E-Book, Deutsch, 436 Seiten
Kemps de Escalante Aschebraut
10. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7584-6031-9
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 436 Seiten
ISBN: 978-3-7584-6031-9
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Spätestens zur Adventszeit erinnern wir uns wieder und freuen uns auf ein Wiedersehen mit den Helden unserer Kindheit. Die Faszination der Geschichte von dem Mädchen, das von seiner Schwester und seiner Stiefmutter aus dem ihr zustehenden Leben gedemütigt wurde und, wie in den Märchen üblich, doch zu einem glücklichen Ende geführt wird, ist wahrlich eine alte Geschichte. Caroline Kemps de Escalante hat mit 'Aschebraut' die altbekannte Erzählung von Aschenbrödel packend weitergeschrieben. Die Geschichte war einfach noch nicht zu Ende erzählt.
Caroline Kemps de Escalante lebt in Berlin. Sie schreibt, seit sie denken kann, und das für ihr Leben gern. Es ist für sie ein wunderbarer Weg, sich auszudrücken. So kam sie nach diversen Kursen der Romanwerkstatt zum Studium an der Schule des Schreibens. Eine ihrer besten Entscheidungen.
Autoren/Hrsg.
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Der erste Tag auf dem Schloss (Ninotchka im Schlafgemach) Mit einem leisen Klicken rastete das Türschloss des Schlafgemaches ein und trennte Ninotchka von dem Prinzen. Sie drückte ihren Rücken gegen die Tür und atmete tief durch. Ihre Wangen glühten mit dem Kaminfeuer um die Wette. Freundlich prasselnd hieß es sie willkommen. Kerzenschein durchflutete den Raum. Was für ein Tag. Ihr Körper schmerzte und verlangte nach Schlaf, doch jede Faser ihres Geistes war hellwach. Vierundzwanzig Stunden Aufregung forderten ihren Tribut. Der ungewohnte Weingenuss bei der Begrüßung packte sie immer noch in einen Zustand aus Watte. Die gemusterte Stoffbespannung an der Holztür drückte weich in ihren Rücken. Ihre Hände strichen über die Polsterung. Wie ein Schwarm Bienen summten die Geschehnisse der letzten Stunden durch ihren Kopf. Sie war im Schloss. Raus aus der Hölle, die ihr ehemaliges Zuhause für sie geworden war. Die süßen Töne der Musik im Ballsaal bei ihrer Ankunft pulsierten in ihren Adern. So herzlich das Königspaar sie auch willkommen hieß, spürte sie doch auch die höflich zurückgehaltene Skepsis. Die Adjutanten Karel und Viktor hatten mit ihrem Gerede über ihr Aschenbrödel-Dasein, nicht gerade dazu beigetragen, Vertrauen zu schaffen. Die beiden Gelehrten hatten sie misstrauisch beäugt. Es war an ihr abgeprallt. Sie hatte sich nichts vorzuwerfen. Wie ein ständiges Knistern spürte sie – immer noch – die Präsenz des Prinzen. Seine Berührungen brannten wie Feuer auf ihrer Haut. Ninotchka seufzte und glitt auf den Boden. An die Tür gelehnt umschlang sie ihre Knie. Das Zimmer wirkte wie für einen Gast hergerichtet, den man erwartet hatte. Durch die Eingangstür drang kein Laut, und befreit hob Ninotchka die Arme und stieß einen Freudenschrei aus. Sie kam auf die Beine und drehte sich um sich selbst, bis sie an den gedrechselten Pfosten des Himmelbettes stieß. Seinen Baldachin schmückten Edelsteine, die im Schein der Kerzen wie Sterne funkelten. Eine prall gefüllte Daunendecke in ein weißes Spitzenlaken gehüllt, lag einladend zurückgeschlagen auf dem Bett. Rücklings ließ sich Ninotchka in die Kissen plumpsen und breitete die Arme aus. Die Wärme rann durch ihre Glieder. Lieblicher Schlaf streckte die Arme nach ihr aus. Widerwillig drückte sie sich hoch und strich das Kleid glatt. Erneut ließ sie die Erinnerung an den Klang der Stimme des Prinzen auf