Kasper | Kinder, die im Dunkeln spielen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 268 Seiten

Kasper Kinder, die im Dunkeln spielen

Unheimliche Geschichten

E-Book, Deutsch, 268 Seiten

ISBN: 978-3-7497-2689-9
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wer sich den Glauben an Märchen bewahrt, bleibt vielleicht bei Verstand - denn die Kindheit ist voller Zauber und Schecken. Sieben unheimliche Geschichten für Erwachsene - durch Kinderaugen erzählt. Der kleine Mikey klettert in die Böschung und kehrt nicht zurück. Die Zaubershow an Steffis Kindergeburtstag beschert ein böses Erwachen. Die kleine Isabelle kämpft am Strand um ihre Babypuppe - mit dem Klabautermann. Ein Bauwagen tief im Wald wird für Hannes und seine Bande zur blutigen Falle. Ein Hallenbadbesuch zu später Stunde bringt Ben fast um den Verstand. Der gepeinigte Henri findet ein Stück Blech in der Wildnis, das ihn seltsam widerspiegelt. Die kleine Fabienne ist sich sicher: Das neue Mädchen in der Nachbarschaft ist ein Roboter. Leserstimmen: »Unheimlich, unvorhersehbar und wirklich gut erzählt.« »Stilistisch anspruchsvoll.« »Mobbing und Missbrauch werden thematisiert: zu real für den Eskapismus des Horror-Genres.«

