E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-17-035408-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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[17]2 Das Hochhaus – keine aktuelle Erfindung
Als sich in Chicago (USA) zwischen 1880 und 1890 die Einwohnerzahl auf mehr als eine Million verdoppelte, vervielfachten sich auch die Grundstückspreise in der Innenstadt. Kostete ein Quadratmeter im Jahr 1880 noch 130 US-Dollar, so stieg der Preis bis zum Jahr 1890 um das Siebenfache auf 900 US-Dollar an. Um weiterhin rentabel wirtschaften zu können, begannen damals die Grundstückseigentümer, ihre Grundfläche optimal zu nutzen und wählten hierzu eine höhere Bauweise. Dies wurde durch Erfindungen wie den elektrischen Aufzug, der Entwicklung feuerfester Baustoffe und vor allem durch die Stahlskelettbauweise begünstigt. Das Home Insurance Building von 1885 (1931 abgerissen) vereinte als erstes Bauwerk die neuen technischen Errungenschaften und gilt mit seinen zehn Etagen als das erste moderne Hochhaus der Welt. Zwischen 1890 und 1894 entstand das Reliance Building, welches als Vorläufer der später den internationalen Stil bestimmenden gläsernen Vorhangwandkonstruktion und als Meisterwerk der Ersten Chicagoer Schule1 gilt. Seitdem gilt Chicago als Wiege der Hochhauskultur, obwohl die meisten spektakulären Hochhausprojekte derzeit in China, Russland und im Nahen Osten geplant und realisiert werden (Thomas & van Leeuwen, 1986). In New York City steht das Fuller Building von 1902 noch heute als Beispiel der frühen Skelettbauweise. Die 1916 erlassene Bauordnung der City of New York, die nur für 25 Prozent der Grundstücksfläche eine unbegrenzte Höhenentwicklung zuließ und für den Rest des Bauwerks eine mathematisch bestimmte Abtreppungsvorschrift enthielt, prägte den Typ des New Yorker Art Deco Hochhauses. Das von Cass Gilbert 1913 errichtete Woolworth Building wirkte hier stilbildend. Zahlreiche Hochhäuser dieses Typs wurden in der Hochkonjunkturphase vor dem großen Börsenkrach vom Oktober 1929 geplant und bis in die ersten Jahre der Weltwirtschaftskrise errichtet, etwa William van Alens Chrysler Building (1930) oder das lange Jahre als höchstes Gebäude der Welt geltende Empire State Building (1930). 1929 standen von 377 Hochhäusern der USA mit mehr als 20 Stockwerken 188 in New York City. Das erste Hochhaus Deutschlands ist das 1915 bis 1916 nach Plänen des Architekten Friedrich Pützer errichtete Turmhaus Bau 15 der Carl Zeiss AG in Jena. Es erreichte mit elf Geschossen eine Höhe von 43 Metern. Mit seinen rasterartig angeordneten Fenstern besaß es eine an den damaligen US-amerikanischen Vor[18]bildern orientierte Fassade. Als erstes, wenn auch deutlich niedrigeres Bürohochhaus, entstand in den Jahren 1921 bis 1923 nach Plänen der Düsseldorfer Architekten Hans Tietmann und Karl Haake das siebengeschossige Industriehaus am Wehrhahn in Düsseldorf (Schediwy, 2005). Der Jeddah Tower, früher bekannt als Kingdom Tower, ist ein Bauprojekt an der Westküste von Saudi-Arabien. Der Wolkenkratzer wird zum Zeitpunkt der Fertigstellung (voraussichtlich im Jahr 2020) das höchste Bauwerk der Welt sein. Das am 4. Januar 2010 eröffnete, derzeit höchste Haus der Welt mit immerhin 828 Metern, der Burj Chalifa, wird, soviel ist sicher, nicht lange als höchstes Haus der Welt gelten. Zum Vergleich: Lange Zeit galt der Sears-Tower in Chicago mit 442 Metern Höhe als das höchste Gebäude der Welt, 1998 wurde er durch die Petronas-Towers mit 452 Metern Höhe abgelöst. Bereits 2003 wurden diese wiederum durch die Taipeh-Towers (508 Meter) in den Schatten gestellt. Das Bild 2 zeigt die höchsten Häuser der Welt im Vergleich. Bild 2:Eine Auswahl der höchsten Häuser der Welt (Grafik: Grünwald/von Kaufmann) [zurück] [19]Die Entwicklung von neuen Baumaterialien und Konstruktionsformen, vornehmlich die Erfindung des Stahls, machte es möglich, wesentlich höher zu bauen als dies bisher denkbar war. Seitdem besteht eine regelrechte »Höhenkonkurrenz« (Matzing, 2008). Hochhäuser lassen sich in folgende Kategorien einteilen (Schuler, 2003): Kleine Hochhäuser: Hochhäuser unter 50 Meter mit nicht mehr als 15 Geschossen bei einer Grundfläche von ungefähr 400 m². Mittelgroße Hochhäuser: Hochhäuser zwischen 50 und 100 Meter mit etwa 20 Geschossen bei einer Geschossfläche von rund 500 m². Große Hochhäuser: Hochhäuser, die höher als 100 Meter sind und zirka 50 Geschosse mit einer Geschossfläche von etwa 1000 m² haben. Supergroße Hochhäuser: Hochhäuser, die mehrere hundert Meter hoch sind und Geschossflächen von mehr