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Karlweis / Sonnleitner Der Zauberlehrling

Novellen

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ISBN: 978-3-903244-17-7
Verlag: DVB Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



NACH HUNDERT JAHREN IN VERGESSENHEIT

ist ein fulminantes literarisches Debüt aus dem Jahr 1912 nun endlich wieder zu entdecken. Die titelgebende Novelle Der Zauberlehrling spielt im goldenen Wien der Jahrhundertwende und porträtiert in bunter Farbenpracht das Leben der jungen Künstlerbohème zwischen Burgtheater und Café Central. Eines heißen Sommernachmittags verführt der rastlose Dichter Georg Hübner die schöne, lebenshungrige Katharina. Doch auch ihre 17-jährige Schwester Elisabeth hat es dem zornigen jungen Mann angetan. Schnell entspinnt sich eine leidenschaftliche und zerstörerische Dreiecksgeschichte. Die verheerenden Konsequenzen daraus müssen zum Schluss alle drei tragen...

Mit ihren in diesem Band erstmals versammelten Erzählungen schreibt Marta Karlweis (1889–1965) sich ein in die große Riege österreichischer AutorInnen von Weltrang. Ihr psychologisches Gespür für gesellschaftliche Abgründe und feinste seelische Regungen lässt ihr literarisches Werk ohne Weiteres neben dem eines Stefan Zweig oder eines Arthur Schnitzler bestehen.

„Marta Karlweis schreibt ohne Weichzeichner, manchmal distanziert, fast spöttisch, dann wieder mit großer Nähe zu ihren Figuren“

– Bettina Eibel-Steiner, DIE PRESSE

"Am gründlichsten vergessen werden in der Literaturgeschichte jene Frauen, deren Werke der Nationalsozialismus zunichtemachte. So ein eklatanter Fall ist auch Marta Karlweis (1889-1965)"

– Franz Haas, DER STANDARD
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Weitere Infos & Material


Drei neu wiederentdeckte Novellen von Marta Karlweis:

