E-Book, Deutsch, 152 Seiten
Reihe: Cemetery Dance Germany SELECT '24 - LOVECRAFTIAN VIBES
Kiernan Agenten aus Dreamland
Deutsche Erstausgabe
ISBN: 978-3-946330-40-0
Verlag: Buchheim Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tinfoil Dossier, Buch 1
E-Book, Deutsch, 152 Seiten
Reihe: Cemetery Dance Germany SELECT '24 - LOVECRAFTIAN VIBES
ISBN: 978-3-946330-40-0
Verlag: Buchheim Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Agenten aus Dreamland ist eine Lovecraft'sche Horrornovelle aus der Feder von Caitlín R. Kiernan, mehrfach ausgezeichnet für herausragende Werke im Horror-Genre. Ein als der Bahnwärter bekannter Regierungsagent steigt an einem extrem heißen Morgen in Winslow, Arizona, aus einem Zug. Wenig später trifft er sich mit einer Frau in einem Diner, um Informationen über ein Ereignis auszutauschen, das sie sich beide nicht erklären können. Auf einer Ranch am Ufer des Salton Sea versammelt ein Sektenführer die Schwachen und Leichtgläubigen - die Kinder des Next Level - und bietet ihnen eine Vision der Zukunft an, bei deren Verwirklichung sie helfen sollen. Einen Tag nach den Ereignissen auf der Ranch verliert das Johns Hopkins Laboratory die Verbindung zur interplanetaren NASA-Sonde New Horizons. Etwas jenseits der Umlaufbahn des Pluto hat Kontakt aufgenommen. Und eine außerhalb der Zeit schwebende Frau sucht in der Zukunft wie in der Vergangenheit nach Antworten, die die Menschheit retten könnten. Publishers Weekly: »Kiernans subtile, eindringliche Stimme zieht den Leser in ihren Bann.« Alle fünf Bände der 24er-Ausgabe von Cemetery Dance Germany SELECT sind von Vincent Chong illustriert, haben illustrierte Vor- und Nachsatzpapiere sowie 3 Innenillustrationen. HINWEIS Gesamtausgabe & Farbschnitt: Die fünf Bände von Cemetery Dance Germany SELECT '24 - LOVECRAFTIAN VIBES sind ebenfalls als Gesamtausgabe im Sammlerschuber erhältlich. Die Hardcover der ersten Auflage der Gesamtausgabe werden einen digitalen Farbschnitt erhalten. Ein bestehendes CDG-SELECT-Abo (direkt beim Verlag) zählt ebenfalls in Bezug auf die erste Auflage der Gesamtausgabe mit Farbschnitt.
CAITLÍN R. KIERNAN (they/them) ist bekannt für Werke der Science-Fiction und der Dark Fantasy, darunter zehn Romane, viele Comics und mehr als zweihundert veröffentlichte Kurzgeschichten, Novellen und Vignetten. Sie verfassen außerdem wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Paläontologie und haben zahlreiche Preise gewonnen, darunter zwei World Fantasy Awards, zwei Bram Stoker Awards und einen James Tiptree, Jr. Award. Awards: The International Horror Guild Award (viermal) The Barnes & Noble Maiden Voyage Award The James Tiptree Jr Award The Bram Stoker Award (zweimal) The Locus Award World Fantasy Award (zweimal, beide 2014)
Weitere Infos & Material
2.
Rückwärts geschriebene Worte
(29. Juni 2015) Drew spricht mit mir, flüstert in mein Ohr, obwohl er gar nicht da ist. Um zwölf Uhr mittags stehe ich in der Dunkelheit meines eigenen Schattens – die einzige Dunkelheit, die in der Welt verblieben ist – und starre auf die Wüste hinter Salt Creek in Richtung der trüben, ungeraden graugrünen Linie, die die Chocolate Mountains zwischen den Himmel und das ewigwährende Braun der Wüsteneinöde malen. Behold, the Kingdom of Caliche and Horned Toads, hat Drew gesagt (und dann gelacht), als ich am ersten Tag von der See auf die Küste ausgekotzt worden war. An diesem ersten Tag, als ich zuerst auf dem heißen Zinn des Dachs stand und dem Wetterfähnchen seines krummen Fingers folgte. Von da – von hier – wandern meine Augen jetzt nach Osten und ich kann bis zu diesen bröckelnden Schieferkämmen sehen, die im präkambrischen Ozean liegen. Wenn ich die Augen fester zusammenkneife, noch fester, wie man es mir beigebracht hat, könnte ich sogar noch weiter sehen. Zu anderen Gebirgen und vielleicht sogar bis zum Palo Verde Valley und nach Blythe, wo die Wüste geschändet wurde, sodass grüne Dinge wachsen, um uns zu ernähren und dem unsteten Auge des Menschen zu gefallen. Es gibt