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Kellner | Anti-ökonomischer Kommunismus | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 267 Seiten

Kellner Anti-ökonomischer Kommunismus

Batailles nietzscheanische Herausforderung

E-Book, Deutsch, 267 Seiten

ISBN: 978-3-593-46120-5
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Georges Batailles radikales Souveränitäts-Denken entfaltet sich in affirmativen Bezügen zu Nietzsche und zugleich zum kommunistischen Projekt. Es ist ein politisches anti-politisches Denken. Sich seiner Herausforderung zu stellen, heißt: das spannungsvolle Konzept eines »anti-ökonomischen Kommunismus« zu entwickeln. In diesem Begriff verbinden sich als Problem zwei so unvereinbare wie jeweils unverzichtbare emanzipatorische Perspektiven: Während der Kommunismus im Ideal auf die Befreiung des »gesellschaftlichen Ganzen« im Sinne eines zu verwirklichenden Lebensrechts aller unter dem Aspekt ihrer Gleichheit zielt, fordert Nietzsche die Befreiung des »ganzen Menschen«, seine absolute »Souveränität«, d.h. radikale Ungleichheit des einzelnen Menschen und seine Nicht-Unterordnung unter jedwede Handlungsökonomie. Kommunistische und nietzscheanische Emanzipation kollidieren miteinander, schließen einander aus und sind doch zutiefst aufeinander angewiesen. Der anti-ökonomische Kommunismus hebt diesen Widerspruch nicht auf; er hält dazu an, ihn im Zuge einer permanenten Revolte auszuschöpfen.

