Konzepte für eine gesundheitsförderliche Politik
E-Book, Deutsch, 248 Seiten
ISBN: 978-3-456-94675-7
Verlag: Hogrefe AG
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Zielgruppe
Gesundheitswissenschaftler
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizin, Gesundheitswesen Gesundheitssystem, Gesundheitswesen
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Regierungspolitik Umwelt- und Gesundheitspolitik
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizin, Gesundheitswesen Präventivmedizin, Gesundheitsförderung, Medizinisches Screening
Weitere Infos & Material
1;Die Gesundheitsgesellschaft;4
1.1;Inhalt;6
1.2;Vorwort zur überarbeiteten Neuauflage;10
2;1. Die Dynamik der Gesundheitsgesellschaft: Gesundheit als treibende Kraft und gesellschaftspolitische Herausforderung;16
2.1;1.1 Gesundheit als treibende Kraft;16
2.2;1.2 Gesundheit als gesellschaftliche Herausforderung;23
2.3;1.3 Der Blick zurück auf die erste Gesundheitsrevolution;39
2.4;1.4 Der Blick voraus– zwei Szenarien mangelnder Nachhaltigkeit;42
3;2. Die veränderte Sicht auf Gesundheit: die neuen Dimensionen des Gesundheitsbegriffs;46
3.1;2.1 Neue Dimensionen des Gesundheitsbegriffs;46
3.2;2.2 Gesundheitsdefinitionen;52
3.3;2.3 Elemente des neuen Gesundheitsbewusstseins;54
3.4;2.4 Ambivalenzen;63
4;3. Die Expansion der Verantwortung: Wie lässt sich die Gesundheitsgesellschaftsteuern?;68
4.1;3.1 Die Expansion der Gesundheitsverantwortung;68
4.2;3.2 Regulierung der individuellen Verantwortung für Gesundheit?;77
4.3;3.3 Veränderungen von Normen und Akzeptanz;82
4.4;3.4 Das ökonomische Umdenken;86
4.5;3.5 Der Gesundheitsmarkt;88
5;4. Gesundheit als Entscheidung: die Bedeutung der Gesundheitskompetenz;92
5.1;4.1 Gesundheit als Entscheidung: die Bedeutung der Gesundheitskompetenz der Bürger/innen;92
5.2;4.2 Gesundheitskompetenz;96
5.3;4.3 Kommunikation, Transparenz und Beratung für Entscheidungen;101
6;5. Gesundheit als Produkt: die Verantwortung des Gesundheitsmarktes;118
6.1;5.1 Krankenversorgung und neuer Gesundheitsmarkt in Zahlen;118
6.2;5.2 Gesundheit als Produkt: einige Beispiele und Trends;123
6.3;5.3 Gesundheit im Alltag: die Chancen des Gesundheitsmarktes;130
6.4;5.4 Die Interaktion zwischen Staat und Gesundheitswirtschaft;141
7;6. Gesundheitsförderliche Politik;144
7.1;6.1 Gesundheitsförderliche Politik: die Aufgabe des Staates;144
7.2;6.2 Die Idee der Gesundheitsförderung als staatliche Aufgabe;151
7.3;6.3 Eine neue Art von Gesundheitspolitik ist nötig und möglich;156
7.4;6.4 Beispiele der gesundheitspolitischen Umorientierung;162
7.5;6.5 Gesundheitsförderliche Lebenswelten (Settings);180
7.6;6.6 Gesundheitsförderung als vorrangiges Ziel einer Gesundheitspolitik im 21. Jahrhundert;192
8;7. Gesundheit als globales Gut: Von der nationalen zur globalen Verantwortung;196
8.1;7.1 Von der nationalen zur globalen Gesundheitspolitik;196
8.2;7.2 Globale Gesundheit: Mehr als Bekämpfung von Krankheiten;200
8.3;7.3 Neue Herausforderungen und Maßnahmen globaler Gesundheitspolitik;202
9;8. Werteorientierungen in der Gesundheitsgesellschaft;214
9.1;8.1 Werteorientierungen in der Gesundheitsgesellschaft;214
9.2;8.2 Gesundheit als Ressource und Teilhabe: der salutogene Blick;217
9.3;8.3 Politik der Lebenschancen;220
9.4;8.4 Politik der Lebensweisen;224
9.5;8.5 Gesundheit als individuelles und öffentliches Gut;226
9.6;8.6 Für eine gesundheitsförderliche Politik;229
10;Literatur;232
11;Sachregister;250
2. Die veränderte Sicht auf Gesundheit : die neuen Dimensionen des Gesundheitsbegriffs (S. 45-46)
2.1 Neue Dimensionen des Gesundheitsbegriffs
