Kermani | Strategie der Eskalation | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 96 Seiten

Reihe: Göttinger Sudelblätter

Kermani Strategie der Eskalation

Der Nahe Osten und die Politik des Westens

E-Book, Deutsch, 96 Seiten

Reihe: Göttinger Sudelblätter

ISBN: 978-3-8353-0701-8
Verlag: Wallstein Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Ein Dokument zukunftsprägender Jahre und eine Denkschrift über das Drama des Westens im Nahen Osten.

Nur wenige Intellektuelle in Deutschland haben nach dem 11. September 2001 so besonnen und eindringlich wie Navid Kermani dafür plädiert, den Terror zu bekämpfen, ohne sich mit diesem gemein zu machen. Die Einwürfe und Analysen des Schriftstellers und promovierten Orientalisten, zumeist im Feuilleton der »Süddeutschen Zeitung« erschienen, gehören zu den wichtigsten und meistbeachteten Beiträgen in der Diskussion um den Nahen Osten, den Islam und die Politik des Westens.
In der Zusammenschau lassen sie erkennen, wie nach dem 11. September Chance um Chance vertan worden ist, dem Extremismus den Boden zu entziehen. Beide Seiten der Terrorfront, das machen Navid Kermanis Kommentare deutlich, verfolgen eine Strategie der Eskalation. Aber auch Europas ausweichende, allein auf Eindämmung bedachte Position erfährt Kritik. Der Begriff Befreiung, daran erinnert Kermani immer wieder, hat nichts Ehrenrühriges. Statt die Vereinigten Staaten dafür anzuklagen, daß sie gegen Diktaturen zu Felde ziehen, sollte Europa lieber darüber nachdenken, wie Diktatoren zu Fall gebracht werden können, ohne daß deren Land in den Abgrund stürzt.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1;Wer ist der Feind? - Die Muslime nach dem 11. September;7
2;Sympathie für den Satan - Wie eine kluge Politik des Westens aussehen kànnte;12
3;Lachen und Weinen - Afghanistan vor dem Sturm;17
4;Schönheit und Terror - Nach Kriegsbeginn;21
5;Ein richtiger Krieg? - Nach dem Ende der Taliban;26
6;Die Welt als Hinterhof - Der Irak im Visier der Vereinigten Staaten;30
7;Bibel, Bush und Berlusconi - Der Islam wird schuld;35
8;Schwarze, die nicht weiß werden dürfen - Europa und der Nahe Osten;39
9;Ohne Alternative - Vor dem Krieg im Irak;49
10;Befreiung ist nicht ehrenrührig - Nach dem Sturz Saddam Husseins;53
11;Feindliche Übernahme - Offener Brief an Stefan Aust;57
12;Leider recht behalten - Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Istanbul;61
13;Richtung Europa - Nach dem Anschlag in Madrid;66
14;Befreiung von den Befreiern? - Eine neue Regierung für den Irak;68
15;Strategie der Eskalation - Nach der Geiselnahme in Beslan;74
16;Rechtfertigungszwang - Nach dem Mord an Pim Fortuyn;78
17;Gut, daß Ihr mich erzieht - Eine Verwirrung;82
18;Nâchste Ausfahrt Iran - Lernen wir aus unseren Fehlern?;84
19;Verzweiflungsdruck und Enthusiasmus - Nach Frankreichs Referendum zur Europäischen Verfassung;90
20;Quellen;95


Wer ist der Feind? – Die Muslime nach dem 11. September (S. 7)

Zu den wiederkehrenden Bildern des Dienstags, die sich tief ins Bewußtsein der globalen Fernsehöffentlichkeit eingraben werden, gehört jenes der feiernden Palästinenser. Es gibt über eine Milliarde Muslime. Beinah alle sind ebenso erschrocken und empört wie beinah alle übrigen Menschen auf der Welt.

