Wie Frauen das Coming-out ihres Partners bewältigen
E-Book, Deutsch, 184 Seiten
Reihe: Lebenswelten & Lebenshilfe
ISBN: 978-3-86284-344-2
Verlag: Links, Christoph, Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Für viele Frauen bricht mit dem Coming-out des Partners dann eine Welt zusammen. Sie müssen sich durch ein Gefühlschaos kämpfen, denn nicht nur Gegenwart und Zukunft ihrer Partnerschaft sind in Frage gestellt, sondern auch die Vergangenheit erscheint plötzlich in einem anderen Licht. Außerdem stehen sie vor der Frage, ob und wie weit sie die Kinder einweihen sollen.
Zum ersten Mal schildern betroffene Frauen und Männer ihre Konflikte und berichten, wie sie diese Lebenskrise in kleinen Schritten bewältigt haben.
Jahrgang 1949, Studium der Theaterwissenschaften, Psychologie und Amerikanistik, freie Journalistin und Mitarbeiterin überregionaler Zeitungen, schreibt vorrangig über psychologische Themen. Sie hat zwei erwachsene Söhne und lebt in Berlin.
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Bisexualität: Sexuelle Orientierung oder Tarnbegriff?
Der Modeschöpfer Wolfgang Joop beschreibt seine bisexuelle Lebensweise »als emotionale Potenz, auf die ich stolz bin« und erläutert den Kick: »Rollenwechsel und Tabubruch finde ich erotisch. Natürlich habe ich den Helden gespielt bei Frauen, obwohl es mich manchmal angestrengt hat. Ich finde es verlockend, auch mal eine andere Seite zu zeigen, die Seite des Opfers einem Mann gegenüber, oder ihn dazu zu bringen, den Helden zu spielen vor mir. Ich kann eine Frau auch ganz anders verführen als einen Mann.«4
Auch der Sexualwissenschaftler Oswalt Kolle bricht eine Lanze für die bisexuelle Lust. Im Buch mit dem anzüglich plastischen Titel »Nach beiden Seiten offen« bedauern er und seine Koautorin Sabine zur Nieden, dass Bisexualität der Ruf anhafte, die feigere Version der Homosexualität und die begriffliche Tarnung schwuler Neigungen zu sein. Selbst unbeschwert zwischen den Geschlechtern wechselnd, stellte sich für Kolle jedenfalls noch nie die Frage, ob er eigentlich ein verkappter Schwuler sei, schreibt er. Er schildert seine gelegentlichen Beziehungen zu Männern als Vergnügen, das das Spektrum erotischer Genüsse erweitere: »Es waren glückliche Stunden mit großer Lust (…) Schwieriger war es mit Männern, die ihre offene oder verborgene Angst vor Homosexualität nicht vergessen konnten, auch in den orgiastischen Momenten noch Furcht vor den lustvollen Berührungen durch einen anderen Mann zeigten, aber dann doch selbst lachen mussten, wenn ich ihnen sagte, sie seien doch deshalb nicht etwa homosexuell, sondern nur über ihren eigenen Schatten gesprungen und im Wesen eben offen für beide Geschlechter wie ich auch.«5
Keine Frage: Der Flirt mit der doppelten Lust gedeiht besonders im großstädtisch künstlerischen Milieu. Immer fließender wird der Übergang zwischen den Geschlechtern. Nicht nur im androgynen Kleidungsstil, auch im Lebensentwurf weichen ehemals gültige Rollenmuster mehr und mehr auf. Der renommierte Sexualforscher Gunter Schmidt, Professor an der Universität Hamburg, stellt die These auf, dass die Heterosexualität ihre Vorreiterrolle verlieren und durch eine Vielzahl sexueller Orientierungen ersetzt werden wird.6
Dennoch: Als lediglich eigenwillige Variante wird die gleichgeschlechtliche Liebe auch heute noch nicht angesehen. Obwohl Geschichte und Gegenwart nicht gerade arm sind an verheirateten Männern, deren schwule Beziehungen bekannt wurden: Friedrich der Große, Baudelaire, Heinrich Heine, Tschaikowsky, Marcel Proust, Gustav Gründgens, James Dean, Horst Buchholz, Mick Jagger, David Bowie. Die Verbindung von Graf Eulenburg mit Wilhelm I. erschütterte das damalige Kaiserreich. William Sommerset Maughams Ehe wurde aufgrund seiner Homosexualität geschieden. Der Schauspieler Ernie Reinhardt – alias Lilo Wanders ausschließlich in Frauenkleidern auf der Bühne – lebte mit Frau, Freund und seinen Kindern zusammen. Colette, Greta Garbo, Käthe Kollwitz, Marlene Dietrich, Frida Kahlo, Inge Meysel, Gianna Nannini gehören zu den Frauen, die außer Männern auch Frauen liebten.7 Auch heute jedoch kommt die Mitteilung, verheiratet und homosexuell zu sein, einem Bekenntnis gleich. Das Eingeständnis, dass der eigene Mann auch Männer liebt, die eigene Frau auch Frauen, bricht mit gesellschaftlichen Normen.
