Band 1 - Roman
E-Book, Deutsch, 608 Seiten
Reihe: Heyne fliegt
ISBN: 978-3-641-10014-8
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Unsere Welt ist in Dunkelheit getaucht. Die Menschen sind zu Gefangenen geworden. Nur wer sich an die Regeln hält, hat eine Chance zu überleben. Doch die junge Allison will sich nicht mehr an diese Regeln halten. Sie fordert das Schicksal heraus und lehnt sich gegen ihre Unterdrücker auf - mit ungeahnten Folgen.Grenzen, Mauern und Verbote gehören zum Alltag der 17-jährigen Allison, seit sie denken kann. Denn sie wächst in einer Stadt auf, in der die Menschen von den Vampiren regiert werden, grausamen Fürsten der Nacht. Sie haben sich eine Luxuscity errichtet und lassen ihre Gefangenen, die ihnen regelmäßig Blutzoll schulden, für sich schuften. Jeder kleinste Verstoß gegen die Regeln wird geahndet, und Allison erfährt schon früh, dass ihr Leben nicht viel wert ist. Als sie vor die Wahl gestellt wird, zu sterben oder ihren Unterdrückern gleich zu werden, entscheidet sie sich für den Weg der Unsterblichkeit - und hoff t, nun endlich unangreifbar zu sein. Doch vor den Toren der festungsartig abgeriegelten Stadt lauert etwas, vor dem sich sogar die Vampire fürchten ...
Schon in ihrer Kindheit galt Julie Kagawas große Leidenschaft dem Schreiben. Nach Stationen als Buchhändlerin und Hundetrainerin machte sie ihr Interesse zum Beruf. Mit ihren Fantasy-Serien »Plötzlich Fee« und »Plötzlich Prinz« wurde sie rasch zur internationalen Bestsellerautorin. In ihrer neuesten Erfolgsserie »Plötzlich Rebell« erzählt sie von einer magischen Liebe, die nicht sein darf. Julie Kagawa lebt mit ihrem Mann in Louisville, Kentucky.
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2 Die Leute sagen immer, es sei unmöglich, New Covington zu verlassen, die Äußere Mauer sei unüberwindbar und niemand käme rein oder raus, selbst wenn er es wollte. Die Leute irren sich. Der Saum ist ein echter Betondschungel: Schluchten voller Glasscherben und rostigem Metallschrott, Häusergerippe, die von Schlingpflanzen überwuchert werden, Moder und Rost. Abgesehen vom innersten Stadtkern, wo die mächtigen Vampirtürme ihren finsteren Glanz verströmen, wirken die Gebäude kränklich, sie sind ausgeschlachtet und stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Unter dieser zerklüfteten Skyline breitet sich mehr und mehr die Wildnis aus, da es nur wenige Menschen gibt, die sie im Zaum halten könnten. Überall auf den Straßen stehen die verrosteten Karosserien ehemaliger Autos, deren brüchige Rahmen von Pflanzen verschlungen werden. Bäume, Wurzeln und Ranken bohren sich durch die Bürgersteige und sogar durch die Dächer, brechen das Pflaster auf und verbiegen den Stahl, während sich die Natur langsam aber sicher die Stadt wieder einverleibt. In den letzten Jahren haben sich einige der verbliebenen Wolkenkratzer endlich Zeit und Verfall ergeben und sind mit brüllendem Lärm in einem Staub-, Beton- und Scherbenregen eingestürzt, wobei jeder getötet wurde, der das Pech hatte, sich gerade in der Nähe aufzuhalten. Inzwischen gehört auch das zum Alltag. Betritt man heutzutage ein Gebäude, hört man stets das Ächzen und Quietschen über sich; es können noch Jahrzehnte bis zum Einsturz vergehen oder nur wenige Sekunden. Die Stadt fällt auseinander. Jeder Saumbewohner weiß das, aber man denkt besser nicht darüber nach. Wozu soll man sich den Kopf über etwas zerbrechen, was man doch nicht ändern kann? Ich zerbrach mir den Kopf vor allem darüber, den Vampiren aus dem Weg zu gehen, nicht erwischt zu werden und genug Essen zu beschaffen, um den nächsten Tag zu überstehen. Manchmal erforderte das, so wie heute, drastische Maßnahmen. Was ich vorhatte, war hochriskant und verdammt gefährlich. Aber wer das Risiko scheut, lebt sicher nicht als