Kamphuis | Entpolarisiert euch! | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Kamphuis Entpolarisiert euch!

Mit Philosophie gegen die Spaltung der Gesellschaft
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8412-3771-2
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Mit Philosophie gegen die Spaltung der Gesellschaft

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-8412-3771-2
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit Philosophie Mauern einreißen.

Kennen Sie Menschen, die immer recht haben wollen? Oder die endlosen Diskussionen, bei denen jeder nur auf seinem Standpunkt beharrt? Kommt es Ihnen seltsam vor, dass es für jedes Problem nur eine 'richtige' Lösung geben soll?

Lammert Kamphuis, einer der bekanntesten Philosophen der Niederlande, hält dagegen. Sein Buch ist Analyse und Werkzeug zugleich: eine längst fällige Einladung, unsere Denkgewohnheiten zu hinterfragen und geistige Flexibilität zurückzugewinnen, um wieder richtig miteinander ins Gespräch zu kommen. 

Ein philosophischer Kompass, der nicht nur klüger macht, sondern auch mutiger. 



Lammert Kamphuis, geboren 1983, studierte Philosophie und Theologie. Er ist Autor zahlreicher Bücher und ein gefragter Referent im Wirtschafts- und Bildungsbereich. Außerdem lehrt er an der Schule des Lebens in Amsterdam. Mit seinem Buch 'Kleine Schule des Lebens', das 2020 bei Aufbau erschien, wurde er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Heute gilt er in den Niederlanden als 'einer der inspirierendsten Redner des Augenblicks' (Nouveau). Bärbel Jänicke ist Übersetzerin aus dem Niederländischen. Sie studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Archäologie in Frankfurt am Main und Saarbrücken und lebt in Berlin.
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3Woher kommt dieser neue Dogmatismus?


Wir leben in der Postmoderne, in der alles möglich und praktisch alles ungewiss ist.

– Václav Havel

Einen einsamen Ertrinkenden in aufgewühlter See verlangt es nur nach einem: einem festen Untergrund. Einer Boje, einem Floß oder einem Rettungsboot. Unsicherheit und Kontrollverlust bringen einen Menschen dazu, sich nach Sicherheit zu sehnen. Sich krampfhaft an die Richtigkeit seiner eigenen Überzeugungen zu klammern, ist ein Copingmechanismus in flüchtigen Zeiten. Es ist nicht erstaunlich, dass gerade heute der Dogmatismus wieder an Terrain gewinnt. In einem unruhigen Ozean voller Unsicherheiten hinsichtlich von Sinngebung, Geopolitik und Identität sind wir alle auf uns selbst zurückgeworfen.

Lassen Sie mich in einer äußerst kurzen philosophischen Geschichte skizzieren, wie sehr wir in den letzten Jahrhunderten an Sicherheit verloren haben. Im Mittelalter verschaffte der Glaube an Gott uns festen Boden unter den Füßen. Er gab dem Leben einen Sinn, sorgte für ein Zusammengehörigkeitsgefühl und war ein klarer Kompass. Ob es nun um Liebe, Politik oder Wirtschaft ging – die Religion bildete den Ausgangspunkt. Doch Ende des Mittelalters wurde dieses Fundament brüchig, unter anderem durch wissenschaftliche Entdeckungen, die das Vertrauen in die Bibel untergruben. Gott verschwand allmählich als Grundlage, jedoch ohne dass etwas Neues an seine Stelle trat.

Die Moderne zeichnet sich durch ein unerschütterliches Vertrauen in das Denken des Menschen aus. Mit seinem »Ich denke, also bin ich« setzte Descartes den Ton für eine Kultur, in der das denkende Individuum den Mittelpunkt bildete. Diese Hinwendung zur Vernunft war im Westen ein Katalysator für eine gewaltige wissenschaftliche Revolution. Überdies bestand die Hoffnung, dass unsere universelle Ratio die Menschheit zusammenführen würde. Überall auf der Welt gilt 2+2 = 4. Würden wir unsere Vernunft auch als Quelle für die Kunst zu leben nutzen, würden wir überall auf der Welt zu den gleichen moralischen Prinzipien gelangen. Europa pulsierte vor Hoffnung. Zum ewigen Frieden lautet der Titel eines Buches des deutschen Aufklärungsphilosophen Immanuel Kant. Beethoven ließ seinen Chor: »Alle Menschen werden Brüder« jubilieren.

Ab dem 19. Jahrhundert begann die Vernunft als solides Fundament unseres Lebens jedoch immer mehr Risse zu zeigen. In Deutschland erklärten Philosophen wie Arthur Schopenhauer das menschliche Handeln nicht mehr aus unserem Denken, sondern aus unserem Willen. Und dieser Wille ist alles andere als vernünftig. Wir wollen nicht etwas, weil wir gute Gründe dafür haben. Wir denken uns gute Gründe für etwas aus, weil wir es wollen. Unser Denken ist längst nicht so entscheidend, wie wir dachten. Der österreichische Psychoanalytiker Sigmund Freud ging noch einen Schritt weiter. Er zeigte, dass unser Unbewusstes viel einflussreicher ist, als wir uns das jemals hatten vorstellen können. Eine faszinierende Studie[2] , die kürzlich in den USA durchgeführt wurde, belegt dies einmal mehr: Wenn man »Denis« oder »Denise« heißt, ist die Wahrscheinlichkeit, »dentist« (Zahnarzt oder Zahnärztin) zu werden, signifikant höher. Und Lawrence und Laurie werden eher »lawyer« (Anwalt oder Anwältin). Weil man mit seinem Namen positive Assoziationen verbindet, neigt man unbewusst eher dazu, einen Beruf zu wählen, der wie dieser Name klingt. Wir denken zwar, dass die Berufswahl wie kaum etwas anderes aus einem bewussten Abwägungsprozess hervorgeht, doch das ist längst nicht immer der Fall. Dieses Prinzip des Namenseinflusses gilt übrigens auch für die Partnerwahl (bestimmt checken Sie nun schnell, inwieweit der Name Ihres oder Ihrer Liebsten Ihrem eigenen ähnelt, nicht wahr? Und wie das bei früheren Partnern war …). Wir werden also unverkennbar eher von einem Wirrwarr aus Trieben, Gefühlen und unbewussten Assoziationen als von rationalen Prozessen gesteuert. All diese Entwicklungen haben den Glauben an die Vernunft als Richtschnur unseres Lebens bis ins Mark erschüttert. Hinzu kam, dass uns der ganze wissenschaftliche Fortschritt keinen ewigen Frieden gebracht hatte. Im Gegenteil: das Ergebnis wissenschaftlichen Denkens fand im 20. Jahrhundert in zwei schrecklichen Weltkriegen Anwendung. Das Vertrauen in den menschlichen Verstand als Grundlage eines guten Lebens verringerte sich dadurch noch weiter.