1. Der Zauberlehrling (1912)
2. Die Uhr auf dem Fenstersims (1925)
3. Geschichte einer kärntnerischen Baronin (1935)


1.
Die heiße Stadt hauchte ihren schwülen, beklemmenden Atem durch das offene Fenster in die Mansarde und erfüllte den niedrigen Raum mit einem quälenden Geruch von Menschen, Staub und erhitztem Asphalt. Georg lehnte an der wackeligen Kommode, die Hände in die Taschen seiner gelben Leinenhose vergraben, und sah zu, wie Katharina vor dem halbblinden Spiegel etwas völlig Überflüssiges tat. Sie brachte an ihrer zierlichen Person allerlei in Ordnung, was gar nicht in Unordnung geraten war. Weiß, schlank und nett stand sie da, lockerte mit vorsichtigen Fingerspitzen die leichten Scheitelwellen ihres roten Haares, tastete prüfend über die feine Krause am Halsausschnitt, zupfte an der Bluse und strich glättend über den Rock. Schließlich wandte sie die gleiche ernsthafte Aufmerksamkeit dem Florentinerhute zu, der neben ihr auf dem Sessel gelegen. Sie hob den Hut, um ihn aufzusetzen, und warf einen huschenden Blick in den Spiegel. Da erschrak sie. Georgs Gesicht sah ihr aus dem Spiegel entgegen. Die hellen Augen lauerten zornig unter den buschigen blonden Augenbrauen hervor, und um den weichen, sinnlichen Mund unter dem hängenden Schnurrbart schlich ein weher Hohn, der auf rätselhafte Weise überall in diesem Gesicht vorhanden und dennoch unauffindbar schien. Katharinens Blick blieb einen Augenblick an der auffallend mächtigen Stirne haften, die merkwürdig weiß aus dem Spiegel leuchtete. Zögernd legte Katharina den Hut wieder fort und fragte unsicher über die Achsel weg: „Was schaust du so?“ Georg drückte die Augen ein wenig zusammen und antwortete langsam, als wäre ihm jedes Wort ein Genuß. „Junge Dame, ich sehe mit Vergnügen, daß Sie heute nichts anhaben.“ Blitzschnell drehte sie sich um. „Was?!“ „Ich meine, um den Hals.“ Ja so!“ Sie sah ihm mit ihren gescheiten grauen Augen von unten her ins Gesicht und verzog den Mund, als müßte sie gewaltsam ein Lachen verschlucken. Georg sah sie belustigt an. „Wurstl!“, sagte er, mit einem raschen Schritt zu ihr hin, nahm sie um die Schultern und küßte sie. „Wurstl, du!“ Gleich war alle Heiterkeit aus ihrem Gesicht verschwunden. Sie sah aus wie ein erschrecktes Kind. Er ließ sie los, strich mit beiden Händen das feuchte Haar aus der Stirn und warf sich auf sein Bett. Sie blieb hilflos mitten im Zimmer stehen. Er fing an zu pfeifen. Sie erwachte wie aus einem beklemmenden Traum, machte Ordnung in ihrer verstörten Miene und sagte: „Du sollst mich nicht Wurstl nennen!“ „Warum nicht?“ „Vielleicht hast du’s gar nicht notwendig!“ Ihr Ton klang eigensinnig. „Ich weiß ja noch nicht, ob du nicht selber einer bist...“ Georg richtete sich auf. „Komm’ einmal da her, Katharina!“ Sie rührte sich nicht. Georg sah, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg. Plötzlich begriff er. Lachend stand er auf, nahm die geblümte Kattundecke vom Tisch und legte sie über das offene Bett. Jetzt ist es ein Sofa“, spottete er, „ein anderes hab’ ich nicht. Wollen Sie hier Platz nehmen, Fräulein Katharina?“ Sie kam. Er streifte sie mit einem lauernden, unter den Lidern verborgenen Blick. „So, Kind, jetzt können wir gemütlich plaudern. Sag’ einmal -“, er beugte sich vor, um ihr ins Gesicht zu sehen, „warum horchst du mich immer so ängstlich aus?“ Er machte wieder eine Pause; dann vorsichtig, jede Silbe abwägend: „Witterst du irgend etwas in mir, was dich - quält?“ Da sie regungslos sitzen blieb, nahm er sie in seine Arme. Sie überließ sich mit geschlossenen Augen seinen Küssen. Er lachte über ihren wehen Mund und küßte sie wieder. Aber ihm wurde nicht wohl bei diesem Lachen. „Richtig!“, fing er wieder an. „Du bist heute zum erstenmal bei mir, und ich habe dich eigentlich noch gar nie gefragt: hast du mich lieb?“ Er bohrte seinen sonderbar zornigen Blick in ihr armes trauriges Gesicht und wartete. Sie schwieg. Er wartete noch immer. Aber als er fühlte, daß ein trockenes Schluchzen sie schüttelte, gab er sie frei und sagte gelassen: „Na, das macht nichts.“ Sie murmelte: „Ich bin doch hier bei dir!“ „Und -?“ „Also für so eine hältst du mich?“ Sie fing an zu weinen. Georg wurde ärgerlich. „Aber Kind, du bist doch da! Und erklärst: du hast mich nicht lieb! Das sind zwei einfache Tatsachen und weiter nichts. Ich konstatiere sie, und du wirst auf einmal sentimental. Du bist doch sonst so gescheit.“ „Ich weiß nicht“, murmelte sie gereizt, „ich traue dir nicht. Ob du wirklich alles so einfach und natürlich siehst -? Du bist immer im Hinterhalt - ich weiß ja nicht“, wiederholte sie gequält, „ich weiß ja nichts!“ Georg lachte wieder. „Wie feig du bist! Wie du das Terrain rekognoszierst! Das ist verächtlich, liebe Katharina - nicht, daß du da bist.“ Und mit einem Ruck zwang er sie wieder in seine Arme. „Aber einen wundervollen Mund hast du doch.“ Sie wehrte sich, stemmte die Arme gegen seine Brust und bog den Kopf weit zurück, keuchend vor Erbitterung. Aber auf einmal ließ ihr ganzer Körper nach, und Mund an Mund flüsterte sie heiß und gepreßt: „Ich hab’ dich lieb - ich hab’ dich ja lieb -“ Georg riß sie mit sich nieder auf die Polster, und ihre Küsse verbissen sich wütend ineinander. Doch plötzlich wand sich Katharina schreiend aus seinen Armen und stieß ihn mit aller Kraft von sich fort. „Georg! Um Gottes Willen - ich fürchte mich so entsetzlich vor dir.“ „Ach was! Gib deinen Mund her, deinen süßen Mund!“ Katharina entwand sich ihm und glitt zu Boden. „Georg“, flehte sie, „sei ruhig, sei gut, Georg!“ Er richtete sich auf und haschte ihre Handgelenke. Gefangen kniete sie vor ihm. „Sei ruhig, sei gut!“, höhnte er. „Bist du zu mir gekommen, um mit mir zu plauschen wie zu Haus beim Kaffee? Warum lügst du so? Warum? Warum? Warum?“ Und bei jedem „Warum?“ rüttelte er sie wie eine leblose Masse. Sie sank in sich zusammen, als wollte sie sich auslöschen wie ein sinnloses Wort, und fing bitterlich zu weinen an. Georg fuhr sich durch die Haare. „Katharina! Bist du wirklich so kindisch? Oder spielst du dir und mir eine Komödie vor?“ Sie hob den Kopf und sah ihm gerade ins Gesicht. „Ich weiß nicht. Ich weiß gar nichts von mir. Wüßt’ ich etwas, dann wär’ ich wahrscheinlich nicht hier bei dir.“ Georg wollte antworten, aber sie wehrte mit einer Gebärde ab, die er noch nie an ihr bemerkt hatte. Sie sah wundervoll beredt aus in dieser halb knieenden abweisenden Stellung. Und während er sie betrachtete, erkannte und begriff er plötzlich etwas bisher Unbekanntes und Unverständliches in ihr. „Bitte: sag’ nichts!“, bat sie mit einer ungewohnten, tragenden Stimme. „Ich weiß ganz gut, daß es nicht die Angst vor Tanten und Sittenrichtern ist, die mich quält. Und doch hab’ ich Angst. Das steckt in mir. Die Leute werden schon wissen, warum sie das erlauben und das verbieten. Irgend etwas predigt in mir: Halte dich an - du wirst nichts davon haben, wenn du losläßt - du wirst einfach fallen! Und deshalb glaub’ ich’s auch von den andern so schwer, daß sie wirklich auslassen dürfen, und daß sie dann nicht fallen, sondern schweben. Das halt’ ich aber nicht aus. Irgend einen Stärkeren muß es doch geben, sonst ist es ja nicht der Mühe wert zu leben! Dann lach’ ich wieder über mich und überschrei’ mich und... na ja, und lauf zu einem fremden Mann wieder kamen Tränen in ihre Stimme, „und dann übermannt mich wieder dieses gräßliche innere Mißtrauen. Mein Lachen, und wie ich mich benehme, alles kommt nur daher, nur von dieser Sucht, mich in irgend etwas Festes, Geordnetes zu retten, nur von dieser Angst, die mir im Blut sitzt, gegen die ich mich wütend wehre und die mich immer wieder unterkriegt. Nicht die andern tun’s. Und von Anfang an, gleich wie dich der Seydler auf dem Dampfer zwischen Strobl und Gilgen vorgestellt hat - gleich hat es mich zu dir gerissen... vielleicht weil ich gehofft habe: du wirst diese Angst unterkriegen, sie vernichten. Du hast anders ausgesehen als alle, die ich bis dahin gekannt habe. Aber ich werde immer wieder unsicher. Warum? Ich weiß nicht. Und im letzten Augenblick mach’ ich mir eben wieder eine Waffe daraus.“ Sie versank wieder in sich und starrte gerade vor sich hin. Die Luft im Zimmer wurde unerträglich schwül und schwer. Das Atmen war eine Mühe, die die Haut feucht machte. Georg stand auf und ging zum Fenster. Kein Hauch rührte sich da draußen. Von allen Ausdünstungen der heißen Stadt verdorben, stand die Luft regungslos über den Gassen. Es entstand eine schwere Pause. In diese dumpfe Leere hinein fragte Katharina: „Wo hinaus soll das alles? Was soll ich tun?“ Georg drehte sich um. Irgend etwas lag wie Blei auf seinen Nerven. Träge warf er die Antwort hin: „Geh zum Theater!“ Sie fuhr herum, und ihre Augen wurden weit, gierig und erschrocken zugleich. Und er, von ihrer Aufregung angesteckt, wurde lebhafter und fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen. „Es ist wirklich mein vollster Ernst.“ Er belebte sich an seiner eigenen Idee. „Du hast eine merkwürdig bildsame Seele. Was tagsüber an dir vorüberzieht, bleibt getreu in ihr verwahrt. Du bist voll von aufgesogenen Bildern und Klängen, die du irgend einmal loswerden mußt, weil du sonst daran erstickst. Nur um dich zu befreien, spielst du soviel Komödie! Weil du aber eigentlich ein ehrliches Wesen hast, quält dich das wieder.“ Er ging auf sie zu und faßte ihren Kopf mit beiden Händen. „Du unberatenes Kind! Hat dir denn noch keiner gesagt, daß du für die Bühne geboren bist?“ Sie sah ihn...


