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E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Kegel Abgrund


1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-86648-330-9
Verlag: mareverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-86648-330-9
Verlag: mareverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



So hatte sich Anne Detlefsen den ersten gemeinsamen Urlaub nicht vorgestellt: Statt mit ihr die Sonne von Santa Cruz zu genießen, hat Hermann Pauli sich auf die Suche nach einem seltsamen Hai begeben, der selbst den Experten der örtlichen Charles-Darwin-Forschungsstation Rätsel aufgibt. Ist es möglich, dass die Lebensgemeinschaften im Meer sich rasant verändern? Und auch Anne bekommt plötzlich zu tun. Als vor der Insel Nacht für Nacht Schiffe in Flammen aufgehen, juckt es die Leiterin der Kieler Mordkommission in den Fingern, der Sache auf den Grund zu gehen. Kommt der Brandstifter aus den Reihen der Fischer, die zur Durchsetzung ihrer Interessen bekanntlich auch vor Gewalt nicht zurückschrecken? Die Verhältnisse sind kompliziert – im Wasser wie an Land.
Fesselnd und zugleich sachlich fundiert gewährt Bernhard Kegel in seinem neuesten Wissenschaftsroman Einblicke in Faszination und Abgründe der biologischen Forschung – diesmal vor der zauberhaften und legendenumrankten Kulisse des Galapagos-Archipels.

