E-Book, Deutsch, Band 139, 830 Seiten
Reihe: gelbe Buchreihe
Band 139 Teil 2 in der gelben Buchreihe
E-Book, Deutsch, Band 139, 830 Seiten
Reihe: gelbe Buchreihe
ISBN: 978-3-7531-9148-5
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jochen Klepper wurde am 22. März 1903 in Beuthen, Oberschlesien geboren und starb am 11. Dezember 1942 in Berlin. Er war ein deutscher Schriftsteller, Theologe und einer der bedeutendsten geistlichen Liederdichter des 20. Jahrhunderts. Seine Ehe mit einer jüdischen Frau brachte ihn unter den Nationalsozialisten in Bedrängnis. Vor drohenden der Zwangsscheidung und Deportation der Frau und Stieftochter schied man 1942 gemeinsam aus dem Leben.
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König Ragotins Schloss
König Ragotins Schloss Einem König hilft nicht seine große Macht; ein Riese wird nicht errettet durch seine große Kraft. Die Bibel Der König hatte eine Stadt in Preußisch-Litauen Brandenburg genannt. Der König taufte eine Stadt der Neumark Königsberg. Auch solche Namensgebung war ein Bild; oder eine Brücke zwischen seinem Königreich Preußen vor den Grenzen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und seiner reichsständischen Kurmark Brandenburg. Sie sollten alle, auch in solcher Namensgebung, schon die künftige Nation begreifen. Potsdam gedachte der Herr, freilich nur manchmal und heimlich, nach sich selber Wilhelmsstadt zu nennen. Aber dann verwies er es sich immer wieder selbst; solcher Name könne seiner Stadt niemals von ihm, sondern nur durch die anderen Menschen verliehen werden. Fragte nun aber ein Reisender, der vom Süden des Landes her auf die Hauptstadt zufuhr, aus dem Verschlag seiner Kutsche heraus den Bauern am Feldrain, welches Dorf dort an der Kiefernwaldung um das alte Schlösschen liege, so erhielt er die Antwort: „Königs Wusterhausen.“ Und das war ein neuer Name. Nur war sich niemand dessen bewusst. Wunderlicher als der Herr auf Wusterhausen hat wohl nie ein König Hof gehalten. Ein Saal mit Pfeilern, die Geweihe und jagdliche Embleme trugen; eine Tabakstube, die zugleich als Speisezimmer der Familie diente; zwei Räume für die Königin; ein paar enge Kammern für die viel zu vielen Gäste; ein schmales Gelass mit einem großen steinernen Waschtrog für ihn selbst genügten dem König. Da gab es keine Hallen, Emporen und breiten Aufgänge; Turm und Wendeltreppe und im Nebenbau eine große Küche – das war alles. Höchstens waren noch die sauberen, langgestreckten Häuser für die siebzehn Pikeure, Leibjäger, Büchsenspanner und Jägerburschen des Königs neben den Ställen der Bären, Adler, Pferde und Hunde nennenswert. Aber nun war doch immerhin bei dem Jagdschloss und dem Dorf, bei den Bärenzwingern und Adlerkäfigen des Königs, nahe an der Brücke zum Schloss eine von den neuen Kirchen des Königs erstanden. Und wie hier und in den Garnisonskirchen zu Potsdam und Berlin der Gottesdienst gehalten wurde, so sollte er im ganzen Lande sein. Vornehmlich in der Wusterhausener Kirche aber ließ sich der Herr um die Jagdzeit Probepredigten von Kandidaten halten. Nun war wieder Jagdzeit, und auf Wusterhausen drängten sich die Offiziere und Minister und Gesandten, wimmelte es von allem, was jagdfroh war oder vor dem König doch so scheinen wollte; die vielen Räte aber waren da, in den Pausen weidmännischen Lebens mit König Friedrich Wilhelm zu arbeiten. Die Herren aus dem Ausland, die erstmalig auf dem Jagdkastell Herrn