Die Dunkelziffer betroffener Paare ist hoch. Mehrere hunderttausend Frauen leben nach vorsichtiger Schätzung mit einem Mann zusammen, der sexuelle Kontakte zu Männern hat, manchmal sogar mit ihrem Wissen.8 Oft viele Jahre und mitunter das ganze gemeinsame Leben, ohne dass die Ehefrau von der schwulen Veranlagung ihres Partners erfährt.
Will man die Kontroverse vereinfachen, ob Menschen von Natur aus sexuell festgelegt sind, oder ob gesellschaftliche Moralvorstellungen sie im Bett in ein Korsett zwängen, bilden sich zwei Ansichten heraus. Während viele Wissenschaftler annehmen, dass sich nach der Pubertät eindeutig die hetero- oder homosexuelle Veranlagung herausschält, gehen andere davon aus, dass im Grunde alle Menschen auch danach noch bisexuelle Neigungen haben. Dass heterosexuelle Menschen oft gleichgeschlechtliche Erfahrungen sammeln, bewies zum ersten Mal der amerikanische Sexualwissenschaftler Alfred C. Kinsey, als er im Jahre 1948 Männer (und fünf Jahre später Frauen) in einer bis heute einzigartigen Studie nach ihren Sexualpraktiken und Phantasien befragte. Auf einer siebenstufigen Skala von ausschließlich heterosexuellen bis zu homosexuellen Neigungen kreuzten Probanden ihre sexuelle Veranlagung an und erbrachten den Beweis, dass viele Menschen zu Zwischengraden neigen. 46 Prozent aller Auskunft gebenden Männer verhielten sich zeitweise bisexuell oder berichteten, dass beide Geschlechter auf sie erregend wirken.9
Wie sensationell beziehungsweise skandalös das Ergebnis seiner Erhebung war, lässt sich ermessen, wenn man bedenkt, dass Homosexualität über Jahrhunderte verteufelt wurde. Während homo- und bisexuelle Verhaltensformen in der Antike üblich und geachtet waren, wurden sie im Mittelalter als Todsünde verdammt und in der Neuzeit als Krankheit eingestuft.10
Die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts setzte voraus, dass Frauen und Männer erotisch »normalerweise« nur auf das andere Geschlecht reagieren. Die vermeintlich objektiven Forschungsergebnisse, die bei Homo- und Bisexuellen seelische und geistige Fehlentwicklungen diagnostizierten, entbehren aus heutiger Sicht nicht der Komik. Mit wissenschaftlichem Eifer vermaß beispielsweise der Gerichtsmediziner Johann Ludwig Casper Ende des 19. Jahrhunderts homosexuelle Hinterteile und stellte an den Pobacken »dutenförmige Einsenkungen« fest. Der französische Wissenschaftler Ambroise Tardieu vertiefte sich bei 200 »Subjekten« in die Sonderform des Penis und wurde prompt fündig, was anatomische Abweichungen betraf.11
Für die Betroffenen war die gesellschaftliche Diskriminierung folgenschwer. Als abnorm und gefährlich klassifiziert, standen Homosexuelle oft vor dem Ruin ihrer bürgerlichen Existenz, sofern ihre Veranlagung publik wurde. Erst 1994 wurde in West-Deutschland der Paragraph 175 abgeschafft, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte.
