Kirkpatrick | Simone de Beauvoir | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 528 Seiten

Kirkpatrick Simone de Beauvoir

Ein modernes Leben

E-Book, Deutsch, 528 Seiten

ISBN: 978-3-492-99636-5
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht«, schrieb Simone de Beauvoir. Sie war Philosophin, Schriftstellerin, Existenzialistin und eine feministische Ikone. Ihre Romane erhielten renommierte Literaturpreise und »Das andere Geschlecht« hat die Art und Weise, wie wir über Geschlechtergrenzen denken, für immer verändert. Kate Kirkpatricks Buch ist die erste Biografie von Simone de Beauvoir seit der Veröffentlichung ihrer Briefe und der frühen Tagebücher - vor allem die erst kürzlich erschienenen Briefe an ihren Geliebten Claude Lanzmann werfen ein neues Licht auf ihre Beziehung zu Jean Paul Sartre. Kirkpatrick beschreibt kenntnisreich und spannend, wie sich Beauvoirs Denken und ihr Selbstverständnis entwickelt haben.

Kate Kirkpatrick, Dr. phil., unterrichtete an der University of Hertfordshire, am St Peter's College, University of Oxford, sowie am King's College in London. Aktuell ist sie Fellow in Philosophie am Regent's Park College, University of Oxford. Kate Kirkpatrick veröffentlichte mehrere Werke über Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, zuletzt erschien von ihr Sartre and Theology (2017).
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Einleitung: Simone de Beauvoir – Wer ist sie?
Eines Tages im Jahr 1927 hatte Simone de Beauvoir eine Auseinandersetzung mit ihrem Vater über die Bedeutung der Liebe. In einer Zeit, in der Frauen in erster Linie Ehe und Mutterschaft anstreben sollten, las die neunzehnjährige Simone philosophische Werke und träumte davon, eine Philosophie zu entdecken, nach der sie leben konnte. Für ihren Vater bedeutete »lieben« »Dienstleistungen erbringen, Zuneigung, Dankbarkeit«. Sie war anderer Ansicht und widersprach verwundert, dass Liebe mehr bedeutete als Dankbarkeit – nichts, was wir einer Person schulden, weil sie etwas für uns getan hat. »So viele Menschen«, schrieb Beauvoir am folgenden Tag in ihr Tagebuch, »haben die Liebe nie gekannt!«[1] Diese Neunzehnjährige wusste nicht, dass sie eine der berühmtesten intellektuellen Frauen des 20. Jahrhunderts werden würde, dass ihr Leben ausführlich beschrieben und gelesen werden würde. Allein ihre Briefe und ihre Autobiografie würden über eine Million Worte umfassen,[2] und sie würde philosophische Essays, preisgekrönte Romane, Kurzgeschichten, ein Theaterstück, Reiseberichte, politische Essays und journalistische Arbeiten veröffentlichen – ganz zu schweigen von ihrem Opus magnum Das andere Geschlecht, das als »feministische Bibel« gepriesen wurde. Sie würde Mitbegründerin politischer Zeitschriften werden, erfolgreiche Kampagnen für neue Gesetze führen, gegen die unmenschliche Behandlung von Algerier*innen protestieren, in der ganzen Welt Vorträge halten und Regierungskommissionen leiten. Simone de Beauvoir würde auch zu einer der berühmt-berüchtigtsten Frauen des 20. Jahrhunderts werden. Mit Jean-Paul Sartre bildete sie ein streitbares intellektuelles Powerpaar. Und leider bestand die öffentliche Wahrnehmung fast das gesamte 20. Jahrhundert über darin, dass er die intellektuelle Power lieferte und sie das Paar. Als Beauvoir 1986 in Paris starb, überschrieb Le Monde ihren Nachruf auf sie und ihre Arbeit mit den Worten »Mehr Popularisierung als Kreation«.[3] Angesichts der vorhandenen Biografien sei es »durchaus verständlich«, schrieb Toril Moi 1994, »wenn man bei deren Lektüre zu dem Schluss kommt, die Bedeutung von Simone de Beauvoir sei weitgehend auf ihre relativ unkonventionelle Beziehung zu Sartre und ihre anderen Geliebten zurückzuführen«.