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James Island (Isla Santiago), Galápagos, Oktober 1835
»Covington!« Syms kniete im dichten Gestrüpp auf dem Boden, um den Vogel zu untersuchen, den er gerade geschossen hatte. Gehört hatte er nichts, seine Ohren waren taub vom Knall des Schusses. Doch irgendein Gefühl ließ ihn aufblicken. Hatte jemand gerufen? Er hob den Kopf, schob den Hut in den Nacken, streckte den Rücken und sah sich nach allen Seiten um. »Hier bin ich, Covington. Hier drüben.« Auf einer kleinen Lichtung, etwa fünfzig Meter entfernt, sah Syms Covington einen jungen Mann, der wild mit den Armen durch die Luft ruderte und zu lachen schien. Er saß auf etwas, das einem großen runden Stein ähnelte, einem Stein, der sich offenbar bewegte. »Sieh dir an, wie stark sie sind«, rief der Mann. Seit sie zusammen über die endlose Weite der Pampa geritten waren, nannte Syms ihn gern Don C. D. Er runzelte die Stirn und staunte. So ausgelassen hatte er seinen Herrn noch nie erlebt. Ihm gegenüber gab er sich sonst eher ernst und wortkarg, und nun saß er auf dem Rücken einer grotesk riesigen Schildkröte und amüsierte sich wie ein Kind. Jetzt riss er die Knie hoch wie ein Rodeoreiter und brach erneut in Gelächter aus. »Ich wette, sie können einen erwachsenen Mann tragen. Versuch’s auch mal.« Er schlug mit der flachen Hand auf den Panzer. »Los, beweg dich! Mach schon!« Syms verstand nichts von dem, was sein Herr rief, war aber aufgestanden, um besser sehen zu können, zeigte ein breites Grinsen und winkte. Er wollte nicht, dass Don C. D. merkte, wie schlecht es mittlerweile um sein Gehör stand. Er hatte um diese Position gekämpft, und er hatte sie verdient, mehr als jeder andere an Bord, deshalb wollte er sie unter keinen Umständen verlieren. Während die Beagle auf See ihre Messungen durchführte, unternahm der Naturforscher immer wieder weite, mitunter wochenlange Reisen ins Landesinnere. Und er, Syms Covington, Sohn eines Metzgers aus Bedford und eigentlich als Fiedler und Schiffsjunge an Bord, durfte ihm dabei zur Hand gehen, eine einmalige Gelegenheit, dem eintönigen Leben auf dem Schiff zu entkommen und Land und Leute kennenzulernen. Vom einfachen Matrosen zum Entdecker – was für ein Aufstieg! Er wusste, dass Don C. D. ihn anfangs seltsam gefunden und nicht besonders gemocht hatte. Aber er verfügte über eine gut lesbare Handschrift, erwies sich in jeder Beziehung als gelehriger Schüler und war seinem Herrn bald eine unentbehrliche Hilfe geworden. Wenn der nun erführe, dass sein Hörvermögen unaufhaltsam schwand, so wie Wasser aus einer offenen Schale verdunstete, sicher würde er zum ordinären Bootsjungen zurückgestuft werden, wenn er überhaupt auf der Beagle bleiben durfte. Dabei präparierte er so schnell und sorgfältig wie kein Zweiter an Bord. Mehr als zehn kleine Bälge schaffte er in der Stunde, und ihre Qualität ließ nichts zu wünschen übrig, Don C. D. hatte ihn mehrfach gelobt. Wahrscheinlich hatte er sein Geschick vom Vater geerbt, der es als Rossschlächter aber mit viel größeren Körpern zu tun hatte. Teufel noch mal, er würde es nicht zulassen, dass diese lächerliche Taubheit ihm alles zerstörte. Seit wann brauchte man für diese Arbeit Ohren? Also hielt er sein Problem, solange es ging, geheim. Natürlich hatte er die Schildkröten, mit denen Don C. D. seinen Schabernack trieb, auch entdeckt, sie waren ja kaum zu übersehen. Überall im Buschland und bis in die Gipfelregionen stieß man auf ihre Wechsel. Auf diesen seltsamen Inseln schienen sie die großen Pflanzenfresser zu sein, wie anderswo die Antilopen oder Wildpferde. Doch er mochte sie nicht. Sie waren ihm unheimlich. Ihr Fauchen, das sie von sich gaben, wenn man ihnen zu nahe kam, ihre langen, faltigen Hälse, ihre uralten Gesichter mit den kleinen wässrigen Augen. Diese Kreaturen hatten etwas Diabolisches, fand er, wie die hässlichen Inseln, auf denen sie lebten. Er freute sich auf den Moment, da dieser trostlose Ort hinter der Beagle im Dunst verschwinden würde. Die beiden Männer hatten in der letzten Stunde auf dem Berghang einiges an Höhe gewonnen, und Syms beschattete seine Augen, um tief unter sich Buccaneer Cove zu suchen, ihre Landungsstelle. Schnell hatte er das Lager entdeckt. Wenigstens mit seinem Sehvermögen stand alles zum Besten, deshalb war er auch ein so guter Schütze. Dort unten Zelte aufzustellen, hatte sich als schwierig erwiesen. Sie hatten etliche Versuche gebraucht, weil der Boden von den Bauten der Land-Iguanen vollkommen durchlöchert war. Doch jetzt standen ihre Zelte, und er konnte Benjamin Bynoe, den Arzt der Beagle, und Kapitän FitzRoys Diener Harry Fuller erkennen, die