In manchen Regionen der islamischen Welt gibt es Verbitterte, die den Anschlag als Folge der amerikanischen Außenpolitik zwar nicht gutheißen, aber erklären. Unter ihnen gibt es Verblendete, die sich freuen. Unter den wenigen, die sich freuen, gibt es einige hundert Palästinenser in Flüchtlingslagern des libanesischen Südens oder in den Besetzten Gebieten, die am Dienstag auf staubigen Gassen gefeiert haben.

Aber was als Reaktion der Muslime auf die Anschläge in den Vereinigten Staaten im Gedächtnis bleiben wird, sind jene stämmige Frau im schwarzen Samtkleid und mit dem hinten zusammengebundenen Kopftuch, die die Hände zum orientalischen Tanz erhebt, und jener acht- oder neunjährige Junge, dessen Lachen ansteckend wäre, wüßte man nicht, daß er über Tausende von Mordopfern lacht. Die Assoziationskette, die bei der Frau und dem Jungen beginnt, ist so fest gespannt, daß sie die regelmäßig eingestreuten Archivaufnahmen aus dem verblüffend schmalen Repertoire von vermummten Selbstmordattentätern und brustschlagenden Schiiten gar nicht bräuchte, um sich zum Islam als einer irrationalen und gewalttätigen Religion fortzusetzen.

Rasch wurde aus der Assoziations- eine Argumentationskette, die den islamischen Fundamentalismus als einzig denkbaren Urheber identifizierte. Mag tatsächlich vieles für einen religiös-extremistischen Hintergrund der Anschläge sprechen, so fiel doch auf, daß schon in den ersten Kommentaren die mutmaßlichen Täter benannt und andere Szenarien fortan nicht einmal mehr in Erwägung gezogen wurden. Obwohl Indizien hartnäckig ausblieben, verdichtete sich dieser Eindruck im Laufe des Fernsehabends, so daß die Warnung vor voreiligen Schlüssen bald schon wie bloße Rhetorik wirkte.

Vielleicht ist meine eigene Wahrnehmung als Iraner in Deutschland zu subjektiv, aber jedenfalls ich und viele meiner Freunde und Verwandten spürten mit Beklemmung, wie sich in der Berichterstattung, in den zunehmend suggestiven Bilderfolgen und Expertenmeinungen, jene schaudererregende Faszination einstellte, die vom Bösen ausgeht, vom unbegreiflich Fremden.

Und ich meine auch etwas wie journalistische Dankbarkeit registriert zu haben, Dankbarkeit darüber, daß da überhaupt jemand ist, durch den das Unfaßbare greifbar wird, ein Anderes, ein Böses. Man muß sich nur einmal vorstellen, was dieser Fernsehtag ohne die wenigen Sequenzen gewesen wäre, die den Sendern von Osama Bin Laden zur Verfügung stehen.

Eben weil das Andere ein Gesicht haben muß, um faßbar zu werden, sahen wir halbstündig diese schmale, sich auf gräßliche Weise seiner selbst sichere Erscheinung, die vor einigen Jahren aus dem Nichts nachrichtendienstlicher Geheimhaltung auftauchte und seither wie ein Phantom über jedem neuen Terroranschlag schwebt, ohne daß ihre Züge uns je näher gerückt oder die ihr zugeschriebenen Taten je aufgeklärt worden wären. Es geht nicht darum, die Gefahr, die von Osama bin Laden oder anderen muslimischen Terroristen ausgeht, zu verharmlosen, der Kampf gegen sie bedarf noch größerer Anstrengung und vor allem die noch längst nicht erfolgte Ausschöpfung aller rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Mittel.


Kermani, Navid
Der Publizist und Islamwissenschaftler Navid Kermani ist Long Term Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Als Dramaturg hat er an verschiedenen Theatern in Deutschland gearbeitet. Im Jahr 2000 erhielt er den Ernst-Bloch-Förderpreis der Stadt Ludwigshafen und den Jahrespreis der Helga und Edzard-Reuter Stiftung. Navid Kermani wurde 1967 geboren und hat die iranische und deutsche Staatsbürgerschaft.
Veröffentlichungen u.a.: »Das Buch der von Neill Young getöteten«; »Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran«; »Iran - Die Revolution der Kinder«.


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