E-Book, Deutsch, Band 5, 141 Seiten
Reihe: Theologische Studien
Texte zu Theologie und Spiritualität
E-Book, Deutsch, Band 5, 141 Seiten
Reihe: Theologische Studien
ISBN: 978-3-7531-9436-3
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Cornelius Keppeler studierte Philosophie und Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen (Frankfurt am Main) sowie der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. 2013 wurde er an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt zum Dr. theol. promoviert und ist aktuell in der Personalabteilung eines gemeinnützigen Unternehmens tätig.
Autoren/Hrsg.
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Ist Reinhard Mey ein Frommer von heute?
Ein Liedermacher aus der Perspektive von Karl Rahners Theorie vom anonymen Christen betrachtet (Bereits erschienen in: Geist und Leben 78 (2005) 137-151)
Der Liedermacher Reinhard Mey ist seit mehr als 50 Jahren dafür bekannt, dass er alltägliche Gegebenheiten in einer Weise wahrzunehmen weiß und sie in eine Sprache zu übersetzen fähig ist, dass dem Hörer die Augen geöffnet werden. Diese Situationen treten plötzlich aus dem Nebel der Alltäglichkeit heraus und erscheinen in der Klarheit des Besonderen. Mey vermag es auf die ihm eigene Art, Zusammenhänge, Orte oder Problematiken pointiert und treffend zu beschreiben.1 Dabei greift er unfehlbar sicher jene Elemente heraus, die eine Typisierung entstehen lassen, durch die die Übertragung auf eigene Erlebnisse und damit ein Nachvollzug und eine Reflexion eigener Erfahrungen leicht gelingt. Hört man nun das Album »Naga Parbat« (2004) von Reinhard Mey, fällt nicht nur eine Häufung religiöser Vokabeln auf, sondern es begegnet ein neues Thema: der Glaube. Dies scheint eine neue Phase in der Entwicklung der Texte Meys zu sein, da bis dahin eine explizite Auseinandersetzung mit dem Glauben ausblieb. Zwar scheute sich Mey nicht, Grenzbereiche – wie Tod und Sterben – zu thematisieren, doch blendete er in diesen Liedern die transzendente und religiöse Fragestellung aus und beschränkte sich auf »diesseitige« Gesellschaftskritik.
1 Der Liedermacher Hannes Wader preist die „Art, wie der seine Verse setzt / so sensibel und fein, dass es niemand verletzt“, Wader, Hannes, Schön ist die Jugend, 1991.
Die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben
Als Beispiel mag hierzu das Lied »Mein guter alter Balthasar« aus dem Jahr 1975 dienen, in dem er einem Freund, der zehn Jahre zuvor verstorben war, von dem berichtet, was nach dessen Tod, passiert ist. Die Quintessenz dieses Berichtes drückt sich am Ende einer jeder Strophe aus: „Es ist noch alles, wie es war, / Mein guter alter Balthasar.