sich am Ausrüstungsstapel zu schaffen machten. Er winkte, aber die beiden waren zu beschäftigt und zu weit entfernt, um ihn zu bemerken. Nach der Beagle, die am Morgen Kurs auf Chatham im Südosten des Archipels genommen hatte, hielt er vergeblich Ausschau. FitzRoy beabsichtigte, dort Trinkwasser aufzunehmen. Nur auf Chatham gebe es Wasser in ausreichender Qualität, hatte er gesagt. Ergiebige Süßwasserquellen waren auf diesen Inseln Mangelware, und vor ihnen lag eine lange Fahrt über den schier unendlichen Pazifik. Syms schaute wieder auf die Lichtung, wo das vorsintflutliche Biest sich nun mitsamt seiner schweren Last tatsächlich in Bewegung setzte. Er verfolgte verblüfft, wie es sich mit seinen krummen Beinen scheinbar mühelos erhob und davonstapfte, mit Don C. D., seinem jungen Herrn, auf dem Rücken. »Oh, ohoho«, rief der und versuchte, das Gleichgewicht zu halten, was ihm zunächst auch gelang. Wahrscheinlich lacht er, dachte Syms, denn er sah, dass sein Herr den Mund weit aufgerissen hatte. Doch plötzlich war es mit der Balance vorbei, er fuchtelte ein letztes Mal mit den Armen durch die Luft, rutschte nach hinten ab und landete mit dem Rücken voran im Dreck. Don C. D. glaubte, diese Kreaturen gehörten ursprünglich nicht hierher, deshalb hatte er ihnen bisher kaum Beachtung geschenkt. Ähnlich große Schildkröten fände man auch auf anderen ozeanischen Inseln, hatte er erklärt. Sie waren vermutlich Essen auf Beinen, eine Hinterlassenschaft der Seefahrer, die sich nun jederzeit an dem lebendigen Fleischvorrat bedienen konnten. Sie selbst machten es ja nicht anders. Kapitän FitzRoy hatte fast fünfzig Riesenschildkröten auf die Beagle schleppen lassen, bei den größten Exemplaren mussten vier Mann zupacken. Und was sie heute Abend am Feuer essen würden, war auch nicht schwer zu erraten. Don C. D. mochte die Tiere am liebsten, wenn ihr Fleisch nach Art der Gauchos im Panzer geröstet wurde. Syms hätte ja gegrillte Iguanen vorgezogen. Ihr Geschmack erinnerte entfernt an Hühnchen oder Kaninchen. Sie waren leicht zu fangen, mindestens genauso hässlich und … Er kniff die Augen zusammen. Warum stand sein Herr nicht auf? Hatte er sich verletzt? Syms hörte nur das Rauschen der Büsche. Oder war es sein eigenes Blut? Verdammt, 1831, als die HMS Beagle unter Kapitän FitzRoy ihre Reise angetreten hatte, war er fünfzehn Jahre alt gewesen, jetzt war er neunzehn, ganze sieben Jahre jünger als sein Herr und mit Sicherheit zu jung, um taub zu werden. Endlich stand Don C. D. wieder auf, klopfte den Staub von der Kleidung, und Syms konnte sich beruhigt dem Vogel zuwenden, den er geschossen hatte. Vögel waren seine Spezialität. Er nahm das Tier vorsichtig in die Hand. Es sah nahezu unversehrt aus, weil er Vogeldunst als Munition verwendete, ein feines, fast staubförmiges Schrotgemisch. Statt von Bleikugeln durchsiebt zu werden, starben sie an Herzversagen. Das Tier war etwas größer als ein Sperling, einer dieser kleinen schwarzen Burschen, die sie bisher auf jeder Insel des Archipels angetroffen hatten. Manchmal hüpften sie arglos und ohne jede Scheu vor ihren Füßen herum, und man musste aufpassen, sie nicht zu zertreten. Es schien mehrere unterschiedliche Arten zu geben, die Syms kaum voneinander unterscheiden konnte, deshalb schoss er lieber ein paar Vögel mehr als einen zu wenig. Sein Herr hielt einige für Finken, andere für Grasmücken und Amseln. Er hatte die auf Chatham und Charles gesammelten Tiere nicht beschriftet und bewahrte sie in der gleichen Kiste auf. Es würde schwer, wenn nicht gar unmöglich sein, die Bälge später nach ihren Herkunftsinseln zu sortieren. Offenbar interessierten ihn die Vögel nicht besonders. Syms hatte sich schon gefragt, ob sein Herr die Lust am Sammeln verloren hatte, doch Don C. D. hatte ihm einen anderen Grund für diese scheinbare Nachlässigkeit genannt. Er ging schlicht nicht davon aus, auf derart ähnlichen und nah beieinanderliegenden Inseln jeweils eigene Kombinationen von Pflanzen- und Tierarten zu finden, etwas, das Syms nicht beurteilen konnte. Es machte jedenfalls unter diesen Umständen keinen Sinn, von jeder Insel eine vollständige Kollektion ihrer Bewohner sammeln zu wollen. Zoologisch waren die Galápagosinseln nicht besonders ergiebig. Das Besondere war ihre Geologie, der...


Bernhard Kegel, Jahrgang 1953, ist promovierter Biologe und vielfach ausgezeichneter Autor von Romanen und Sachbüchern. Im mareverlag erschienen bereits seine ersten beiden Hermann Pauli-Romane "Der Rote" (2007) und "Ein tiefer Fall" (2012). Bernhard Kegel lebt mit seiner Familie in Brandenburg und Berlin.



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