Wurde gegen Ende des 20. Jahrhunderts von Gesundheit gesprochen, so meinte man eigentlich Krankheit – und noch heute melden die Medien zum Beispiel stets mit Sorge die erneute Zunahme der Ausgaben für Gesundheit, obwohl es sich fast ausschließlich um die Ausgaben für Krankenversorgung handelt. Gesundheit war im Verlauf der zweiten Gesundheitsrevolution vorrangig zu einer privaten Angelegenheit in der Konsultation zwischen Arzt und Patient geworden, ergänzt durch das individuelle Gesundheitsverhalten, welches ebenfalls zur Privatsache erklärt wurde. Die klassischen Maßnahmen der öffentlichen Gesundheit wie sauberes Wasser, Nahrungsmittelinspektion, Abwasserentsorgung und ein bisschen Gesundheitserziehung werden in modernen Gesellschaften als selbstverständlich angenommen – und geraten dadurch in den Hintergrund. Viele Aufgaben der öffentlichen Gesundheitsvorsorge, zum Beispiel das Impfen oder die Vorsorge für Mutter und Kind – wurden in Ländern mit Sozialversicherungssystemen wie Deutschland erst in die Allgemein- und dann zunehmend in Facharztpraxen verlagert.
Vom Staat, der «Gesundheits»politik und dem «Gesundheits»system (inklusive den Krankenkassen) erwartete man Versorgung, nicht Gesundheitsförderung. In den sechziger Jahren in Deutschland versprach Ludwig Ehrhard als Kandidat für das Kanzleramt jeder Frau eine Krankenhausgeburt. Mit solchen und ähnlichen Versprechen für «noch ein Stück mehr Versorgung» wurden über Jahrzehnte Wahlkämpfe geführt. Auch heute noch verwalten die sogenannten «Gesundheits »ministerien vornehmlich die Krankenversorgung – und sind dabei immer mehr gefangen in den Finanzierungsproblemen, die ebenfalls ein Ausdruck der Expansion der Gesundheit sind. Erst langsam beginnt eine Umorientierung auf die großen Themen, die sich Anfang der siebziger Jahre herauszubilden begannen und die heute die Grundlage für die Gesundheitsgesellschaft bilden. Besonders hervorzuheben sind folgende Trends und Gegentrends: Einerseits entwickelt sich ein zunehmend personalisiertes Verständnis von medizinischer Versorgung in der Medizin, verbunden mit einem immer größeren prädiktiven Versprechen. Andererseits entfernt sich die Gesundheit wieder von der Medizin und wird erneut als mehr als die Abwesenheit von Krankheit verstanden und in ihren vielfältigen körperlichen, geistigen und sozialen Dimensionen erfasst. Gesundheit wird nicht mehr ausschließlich durch Expert/innen definiert und nicht mehr nur am Krankenversorgungssystem orientiert. Sie gilt als Teil der modernen Lebensqualität, des Wohlbefindens und des Lebensglücks. Ein Ausdruck davon ist auch die zunehmende Beschäftigung mit den sozialen Gesundheitsdeterminanten und der gesundheitlichen Ungleichheit.
Seinen Anfang findet unser heutiges Gesundheitsverständnis mit der europäischen Aufklärung. Für die großen Denker des 18. Jahrhunderts erschien eine Gesellschaft ohne Krankheit machbar. Für sie brauchte es nur das Vertrauen in die Vernunft des Menschen, verbunden mit dem zivilisatorischen Fortschritt und der Entwicklung der Wissenschaft. Gesundheit wurde als der perfekteste Zustand menschlicher Existenz verstanden: Der (männliche!) Bürger kontrolliert seine Leidenschaften und pflegt seinen Geist wie seinen Körper. Die erstrebenswerte moderne Gesellschaft wurde als eine gesunde Gesellschaft, gefasst – wobei das eine vom anderen kaum zu trennen war. Thomas Jefferson, der hauptsächliche Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, war der Auffassung, dass eine kranke Bevölkerung ursächlich auf ein «krankes politisches System» zurückzuführen sei.