Subtiler Horror durch Kinderaugen. Daniel Kasper schreibt Horror für Erwachsene, aus der Perspektive von Kindern. Die dunklen Fichtenwälder seiner Kind- und Jugendzeit werden dabei zur Landschaft des Fürchtens in vielen seiner Geschichten. Zauber und Schrecken der Kindheit sowie das Ringen mit eigenen Dämonen sind seine Themen. Nach dem Kamera/Design-Studium in Dortmund schrieb er einige Jahre für eine Zeitung. Seine Kurzgeschichte »Vom Dunkelkind« wurde ins Lehrprogramm Deutschlands größter Autorenschule aufgenommen. Mit seinen drei Kindern lebt er in Dortmund.
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DIE GLEISHEXE Die Böschung fraß Fußbälle. Doch als Mikey nicht zurückkam, dachte Dennis, dass sie nun auch Kinder fraß. War wohl auf den Geschmack gekommen von den Wunden, die sie ihnen gestochen und gepeitscht hatte, wenn sie versucht hatten, die Bälle wieder raufzuholen. Oder die Gleishexe hatte ihn erwischt. »Wenn sie dich kriegt, verhext sie dich«, hatte Dennis ihm noch zugeraunt. Das bereute er jetzt, und er hörte seine Mutter im Kopf: Pass auf Mikey auf, Dennis, du bist der Große! Jedoch machte es Spaß, ihn zu erschrecken: Mikey glaubte fest, dass Roswita Hess eine Hexe sei. Dennis rief in die Böschung hinab, aber nur das Warngeläut vom Bahnübergang drang zu ihm hoch. Im Geist sah er, wie die Hess aus ihrem Häuschen zu den Kurbeln hinkte und mit dicken Armen gleichzeitig beide Schrankenbäume herunterkurbelte. Der Speck an den Oberarmen zappelte, der Pferdeschwanz wippte. Sie sah wie ein Elefant aus, der versuchte, ein Mädchen zu sein. Dennis musste grinsen, obwohl ihm eher nicht danach war. Wenigstens hatte er Mikey sein Klappmesser zugesteckt. Mike war neun, und er hatte darauf bestanden, selbst zu gehen: »Mein Schuss, mein Ball, also meine Aufgabe.« Er hatte auf den Ball gespart, einen echten aus Leder: Etwas Besseres als diese 99-Pfennig-Gummiteile, mit denen sie sonst kickten. Sein Schuss war abgegangen, doch dann hatten sie nicht Wow!, sondern Scheiße! gerufen, als der Ball über den Zaun hinausgeflogen war. Die Böschung war wieder hungrig gewesen. Jetzt grummelte es in der Tiefe wie Magenknurren. Hoffentlich hielt Mikey sich versteckt: Es war gefährlich, dort unten zu klettern und absolut verboten. Im Moment befand sich die Hexe auf ihrem Posten, aber manchmal blieb die Strecke stundenlang leer. Dann patrouillierte sie am Grund der Böschung und gaffte hoch. Als Dennis einmal hinabgestiegen war, hatte sie plötzlich in den Gleisen gestanden und ihn angebrüllt. »Raus da, Junge, oder ich mach dir Beine!« Dennis, der sich in der Höhe sicher gefühlt hatte, hatte dankend abgelehnt, sie könne sich die Mühe sparen, er besitze bereits welche. Ihre Augen waren ganz groß geworden. »Ich werd’ sie dir verdrehen, Junge!«, hatte sie geknurrt und dann einen Schwall derart schlimmer Wörter zu ihm hochgespien, dass ihm vor Schreck der Ball entglitten war. Der Ball war hinabgesprungen, im Weißdorn verschwunden und in den Graben neben den Gleisen gekullert. Dennis hatte damals gedacht: So was sagen Erwachsene doch nicht, nicht so laut, nicht zu Kindern! Manche dieser Wörter kannte er nicht mal, doch sie fühlten sich an wie Ohrfeigen, wie Tritte; sie trafen ins Mark. Er war rotgeworden, und als er beim Aufstieg ausgerutscht war, hatte die Hexe über ihn gelacht. Ja, es stimmte: Es war gefährlich dort unten, man konnte verletzt werden. Der Warnpfiff gellte durch den Tunnel. Gewiss hockte Mikey jetzt irgendwo im Dickicht, und gleich würden Waggons und Container ganz nah an ihm vorbeidonnern. Wenigstens die Angst vor der Hexe hätte er ihm nehmen können, hätte es versuchen sollen, hätte sagen können: »Mike, wir meinen Hexe nicht so, sondern wie Miststück oder Schlampe oder Fotze – nein, das nicht! Nicht zu ihm, der noch ans Christkind glaubte. Dennis stieg in die Böschung. Über Wurzeln und Äste kletterte er abwärts, glitt im Laub auf eine Klippe zu und sprang in die Arme eines Haselnussstrauchs, der dort, wo er aus dem Abhang wuchs, eine Stufe bildete. Die Haselruten ragten wie Speere ins Blätterdach. Bis hierher war der Abstieg Routine. Zu beiden Seiten führten weitere Haselstrauchstufen hinab, doch nicht alle waren leicht zu erreichen, und dazwischen gähnte der Abgrund. Unten konnte Dennis den Güterzug sehen, der donnernd in die Wälder kroch. Wieder hörte er seine Mutter: Pass auf Mikey auf, du bist der Große! Nur dass sie das schon gesagt hatte, als er selbst erst neun oder acht oder sieben gewesen war. Die Zeit, als er hatte an Märchen glauben dürfen, war kurz gewesen. Sobald der Donner verebbte, rasselten