Friedrich Wilhelms weilten, befremdete es sehr, als die mit dem preußischen Hofe Vertrauteren sie darauf aufmerksam machten, dass demnächst die Pastoren auf das Jagdschloss kommen würden, alles sich dann nur noch um die Pastoren drehe und auch der an Rang und Würden am höchsten gestellte Gast dieses Schlosses alle nur erdenkliche Rücksicht auf die Pastoren nehmen müsse. Selbst Minister suchten oft Fürsprache durch Geistliche. Und auf allen seinen Reisen richte der Herr es so ein, dass er vom Sonnabend zum Sonntag in einem Pfarrhaus nächtigen könne. Meist lächelten die Fremden ungläubig. Man hatte wohl von großen Kardinälen im alten London und Paris genug erfahren – aber ein lutherischer Hungerpastor bei Hofe?! * * * Es kam nun doch nur ein Pastor aus Halle, ein Herr Johann Anastasius Freylinghausen, des verstorbenen großen August Hermann Francke Schwiegersohn. Beide waren sie nicht abkömmlich, die Verwalter der Franckeschen Stiftungen, die Regenten des geistlichen Jugendstaates; des Professors Francke Sohn konnte erst in vierzehn Tagen folgen. Pastor Freylinghausen hatte nur noch einen kleinen Kandidaten bei sich; der bewachte ihm die Bücherstöße auf dem Wagensitz. König Friedrich Wilhelm war um die Zeit der Ankunft des Hallenser Gastes vom ersten Jagen heimgekehrt, schon gegen halb zwölf Uhr des Mittags. Er saß mit den Generalen auf den Bänken unter den Linden im Schlosshof. Der Kastellan hatte Anweisung, den Hallenser geistlichen Herrn sofort zum König zu führen. Lebhaft ging der König auf ihn zu, nahm den Hut ab, geleitete ihn zur Bank, setzte sich und klopfte ein paarmal mit der flachen Hand auf die Bank. Der Pastor nahm das nun als einen Wink, neben dem König Platz zu nehmen. Die Generale gaben ihm erschreckte Zeichen. Es war mit dem Chef nicht so leicht. Ganz bestimmte Formen, ja recht deutliche Distanzen wollte er gewahrt sehen, auch wenn auf jedes Zeremoniell von ihm verzichtet wurde. Die Generale zwinkerten dem Pastor zu, er solle sich zu ihnen auf die Bank, dem König gegenüber, setzen. In Preußen suchten sich die Generale neuerdings mit den Pastoren gut zu stellen. Selbst der Küchenmeister auf Wusterhausen gedachte sich fromme Küchenjungen vom Pastor Freylinghausen vermitteln zu lassen. Alles, aber auch alles wollte der König von dem Pastor wissen. Seine Lebhaftigkeit, namentlich sobald er fragte, war ungeheuer. Franckesche Stiftung in Halle Er kalkulierte sofort und ziemlich richtig den Etat der Franckeschen Stiftungen. Er ließ sich beraten, wie man die wöchentliche Ausgabe frischer Wäsche und Kleidung an die Waisenkinder, ein Novum, pünktlich und gleichmäßig durchzuführen vermöchte. Er wünschte, sobald der Gast sein Gepäck geordnet haben würde, die neuen Gesangbuchausgaben zu sehen, ob er sie wohl für die Armee verwenden könne. Zweimal musste man den Herrn darauf aufmerksam machen, dass im Zelte schon serviert worden sei. Wo Gelegenheit und Witterung es nur erlaubten, wollte der König im Freien speisen. Türkische Tücher, zwischen den Ästen zweier alter Linden aufgespannt, wehrten der Sonnenglut. Das reine, glatte Leinen der Tafel atmete Kühle. Der schmale, lange, dichtbesetzte Tisch war ländlich gedeckt, mit Zinngeschirr und Krügen. Der Platz der Königin erstrahlte wieder von Silber. Frau Sophie Dorothea, ganz entzückend liebenswürdig gestimmt, bat den Geistlichen an ihre Seite. Sie war von ihren Kindern umgeben. Sie sprach sogleich von religiöser