sich wirken und begrüßte die flatternden Schmetterlinge im Bauch. Mit einem Seufzer streifte sie die silbernen Tanzschuhe von den Füßen und wackelte einen Moment mit den Zehen, die in den weißen Strümpfen steckten. Ihr Blick blieb an einem Gemälde über dem Kamin hängen. Es zeigte das Schloss mit seinen vier Zwiebeltürmen. Auf dem See, den es umgab, ruderte ein Mann in einem kleinen Fischerboot. Sein Gesicht war dem Ufer zugewandt. Zwischen Seegräsern öffnete sich eine Lücke, die bei genauem Hinsehen die Umrisse eines Pferdes zeigten. Im Hintergrund war die Stadt angedeutet. Ninotchka erkannte sie an dem Stadttor, welches undeutlich aber dennoch in seinen Umrissen unverwechselbar war. Die Linien waren asymmetrischer gezogen, als gewohnt und weit entfernt von der Art der Gemälde, die sie in ihren jungen Jahren gesehen hatte. Es spiegelte auf unerklärliche Weise ihre Sehnsucht nach Freiheit wider. Unten links zierte in kleinen geschwungenen Lettern die Handschrift des Künstlers das Bild, Juri. Ninotchka blieb vor dem Kamin stehen und nahm jede Kleinigkeit der Komposition in sich auf. Über diesen Maler wollte sie auf jeden Fall mehr erfahren. Eine erneute Welle der Müdigkeit überfiel sie. Sie stieß sich vom Sims ab und sah sich erneut in dem pompösen Schlafgemach um. Sie zog an der goldenen Troddel eines blauen Samtbands. Klingeln drang gedämpft zu ihr. Gespenstisch leise öffnete sich eine Tür neben dem Bett und gab den Blick in einen hell erleuchteten Raum frei. Ninotchka kaute auf ihrer Unterlippe. »Ist da jemand?« Ihre Frage blieb unbeantwortet. Beherzt setzte sie einen Fuß über die Schwelle und betrat ein Ankleide- und Waschzimmer. Wasserdampf hüllte die Umgebung in einen feinen Nebel. Die Wände zierten goldgerahmte Spiegel, die das Licht der Kerzen reflektierten. Ihr Blick glitt über einen Waschtisch zu ihrer Linken mit einem prunkvoll geschnitzten Stuhl davor. Dann richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf eine gusseiserne Wanne, die bis zum Rand mit heißem Wasser gefüllt war. Sie stand frei in der Mitte des Raumes auf einem Podest und wurde von goldenen Löwenfüßen gehalten. Ninotchka unterdrückte einen Juchzer. Etwas so Elegantes hatte sie bis zum heutigen Tag noch nie gesehen. Welch Unterschied zum hölzernen Waschtrog, den sie in den letzten Jahren gelegentlich auf dem Gut zum Waschen benutzen durfte. Sie raffte ihren Rock und war mit drei großen Schritten am Rand. Das Wasser rann weich und duftend durch ihre Finger. Ein leises Hüsteln unterbrach sie. Erschrocken zog Ninotchka die Hand aus dem Wasser und verteilte einen Schwung auf dem Boden und in ihrem Schoß. An der Tür stand eine Kammerzofe. Der steife Kragen ihres Kleides drückte ihr schmales Gesicht in die Länge, ihr graues Haar wurde von einem Haarnetz gehalten. Die Augen ausdruckslos auf Ninotchka gerichtet, trat sie vor. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment, bis die Zofe zu Boden sah und in einen Knicks sank. Die Schmetterlinge in Ninotchkas Bauch, die eben noch für ein wohliges Kribbeln gesorgt hatten, froren ein. »Verzeiht, gute Frau. Ich bin hier selbstverständlich hereinspaziert, ich habe niemanden erwartet«, sagte Ninotchka. Die Zofe rührte sich nicht und verharrte in der Position. Ninotchka sah sie irritiert an. »Braucht ihr Hilfe?« Sie biss sich auf die Lippe. Hier war sie nicht mehr die Magd. »Erhebt Euch«, deutete sie der Bediensteten mit festerer Stimme an. Die Frau richtete sich auf und wartete offensichtlich auf weitere Wünsche. »Meine Ankunft kam doch eher überraschend«, begann Ninotchka zögerlich. »Gibt es ein Nachtgewand?