Kölner Gerichtsgeschichten um den Appellhof
E-Book, Deutsch, 296 Seiten
ISBN: 978-3-7494-7642-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Autor Norbert Klein, Jahrgang 1949, war fast drei Jahrzehnte lang bis 2013 als Richter am Finanzgericht Köln tätig. Neben seiner richterlichen Arbeit hatte er über viele Jahre bei seinem Gericht die Funktion des Baudezernenten übernommen. In dieser Funktion begleitete der Richter u.a. die entscheidenden letzten Jahre der Sanierung des Appellhofs, bevor das Finanzgericht Köln 1995 dort einzog. Aufgrund der intensiven Beschäftigung mit dem historischen, unter Denkmalschutz stehenden Gerichtsgebäude leitete Norbert Klein schon früher ungezählte Führungen durch das Haus. Auf diese Weise machte er z. B. an Tagen der Offenen Tür oder Tagen des Denkmals ein Stück Kölner Geschichte für seine Zuhörer ebenso lebendig, wie das Buch geschrieben ist.
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Dicke Luft im Brauhaus „Zum Esel“
Wut, aber auch Hoffnung haben die Kölner auf ihre französischen Besatzer. „Du bis der größte Dummkopf in dieser Stadt!“ – „Dein Backofen hat Dir wohl das Hirn verbrannt!“ – „Du bist ein noch größerer Eselskopf als der draußen am Firstbalken!“ Das waren so die Sprüche, die man regelmäßig am Sonntagmorgen im Brauhaus „Zum Esel“ hören konnte. Wie an diesem Sonntag in 1798 auch wieder. Everhard Badorf, Braumeister und Wirt der traditionellen Gaststätte in der Breite Straße, hörte kaum noch hin, wenn „die“ sich beim Frühschoppen in die Wolle bekamen. „Die“, das war ein Stammtisch von sechs bis acht Handwerksmeistern, Händlern, Bauern und anderen kleinen Selbständigen aus den umliegenden Straßen in der Kölner Nordstadt. Man traf sich nach dem Kirchgang in St. Gereon bei ihm im Brauhaus. „Nur auf ein schnelles Wieß“, wie sie vermutlich ihren Ehefrauen beschwichtigend erklärten. Die kamen natürlich nicht mit, sie mussten ja das Mittagessen vorbereiten. Die Ehemänner tranken aber oft so viele Weißbiere, dass die jungen Burschen als Bedienung mit dem Transport der im kühlen Keller aus Fässern gezapften Kannen kaum nachkamen. Dazu wurde ein Pfeifchen geraucht, gestopft mit dem an der Stadtmauer von den Kölner Bauern („Kappesbuure“) angebauten Tabak. Die wirklich „dicke Luft“ in der Herrenstube mit der dunklen Holzvertäfelung an den Wänden und den Fenstern mit Ruttenscheiben kam aber weniger vom Tabakqualm. So richtig laut und hitzig wurde es vielmehr, wenn beim Politisieren, Disputieren und Lamentieren die Rede auf die französische Besatzung und ihre „befreienden“ Anordnungen kam. Wut auf die Besatzer Everhard Badorf erinnerte sich noch bestens an die Empörung, als gleich nach der Besetzung der Stadt im Oktober 1794 die französischen Soldaten mit Assignaten, dem fast wertlosen französischen Papiergeld der Revolution, die Geschäfte leerkauften. Wer die Annahme der Papierfetzen verweigerte, war ein „Feind der Republik“ und wurde von einer eigens hierfür gegründeten Überwachungskommission zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Dann glaubten einige Kölner Händler, hiergegen Widerstand leisten zu können: Sie setzten für ihre Waren unterschiedliche Preise je nach dem fest, ob der Käufer mit Papier oder mit gemünztem Edelmetall bezahlen wollte. Das funktionierte aber nicht: „Jeder, der seine Waare um klingende Münze wohlfeiler gibt als für Assignaten, ist ein Betrüger, ein Feind der Französischen Republik“, ließ der Ausschuss verkünden und setzte für die erwischten Täter empfindliche Geldstrafen fest. „Tja, man muss nur wissen wie, dann klappt das auch!“, hatte damals, im Januar 1795, der Bäckermeister Peter Thelen beim Frühschoppen vor seinen lamentierenden Leidensgenossen sehr selbstsicher verkündet. Dann hatte er mit überlegenem Lächeln sein „Rechte-Seite-Linke-Seite-System“ verraten. „Cordula, wer mit klingender Münze bezahlt, der bekommt das Brot aus den rechten Körben. Und wer mit Papier bezahlen will, bekommt die altbackenen, zu braunen und mit klumpigen Mehl gebackenen Brote aus den linken Körben!“ So hatte Peter seine für den Verkauf zuständige Ehefrau listig eingewiesen. „Ach, Peter, das geht doch nicht gut!“ – „Cördelchen, mein Liebelein!“ hatte Peter darauf nachsichtig gesäuselt. „Du hast doch einen schlauen Mann geheiratet.“ Cordula hatte dazu nur die Augen verdreht und leise gemurmelt: „Das wüsste ich aber.“ „Cördelchen“ sollte mit ihrer Sorge letztlich Recht behalten. Der Überwachungsausschuss tat schon wenige Tage später den Kölner Bürgern kund und zu wissen: „Da die glaubhafte Anzeige geschehen, dass Bäckermeister sich sogar erfrechen, gegen Assignaten schlechteres Brod zu backen und abzugeben, wird man wider die Frevler ohnnachsichtlich mit scharfen, auch körperlichen und nach Befund schweren Strafen verfahren.