“ Doch ist dies Urteil nicht als beruhigend zu verstehen. Denn die Zeilen, welche von diesen Worten abgeschlossen werden, erzählen über „Rechthaberei, Engstirnigkeit“, von „Vorurteilsmorast“ und „Klugscheißern“, die sich „schlimmer als Meerschweinchen vermehrt“ haben. So wundert es nicht, dass Mey in der letzten Strophe feststellt, dass es leicht wäre zu resignieren. Aber diese Resignation, die aus den vielen Frustrationen erwächst, bleibt nicht das letzte Wort. Stattdessen riskiert er es, als „Narr, der spinnt“ ausgelacht zu werden, weil er trotz aller Frustration und aller Niederlagen an seinen Träumen und Utopien festhält und nach Wegen sucht, „wie man ein Stück Welt besser macht“. So kommt er zu dem hoffnungsvollen, das alltägliche Scheitern hinter sich lassenden Schluss: „Ob ich’s noch mal probier‘? Na klar! / Mein guter alter Balthasar.“ Auch wenn die diesseitige Realität nur zu Frustration und Resignation Anlass gibt, so will sich Mey damit nicht zufrieden geben und hält an seinem Ideal, an seiner Utopie fest. Warum? Eine ausdrückliche Antwort bleibt er schuldig. Doch kann dieses unbegründete Tun Zeugnis sein, wie wir später sehen werden. Dieses Motiv der Hoffnung findet sich auch in einem weiteren Abschiedslied.1 Doch ist dieses im Gegensatz zu »Mein guter alter Balthasar« nicht düster, sondern in einer Stimmung geschrieben, die von heiterer Zuversicht getragenen ist. In der letzten Strophe wird nicht nur Gott vorausgesetzt und angenommen, dass es dem Verstorbenen im Jenseits besser gehe, sondern der Liedermacher bittet den Adressaten sogar darum, für ihn dort ein Wort einzulegen.2 Hier ist man fast versucht, Reinhard Mey eine Beziehung zur Heiligenverehrung zu unterstellen. Doch unabhängig davon muss man feststellen, dass sich Mey mit den Themen Tod und Sterben – auch dem eigenen Tod und Sterben – immer wieder über seine gesamte Schaffenszeit hinweg beschäftigt. Als Beispiele mögen »Mein Testament« (1974) oder »Laß es heut‘ noch nicht geschehen« (1981) wie auch »Friedhof« (2004) dienen. Dabei beleuchtet Mey stets unterschiedliche Dimensionen des Sterbens. Das Ringen, ja Verhandeln über den Zeitpunkt des eigenen Sterbens (»Laß es heut‘ noch nicht geschehen«) wird ebenso Thema wie das, was er noch bis dahin erleben möchte (»Eh‘ meine Stunde schlägt«, 1977), oder die gewünschte Art und Weise des Sterbens (»Wie ein Baum den man fällt«, 1974). Der Liedermacher spart auch die Auseinandersetzung mit Selbsttötung nicht aus. Da Mey jedoch keinerlei Lebenszweifel plagen und er über einen regelrechten Lebenshunger verfügt, der ihn dazu treibt, das Leben in aller Intensität und Vielfalt zu leben, kann er solch eine Tat nicht nachvollziehen und nur mit Ratlosigkeit darauf reagieren. Dies drückt sich sehr gut in dem Lied »Atze Lehmann« (1975) aus, dessen Text die Absurdität und Fragwürdigkeit des Selbstmordbegehens widerspiegelt.
1 Vgl. Mey, Reinhard, Schade, daß Du gehen mußt, 1972. 2 „Wenn du heute den noch siehst, der uns’re Wege lenkt, / Frag‘ ihn unverbindlich mal, was er sich dabei denkt, / Sicher geht es dir bei ihm eher recht als schlecht, / Sicher sucht er grade wen, der dort mit ihm zecht. / Hoch auf deiner Wolkenbank, bei Tabak und Wein, / Leg zwischen zwei Flaschen mal ein Wort für uns mit ein“, ebd.
