Kleist | Das Jahr danach | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Kleist Das Jahr danach

Wenn Paare sich trennen

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-86284-093-9
Verlag: Links, Christoph, Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Mehr als 200 000 Ehen werden jedes Jahr in Deutschland und Österreich geschieden, Millionen von Beziehungen scheitern. Das Ende einer Partnerschaft bringt tiefgreifende Veränderungen mit sich. Lebenspläne werden durchkreuzt, Selbstbild und Rollenverständnis erschüttert, existenzielle und seelische Not stürzen Betroffene oft in eine tiefe Krise.
Das neue Buch von Bettina von Kleist zielt genau auf die Bruchstelle, wenn Vergangenes nicht mehr gilt und Künftiges sich noch nicht geordnet hat. Wie in einer Nahaufnahme leuchtet die Autorin Verhaltensweisen von Trennungspaaren aus, rollt typische Erosionsprozesse der Liebe auf, bezieht die unterschiedliche Sicht von Verlassenen und Verlassenden ein und berücksichtigt Expertenmeinungen. Narrative Interviews mit Personen zwischen Ende 20 und Ende 60 verdeutlichen, wie unterschiedlich Männer und Frauen die Abwärtsspirale ihrer Beziehungen wahrnehmen und wie anders ihre Bewältigungsstrategien sind.



Jahrgang 1949, Studium der Theaterwissenschaften, Psychologie und Amerikanistik, freie Journalistin und Mitarbeiterin überregionaler Zeitungen, schreibt vorrangig über psychologische Themen. Sie hat zwei erwachsene Söhne und lebt in Berlin.

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Der Tag des Auszugs

Sie hatten wie immer gemeinsam gefrühstückt, er hatte den Tisch gedeckt, sie hatte Kaffee aufgesetzt, in angestrengter Höflichkeit hatten sie und ihr Noch-Ehemann ein paar Sätze gewechselt. Doch als Sven die Tageszeitung aufschlug, hielt sie die bemühte Normalität nicht mehr aus. Ihre Henkersmahlzeit! Nach 17-jähriger Ehe das letzte Frühstück unter einem gemeinsamen Dach. Und Sven vertiefte sich in einen Artikel, als brächte ihn nichts, auch nicht ihre gepackten Umzugskisten, aus dem Tritt. Voller Wut schleuderte sie ihren Kaffeebecher gegen seine ausgefaltete F.A.Z. Der verächtliche Blick ihres Mannes begleitete Anna B. noch lange: »Danach blieb ich sitzen und stierte apathisch vor mich hin, bis die Möbelpacker klingelten.«

Fast alle meine Gesprächspartner Innen erinnerten sich auf Anhieb an das Datum, als sie selbst oder ihr Partner auszogen und der Möbelwagen vor der Tür das Scheitern ihrer Beziehung bekundete. Auch wenn beide Partner die Trennung als unvermeidlich ansehen, löst die Aufkündigung der gemeinsamen Postanschrift zumeist einen Tumult von Gefühlen aus. »Ich hatte den Tag herbeigesehnt. Aber in meine Erleichterung mischte sich auch Trauer. Ein Auszug ist ja der dingliche Abschied von einem Traum«, beschreibt Manfred K., 55, die emotional hoch aufgeladene Situation, in der der gemeinsame Hausrat in »mein« und »dein« zerlegt wird und das ehemalige »wir« und »unser« wieder in zwei Hälften zerfällt. Die mitunter erbitterte Auseinandersetzung, wer was bekommt, lässt sich mit materiellem Besitzanspruch nicht erklären. In der Verteilung des Hab und Guts handeln Paare auch aus, welchen Stellenwert sie der vergangenen Gemeinsamkeit einräumen und wie viel Wertschätzung sie sich gegenseitig (noch) entgegenbringen.

Unabhängig davon, ob sie verlassen wurden oder ihren Partner verließen, schildern Frauen ihren Auszug oft als einen dramatischen Vorgang, der mit dem Gefühl von Entwurzelung, Heimatlosigkeit oder gar Vertriebensein verbunden ist. Wie Flüchtlinge brechen einige auf in eine ungewisse Lebenswende. Falls eine andere Frau der Trennungsgrund ist, verstärkt das Bewusstsein, dass sie zugunsten der Neuen das Feld räumen, das Gefühl, ohnmächtig Veränderungen ausgesetzt zu sein, die erst einmal nur Verlust bedeuten.