[4] In den letzten Jahrzehnten ist eine Vielzahl von Enthüllungen über Beauvoir an die Öffentlichkeit gedrungen, zur Überraschung ihrer Leser*innen, die sie zu kennen meinten. Ironischerweise haben aber auch sie Beauvoir als Denkerin in den Hintergrund gerückt, indem sie die Illusion aufrechterhielten, ihr Liebesleben sei das Interessanteste an ihr gewesen. Dabei war es letztendlich ihre Philosophie, die sie dazu brachte, ihr Leben, so, wie sie es führte, zu leben und immer wieder zu überdenken und neu zu bewerten. In ihren Worten: »Es gibt keine Trennung zwischen Philosophie und Leben. Jeder lebendige Schritt ist eine philosophische Entscheidung.«[5] Wenn die öffentliche Figur Simone de Beauvoir zur Feder griff, schrieb sie nicht nur für sich selbst, sondern für ihre Leser*innen. Ihre Bestseller-Autobiografien wurden als Werke beschrieben, die den philosophischen Ehrgeiz verkörperten, zu zeigen, »wie das Ich stets durch andere geformt wird und mit anderen in Verbindung steht«.[6] Aber Beauvoir wollte mehr sagen als John Donne, der behauptete: »Niemand ist eine Insel.« Denn neben der Beziehung zu anderen leben Beauvoirs Autobiografien von der Überzeugung, dass ein Ich zu sein, nicht bedeutet, dass dieses Ich von der Geburt bis zum Tod unverändert bleibt. Ein Ich zu sein bedeutet einen nie endenden Austausch mit anderen, die sich ebenfalls in einem Prozess unumkehrbaren Werdens wandeln. Seit Platon haben sich Philosoph*innen mit der Bedeutung der Selbsterkenntnis auseinandergesetzt, die zu einem guten Leben führt. Sokrates forderte »Erkenne dich selbst!«, um Weisheit zu erlangen; »Werde, der du bist!« sei die Aufgabe eines jeden Menschen, schrieb Nietzsche. Doch Beauvoirs philosophische Erwiderung lautete: Was, wenn »der du bist« für eine Frau verboten ist? Was, wenn du selbst zu werden so angesehen wird, als scheiterst du, das zu werden, was du sein solltest – ein Scheitern als Frau, als Liebende, als Mutter? Was, wenn du selbst zu werden dich zur Zielscheibe von Gespött, Bosheit und Scham macht? Beauvoirs Jahrhundert brachte den Frauen seismische Veränderungen. Während ihrer Lebenszeit (1908 – 1986) wurden Frauen gleichberechtigt mit Männern zur Universität zugelassen und eroberten sich das Wahlrecht, die Scheidung und die Empfängnisverhütung. Beauvoir durchlebte die Bohemeblüte des Paris der Dreißiger- und die sexuelle Revolution der Sechzigerjahre. Zwischen diesen kulturellen Wendepunkten markierte Das andere Geschlecht einen revolutionären Moment, an dem Frauen in der Öffentlichkeit offen über sich selbst nachzudenken und schließlich zu sprechen begannen. Beauvoirs philosophische Bildung war für ihre Generation beispiellos, und doch war sie, als sie sich mit Ende dreißig die Frage stellte, »Was hat es für mich bedeutet, eine Frau zu sein?«, schockiert über das, was sie entdeckte. In einem Jahrhundert, in dem »Feminismus« viele verschiedene Bedeutungen bekam, schrieb sie Das andere Geschlecht, weil sie irritiert war über die »Bände an Idiotie«, die reihenweise über Frauen produziert wurden, ermüdet von der Tinte, die in die »Debatte über den Feminismus« floss.[7] Doch als Beauvoir ihre heute berühmte Zeile schrieb – »Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es« –, wusste sie nicht, wie sehr dieses Buch den Rest ihres Lebens und das Leben einiger anderer, die nach ihr kamen, beeinflussen würde. Viel Tinte wurde über die Bedeutung dieses Satzes verbraucht, über die Bedeutung dessen, was es heißt, eine Frau zu »werden«. Dieses Buch widmet sich der Frage, wie Beauvoir sie selbst wurde. Im Alter von achtzehn Jahren schrieb Beauvoir, sie habe erkannt, dass es unmöglich sei, ihr Leben »ordentlich zu Papier zu bringen«, weil es sich im Zustand beständigen Werdens befand; wenn sie las, was sie am Vortag in ihr Tagebuch geschrieben hatte, kam es ihr vor, als lese sie über »Mumien toter Ichs«.