Unregistrierter, richtig? Der Saum war in verschiedene Gebiete aufgeteilt, die wir als Sektoren bezeichneten, jeder säuberlich eingezäunt, damit der Waren- und Menschenfluss kontrolliert werden konnte. Wieder eine Maßnahme »zu unserem Schutz«. Nennt es wie ihr wollt: Ein Käfig ist und bleibt ein Käfig. Meines Wissens nach gab es fünf oder sechs Sektoren, die sich in einem lockeren Halbkreis um die Innere Stadt zogen. Wir lebten in Sektor 4. Hätte ich ein Registrierungsmal, würde der Scanner Folgendes auslesen: Allison Sekemoto, Anwohnernummer 7229, Sektor 4, New Covington. Eigentum von Prinz Salazar. Technisch gesehen gehörte jeder Mensch in dieser Stadt dem Prinzen, aber seine Obersten verfügten auch über eigene Harems und Leibeigene – also Blutsklaven. Die Saumbewohner hingegen, zumindest die Registrierten unter ihnen, waren »öffentliches Eigentum«. Was nichts anderes hieß, als dass jeder Vampir mit ihnen tun konnte, was immer ihm beliebte. Hier im Saum schien sich niemand an den Brandzeichen zu stören. Nate, eine der Aushilfen in Hurleys Tauschladen, versuchte ständig, mich dazu zu überreden, dass ich mich registrieren ließ. Er behauptete immer, das Tätowieren tue gar nicht so weh und die Sache mit dem Aderlass wäre auch nicht so schlimm, wenn man sich erst daran gewöhnt habe. Für ihn war es völlig unverständlich, warum ich mich so stur stellte. Dabei sagte ich ihm deutlich, dass weder die Erfassung durch den Scanner noch die Blutabzapferei diesen Widerwillen in mir auslösten. Es war der Aspekt »Eigentum von«, der mir so gegen den Strich ging. Ich war niemandes Eigentum. Wenn die verdammten Blutsauger mich haben wollten, mussten sie mich erstmal erwischen. Und ich würde es ihnen bestimmt nicht leicht machen. Die Abgrenzungen zwischen den Sektoren waren simpel: Maschendrahtzaun mit Stacheldraht obendrauf. Diese eisernen Vorhänge erstreckten sich kilometerweit und waren nicht besonders gut bewacht. Nur an den Toren, durch die regelmäßig die Laster mit den Essenslieferungen kamen und in die Innere Stadt zurückkehrten, standen Wachposten, sonst nirgends. Eigentlich war es den Vampiren egal, ob ihr Vieh zwischen den Sektoren hin und her pendelte oder nicht. Den Großteil ihrer tödlichen Schlagkraft verwendeten sie darauf, die Äußere Mauer zu beschützen, und das jede Nacht aufs Neue. Zugegeben, die Äußere Mauer war wirklich beeindruckend. Dieses hässliche, zwei Meter dicke Monstrum aus Eisen, Stahl und Beton ragte zehn Meter hoch am Rand des Saums auf und umschloss die gesamte Stadt. Es existierte nur eine einzige Öffnung, ein Doppeltor aus massivem Eisen, das von innen mit so schweren Stahlriegeln verschlossen war, dass sie nur von drei Männern gleichzeitig angehoben werden konnten. Zwar befand sich das Tor nicht in meinem Sektor, aber während eines ausgedehnten Beutezugs hatte ich einmal gesehen, wie es geöffnet wurde. Im Abstand von jeweils fünfzig Metern waren Scheinwerfer an der Mauer befestigt, die wie gigantische Augen den Boden absuchten. Direkt hinter der Mauer lag die »Todeszone«, ein lebloser Streifen Land voller Stacheldraht, Gräben, Fallgruben und Minen, die alle nur einem einzigen Zweck dienten: die Verseuchten von der Mauer fernzuhalten. Überall in New Covington fürchtete und hasste man die Äußere Mauer, da sie uns immer daran erinnerte, dass wir hier drin eingepfercht waren wie die Schafe. Gleichzeitig brachte man ihr aber auch Verehrung entgegen. In den Ruinen außerhalb der Stadt konnte niemand überleben, vor allem nicht nach Einbruch der Dunkelheit. Selbst die Vampire betraten die Ruinen nur höchst ungern. Jenseits der Mauer gehörte die Nacht den Verseuchten. Niemand, der noch bei Verstand war, überquerte die Äußere Mauer, und wer es dennoch versuchte, wurde entweder abgeknallt oder in der Todeszone