Doch auch wenn sie in der vertrauten Umgebung bleiben, empfinden Frauen die Aufteilung des Besitzstandes oft als eine Amputation. Während Männer häufig den Sachwert zum Maßstab erheben mit dem juristischen Besitzanspruch: »Wer hat es denn bezahlt?«, oder rein pragmatisch den Hausrat nach Notwendigem durchsieben, versinnbildlicht die auseinander gerissene Einrichtung für Frauen die Auflösung des bisherigen Lebensgefüges. Jahrelang hauptsächlich zuständig für den Familienalltag, laden sie mehr als Männer Möbel und Wohnaccessoires mit Gefühlen auf und heften an Gegenstände stärker (Beziehungs-) Erinnerungen. Was auch zur Folge hat, dass Frauen die Wut über ihren abtrünnigen Partner oft an dessen Besitztümern ausagieren, sofern sie derer noch habhaft werden. Geniert erinnern sich etliche meiner Gesprächspartnerinnen an ihre unkontrollierten Ausbrüche, in denen sie vorzugsweise die Lieblingsstücke ihres Noch-Partners misshandelten oder vernichteten. »Nachts tigerte ich durchs Haus und zertrümmerte Sachen, die ihm gehörten«, gibt eine 51-Jährige eruptive Racheaktionen preis, die kurz Erleichterung schaffen. Auch die Vorenthaltung unersetzlicher Erinnerungsstücke, zum Beispiel Fotoalben, gehört eher zu weiblichen Strafmaßnahmen.

Zu welchen Zerstörungsorgien verlassene Männer fähig sind, dokumentiert die Kriminalstatistik. Auch in sogenannten geordneten Verhältnissen geht es im Zuge der Trennung oft hoch her. So zersägte ein Mann kurzerhand das Ehebett, nachdem seine Frau für sich eine Wohnung gemietet hatte, weil sie seine cholerischen Attacken nicht mehr ertrug. Es sind mehrheitlich Männer, die ganze Einrichtungen zu Kleinholz machen, Häuser abfackeln und versuchen, ihre Ex auszulöschen, damit kein anderer sie besitzen wird. In meinen Interviews aber schlagen Männer einen weniger dramatischen und weniger kriegerischen Ton an als Frauen. Das Wort »Rauswurf« gehört in meinen Gesprächen eindeutig zum weiblichen Vokabular.

Dass Männer häufig übergangslos bei einer neuen Partnerin unterschlüpfen, ist eine Erklärung, warum ihnen der Abschied von Bisherigem offenbar leichter fällt. Doch auch wenn ihr Junggesellenhaushalt nicht nur ein Provisorium ist, bezeichnen etliche es als Befreiungsakt, künftig nicht mehr durch überflüssigen »Krimskrams« belastet zu sein. Während Frauen ihren abhandengekommenen Partner in Endlosschleifen umkreisen und zunächst das Gefühl hegen, im Niemandsland zu landen, vollzieht sich für Männer mit der räumlichen Trennung häufig ein klarer Schnitt, viele geraten zunächst in Aufbruchstimmung. Nun da mit dem Auszug Fakten geschaffen werden, bietet das Mitanpacken eine Erholungspause von all dem Beziehungstrouble. Während Frauen am Abend des Umzugs häufig von beklemmender Stille angefallen werden, genießen Männer aufatmend die Ruhe und Leere. Niemand redet ihnen mehr rein!

Aber es kommt auch vor, dass Männer nach dem Auszug ihrer Frau nicht ein Möbelstück verschieben. Als könnten sie so gegen die unfreiwillige Veränderung Einspruch erheben und Vergangenes konservieren, richten sie sich in der gewohnten, aber nunmehr solo bespielten Kulisse ein.

In Quadratmetern gemessen, sind Männer nach der Trennung meist auf der Gewinnerseite. Auch wenn sie mitunter ihrer Frau das Haus oder die gemeinsame Wohnung überlassen, können Frauen häufig die Kosten auf Dauer nicht finanzieren und treten ihrem Ex-Partner das vertraute Umfeld wieder ab, um sich räumlich zu verkleinern. Offenbar gar nicht so selten, bestellen Frauen trotzdem weiter den sonst verwildernden Garten und greifen ihm – gratis oder bezahlt – bei der Haushaltsführung unter die Arme. Als ich eine 48-jährige arbeitslose Arzthelferin frage, ob es ihr etwas ausmache, dass sie die Wohnung ihres Ex-Freundes putzt, schüttelt sie den Kopf: »Ich habe nicht das Gefühl, ihn zu bedienen. Aber bis ich diese Einstellung hatte, war es ein langer Prozess. Es ist ein Geben und Nehmen. Ich mache einmal pro Woche klar Schiff, und er bezahlt mich gut.«

