E-Book, Deutsch, Band 21, 236 Seiten
Reihe: Nick
E-Book, Deutsch, Band 21, 236 Seiten
Reihe: Nick
ISBN: 978-3-86305-198-3
Verlag: Verlag Peter Hopf
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
ZWEI Ingenieur Flint kam hinter einer der Kranraupen hervor. Er war noch ein junger Mann, höchstens dreißig Jahre alt, groß gewachsen und von kräftiger, aber schlanker Statur. Sein kurzes Haar war pechschwarz, ebenso wie sein dünner Oberlippenbart. Professor Raskin hielt auf ihn große Stücke, jedenfalls was Flints fachliche Qualitäten anbelangte. Allerdings hielt er eine Strahlenpistole in der Hand. Er war es gewesen, der auf den Attentäter geschossen hatte. Nick war außer sich. »Ingenieur Flint!«, brüllte er ihn an, und die Schärfe seiner Stimme machte deutlich, wie aufgebracht er war. »Sind Sie von Sinnen? Warum haben Sie geschossen?« Dem Ingenieur schien erst jetzt bewusst zu werden, dass er einen fatalen Fehler begangen hatte. Seine Stimme stockte, als er seine Pistole dem Offizier reichte. Die Waffe war jetzt zu einem Beweismittel geworden und würde in der Untersuchung dieses Vorfalls gewiss benötigt werden. »Ich … ich dachte, der Kerl wollte einen Revolver aus der Tasche ziehen«, stammelte er schuldbewusst mit hängenden Schultern. »Sie Narr! Er wollte uns gerade erzählen, wer ihn zu dem Attentat beauftragt hatte!« Nur allmählich beruhigte sich Nick. Er hatte es immer als problematisch erachtet, wenn wissenschaftliche Mitarbeiter Waffen trugen. Deren Welt waren Diagramme, Experimente, Simulationen, Elektronengehirne und vieles mehr. Sicherheitsprobleme innerhalb des Versuchsgeländes zu bereinigen gehörte definitiv nicht dazu. Nun hatten sie einen Attentäter, der seine Hintermänner nicht mehr verraten konnte. Denn dass es welche gab, stand für Nick völlig außer Frage. Er ging hinüber zu dem Offizier, der die Leiche untersuchte. Der Energiestrahl hatte den Unglücklichen durch den Rücken genau ins Herz getroffen. Dort klaffte eine kleine, tiefe Wunde, aus der kein Blut austrat, die Hitze hatte das Fleisch fast versiegelt. Dafür war der Geruch, der davon ausging, umso abscheulicher. Der Gestank von weggebranntem menschlichem Gewebe mischte sich mit dem des geschmolzenen Overalls. »Er ist tot, Nick«, bestätigte der Offizier. «Er kann nichts mehr erzählen.« »Das ist schlimm.« Nick konnte seinen Blick nicht von Flint abwenden. Wie ein Häufchen Elend stand der ein wenig abseits. Offenbar machte er sich arge Vorwürfe – und das völlig zu Recht, wie Nick fand. In den nächsten Tagen würde er mit dem Ingenieur ein ernstes Wort wechseln und ihm raten, in Zukunft auf das Tragen einer Waffe zu verzichten. Es gab mehr als genug Polizei, die sich um die Sicherheit auf dem Gelände kümmerte. Da musste kein im Umgang mit Waffen ungeübter Ingenieur auf eigene Faust Sheriff spielen. Er wandte sich an den Offizier: »Versuchen Sie herauszubekommen, mit wem der Bursche in Verbindung stand! Wir müssen die Angelegenheit schnellstens aufklären!« Es musste doch herauszufinden sein, zu wem der Tote Kontakt hatte. Anrufe, Briefe, Geld, das ihm überwiesen wurde … irgendetwas. Vielleicht fand sich eine Spur unter seinen Habseligkeiten. Ein Hinweis, durch den man Licht ins Dunkel dieses Mordversuchs bringen konnte. Während der Offizier salutierte und dann wegtrat, war Nick vor allem eines klar: Jemand hatte ein Interesse daran, dass das Projekt R?3 nicht ausgeführt wurde. * In den darauffolgenden Monaten bemühte sich die Polizei vergeblich, den Fall aufzuklären. Nirgends fanden sich auch nur die geringsten Hinweise auf die Hintermänner des Attentats. Dass es welche gab war ohne Zweifel; der Techniker hatte keinen persönlichen Grund gehabt, Professor Raskin zu ermorden. Es musste mehr dahinterstecken. Der Tote blieb allen ein Rätsel. Peinlichst hatte er sich bemüht, keinerlei Anhaltspunkte auf seinen Auftraggeber zu hinterlassen. In seinem Nachlass fand sich nichts. Keine Briefe, auch keine Nachrichten oder anderweitige Dokumente, die Rückschlüsse zuließen. Die Telefonliste erwies sich ebenfalls als Fehlschlag. Er hatte während des letzten Jahres nur zwei Anrufe bekommen: dienstliche von seinem Vorgesetzten auf der Basis. Es hatte tatsächlich den Anschein, als habe er mit niemandem außerhalb des Testgeländes in Kontakt gestanden, und selbst dort hatte er sich als Einzelgänger gegeben. Nie war er aufgefallen, weder positiv noch negativ. Einer, der souverän die ihm aufgetragene Arbeit erfüllt hatte, ohne sich von der Masse abzuheben. Dadurch hatte er sich ein gewisses Maß an Unsichtbarkeit erworben. Niemand hätte ihn verdächtigt. Sein Bankkonto war ähnlich aussagelos. Darauf fanden sich keinerlei ungewöhnliche Bewegungen. Es stand außer Frage, dass sein Auftraggeber ihn für seine Dienste bezahlt hatte; hinter dem feigen Anschlag verbargen sich offenbar keine ideologischen