Jenny Kellner, Dr. phil., studierte Schauspiel, Philosophie und Soziologie in Hamburg und Berlin und war Stipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie lehrt an der Hafencity Universität Hamburg und an der Universität der Künste Berlin und ist als freie Publizistin und Künstlerin tätig.
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I.Bataille mit Nietzsche wider den Faschismus
Batailles Veröffentlichungen über Nietzsche beginnen in den 1930er Jahren mit einer Reihe von Versuchen, Nietzsche vor der Vereinnahmung durch nationalsozialistische Lektüren seines Werks zu retten.116 Diese Texte stehen in engem Zusammenhang mit Batailles Engagement in antifaschistischen Gruppen, wie Contre-Attaque und Acéphale.117 Batailles Hinwendung zu Nietzsche, die sein gesamtes philosophisches Schaffen prägen wird, verbindet sich von Anfang an mit der These, dass Nietzsches Denken mit faschistischer Ideologie unvereinbar ist. Mehr noch, im Kampf gegen den Faschismus erscheint dieses Denken Bataille als vielversprechender als der parteidoktrinäre Kommunismus, dem der Antifaschismus gleichwohl inhärent ist: Aber der Kommunismus reicht nicht aus.118 Nietzsche und der Kommunismus rücken in Batailles Perspektive insofern von vorneherein in eine gewisse Nähe zueinander, als beide eine Frontstellung gegen den Faschismus implizieren. Doch genau in dem Maß, in dem die kommunistische Aktion als ungenügend erscheint, um der Faschisierung der Gesellschaft beizukommen, wird für Bataille Nietzsches Philosophie bedeutsam. Dabei unterliegen Nietzsche wie auch Bataille bis heute selber dem Verdacht, ein faschistoides oder protofaschistisches Denken, wenn nicht eigens zu entwickeln, so doch mindestens entsprechende Lektüren zu begünstigen.119 So verbindet sich bei beiden Autoren eine radikale Moralkritik mit der Betonung gewalttätiger Aspekte der Existenz,120 wodurch sich eine gewisse Nähe zum Faschismus anzudeuten scheint. Zudem schreibt Bataille dem Bereich des Mythologischen gerade im Kontext seines antifaschistischen Engagements große Bedeutung zu.121 Dieser Bereich spielt aber im faschistischen Projekt selbst eine tragende Rolle,122 was Bataille und seinen Gruppen den Vorwurf des ›Überfaschismus‹ (›sur-fascisme‹) einbrachte.123 Vor dem Hintergrund dieser eigentümlichen Konstellation eines nietzscheanischen Antifaschismus bei Bataille, der sich selbst dem Verdacht eigener faschistoider Tendenzen ausgesetzt sieht, lässt sich die Hypothese formulieren, dass Batailles Antifaschismus bestimmten Elementen des Faschismus nicht nur zufällig und unbewusst nah kommt, sondern dass er durch diese Nähe selbst bedingt ist. Das soll heißen, dass Bataille möglicherweise nicht geglaubt hat, der Faschismus könne wirksam von einer Position aus bekämpft werden, die jede Nähe zu ihm ausschließt.124 Allgemeiner gefasst deutet sich hier die These an, dass niemand je etwas bekämpfen kann, ohne dem Bekämpften selbst nahezukommen. Diese These ist für ein Verständnis von Kommunismus bedeutsam, demzufolge Kommunismus auch Antifaschismus impliziert. Bei einem akuten Problem, wie es die Faschisierungstendenzen heutiger Gesellschaften darstellen, mag dessen Komplexität leicht in vereinfachenden Darstellungen untergehen, denn »Komplexität treibt stets einen Keil zwischen Theorie und Praxis«,125 und zuletzt hat das Problem des Faschismus angesichts aktueller politischer Stimmungen und Entwicklungen in weiten Teilen der Erde eine neue Dringlichkeit gewonnen.126 Die Herausforderung Batailles besteht in diesem Zusammenhang darin, sich der Komplexität seines an Nietzsche orientierten Antifaschismus zu stellen. Damit können dem Begriff des anti-ökonomischen Kommunismus, der in der vorliegenden Arbeit entwickelt werden soll, erste Konturen verliehen werden. Denn der anti-ökonomische Kommunismus schließt – zum einen als Kommunismus und zum anderen als Begriff, den der Antifaschist Bataille zu denken herausfordert – notwendig eine antifaschistische Position ein. Um eine erste begriffliche Konturierung des anti-ökonomischen Kommunismus im Hinblick auf dessen antifaschistischen Aspekt schrittweise vorzunehmen, rückt im Folgenden zunächst Batailles Wiedergutmachung an Nietzsche in den Fokus der Betrachtung (Kap. I.1) Hier wird dem Faschismus Nietzsches Philosophie als eine ›Lehre des Paradoxen‹ entgegengestellt, die eine ›Entfesselung der Leidenschaften‹ und den ›Mythos einer offenen Zukunft‹ fordert. Bataille verfolgt den Anspruch, Nietzsches Denken im Ganzen ernst zu nehmen, was auf einen spezifischen Begriff des Ganzen hinausläuft, dessen ›Totalitarismus‹, wie sich zeigen wird, einen radikalen Pluralismus impliziert. In einem zweiten Schritt wird die Faschismusanalyse vorgestellt, die Bataille 1933 im Aufsatz Die psychologische Struktur des Faschismus entwickelt, wobei das Konzept des Heterogenen sowie die zentrale Bedeutung des Mythologischen im Hinblick auf Batailles (vermeintliche) Nähe oder Distanz zum Faschismus herausgearbeitet werden (Kap. I.2). Abschließend wird die Interpretation des nietzscheanischen Konzepts eines Willens zur Macht im Sinne einer Theorie der Kräftedifferenzen vorgestellt, die Deleuze in Nietzsche und die Philosophie vorschlägt (Kap. I.3). Deleuzes Interpretation wird dabei im Zusammenhang mit dem Begriff einer aktiven beziehungsweise reaktiven Kraft auf Batailles Nietzschelektüre und Faschismustheorie bezogen, um beide weiter aufzuschließen. 1.Batailles Wiedergutmachung an Nietzsche
Zwischen 1937 und 1939 veröffentlicht Bataille vier Aufsätze in der Zeitschrift Acéphale, die im Zeichen einer »Wiedergutmachung«127 an Nietzsche stehen: Nietzsche und die Faschisten, Thesen über den Faschismus und über den Tod Gottes, Nietzsche-Chronik und Nietzsches Wahnsinn.128 In den 1940er Jahren erscheinen mit Ist Nietzsche Faschist? und Nietzsche und die Moral zwei weitere in Zeitschriften veröffentlichte Nietzschestudien Batailles, die die nämliche Absicht verfolgen.129 Zusammen mit dem Nietzsche-Memorandum und der Monographie Nietzsche und der Wille zur Chance (beide 1945 veröffentlicht)130 handelt es sich um eine beachtliche Menge an Schriften, die Bataille innerhalb eines guten Jahrzehnts um den Zweiten Weltkrieg herum einer Wiedergutmachung an Nietzsche widmet und die in gleichem Maß eine Abwehr der Besetzung von Nietzsches Denken durch die Faschistinnen wie die Entwicklung einer eigenständigen starken Nietzschelektüre leisten. Diese Nietzschelektüre Batailles begründet gleichsam seine eigene Philosophie der Souveränität und bildet insofern mehr als nur einen unter vielen Schlüsseln zu seinem Werk.131 1.1Eine Aristokratie freier Geister gegen den Faschismus
»Der Theaterkulisse zum Trotz«, so ist auf dem Klappentext der Wiedergutmachung an Nietzsche zu lesen, »ist der Abstand zwischen Hitler und Nietzsche so groß wie der zwischen einem Arrestlokal und den Gipfeln der Alpen«.132 Diese so bildhaft wie aufreizend formulierte Behauptung lässt bereits die Stoßrichtung von Batailles Nietzscheaneignung erkennen. ›Die Gipfel der Alpen‹ sind ein Bild für die Weite des Blicks und die Abgründigkeit des Lebens, ein Bild auch für den orgiastischen Höhepunkt, den ›Gipfel‹ der erotischen Erfahrung, den Exzess. Diese gewaltige, berauschende Metapher für Nietzsches Philosophie steht dem Bild der Arrestzelle gegenüber, der Metapher schlechthin für Enge und Eingesperrt-Sein, für Entrechtung und Entmenschlichung, für das Abschneiden von Möglichkeiten, kurz: für die maximale Depotenzierung des Lebens, die lebend möglich ist. »Es ist ein beißender Hohn«, so Bataille, »sich einen möglichen Einklang vorzustellen zwischen der Forderung Nietzsches und einer politischen Organisation, die die Gipfel-Existenz herabsetzt, die alles einsperrt, exiliert oder tötet, was eine Aristokratie ›freier Geister‹ bilden könnte.«133 In der Gegenüberstellung von Nietzsches Denken und dem Faschismus steht für Bataille demnach eine radikale Form von Freiheit und ›Höhe‹ (›Gipfel-Existenz‹, ›Aristokratie freier Geister‹) gegen eine massive Einschränkung, Beschneidung, Herabsetzung und letztlich Verunmöglichung dieser Freiheit und Höhe. Auf diesen radikalen Ausschluss der faschistischen Politik aus Nietzsches Perspektive insistiert Bataille in seinen Schriften zu...


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