Jünger | Afrikanische Spiele | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 184 Seiten

Jünger Afrikanische Spiele

Roman
2. Auflage 2013
ISBN: 978-3-608-10594-0
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 184 Seiten

ISBN: 978-3-608-10594-0
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der autobiographische Roman 'Afrikanische Spiele' erzählt von Jüngers abenteuerlichem Ausflug als 16-Jähriger zur Fremdenlegion, kurz bevor der Erste Weltkrieg ausbrach.

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2 Ich hatte mir ein Ultimatum gestellt, dessen Frist eine Woche nach Beginn der Schule endigte. Das Mittel, das ich mir ersonnen hatte, um mich auf eine entscheidende Weise aus dem Gleichgewicht zu bringen, war nicht übel; es bestand darin, daß ich das Schulgeld, mit dem versehen ich nach den Herbstferien in der kleinen Stadt wieder eingetroffen war, in den Dienst meiner großen Pläne zu stellen beabsichtigte. Obwohl eine solche Verwendung des Geldes mir unvergleichlich sinnvoller erschien als der Zweck, zu dem es eigentlich berechnet war, zögerte ich lange mit diesem ernsthaften Schritt. Ich fühlte wohl, daß ich mit ihm unwiderruflich den Kriegspfad betrat und daß die Verfügung über diese Summe nur statthaft war als eine bereits dem offenen Gegner auferlegte Kontribution. Im Kriege ist bekanntlich alles erlaubt. Erst kurz vor Ablauf der Frist, an einem feuchten und dunstigen Herbstnachmittag, trat ich mit Zittern und Bangen in einen Trödlerladen ein, um einen sechsschüssigen Revolver mit Munition zu erstehen. Er kostete zwölf Mark – das war eine Ausgabe, die unter keinen Umständen wieder zu ersetzen war. Ich verließ den Laden mit einem Triumphgefühl, um mich gleich darauf zu einem Buchhändler zu begeben und ein dickes Buch »Die Geheimnisse des dunklen Erdteils« zu erwerben, das ich für unentbehrlich hielt. Es wurde in einem großen Rucksack verstaut, der dann an die Reihe kam. Nach diesen Einkäufen fühlte ich, halb mit Befriedigung, daß mir der Boden unter den Füßen zu brennen begann. Ich ging in meine Wohnung zurück, um Schuhe und Wäsche einzupacken, und was mir sonst noch für eine lange Reise nötig schien. Als ich endlich gerüstet auf der Schwelle stand, kam es mir vor, als ob mein kleines Zimmer noch nie so gemütlich gewesen wäre wie gerade heut. Zum ersten Male seit dem Winter brannte Feuer im Ofen, und das Bett war einladend aufgeschlagen für die Nacht. Selbst in den Schulbüchern auf dem wurmstichigen Brett über der Kommode, in der halbzerfetzten Ploetzschen Grammatik für den Gebrauch der Unterprima und in dem dicken lateinischen Handwörterbuch von Georges offenbarte sich eine heimische Anziehungskraft, ein Bann, der gar nicht so leicht zu brechen war. Es schien mir mit einem Male sinnlos und unerklärlich, dies alles im Stich zu lassen, es gegen eine ganz ungewisse Zukunft vertauschen zu sollen, in welcher sicher die gute Frau Krüger mir morgens nicht das Bett machen und abends die brennende Lampe in das Zimmer bringen würde. Es wurde mir plötzlich deutlich, daß die Fremde auch eine eisige Seite besitzt. Aber das war eine Einsicht, die bereits von außen kam. Denn schon hatte ich diesen traulichen Kreis verlassen, und ich fühlte wohl, daß jetzt die Zeit der Überlegungen vorüber, daß ich selbständig war und damit in einem mir bisher fremden Sinne zu handeln hatte. Es war ein ungemütliches Wetter, als ich meine Wanderung begann, mehr ein Wetter, um im trockenen Zimmer mit angezogenen Knien auf dem Sofa zu liegen und zu lesen, wie