als 2000 m² haben (z. B. Sears-Tower, Petronas-Towers). Die Musterhochhausrichtlinie unterscheidet zwischen Höhen bis zu 60 Metern (zwei Treppenräume oder ein Sicherheitstreppenraum), über 60 Meter (zwei Sicherheitstreppenräume, alle tragenden und aussteifenden Bauteile müssen eine Feuerwiderstandsfähigkeit von mindestens 120 Minuten besitzen) und über 240 Meter (tragende und aussteifende Bauteile müssen eine Feuerwiderstandsfähigkeit von mindestens 180 Minuten aufweisen). Hierdurch wird den durch die Gebäudehöhe verursachten längeren Flucht-, Rettungs- und Löschangriffszeiten Rechnung getragen (Fachkommission Bauaufsicht (MHHR), 2005). Das Bild 3 veranschaulicht die Hochhausgrenze sowie die Einsatzgrenzen der von der Feuerwehr verwendeten Leitern. Bild 3: Ab einer Höhe von 22 Metern (Boden des höchstgelegenen Aufenthaltsraumes) ist ein Gebäude ein Hochhaus. Ab dieser Höhe müssen entweder mindestens ein Sicherheitstreppenraum oder zwei Treppenräume vorhanden sein. Der Einsatz einer Drehleiter zur Menschenrettung ist ab dieser Höhe vom Baurecht nicht mehr vorgesehen. (Grafik: Grünwald/von Kaufmann) [zurück] Hochhäuser sind Gebäude, deren Tragwerk stets unter besonderer Berücksichtigung der Horizontallasten aus Wind und Erdbeben entworfen werden muss (Hegger, 1995). Somit unterscheiden sich Hochhäuser folglich von anderen Hochbauten dadurch, dass die Tragstruktur durch die Abtragung der Horizontallasten entscheidend beeinflusst wird. Regionale Besonderheiten können zu erheblichen Unterschieden bei den Anforderungen an den horizontalen Lastabtrag führen. Beispielsweise muss ein Hochhaus in Hongkong tropischen Wirbelstürmen widerstehen und daher für eine wesentlich höhere Windlast bemessen sein, als beispielsweise ein Gebäude in New York oder Frankfurt. [20]2.1 Entwurfsgesichtspunkte
Auch wenn der Entwurf eines Hochhauses nicht allein von statisch-konstruktiven Gesichtspunkten abhängt, so wird er doch durch die Wahl des Tragwerkes und des Baustoffes entscheidend beeinflusst. Einzelne Ausführungsalternativen lassen sich nach folgenden Kriterien objektiv bewerten: Wirtschaftlichkeit (Grundrissökonomie, Herstellung, Betrieb und Unterhaltung), Verknüpfung Architektur – Tragwerk – Haustechnik, [21]Bauzeit und Bauausführung, zukünftige Flexibilität in der Nutzung sowie Verfügbarkeit von Material und Erfahrung. Für den Tragwerksplaner stehen die folgenden Parameter bei der Planung und Gestaltung der Tragkonstruktion im Vordergrund: Horizontallasten (Wind), räumliche Steifigkeit und Stabilität (Lotabweichung, Schiefstellung, Schlankheit), Nutzungsart/Vertikallasten, Gründung, Brandschutz sowie Verfügbarkeit und Kosten der Grundbaustoffe. 2.2 Konstruktion von Hochhäusern
2.2.1 Stahlskelettbauweise
Die wohl noch heute gängigste Form im Hochhausbau ist die Stahlskelettbauweise. Der Stahlskelettbau ist eine um 1884 entwickelte Baukonstruktion, bei welcher das Tragwerk eines Bauwerks im Skelettbau mit Stahlträgern errichtet wird. Daraufhin werden die eigentlichen Wände und Decken aus Beton auf die stützende Stahlkonstruktion aufgetragen. Die Stahlskelettbauweise definiert sich in der Regel dadurch, dass das Haupttragwerk, d. h. die Stützen und die Riegel, aus Stahlprofilen besteht. Auf diese Weise ist durch die Verbindung mittels geschraubter Anschlüsse ein sehr schneller Baufortschritt möglich. Die Decken können sowohl als Betonfertigteile, Beton-Halbfertigteile oder Verbunddecken ausgeführt werden. Diese Bauweise wurde vor allem in den USA durch die ersten Hochhäuser sehr beliebt. Frühe Beispiele der Stahlskelettbauweise in Deutschland sind die Zeche Zollverein in Essen (1932, Fritz Schupp und Martin Kremmer) und das zwischen 1935 und 1937 durch Paul Hofer und Karl Johann Fischer errichtete Gebäude 7 der ehemaligen Reichszeugmeisterei München-Giesing auf dem Gelände der vormaligen McGraw-Kaserne der US-Streitkräfte. [22]2.2.2 Konstruktionen aus Beton
Unter dem Gesichtspunkt der Vermietung werden die Abmessungen der vertikalen Tragglieder minimiert, um so die vermietbare Fläche zu vergrößern. Hier haben Stahlkonstruktionen einen Vorteil gegenüber Stahlbeton- und Verbundkonstruktionen aus hochfestem Beton. Hochhäuser aus normalfestem Beton führen hingegen zu unwirtschaftlich großen Konstruktionsabmessungen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass grundsätzlich Stahlbeton- und Verbundkonstruktionen aus hochfestem Beton die wirtschaftlichsten Konstruktionsformen darstellen. In Deutschland hat sich bisher Stahlbeton als die wirtschaftlichste Bauweise erwiesen – insbesondere im...