Karlweis, Marta
Die Tochter des Wiener Vorstadtdramatikers und Erzählers Carl Karlweis, Frau des Erfolgsschriftstellers Jakob Wassermann und Mutter des ehemals bekannten Journalisten Charles Wassermann, besuchte wie Maria Lazar die Schwarzwaldschule in Wien. Nach der Geburt zweier Töchter aus erster Ehe mit einem böhmischen Industriellen debütierte sie 1912 mit ihrer fulminanten Künstlernovelle "Der Zauberlehrling". 1929 gelang ihr endgültig der schriftstellerische Durchbruch mit ihrem Roman "Ein österreichischer Don Juan", der auch in Amerika groß herauskam und mitunter begeistert besprochen wurde. 1934 emigrierte sie in die Schweiz, wo sie u. a. mit Thomas Mann und C. G. Jung verkehrte. Nach dem Anschluss Österreichs ging sie 1939 ins Exil nach Kanada, wo sie einen Lehrauftrag an der Mc-Gill Universität in Montreal übernahm. 1965 starb Marta Karlweis auf einer Besuchsreise in der Schweiz. Ihr schriftstellerisches Werk geriet schon vor 1945 völlig in Vergessenheit. Der Verlag Das vergessene Buch entdeckt es seit 2016 sukzessive wieder.

Sonnleitner, Johann
Johann Sonnleitner, Jg. 1958, ist ao. Prof. für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Wien. Als anerkannter Experte für die Literatur der österreichischen Zwischenkriegszeit hat er zahlreiche Aufsätze publiziert und Editionen herausgegeben, darunter sämtliche bislang wiederentdeckten Werke der zu Unrecht vergessenen Schriftstellerinnen Maria Lazar und Marta Karlweis im Verlag Das vergessene Buch.


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