Die Auseinandersetzung mit der Kirche
Meys ungezwungener und ernsthafter Umgang mit dem Sterben und dem Tod böte Ansatzpunkte für einen Glauben, doch scheint es, als stünde der Glaube für ihn in einer »unheiligen« Allianz mit der Kirche. Diese Beziehung ist als »unheilig« charakterisiert, um damit zweierlei auszudrücken. Zum einen lässt sich aus christlich-katholischer Sicht der Glaube nicht von der kirchlichen Gemeinschaft und damit auch dem sakramentalen Vollzug trennen; er ist bleibend auf sie als geschichtliche Konkretion gebunden. Zum anderen scheint es, als sei das Kirchenbild Meys ein rein negatives, das sich lediglich aus den dunklen Kapiteln der Kirchengeschichte wie aus gegenwärtigen Fehlentwicklungen oder unreflektiert übernommenen Plattitüden der üblichen Kirchenkritik zusammensetzt. Vor diesem Hintergrund steht der Glaube in einem falschen Licht und wird durch ein abschreckendes Kirchenbild desavouiert. Nichtsdestotrotz bemerkt man bei einer Sichtung der Liedtexte Meys, dass er christlich sozialisiert sein muss. So ist das Gebet in seinen Texten ein wiederkehrendes Motiv, ob als Aufruf zum gemeinsamen Gebet1 oder im übertragenen Sinne2. Ganz zu Beginn seiner Karriere – so scheint es – bildet der Kirchgang sogar einen festen Bestandteil des Tagesablaufs3. Doch auch später benutzt er immer wieder gern Begriffe aus dem kirchlichen und biblischen Umfeld, um seiner Kritik Ausdruck zu verleihen. In einem Liebeslied heißt es: „Ich würd‘ mein Leben ändern, / Würd‘ ein Bigot aus mir – / Ich ging in wallenden Gewändern / Und läs‘ aus dem Brevier / Weise Moralitätchen – / Ich tät‘ es für mein Mädchen.“4 Auch für die Beschreibung seiner Heimatstadt zieht er biblische Bilder mit ihren Assoziationen heran: „In meiner Stadt, da gibt es Berge / Aus Müll, Ruinen, Schweiß und Blei. / Die träumen lang schon vom Ölberge / Und hör’n den dritten Hahnenschrei. / Ein Golgotha, aus Müll geboren / Und zementiert, damit es hält: / Dort hat kein Pilger was verloren, / Von dort erlöst keiner die Welt.“5 Oder er sieht wiederum den Apostelkreis als Negativbeispiel für eine misslungene Gemeinschaft und als Argument gegen Gruppenbildung im Allgemeinen: „Erinnert euch daran, sie waren zwölfe: / Den dreizehnten, den haben sie eiskalt / Verraten und verhökert an die Wölfe. / Man merke im Verein wird keiner alt!“6 In der letzten Zeit verlegte sich Reinhard Mey mehr auf direkte Kirchenkritik. Prangerte er 1967 noch in seinem Lied »Von heiligen Kriegen« den Zusammenhang von Glaube, Fundamentalismus und imperialistischen Großmachtsideen an, so rückt die Kirche nun vermehrt als Teil der Gesellschaft in den Fokus, die sich wie der von Dostojewski beschriebene Großinquisitor verhält. Dieser sieht in der Freiheit des Kirchenvolks eine Gefahr und meint mit Angst und Schrecken den Glauben festigen zu können.7 Dieses vermeintliche Bild der Kirche – oder treffender: der Amtsträger in der Kirche – macht Mey zum Hauptangriffspunkt seiner Kritik. Dazu zwei Beispiele: „Kriegstreiber und Kirchenfürsten haben endlich ausgespielt, / Die Verdummungsindustrien geh’n bankrott. / Ab jetzt denkt man wieder selber, wir sind endlich, endlich frei, / Dogmen und Gegängel landen auf dem Schrott.“8 „Man hat sich glatt gemacht, man hat sich arrangiert. / All die hohen Ideale sind havariert, / Und der große Rebell, der nicht müd‘ wurde zu streiten, / Mutiert zu einem servilen, gift’gen Gnom / Und singt lammfromm vor dem schlimmen alten Mann in Rom / Seine Lieder, fürwahr: Es ändern sich die Zeiten!“9 Diese distanzierte und misstrauische Haltung den kirchlichen Amtsträgern gegenüber drückt sich in der Strophe eines Liedes aus, in dem der schlaue Vater Fuchs seinen Nachwuchs vor den Fallen und Widrigkeiten des Lebens warnt. In diesen Zeilen konzentriert Mey alle Facetten der Kritik an dem angeblichen verdorbenen Charakter und den verdammungswürdigen Verhaltensweisen der Kleriker, wie sie schon zu Zeiten des Kulturkampfes üblich waren: „Und der...