in Tausend Stücke gesprengt. Weshalb ich auch untenrum gehen würde. Ich kämpfte mich durch den mit hüfthohem Unkraut überwucherten Graben, stützte mich mit einer Hand an der Betonwand ab und wich den Pfützen und Scherbenhaufen aus. Mein letzter Besuch hier lag schon eine Weile zurück, und seitdem hatten die Pflanzen alle Spuren überwuchert. Vorsichtig umrundete ich einen Steinhügel, ignorierte die verdächtig aussehenden Knochen, die um ihn herum verstreut waren, und zählte zwölf Schritte ab, bevor ich stehen blieb und mich ins Gras kniete. Mit einer Hand bahnte ich mir einen Weg durch das Unkraut, achtete aber darauf, möglichst nichts zu verändern. Schließlich sollte niemand wissen, dass dieser Ort existierte. Falls sich das herumsprach und den Vampiren Gerüchte darüber zu Ohren kamen, dass es möglicherweise einen Weg aus ihrer Stadt gab, würden sie jeden Quadratzentimeter des Saums durchkämmen, bis sie ihn gefunden hatten. Und anschließend würden sie ihn fester abriegeln als ihre Lakaien die Lagerhäuser mit den Nahrungsvorräten. Dabei kam es ihnen weniger darauf an, ob irgendjemand rauskam; jenseits der Äußeren Mauer gab es nichts außer Ruinen, Wildnis und Verseuchte. Aber ein Ausgang war immer auch ein Eingang, und alle paar Jahre verirrte sich auf dem Weg durch die unterirdischen Tunnel ein Verseuchter in die Stadt. Dann gab es Chaos und Panik und Tod, bis der Verseuchte vernichtet war und sie den Eingang gefunden und blockiert hatten. Aber diesen einen hier übersahen sie immer. Unter dem Unkraut tauchte eine schwarze Metallscheibe auf, die im Boden versenkt war. Sie war unglaublich schwer, aber ich hatte ganz in der Nähe eine Eisenstange versteckt, mit der ich sie aufhebeln konnte. Ich wuchtete den Deckel ins Gras und spähte in das tiefe, enge Loch. Rostige Metallgriffe an den Seiten der Betonröhre führten hinunter in die Dunkelheit. Wachsam versicherte ich mich, dass ich nicht beobachtet wurde, dann kletterte ich die Leiter hinab. Es beunruhigte mich jedes Mal, den Tunneleingang sperrangelweit offen zu lassen, aber der Deckel war so schwer, dass ich ihn von innen nicht wieder über das Loch ziehen konnte. Doch das hohe Gras verbarg die Scheibe ganz gut, und in all den Jahren, in denen ich mich nun schon aus der Stadt schlich, war sie noch nie entdeckt worden. Trotzdem hatte ich keine Zeit zu verlieren. Als ich den Boden erreicht hatte, sah ich mich prüfend um und wartete, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Meine Hand wanderte in die Manteltasche und schloss sich um meine beiden wichtigsten Besitztümer: ein Feuerzeug, das noch zur Hälfte mit Gas gefüllt war, und mein Taschenmesser. Das Feuerzeug hatte ich bei meinem letzten Ausflug in die Ruinen gefunden, das Messer besaß ich hingegen schon seit Jahren. Beides war extrem wertvoll und ich ging nie irgendwo hin, ohne die Sachen mitzunehmen. Wie immer herrschte in den Tunneln unter der Stadt ein bestialischer Gestank. Die Alten, die in der Zeit vor der Epidemie noch Kinder gewesen waren, behaupteten, dass man früher den ganzen Dreck der Stadt durch Rohre unter den Straßen entsorgt hatte, statt ihn in Eimern zu sammeln und dann in abgedeckte Löcher im Boden zu entleeren. Falls das stimmte, erklärte es zumindest diesen Geruch. Ungefähr einen halben Meter neben mir endete der Sims, auf dem ich stand, und dahinter floss schleimiges, schwarzes Wasser durch den Tunnel. In den Schatten tauchte eine riesige Ratte auf, sie war fast so groß wie die Straßenkatzen, die man an der Oberfläche finden konnte, und rief mir in Erinnerung, warum ich hier war. Nach einem prüfenden Blick durch das Loch – der Himmel war noch immer sonnig und hell – verschwand ich in der Dunkelheit. Früher dachten die Leute, die Verseuchten würden unter der Erde lauern, in Höhlen oder...