Erziehung. Denn die Königinschwester von England, wie Gundling Frau Sophie Dorothea nannte, verhielt sich selbstverständlich gemäß der Religionspolitik des welfischen Hauses und trat somit als imposante Beschützerin des Protestantismus auf. Und damit schien sie noch immer einen tiefen Eindruck auf den Gatten zu machen. Es war vielleicht die letzte Täuschung, die sie ihm gewährte. Der Rest eines ehelichen Glücks lag allein noch in diesem einen Irrtum, dem verhängnisvollsten, beschlossen. Der Hallenser Pastor hatte vor der großen Fürstin nicht die Sicherheit eines Roloff; der stand unter all seinen Amtsbrüdern wohl einzig da; aber Freylinghausen vergab sich doch nichts. Etwas von der weltgewandten Art des alten Francke hatte sich auch den Erben mitgeteilt. Auch ein holländischer Schiffskapitän war zu Gaste. Prinz August Wilhelm sprach das Tischgebet. Ein Vorgericht aus Fisch und jungen Erbsen wurde aufgetragen. Der König erklärte, wenn er keine Vorkost äße, so wäre ihm, als hätte er nicht recht gegessen. Das Gespräch nahm eine überaus sanguinische Richtung; von der Königin wurde es mit Eifer ausgesponnen. Die feine Zunge des Gatten nämlich war das einzige, was sie an ihm bewunderte; hierin paradierte sie sehr gern mit ihm; einmal war er ohne Frage allen überlegen! Bei Reb- und Haselhühnern vermochte der König sogar genau die Herkunft anzugeben, ob sie in der Mark, in Litauen, in Pommern oder im Cleveschen geschossen wurden. Da gab es viele Wetten mit Grumbkow, dem berühmtesten Gourmet am Hofe. Ein Bruch mit allem Feinschmeckerbrauch lag beim Herrn nur in der brüsken Ablehnung alles Hautgouts beim Wild vor. Da empörte sich sein Sauberkeitsgefühl; seine Neigung für das Frische, Klare trat hervor. Als etwas barbarisch galt auch seine Vorliebe für rohes Obst. Der Kronprinz bediente die ganze Tafel mit Vorschneiden; dies schien etwas zu sein, das ein künftiger König lernen musste. Der Kronprinz war dabei ganz still und redete kein einziges Wort; er gedachte strikt die Rangordnung zu wahren und dem Pastor und dem Schiffskapitän zuletzt vorzulegen. Aber der König winkte ihm, dass er dem Gast aus Halle sogleich etwas reichen solle; es geschah auch sofort. Der arme Pastor Freylinghausen hatte vor regem Befragtwerden nicht viel Zeit, zu essen. Unter anderem fing der König an: „Stille, ihr Herren!“ – abends vermerkte der Pastor im Tagebuch: „Ohnerachtet niemand redete“ – und stieß die Königin, die ihm schon lange wegen der Gründung eines Theaters in Ohren lag, heimlich an, indes er sagte: „Nun, Herr Freylinghausen, Er soll uns sagen, ob's recht sei, in Komödien zu gehen –.“ Worauf eine große Stille war. Und wer den König auch nur einigermaßen kannte, wusste: jeden Tag jetzt, wenn er von der Jagd zur Tafel kommt, wird König Friedrich Wilhelm eine solche Frage an den fremden Pastor tun. Ob es Sünde ist, zu jagen? Ob es Sünde ist, zu rauchen und zu trinken? Ob der lebendige Gott auch den Soldatenstand segnet, in dem es doch schließlich und immer wieder zum Vergießen von Menschenblut kommt? Ob ein Herrscher denn überhaupt selig werden kann? Ob nicht Sünden fürstlicher Personen von Tausenden von Menschen nachgeahmt und missbraucht werden, so dass ein großer Herr niemals sündigt, ohne sündigen zu machen und also ein Lehrer der Sünde wird? Ob Verwerfung und Erwählung ist ohne alles menschliche Zutun und als freier Ratschluss Gottes? Dann aber, wenn die eine Frage ausgesprochen...