Die Vernunft mag sich in der modernen Kultur mit Verve für die vakante Stelle, die Gott im Fundament hinterlassen hatte, beworben haben, doch sie wurde im 20. Jahrhundert dafür definitiv als ungeeignet erachtet. Plötzlich gab es überhaupt kein Fundament mehr. Jahrhundertelang hatte ein verlässlicher Ausgangspunkt für uns bestanden. Ob es nun Gott oder die Vernunft war. Es hatte einen Urgrund gegeben, auf den wir bauen konnten, ein Fundament, auf dem wir gemeinsam stehen konnten. Doch nun gab es das nicht mehr. Das Misstrauen gegenüber der Wissenschaft und anderen Autoritäten wuchs an. Wir würden lernen müssen, ohne Sicherheit zu leben.

Als ich die Kirche verließ, war das Musik in meinen Ohren. Ich erwartete, in eine Welt voller Zweifel und Dialog einzugehen. Diese Annahme war während meiner philosophischen Ausbildung entstanden, in der ich die zeitgenössische Postmoderne studierte. Aus deren Sicht zeichnet sich unsere Zeitenwende durch den Verlust des Glaubens an die großen Erzählungen aus, durch das Ende der Suche nach der Wahrheit und durch eine ironische Haltung: Alles ist eine Frage der Perspektive. Oder in den Worten des tschechischen Schriftstellers Václav Havel: »Wir leben in der Postmoderne, in der alles möglich und praktisch alles ungewiss ist.« Sie können sich vielleicht vorstellen, dass ich, aus meiner streng reformierten Welt der Verbote und Dogmen kommend, schon allein bei dieser Beschreibung rote Ohren bekam. Ich hatte in den ersten neunundzwanzig Jahren meines Lebens eine Überdosis Wahrheit abbekommen, daher kam die postmoderne Zurückhaltung meinem Wunsch nach Verspieltheit entgegen. Diese Seifenblase sollte jedoch schon bald zerplatzen.

Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie ich auf einer Party zum ersten Mal Menschen begegnete, die ein polyamoröses Liebesleben führten. Meine Erwartung war, dass sie freie und offene Geister wären. Es war daher seltsam (und für mich ein wenig beängstigend), dass sie ihre Polyamorie mit einer Entschiedenheit proklamierten, die der Überzeugtheit, die ich von Predigern meiner reformierten Kirche kannte, in nichts nachstand. In der herablassenden Verurteilung von Menschen, die in monogamen Beziehungen lebten, erkannte ich untrüglich die Überheblichkeit wieder, mit der wir früher auf Ungläubige herabgeblickt hatten. Die dogmatische und polarisierende Denkweise war in der Postmoderne offenbar nicht im Mindesten verschwunden.

Der polnisch-britische Soziologe Zygmunt Bauman charakterisiert unsere Gesellschaft als liquid. All unsere traditionellen, festen Beziehungen sind beweglicher geworden. Weltweit ist ein Trend zu beobachten, dass die Menschen aus kleineren Gemeinden in größere Städte ziehen. Viele bleiben nicht an ihrem Geburtsort, gestalten ihre Karrieren, ohne die Berufe ihrer Eltern zu übernehmen, suchen nach einer eigenen Ausgestaltung ihres Liebeslebens und entwickeln ihre persönliche Lebenskunst.

Nehmen wir als Beispiel die Rolle der Arbeit für unsere Identität. Wenn mich jemand auf einer Party fragt: »Und … wer bist du?«, beginne ich meine Antwort mit: »Ich bin Lammert, Philosoph, halte von Berufs wegen Vorträge und Workshops und schreibe Bücher.« Obwohl ich nach dieser Antwort normalerweise nicht komisch angeschaut werde, ist es eine seltsame Reaktion auf die Frage, wer ich bin. Ich beginne nämlich zu erzählen, womit ich mein Geld verdiene. Es gab und gibt noch immer viele Kulturen, in denen man auf die Frage nach der Identität über Dinge sprechen würde, die sich der eigenen Kontrolle entziehen: Eltern, Stellung in der Familie, Stamm, Religion, politische Position in der Gesellschaft. Heute wird unsere Identität weniger von vordefinierten Strukturen bestimmt. Es ist an uns selbst, sie herauszubilden. Das gibt uns Freiheit, scheint uns aber auch stark unter Druck zu setzen. Auf uns selbst zurückgeworfen, ohne festen Boden unter den Füßen, müssen wir uns selbst bemühen, Halt im Leben zu finden. Das erweist sich als Bürde.

Über Sinngebung wird manchmal noch herablassend gesprochen; als...



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