Beim Blick in die Seele und in die Betten der Deutschen entdecken Sexualwissenschaftler auch heute noch eine tief verwurzelte Homophobie. Während Frauen Zärtlichkeiten austauschen dürfen, ohne gleich als lesbisch zu gelten, würden Berührungen zwischen Männern als Ausdruck bisexueller Neigung gedeutet und diese Neigung schnell als Homosexualität stigmatisiert, rückt Oswalt Kolle kritisch Vorurteile zurecht. (Ob er etwa allerdings selbst gesellschaftlichen Vorbehalten aufsitzt, indem er betont, auf keinen Fall schwul zu sein?)
In ihrem Buch »Wenn die andere ein Mann ist« unterscheidet die Soziologin Brigitte Honnens, die an der Universität Bremen das Institut Schwul-Lesbische Studien mitbegründete, zwischen a) dem eher homosexuellen Mann, b) dem bisexuell veranlagten und c) dem unklar Definierten.12
a)Nach ihrer Definition hat der homosexuelle Mann seine Triebstruktur schon immer geahnt oder gewusst, oder er hat insgeheim befürchtet, schwul zu sein, wobei Honnens die Möglichkeit einräumt, dass manche homosexuellen Männer ihre Veranlagung erst im Laufe der Ehe erkennen.
b)Wie die Soziologin bemerkt, muss der Begriff Bisexualität oft als Sammelbecken für Lebens- und Liebesformen herhalten, die nicht mit den eindeutigen Kategorien Hetero- und Homosexualität zu fassen sind. Männer und Frauen, die beide Geschlechter gleichermaßen begehren, sind bisexuell. Nicht zuletzt die Gründung bisexueller Netzwerke zeigt, dass es eine beträchtliche Anzahl von Männern und Frauen gibt, die offen hetero- wie homosexuelle Partnerschaften eingehen, manchmal parallel, manchmal nacheinander, manchmal im Wechsel. Da viele offen Schwule und Lesben über heterosexuelle Erfahrungen verfügen und, umgekehrt, auch manche Heterosexuelle schon mal ein gleichgeschlechtliches Verhältnis hatten, bleibt bisexuell ein dehnbarer Begriff. Weder »Fisch noch Fleisch«, werden Bisexuelle von beiden Seiten ausgegrenzt. Heterosexuelle wenden sich oft ab, weil Bisexuelle mit ihrer polygamen Lebensweise tradierte Normen überschreiten, weil sie anders und fremd sind. Schwule begegnen ihnen mit Skepsis und Distanz, weil sie nicht eindeutig anders, sondern – sozusagen auf einem Bein – noch immer »normal« sind. Wie kompliziert es ist, sexuelle Verhaltensweisen zu etikettieren, zeigt der Umstand, dass homosexuelle Männer auch dann in der »Schwulen-Ecke« bleiben, wenn sie sich in eine Frau verlieben. Das Bekenntnis »ich bin homosexuell« ist biografisch offensichtlich irreversibel. Heterosexuelle Männer, die mit einem Mann ein Verhältnis haben, verlieren hingegen ihre ehemalige eindeutige Zugehörigkeit und landen in der Schublade »bi« oder werden als getarnte Schwule angesehen. Bleibt man gleichwohl bei der begrifflichen Unterscheidung, so zeichnen sich Bisexuelle dadurch aus, dass ihre erotischen Gefühle mehr von der Persönlichkeit eines Menschen als von dessen Geschlecht abhängen, während für schwule oder heterosexuelle Menschen das Geschlecht den Ausschlag gibt, ob jemand als Liebespartner in Frage kommt.
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