Bäume in Blythe. Ich erinnere mich an Bäume. Drew ist heute geschäftlich unterwegs. Madeline hat ihn begleitet und ich bin allein mit mir und den anderen und mit meinem brutzelnden Gehirn in diesem Frauenkopf; eine vibrierende Frequenz, die weißem Rauschen entspricht, ein beliebiges Signal einer unaufhörlichen Energiequelle, und in kurzer Zeit eine Prozession fortlaufender, voneinander unabhängiger, zufälliger Variablen (endliche Abweichung, null Bedeutung). Diese Gedanken schwirren wie sirrende Insektenflügel durch die sechseckigen Honigwaben des einzelnen Auges meines Geistes und höhlen mich aus, während die Sonne mich zu den gleichen Erdtönen wie die Wüste verkohlt. Weit unten hinter den Hüllen der Schrottautos und -trucks, die vor der Ranch einen rostigen Garten bilden, zeigt das Thermometer vierzig Grad an. Es gab einen Kälteeinbruch. Hier oben, wo ich mich am Bauch des Himmels reibe, muss es noch viel heißer sein. Aber die Aussicht auf Erlösung hat mir alle Angst vor dem Verbrennen genommen. »Es ist jetzt bald so weit«, hat Drew uns allen letzte Nacht gesagt. »Ihr macht euch wirklich keine Vorstellung, wie entzückend es sein wird. Hand aufs Herz. Bo und Peep, Doe und Ti – ihr seid die Kinder des Next Levels.« Seine Stimme beruhigt die Tiefen meiner Seele. »Ich glaube, wir sind die reinsten Kommunisten, die es gibt«, sagt er. »Übergang, Evolution, Metamorphose, Glück in ewigwährendem Eis und transneptunischer Kuiper-Gürtel-Schwärze, und ihr esst von meinem Fleisch und wir werden durch fantastisches Licht über Ätherhalden wandeln, um frei zu sein von falschen Christen.« Ich verstehe nicht mal die Hälfte davon und tue auch nicht so. Ich kann auch begreifen, ohne es genau zu verstehen. Das hat er mir gezeigt. Ich kann mich einfach entspannen, tief durchatmen und mir die Geschenke von Göttern gönnen, die niemals Götter waren. Damals im guten Alt Lost Angeles, vor meiner Befreiung in diesem Gebiet aus tiefem Kali-Dreck voller Eidechsen und Diamant-Klapperschlangen-Seraphen, Wildkatzen-Bischöfen und Rennkuckucken, habe ich mir afghanisches Heroin in meine verfaulten Arme gejagt, zwischen die Zehen und die Finger. Aber jetzt bin ich frei. Du glaubst nicht, dass es das Paradies ist? Du glaubst nicht, dass das der Garten Eden ist? Dann denkst du besser noch mal genau darüber nach, kleine Chloe. Du denkst besser noch mal ganz genau nach. Drew ist ein Titan. Man erkennt einen Titanen an dem Donnern in seinem Bauch und dem Feuer auf seinen spröden Lippen. Wir leben von Klapperschlangen und heißem grünem Tee, und Drew Standish, er sagt uns, dass die letzten Tage gekommen sind. Wir übernachten auf der Schwelle und stellen nur den Fernseher an, diesen gigantischen 1975er Zenith mit dem Verbundstoffbrett in seinem Holzimitatschränkchen, und gleiten über den Bildschirm. Man hat hier draußen keinen Empfang und braucht auch keine Antenne. Wir brauchen weder Sender noch Programme; wir benötigen nur das Rauschen. Wir brauchen bloß weißes, elektromagnetisches Rauschen, Mann. Semut bertengkar, wie die Indonesier sagen, was ungefähr »Krieg der Ameisen« bedeutet. Radiowellen, kosmische Mikrowellenhintergrundstrahlung. Püppchen, stell dir das mal vor, okay? Ein Prozent von diesem knisternden Scheiß ist Licht des Urknalls, das von vor 13 Milliarden Jahren hergekommen ist, um deine Antennen und Empfänger zu kitzeln. Ich selbst hatte keine Ahnung von Physik und Kosmologie, bevor ich L. A. verlassen habe. Alles, was ich kannte, war die schmerzhafte alles verschlingende Gier nach dem nächsten Schuss. Ich bin hier oben barfuß wie an dem Tag, an dem ich geboren wurde, hoch oben auf dem heißen Blechdach, high von kultivierten Sporen und von Drews Worten. Aber wie Schadrach, Meschach und Abednego im Glutofen Nebukadnezars, wie indische Fakire von Allah gesegnet, wie der Hitzeschild einer Apollokapsel laufe ich über das Feuer, ohne mich zu verbrennen. Ich bade im alles verzeihenden, alles salbenden, reinigenden Auge des Alten Mannes Ra, und ich warte darauf, dass die