Johanna L.: »In mir war ein einziger Trümmerhaufen.«

»Man kann dieses Durcheinander im Kopf nur aushalten, indem man es aufschreibt. Ich habe damit begonnen, als ich nach meinem Auszug zum ersten Mal allein in unserem Ferienhaus war.« Nach unserem Gespräch gibt mir Johanna L. ihre Aufzeichnungen mit: im Grunde ein Aufschrei. Wir kennen uns seit langem. Im Album finde ich das Hochzeitsfoto der heute Mitte 60-Jährigen, die ihre erste Liebe heiratete. Binnen kurzem folgten die Geburtsanzeigen ihrer drei Söhne. Eine Familie comme il faut: gesund, christlich, gut situiert. Bei unserem Wiedersehen nach langer Pause lebt Johanna allein, doch seit langem hegt sie die Hoffnung, dass ihr Mann sich besinnen und zu ihr zurückkehren wird. Das Interview erfolgt kurz nach ihrer Scheidung. Die schlanke Frau mit weißem Bubikopf ist gerade von einer langwierigen Grippe genesen.

In der Kombination von antiken und Ikea-Möbeln ist jeder Quadratmeter ihrer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung genutzt, auf dem Bücherregal stehen dutzende Familienfotos. Während Johanna Tee aufsetzt, berichtet sie freudig, eine Bekannte aus Wuppertal habe sie angerufen und ihr von einer Begegnung mit ihrem geschiedenen Mann Gerald erzählt. Er habe gesagt: »Es tut mir unendlich leid, dass ich Johanna so verletzt habe.« Als ich sie ein dreiviertel Jahr später wiedersehe, wirkt Johanna gefestigt, die nächste Zeit sei nicht mehr so rastlos verplant. Noch immer müsse sie aufpassen, nicht in eine Depression zu rutschen, aber langsam gehe es ihr besser: »Es kehrt Ruhe ein.«

Es war ein Auszug ins Nichts. Ich habe nur zwei Koffer mitgenommen, es war wie auf der Flucht. Gerald wusste, dass ich gehe. Ich hatte es ja angekündigt. In den Nächten vor meinem Auszug bin ich oft aufgestanden und habe zu ihm gesagt: »Ich schaffe es nicht.« Ich hoffte, dass er sagt: »Bleib!« Aber es kam nichts, kein Wort, keine Geste. Er ließ alles laufen, sagte nur: »So leicht fällt es mir ja auch nicht.« An einem Novembermorgen stieg ich ins Auto und fuhr los. Ich hatte Angst, die Straße nicht zu sehen, weil mir immerzu die Tränen liefen. Als ich die Tür zu einer Studentenbude mit Matratze auf dem Boden aufschloss, die ich vorübergehend gemietet hatte, überfiel mich das Gefühl: Das ist das Ende. Ich war verzweifelt und voller Angst. In mir und um mich herum war ein einziger Trümmerhaufen. Morgens war es am allerschlimmsten. Ich zwang mich, eine Zeitung zu kaufen, danach lag ich mit dem Stadtplan auf dem Boden und strich Wohnungsangebote an. Als ich beschloss, ich muss aus Wuppertal weg, überlegte ich: Ziehe ich zu meinen Geschwistern oder in die Nähe meiner Mutter? Aber dann dachte ich: Ohne einen Sohn in Reichweite kann ich nicht existieren. Ich ging nach Berlin, wo der mittlere wohnt. An meinem ersten Abend dort kam er dann auch. Ich war außer mir. Dass man in diesem Zustand nicht zum Strick greift, ist erstaunlich.

Nach einem Monat erzählte mir eine Kusine, dass bei ihr im Haus in Potsdam eine Wohnung frei sei. Gerald bestellte den Möbeltransport so, dass ich alles an einem Tag packen musste. Beim Sortieren halfen mir Freundinnen. Ich war wie in Trance. Eine Freundin sagte: »Was du jetzt nicht mitnimmst, siehst du nie wieder.« Ich nahm wenig...


Bettina von Kleist: Jahrgang 1949, Studium der Theaterwissenschaften, Psychologie und Amerikanistik, freie Journalistin und Mitarbeiterin überregionaler Zeitungen, schreibt vorrangig über psychologische Themen. Sie hat zwei erwachsene Söhne und lebt in Berlin.


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