Gründe. Das Geld – oder womit auch immer er entlohnt worden war – musste woanders sein: vielleicht sogar bar in irgendeinem Bankschließfach unter falschem Namen, was nun wohl für immer unangetastet bleiben würde. All diese umfangreichen Vorsichtsmaßnahmen ließen nur einen Schluss zu: Der Attentäter war sich über das Risiko seines Tuns durchaus im Klaren gewesen und hatte deshalb vorgesorgt. Außer dem Getöteten schien es keine anderen Spione auf dem Versuchsgelände gegeben zu haben. Ohne dass es zu Zwischenfällen kam, schritten die Arbeiten an der R?3 zügig voran. Weder kam es zu Sabotageakten noch zu weiteren Anschlägen auf Professor Raskin. Die R?3 wurde riesig, vorwiegend wegen der neu entwickelten Triebwerke. Deshalb hatte man sich entschieden, sie nicht auf der Erde zusammenzubauen, sondern gleich im Weltraum: an einer Station, die die Erde in einer Entfernung von zweitausend Kilometern umkreiste. Dies hatte zwar zahlreiche Versorgungsflüge bedeutet, um die Geräte, die Materialien und den Treibstoff dorthin zu transportieren, dafür würde die R?3 aber auch nicht das Gravitationsfeld überwinden müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Komplikationen kam, war minimal. Professor Raskin ging davon aus, dass alles reibungslos funktionieren würde. Er und seine Mitarbeiter hatten bei der Konstruktion und der Montage äußerste Sorgfalt walten lassen. Dennoch: Die R?3 war und blieb ein Prototyp. Das konnte Unwägbarkeiten bedeuten, die niemand zuvor in Betracht gezogen hatte, denn zwischen Theorie und Praxis klaffte erfahrungsgemäß eine Lücke. Besser also, man vermied jedes unnötige Risiko, bis die R?3 unter Beweis gestellt hatte, was in ihr steckte. Bald schon würde sie dazu Gelegenheit haben. Der erste Testflug stand unmittelbar bevor. * Die Rakete, die vom Versuchsgelände in Nevada gestartet war, vibrierte. Ständig wurde sie von neuen Erschütterungen gepackt und durchgeschüttelt. Ein stetes Donnern im Heck verriet, dass das Triebwerk auf Hochtouren arbeitete. Ein sonnengreller Feuerstrahl schoss daraus hervor – und war nicht minder heiß. Fast schien es, als würde das Raumschiff von flammenförmigen Feuerwesen vorangeschoben, ähnlich einem altertümlichen Rammbock. Hatte man einst mit einem Rammbock versucht, ein Tor zu durchstoßen, so galt es nun, durch die Atmosphäre zu gelangen. Sie wehrte sich dagegen. Die Gravitation wollte die Rakete nicht ziehen lassen. Die Reibungshitze ließ ihre silbern schillernde Außenhülle rot aufglühen. Immer höher, immer schneller strebte die Rakete der Weltraumschwärze entgegen. Nick und der Minister für Weltsicherheit waren unterwegs zur Außenstation, an der die R?3 zusammengebaut worden und nun angedockt war. Von dort aus würden sie Zeugen ihres ersten Testflugs sein. Professor Raskin hielt sich dort schon seit Wochen auf, er hatte ihren Bau geleitet und überwacht. Nichts durfte schiefgehen. Zu viel hing davon ab. Die beiden Männer sahen, wie erst das Versuchsgelände hinter ihnen kleiner und kleiner wurde, um schließlich gar nicht mehr erkennbar zu sein. Dann sahen sie nur noch das verwaschene Braun der Wüste, unterbrochen von sporadischem Grünschimmer und Wolkenfetzen. Und schließlich verfolgten sie, wie die Erde rasch zurückblieb. Bald schon schälten sich die Umrisse des nordamerikanischen Teilkontinents heraus, gefolgt von den anderen größeren Erdmassen. Aus dieser Höhe wirkten sie klein und verloren. Wie winzige Inseln schwammen sie inmitten der Ozeane. »Ich bin schon oft im Raum gewesen.« Die Stimme des Ministers klang tonlos, fast andächtig. Wie gebannt starrte er durch eines der Fenster. »Aber der Anblick der Erde aus dieser Entfernung überwältigt mich immer wieder aufs Neue.« Nick, der im Pilotensessel über das Steuer des Kreuzers wachte, wechselte mit dem Minister einen kurzen, bedeutungsvollen Blick. Ihm erging es kaum anders, obwohl er deutlich mehr Flüge absolviert hatte. Auch er fühlte er sich klein und nichtig angesichts der schieren Unendlichkeit. Die Erde war tatsächlich kaum mehr als das oft zitierte Sandkorn, die Belange des Einzelnen wurden zurückgedrängt vom großen Ganzen. Trotz eines nur winzigen Blicks auf das Universum begann man hier draußen einen Eindruck von den Ausmaßen der Schöpfung zu gewinnen und – fühlte sich ihr doch nirgends näher als hier. Kaum hatte der Kreuzer die Atmosphäre hinter sich gelassen, betätigte Nick das Funkgerät: »Achtung, Station! Wir schwenken in die Kreisbahn!« Und an den Minister neben sich gewandt: »Da ist die Station. Und die R?3.« Nick deutete auf den Monitor, vor dem der Minister saß und das All beobachtete. Umgeben von der Weltraumschwärze, vor der Scheibe des vollen Mondes, tauchte auch schon ihr Ziel auf. Die Außenstation war gewaltig. Von einer zylindrischen, an ihren Enden spitz zulaufenden Röhre, dem Basiselement, zweigten in der...