« Fragend sah sie die Zofe an. Waren hier alle so steif? »Gewiss doch. Ich hoffe, dieses hier entspricht Eurem Geschmack.« Die Zofe strich ein blaues mit Silberfäden durchwirktes Stück Stoff glatt, der sich wie ein Wasserfall über die Lehne eines Polstersessels ergoss. Dann trat sie einen Schritt auf Ninotchka zu. »Ich habe mir erlaubt, Euch ein Bad einzulassen.« Mit dem Finger zeigte die Zofe auf die Wanne. »Ich danke Euch für die Aufmerksamkeit. Das ist genau das Richtige nach diesem Tag.« Ninotchka klopfte sich in Gedanken auf die Schultern. Nur nicht einschüchtern lassen. »Wenn ich Euch aus dem Kleid helfen dürfte?« Ninotchka schlang die Arme um ihren Körper. Ihr war plötzlich kalt. »Danke, das ist nicht nötig.« Die Dienerin trat zurück und deutete einen weiteren Knicks an. »Wie Ihr wünscht. Kann ich Euch mit irgendetwas behilflich sein?« Ninotchka schüttelte den Kopf. Sie wagte nicht zu fragen, ob sie sich für den nächsten Tag etwas zum Anziehen borgen konnte. Die Zofe nickte. Ihr dunkelgrauer Dutt saß kerzengerade auf ihrem Kopf. »Legt das Kleid dort hinter den Paravent. Ich bringe es dem königlichen Hofschneider.« Schützend hielt Ninotchka die Hände über ihr Gewand. »Dies ist mein Brautkleid. Es ist wunderbar, wie es ist.« Die Zofe blickte sie erstaunt an. »Keine Frage. Doch wünscht Ihr sicher morgen zu erstrahlen, wenn Ihr dem Prinzen unter die Augen tretet. Seine Majestät persönlich wird etwas Passendes für Euch aussuchen. Das Kleid dient lediglich als Maßvorlage.« Ninotchka stieß hörbar die Luft aus. Die Frau konnte nicht wissen, wie kostbar dieses Kleid, welches sie wie durch einen Zauber erhalten hatte, für sie war. »Das ist sehr aufmerksam«, presste sie hervor. Plötzlich hatte sie Angst das Kleid nie wiederzusehen. Krampfhaft überlegte sie, wie sie die Zofe abhalten sollte, es mitzunehmen. Die Augenbraue der Zofe schoss in die Höhe. »Bien sûr. Es wird mehr als genug dem Anlass entsprechende Gewänder für Euch geben. Die Hofschneiderei ist bereit. Natürlich lassen wir Eure Garderobe von daheim gerne holen.« Das vornehme Gehabe brachte Ninotchka durcheinander. Beherzt drückte sie der Zofe ihre Schuhe in die Hand und nahm allen Mut zusammen. »Ich vertraue Euch. Ihr werdet die richtige Wahl treffen. Könntet Ihr mir bitte auch passende Schuhe vom königlichen Schuster mitbringen?« Inbrünstig hoffte sie, dass es einen königlichen Schuster gab. Doch die Zofe nickte erneut und schien keineswegs irritiert. »Wie Ihr wünscht, Mademoiselle.« Sie verbeugte sich. »Solltet Ihr mehr heißes Wasser benötigen oder statt des Rosenöls andere Vorlieben haben, lasst es mich wissen ...« Bevor Ninotchka etwas erwidern konnte, entfernte sie sich mit einem knappen Nicken. Erleichtert streifte sie das Kleid ab und legte es vorsichtig über den Paravent. Mit einem Lächeln strich sie darüber. Sie vergewisserte sich niemanden in der Nähe zu wissen und tauchte in das warme Nass, das die Asche der letzten Jahre mit sich nahm. Auf der anderen Seite ihrer Zimmertür erhob sich Jaroslav aus der Hocke und seufzte. Ninotchka zu verabschieden war ihm schwergefallen. Für mehrere Augenblicke den Rücken gegen die harte Holztür gedrückt, bildete er sich ein, sie auf der anderen Seite zu spüren. Solche Sentimentalitäten waren ihm normalerweise fremd. Dennoch, er konnte es kaum erwarten, sie in ein paar Stunden wieder zu sehen, und fragte sich, wie er bis dahin Schlaf finden sollte. Den Gedanken, eine Wache vor die Tür zu stellen verwarf er und mahnte sein verwirrtes Herz zur...