“ Da war der angesprochene Bäckermeister Peter Thelen aus der Ehrenstraße, neuerdings mit der Hausnummer 4025 und von einem Unbekannten denunziert, mit 100 Livres Strafgeld, entsprechend etwa drei Monatsverdiensten, noch einigermaßen gut weggekommen. Köln steckt noch im Mittelalter fest und das muss sich ändern, meinen kluge Bürger. Es gab allerdings nicht wenige Kölner, die die französische Revolutionsbesatzung als einen notwendigen, frischen Aufbruch aus der verkrusteten, spätmittelalterlichen Kölner Ordnung empfanden. Einer davon war Gereon Rode, ein junger Fuhrmann vom Neumarkt. „Ein Querkopf! Und dazu noch ein Revoluzzer!“ Der „Esel“-Wirt hatte da eine klare Meinung: Nur weil der ein paar Fuhren nach Aachen, Bonn und immerhin auch in die Niederlande gefahren hatte, meinte Rode, „die Welt gesehen“ und erkannt zu haben, dass Köln „in seinem eigenen Mief ersticken“ werde. Alles sollte anders werden – am besten jetzt sofort durch die Franzosen. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, so hatte Gereon oft genug in der Wirtsstube die französische Revolutionsparole gerufen oder im Originalton „Liberté, égalité, fraternité!“ Dann hatte der Stammtisch spöttisch zurückgerufen „… und Kamillentee!“ Seit der Besetzung Kölns waren jetzt mehr als drei Jahre vergangen, dachte Everhard an diesem Sonntagmorgen im Januar 1798, ohne dass sich Köln zum Guten verändert hätte. Eher im Gegenteil: Über drei schlimme, für Köln verlorene Jahre waren vergangen. Der Wirt hörte Wut und Frust seiner Mitbürger praktisch jeden Tag. Die Franzosen hatten Köln bisher eigentlich nur ausgeplündert: Zwangseinquartierungen von Soldaten, Zwangsabgaben der Bürgerschaft, Beschlagnahmungen von Pferden und Vorräten, Abtransport von Kölner Kunst- und Kirchenschätzen nach Paris. Der christliche Kalender wurde durch den Revolutionskalender mit der 10-Tage-Woche ersetzt, der Kölner Dom als Getreidespeicher und Pferdestall missbraucht. Die Fronleichnamsprozession war inzwischen offiziell verboten. Sie fand aber dennoch statt. Wegen dieser unerhörten Widerspenstigkeit wurde der Kölner Statthalter von der Aachener Zentralregierung des Rheinischen Departements Roer zum Rapport aufgefordert. Er berichtete nach Aachen, bei den Kölnern handele es sich um ein zwar „beschränktes, aber doch sanftmütiges und anpassungsfähiges Volk“, bei dessen Erziehung zu patriotischen französischen Bürgern „nur Milde und Überredung“ zum Erfolg führen könnten. Die sanftmütigen Kölner als patriotische Bürger der Französischen Republik? Da hatte ein Franzose wohl selig geträumt! Der „Esel“-Wirt füllte gerade eine Weißbierkanne in die Krüge um, als Peter Thelen das Lokal betrat. „Gut, dass Du kommst, Peter. Wir sprechen gerade über die Fortschritte in Köln durch die französische Verwaltung. Also erstmals Hausnummern, gute Straßenbeleuchtung, sogar Sauberkeit in den Gassen“. Das war glatt gelogen. Tatsächlich hatte bisher der frisch gebackene Großvater, Metzgermeister Stephan Offermanns, die Runde mit endlosen Schilderungen seines neugeborenen Enkelkindes gelangweilt. Da hatte der Dachdeckermeister Niklas Grommes mit seiner Flunkerei einen Themenwechsel provoziert, der auch prompt zu einer erfrischenden Wende in der Unterhaltung führte. Bei bestimmten Reizworten reagierte Peter Thelen eben sehr verlässlich. „Ihr seid doch allesamt die größten …“ hatte Peter schon auf der Zunge liegen. Aber weil er ja gerade erst gebeichtet hatte, blieb er sachlich, auch wenn ihm das schwer fiel. „Die Einführung der Hausnummern hatte schon der Rat der Stadt Köln lange vor den Franzosen beschlossen.“ „Ja, sogar zweimal. Und dann beide Beschlüsse nicht ausgeführt!“ spottete Gereon Rode süffisant aus seiner Fensterecke, was Peter Thelen einfach ignorierte. „Straßenbeleuchtung braucht man nicht. Wer statt zu schlafen noch im Dunkel spazieren will, soll gefälligst seine eigene Laterne oder Fackel mitnehmen und nicht die Allgemeinheit mit Beleuchtungskosten belasten. Und Köln stinkt immer, ob mit oder ohne die viel zu teure Straßenreinigung!“ „Natürlich, die alte Kölner Dreifachweisheit für den mutigen Fortschritt: Kennen wir nicht, brauchen wir nicht, fort damit!“ Chaos im Kölner Recht Gereon hatte nur kurz die Lacher auf seiner Seite, dann meldete sich der Schmied Heinrich Pohl zu Wort. „Jetzt einmal im Ernst: Die Franzosen drangsalieren uns jeden Tag mit immer neuen unsinnigen Dekreten, Geboten und Verboten. Aber sie kommen nicht auf die Idee, zum...