[8] Sie war eine Philosophin, die zur Reflexion neigte und die Werte ihrer Gesellschaft und die Bedeutung ihres Lebens unablässig hinterfragte. Wegen der Rolle, die Beauvoir dem Vorüberziehen der Zeit in der Erfahrung, Mensch zu sein, zuschrieb, folgt diese Biografie der Chronologie ihres Lebens. Als sie älter wurde, sagte sie, die Welt verändere sich ebenso wie ihre Beziehung zu ihr. Als Beauvoir ihr Leben aufschrieb, um es andere lesen zu lassen, wollte sie »die Wandlungen, die Reifeprozesse, den unaufhaltsamen Verfall meiner selbst und anderer« aufzeigen. Weil das Leben sich über die Jahre entfaltet, wollte sie »den Faden meiner Geschichte dort wieder aufnehmen, wo ich ihn habe fallen lassen«.[9] Darin ähnelte sie der jungen Frau, die sie einst war, der jugendlichen Leserin von Henri Bergsons Philosophie. Das Ich ist keine Sache, schrieb Bergson – es ist »Fortschreiten«, eine »lebendige Aktivität«,[10] ein Werden, das sich immer weiter verändert, bis es seine Grenze im Tod findet. Die Frau, die Beauvoir wurde, war zum Teil das Ergebnis ihrer eigenen Entscheidungen. Doch Beauvoir war sich der Spannung zwischen ihrem eigenen Ich und dem Ich als Produkt dessen, was andere aus ihm machten, überaus bewusst, des Konflikts zwischen ihren eigenen Wünschen und den Erwartungen anderer. Jahrhundertelang hatten französische Philosophen die Frage diskutiert, ob es besser sei, ein von anderen gesehenes oder ein unsichtbares Leben zu führen. Descartes behauptete (mit Ovids Worten): »Gut hat gelebt, wer sich gut verborgen hat«.[11] Sartre würde ganze Bände über den objektivierenden »Blick« anderer schreiben – der uns seiner Meinung nach in Beziehungen der Unterordnung einsperrt. Beauvoir war anderer Meinung: Um gut zu leben, müssen Menschen von anderen gesehen werden – sie müssen jedoch richtig gesehen werden. Das Problem ist, dass das richtige Sehen davon abhängt, wer sieht und wann. Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Frau Anfang fünfzig und haben sich kürzlich dazu entschieden, Ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Sie beginnen mit Ihren Mädchenjahren und Ihrer Jugend, Ihrer Entwicklung zur Frau, und veröffentlichen rasch hintereinander zwei erfolgreiche Bände. Darin beschreiben Sie zwei Unterhaltungen, die Sie im Alter von einundzwanzig Jahren mit einem heute berühmten Mann geführt haben, der einmal Ihr Geliebter war. Auch Sie sind gut ausgebildet und international bekannt. Aber wir befinden uns in den späten 1950ern, und das Schreiben von Autobiografien von Frauen hat noch nicht den Wendepunkt des 20. Jahrhunderts erreicht, an dem sie begannen, öffentlich zu bekennen, dass sie Ambitionen hatten und Wut empfanden, geschweige denn, dass sie rekordverdächtige intellektuelle Leistungen erbrachten oder über einen sexuellen Appetit verfügten, den auch ein sehr berühmter Mann enttäuschen konnte. Stellen Sie sich vor, dass Ihre Geschichten legendär werden – so legendär, dass sie zu einer Linse werden, durch die die Leute Ihr gesamtes Leben lesen, obwohl es sich nur um Momentaufnahmen handelte. Beauvoirs öffentliche Person wurde – bis zur völligen Verzerrung – durch zwei solche in ihren Memoiren erzählte Geschichten geprägt. Die erste führt uns im Oktober 1929 nach Paris, wo zwei...


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