die Automotoren auf der gegenüberliegenden Straße. Roswitas Speckarme schlackerten wieder. Diesmal gelang Dennis kein Grinsen: Er spürte Steine in den Schuhen, schwitzte und Mücken bejagten ihn – und wo steckte Mikey? Dennis überwand einen Felsvorsprung. Wenn die Böschung ein Wesen war, das Fußbälle und Kinder fraß, dann befand er sich jetzt in dessen Magen. Es roch nach Erde und feuchtem Laub. Überall flitzten Spinnen herum. Generationen von Bällen steckten im Dornengestrüpp, vergilbt und schrumpelig wie halbverdaute Früchte. Mikeys Lederball war wahrscheinlich bis ganz nach unten gerollt, weil er so schwer war. Auf einmal erschienen Dennis die Bälle wie Köpfe, mit Augen, die ihn anstarrten. Einer hatte einen Mund, der aufging, als aus dem Schnitt im Gummi ein großer Käfer schlüpfte. Dennis spürte, dass Ungeziefer den Weg in sein Hosenbein gefunden hatte – Ameisen und Spinnen und was sonst noch aus dem Boden kroch; er wollte lieber nicht nachsehen. Es war keine gute Idee, länger auf einem Fleck zu stehen, wenn dieser Fleck nach ihm zu greifen begann. Also suchte er Griffe im Wurzelgeflecht und kletterte weiter. Da riss ein Wurzelstrang, und er rauschte die letzten Meter hinab in hohen Farn. Sofort rappelte er sich auf und spähte nach links, wo in hundert Metern das backsteinerne Wärterhäuschen hockte. Die Schranken ragten rotweißgeringelt vor dem Tunnel auf. Ein Auto kam aus den Wäldern herab, überquerte die Schienen und verschwand. In dem Graben neben den Gleisen verdorrten noch mehr Bälle, doch der Lederball war nicht darunter. Und keine Spur von Mikey. Einen anderen Aufstieg gab es nicht. Mikey könnte jedoch dem Graben zur Straße gefolgt sein, ohne dass die Hexe ihn entdeckt hatte … Oder vielleicht hatte sie ihn entdeckt und einfach nach Hause gescheucht: Mikey war ein lieber Kerl, jeder mochte ihn – ey, er glaubte ans Christkind! Auf einmal überkam Dennis die Furcht, die Hess könnte seinen Bruder mit ihren schlimmen Wörtern verletzt haben. Wenn sie das getan hatte, würde sie es bereuen: Dennis war nicht so lieb, und er konnte stark sein. Er wusste, wie es sich anfühlt, einem Vögelchen den Hals umzudrehen. Er hatte es für Mikey getan. Der war damals in der Scheune zu dem Nest hinaufgeklettert, weil er hineinschauen wollte. Dennis hatte es verboten, aber Mikey hörte nicht. Als er fast oben war, schoss die Vogelmutter davon und stieß dabei ein Küken hinaus. Es tastete blind am Boden umher; sein Bäuchlein war aufgeplatzt. Mikey stand nur dabei und stammelte: »Dennis, tu doch was.« Da hatte er es getan, hatte den kleinen zuckenden Kopf genommen … Wenn es sein musste, konnte er stark sein. Roswita Hess würde es bereuen. Im Schatten der Böschung pirschte er auf ihr Häuschen zu. Efeu griff nach der Fassade; gelbe Spitzengardinen hingen in schmutzigen Fenstern. Der Tunnel stand wie ein schwarzer Mond über dem Bahnübergang. Als er näherkam, bemerkte Dennis, dass mit dem Efeu etwas nicht stimmte: Wie erstarrter Nebel überzogen Spinnweben die Pflanzen. Hunderte Raupen krochen darin, spannen Fäden, hingen in pulsierenden Trauben an den Blättern. Die Raupenweben dicht am Körper, zwängte er sich an der Rückwand des Häuschens vorbei, schlich dann zum Straßenrand und tat, als sei er von dort hergekommen. Nahe den Gleisen ragten die beiden rostigeisernen Kurbelböcke aus dem hohen Gras, die unterirdisch mit den Schranken gekoppelt waren. Wie schon, als er noch kleiner war, sahen sie für Dennis wie einarmige Roboterkinder aus. Über den Schotterweg ging er an ihnen vorbei auf das Häuschen zu. Er trat bedacht auf; die Vorsicht vor der Gleishexe lag ihm im Blut wie allen Kindern. Vor dem Treppenabsatz verharrte er. Die Gardine im Türfenster hing voller toter Fliegen. Eine schmerzhafte Verzweiflung erfasste ihn plötzlich. Ich hätte dich nicht gehen lassen dürfen, Mike, dachte er. Er stieg auf die Stufe hinauf, klopfte zweimal und wich auf den Schotter zurück. Sofort rumpelte es in dem Häuschen. Die Gardine erzitterte mitsamt den Fliegenperlen darin, dann ging die Tür auf. Roswita Hess’ Gesicht wirkte überraschend jung über der Ansammlung von Kinnen. Eine Bluse mit Leopardentupfen hielt Brüste und Bauch im Zaum, Flecke schimmerten auf den drallen Armen. Die Ringe an ihren Fingern waren vom Fleisch verschlungen, sodass nur die Schmucksteine hervorschauten. Sie trug kurze Hosen, und Dennis ermahnte sich, beim Anblick der von Äderchen marmorierten Beine nicht das Gesicht zu verziehen. »Was willste«, blaffte sie. Aus dem Raum quoll ein Gestank von Zigaretten,...


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