anderen sich auf dem Dach zu mir gesellen. Ich bin positiv in meinem Eifer, sagt Madeline, in meiner Hingabe und meiner Opferbereitschaft, der heiligen Demütigung des abfallenden Fleisches. Sie sagt mir, dass die anderen von meinem Beispiel lernen können. Rinnsale von Schweiß brennen in meinen Augen und ich blinzle den leichten Schmerz weg. Ich lasse meinen Blick auf den Chocolate Mountains ruhen. Von dort werden sie kommen, sagt Drew. Sie werden aus dem Sonnenaufgang kommen. Ich hebe meine Arme als Lobpreisung. Ich habe nur eines Tages nach oben gesehen, und er hat nach unten gesehen und hat mir seine Hand angeboten. Und, Mann, das war vielleicht ein erstes Mal. »Es ist nicht deine Schuld, kleine Chloe, dass du so tief gefallen bist. Tschernobyl beansprucht unsere Seelen. Das Opium hat dein Blut geküsst, um den Schmerz des JETZT zu besänftigen, und du hast es gefickt und hast dich von ihm ficken lassen, weil dich noch niemals jemand ernsthaft und aufrichtig geliebt hat.« Er hielt mich, als ich weinte. Er hielt mich in einer dreckigen Gasse hinter einem dreckigen Betonklotz irgendwo zwischen der 93. und der 94. Straße in Westmont. Ich stank nach Scheiße und Infektionen, nach saurem Schweiß und abgetragenen Wohlfahrtsklamotten. In dieser Hölle eines mit Graffiti vollgesprühten Ganglands mit Stacheldraht an den Palmen hielt er mich ganz fest (und im Rückblick war das sicherlich der tückische neunte Kreis, wie ich so zusammengesunken und erfroren im Eis des Flusses Kokytos saß). Ich hatte meine Teenagerjahre schon vergeudet und meine Zwanziger gingen in dem ganzen Müll auch schnell den Bach runter, aber da war er, mit silbernen Haaren und wunderschön, die Augen so klar wie heute der Himmel über mir. Er reichte mir seine Hand, bot mir Freiheit und Absolution, und alles, was ich dafür tun musste, war, aus dieser Gosse zu kriechen. Von so tief unten bis so weit oben, die Berge vor mir und die Salton Sea verdampfend hinter mir und im Hinterland einen langsamen, langsamen unausweichlichen Tod sterbend. Ich schwebe dazwischen, werde gekocht, wie H einst in meinem Junkielöffel blubbernd kochte. Ich werde auf die Evakuation von diesem zerstörten, aufgegebenen Planeten vorbereitet. »In diesem Reich scheint die Sonne nicht heller als ein Stern«, sagt er uns, Madeline und mir und den anderen, während wir das Rauschen beobachten und den Stimmen lauschen, die darin verborgen sind. Zwei tiefe Wellen, die sich überlagern, bilden eine heilige Kreuzung mit der dritten Welle, die mächtiger ist als die Summe der beiden anderen und voller Stimmen. Wir hängen an Drew, und wir steigen und warten darauf, tosend herunterzustürzen, und die ganze Welle wird eine kalte blaue Flamme sein. Und er sagt: »Seht die schwarzen Ströme aus Pech, die unter diesen mysteriösen zyklopischen Brücken fließen.« Ich fühle Bewegung in meinen Lungen und huste. Ich schmecke Blut und Schimmel in der Kehle und spucke auf das Dach. Der Rotz ist dickflüssig und gelb; er brutzelt. Ich lächle. Ich lächle ziemlich häufig in den letzten Tagen. Drew hat mich in dieser Dante-artigen Gasse aufgegabelt, damit ich mich daran erinnern konnte, wie ich als Kind gelächelt habe, als all meine Ängste nur Kinderängste waren, und all meine Schrecken nur Kinderschrecken. Er hat mich in einen modrigen Ledermantel gewickelt, den er aus einem Clint-Eastwood-Film geklaut haben könnte, und er hat mich auf den Vordersitz seines alten, roten Buickkombis gesetzt. Er hat mich zurück ins Leben übergesetzt, als hätte Charon seine Meinung geändert. Drew ist ein Magier. Er lässt die Zeit in alle Richtungen verlaufen. Mann, er macht, dass die Zeit das macht, was er verdammt noch mal will. Das haben sie ihm gegeben. Die Macht über Uhren und Armbanduhren. Und eines Tages konnte ich hören, wie Madeline vom Rücksitz aus redete, und Drew folgte dem krampfaderhaften Labyrinth der nummerierten Highwayschilder nach Osten und Süden, ließ die große Orange hinter uns für die gesegnete Stätte im Heiligen Land der Sonorawüste. Fuhr mich...