedien wird Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes das erforderliche Grundlagenwissen alltagsnah vermittelt. Ein besonderer Fokus richtet sich dabei auf die typischen psychosozialen Herausforderungen in dieser Lebensphase (Lange et al. 2012).
Strukturierte Wiederholungsschulungen oder Ergänzungsschulungen erfolgen nach der Initialschulung (Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses 2014) in bedarfsgemäßen Intervallen. Sie sollten den Schwerpunkt darauf legen, Schulungsinhalte entsprechend dem Therapieverlauf zu ergänzen, neue Methoden der Insulinbehandlung und deren Techniken zu trainieren, Probleme in der Therapie gemeinsam zu lösen oder Schwierigkeiten in der Umsetzung der Diabetesbehandlung im Alltag zu bewältigen (Neu et al. 2015, Funnell et al. 2012, Kulzer et al. 2013, Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin 2013). Bei Jugendlichen zählen vor allem der lösungsorientierte Umgang mit dem Diabetes in neuen Lebenssituationen, Schwierigkeiten in der Bewältigung altersentsprechender Entwicklungsaufgaben und soziales Kompetenztraining zu den Inhalten der Folgeschulung (Danne et al. 2014, Lange und Saßmann 2013). In Folgeschulungen sollen Jugendliche weiterhin die Möglichkeit erhalten, persönliche Erfahrungen auszutauschen und mehr Selbstständigkeit zu erlangen. Der Begriff des „Diabetestrainings“ hat sich in diesem Zusammenhang in der Diabetesschulung der Pädiatrie etabliert (Lange und Saßmann 2013).