E-Book, Deutsch, 216 Seiten
Reihe: Frieling - Romane
Adaption von William Shakespeares „Komödie der Irrungen“
E-Book, Deutsch, 216 Seiten
Reihe: Frieling - Romane
ISBN: 978-3-8280-3646-8
Verlag: Frieling & Huffmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Vorhang auf für eine Verwechslungskomödie, die, frei nach Shakespeares Theaterstück »Komödie der Irrungen«, bei den Protagonisten für allerlei Aufregungen sorgt und sie vor dramatische Situationen stellt. Wird es den Barans gelingen, sich wieder in die Arme zu schließen? Auch wenn die Orte der Handlung und die Epochen andere sind, hält sich »Hoffnung auf ein Wiedersehen« an die Shakespeare’sche Vorlage und verspricht ein ebensolches anspruchsvolles Lesevergnügen.
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FLUCHT AUS OSTPREUßEN
„Ja, genau. Denn bis vor kurzem habe ich nicht gewusst, ob sie überhaupt noch leben. Wir sind seinerzeit aus Gumbinnen geflohen und haben uns auf den Weg nach Pillau gemacht, wo die Schiffe Flüchtlinge aufnahmen und in den Westen brachten. Wir wollten alle gemeinsam mit einem Fischdampfer fahren, als es plötzlich hieß, das Schiff könne nicht alle Personen aufnehmen. Wir hatten uns ursprünglich vorgenommen, gemeinsam mit dem Schiff, es hieß Stargard, in den Westen zu fliehen. Als es Schwierigkeiten gab, entschieden wir, dass notfalls meine Frau mit zwei kleinen Kindern – wir hatten vier Kinder bei uns – das Schiff nimmt und ich mit den beiden anderen nachkomme. Und so kam es: Wir hatten keine andere Wahl, denn es durften nicht mehr als drei Personen einer Familie das Schiff besteigen, das wohl nach Dänemark auslaufen sollte. Ob es da aber angekommen ist, weiß ich bis heute nicht.“ Baran legte eine Pause ein und nahm erneut einen Schluck Wasser. Seine Erregung durch die Erzählung von der Flucht war deutlich zu spüren. Rehwald setzte die Befragung fort: „Wieso kommen Sie denn nun nach über 20 Jahren auf die Idee, Ihre Angehörigen zu suchen?“ Die Stimme klang ruhig und verständnisvoll, denn die Betroffenheit seines Gegenübers war ihm nicht entgangen. Baran nahm das Glas in beide Hände und drehte es nervös auf dem Tisch: „Vor einigen Wochen machte mich mein Sohn, der in Westberlin wohnt, darauf aufmerksam, dass die Suchdienste des Roten Kreuzes der Bundesrepublik und der DDR eine neue gemeinsame Initiative gestartet hätten, um Familien und Verwandte, die als vermisst gelten, noch einmal zu registrieren. Mein Sohn hatte sich bereits damit abgefunden, seinen Zwillingsbruder nicht mehr zu sehen, zumal er den nie gekannt hat. Mich hat der Gedanke aber nie losgelassen zu prüfen, ob meine Frau und unser zweiter Sohn bei der Flucht ums Leben gekommen sind oder vielleicht noch hier leben.“ Rehwald, der nach dem Krieg ebenfalls mit seiner Familie geflüchtet war, entwickelte Verständnis für Barans Problem und fragte: „Wieso kommen Sie denn auf die Idee, hier im Osten Berlins zu suchen, wenn die drei Personen doch nach Westen gefahren sind?“ Baran erklärte: „Wir hatten vor unserer Trennung vereinbart, dass wir nach Berlin flüchten wollten. Dabei hatten wir Berlin-Treptow als Ziel ins Auge gefasst, ohne uns allerdings genau festzulegen. Ich habe dann nach 1945 versucht, etwas zu klären, aber bin völlig ohne Ergebnis geblieben.“ „Und warum sind Sie dann nicht in den Ostteil der Stadt, die heute Hauptstadt der DDR ist, gezogen?“ Hier zögerte Baran und schaute hilflos zur Seite. „Das kann ich hier wohl nicht erzählen“, setzte er vorsichtig ein. Rehwald wurde hellhörig und witterte Unbilden: „Ich fordere Sie unmissverständlich auf, mir mitzuteilen, was Sie mit der letzten Bemerkung meinen. Sie haben sich hier bereits einer Grenzverletzung schuldig gemacht und sind daher verpflichtet, alles zu sagen, was zur Klärung Ihres Rechtsbruchs beiträgt. Also?“ Baran rang um Fassung und setzte an zu erzählen: „Ich war bis zu meiner Flucht als Landstallmeister Leiter des staatlichen Gestüts der Trakehner-Pferde in Gumbinnen. Während des Krieges, schon beim Einmarsch in Polen 1939, besonders aber während des Russland-Feldzugs, wurden wir von der Wehrmacht beauftragt, gute Pferde für die Kriegführung im Osten bereitzustellen. Ich galt als zuverlässiger Verwalter, war seit 1937 Mitglied der NSDAP gewesen und später vom Kriegsdienst freigestellt worden. 1943 musste ich nach Königsberg und erhielt durch Speer das Goldene Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes mit Schwertern.“ „Sie meinen Albert Speer, den Architekten des NS-Regimes, der später für lange Zeit in Berlin-Spandau inhaftiert war?“, unterbrach ihn Rehwald. Letzterer wusste, wovon Baran sprach, denn ihm war der Cursus Honorum der Militärhierarchie durchaus bekannt. Schon im Ersten Weltkrieg war sein Großvater im August 1914 für den besonderen Einsatz bei der Schlacht von Tannenberg, sein Vater im Zweiten Weltkrieg als Wehrmachtsoffizier mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet worden. „Ja, genau“, fuhr Baran fort, „den Rüstungsminister. Er hatte uns nach Königsberg eingeladen, wo wir geehrt wurden für die wertvolle Hilfe bei der erfolgreichen Kriegführung und die Verdienste am Vaterland.“ Baran berichtete weiter: „Gumbinnen war lange Zeit in der Lage, kräftige Schlachtrösser zu liefern, mit denen die Soldateska in Richtung Litauen und Osten ziehen konnte. In Berlin wusste man um die Schlagkraft der Armeeteile, die durch unsere Pferde gewaltig erhöht wurde. Wir unterstanden dabei direkt dem Oberkommando der Wehrmacht, ich selbst war persönlicher Ansprechpartner für die Generalität in Königsberg und Berlin. Als nun die deutschen Truppen im Jahre 1944 immer mehr nach Westen zurückgeschlagen wurden und die sowjetische Armee über die baltischen Staaten Kurs auf Ostpreußen nahm, ergriffen viele Bewohner, so auch meine Frau, die gerade Zwillinge bekommen hatte, im Dezember 1944 die Flucht in westliche Landesteile oder ins Ausland. Meine Frau und ich wollten zusammenbleiben, wurden beim Betreten des Schiffes Stargard in Pillau aber daran gehindert. Marielle durfte mit dem einen Sohn und einem zweiten Baby das Schiff betreten, den beiden anderen Kindern und mir wurde der Zugang versperrt. So brach die überfüllte Stargard – ein Fischkutter – in Richtung Dänemark auf. Ich selbst musste mit den beiden anderen Kindern wieder nach Gumbinnen zurückkehren. Einige Offiziere der Wehrmacht erhielten Wind davon, dass wir einen Fluchtversuch unternommen hatten. So wurde mir bei Todesstrafe vorgeschrieben, das Land nicht zu verlassen und mich stattdessen um die Pferdepflege des Gestüts zu kümmern. Dort verbrachte ich einige Wochen, bemerkte allerdings, dass bereits riesige Kolonnen von Menschen und Tieren auf dem Landweg ihre Häuser verließen. So beschloss ich letztlich erneut, mich dem Strom der Flüchtenden anzuschließen, zumal ich wusste, mit welchen Pferden ich für einen Fortgang der Flucht rechnen konnte. Ich suchte vier meiner besten Hengste aus, spannte jeweils zwei vor einen Wagen und nahm die beiden Kinder mit auf die Flucht. Wir alle wussten nicht richtig, wohin es gehen sollte. Aber im Tross der Flüchtenden blieb unsere kleine Gruppe unentdeckt, und wir setzten uns ab in Richtung Westpreußen. Es war ein bitterkalter Winter, und wir konnten einige Kilometer über das Frische Haff fahren, das zum Glück zugefroren war. Immer wieder sah man aber auch Pferdefuhrwerke, die in das Eis eingebrochen waren und vielfach in dem eiskalten Wasser erfroren. Wir kamen nur langsam voran, da der Zug der Flüchtenden, die oft zu Fuß unterwegs waren, keine Möglichkeit zuließ, schneller zu fahren. Es war für mich fast unmöglich, die beiden kleinen Kinder und die Pferde zu versorgen, doch schließlich erreichten wir Danzig. In Danzig gab ich zwei Pferde ab, da ich die Not der anderen Flüchtenden sah, die teilweise zu Fuß ihre Leiterwagen ziehen mussten. Der Treck teilte sich dort auf, da einige den Weg nach Westdeutschland, insbesondere Schleswig- Holstein, suchten, andere – so auch wir – entschieden sich, in Richtung Berlin zu ziehen, da wir meinten, dort seien wir sicher. Da ich mit meiner Frau vereinbart hatte, wir wollten uns in Berlin wieder treffen, zog ich mit der Kolonne in Richtung Reichshauptstadt. Durch meine berufliche Tätigkeit war mir das Gestüt in Neustadt an der Dosse bekannt. Ich versuchte, mit meinen Kindern und den beiden Pferden bis dorthin zu kommen, um diese dort zu lassen. Ich hätte nicht gewusst, wo ich die Tiere in Berlin lassen könnte. Der dortige Landstallmeister war uns gegenüber sehr entgegenkommend, seine politische Einstellung deutete allerdings darauf hin, dass er überzeugter Nationalsozialist war, der tatsächlich immer noch an den Endsieg des deutschen Volkes glaubte. Ich konnte die beiden anderen Pferde im dortigen Gestüt zurücklassen und machte mich mit den beiden Jungen auf den Weg nach Berlin, wobei es uns glücklicherweise gelang, im Laderaum eines Militär- LKWs einen Platz zu finden zwischen flüchtenden Menschen, die wie wir auch nach Berlin wollten. Es waren fürchterliche Szenen, die wir unterwegs erlebten: Tote Menschen lagen am Wegesrand, zerstörte Häuser überall, die Tiere standen herrenlos auf den Wiesen, Kühe wurden nicht gemolken und brüllten mit prallen Eutern auf ihren Weiden. Die Schreie der Tiere waren herzzerreißend und markerschütternd für uns alle.“ Hier unterbrach Baran seinen Bericht und begann zu weinen. Er hielt die Hand vor Augen und wischte seine Tränen weg, musste aber immer wieder schluchzen und aufstoßen. Er nahm das Glas Wasser zur Hand und leerte es in einem Schluck. Der Major wies seinen Untergebenen an, ein neues Glas zu bringen und forderte Baran in ruhigem Ton auf, seinen Bericht fortzusetzen. Letzterer konnte sich wieder fassen, atmete tief durch und fuhr fort: „Nach zwei Tagen erreichten wir...