ich es gewohnt war, mit einer Kanne voll Tee auf dem Stuhl daneben und einer kurzen Pfeife in Brand. Wind und Regen warfen mit vollen Händen zackiges Platanenlaub auf die Steinplatten der zum Bahnhof führenden Allee. Die Gaslaternen spiegelten sich in der feuchten Schwärze des Weges, der von den vergilbten Blättern wie ein Mosaikband gemustert war. Ich hatte meinen weiten Regenmantel über den Rucksack gehängt und meine rote Schülermütze, zum äußeren Zeichen meiner neuen Freiheit, mit einem Hut vertauscht. Am Schalter löste ich eine Karte nach der nächsten Großstadt, die der Provinz ihren Namen gab. Ich hatte Glück, denn der Zug stand bereits unter Dampf. Ich war auf das Geratewohl gegangen, weil ich unfähig war, die rätselhaften Zeichen des Kursbuches und der in den Wartesälen ausgehängten Tafeln zu entziffern. Alles, was ich wußte, war, daß Köln, Trier oder Metz in der Nähe der westlichen Grenze lagen, denn meine geographischen Kenntnisse waren schwach, und für mich begannen gar bald die unbekannten und fabelhaften Länder dieser Welt, wie sie auf den Landkarten der Alten verzeichnet sind. Nur den Namen Verdun hatte ich mir gemerkt, denn ich hatte in der Zeitung gelesen, daß dort der Bürgermeister einer deutschen Kleinstadt in die Fremdenlegion eingetreten war. Sein Fall hatte vor kurzem bedeutendes Aufsehen erregt, und das Ausschneiden der Notizen, die sich mit ihm beschäftigten, war vielleicht die einzige Maßnahme gewesen, die einen sachlichen Zusammenhang mit meinem Plane besaß. Was ich meine Vorbereitung nannte, bezog sich durchaus auf das andere, auf jene rätselhafte, schmerzliche und doch innige Verwirrung, die sich plötzlich wie ein Wirbel im stillen Wasser meiner bemächtigt hatte, und auf ihre Deutung als einen Ruf, der aus der Ferne kam. Ich setzte mich in einen Wagen vierter Klasse, der überfüllt war mit Bauern aus dem Wesertal, kleinen Händlern und Marktfrauen, die hinter ihren Tragkörben kauerten. Als der Zug anfuhr, spürte ich, daß ich mich jetzt in einer neuen Lage befand wie ein Späher in Feindesland, der niemanden mehr hat, mit dem er sich unterhalten kann. Ich war zufrieden mit mir, denn ich hatte kaum geglaubt, daß ich mich bis an diesen Punkt bringen würde. Nur hatte ich ein wenig Angst, daß der Wunsch umzukehren in mir erwachen würde, und ich nahm mir das Versprechen ab, ihm unter allen Umständen zu widerstehen. Das Rollen und Schlagen der Räder machte mir Mut, und ich murmelte in ihrem Takte kurze Sätze, etwa »Umkehren ist ausgeschlossen!« vor mich hin. Auch war mir die Gesellschaft neu, die sich, ohne mich zu beachten, lebhaft unterhielt und durch die Aus- und Zusteigenden mannigfaltigen Wechsel erfuhr. Zuweilen traten merkwürdige Gestalten ein, um kleine, verbotene Schaustellungen zu geben und, nachdem sie mit ihrem Hute die Runde gemacht hatten, am nächsten Haltepunkt wieder zu verschwinden – so ein ausgemergelter Geselle, der, nachdem er sich in einer überraschenden Ansprache wundersamer Künste gerühmt, einen schmalen Degen aus seinem Stocke zog und ihn mehrere Male bis zum Griff im Munde verschwinden ließ. Auch ein dicker, leutseliger Herr, der etwas betrunken war und mit kräftiger Stimme einige Lieder wie »Kehrt ein Student um Mitternacht« oder »Der Liebe geweihter Altar« zum besten gab, fuhr eine Strecke lang mit. So fand ich denn, in meine Ecke gedrückt, daß die Reise ganz gut begann, und die zwei Stunden bis zur Großstadt waren bald vorbei. Auf dem Hauptbahnhof forderte ich eine Fahrkarte nach Trier und hatte dabei das Gefühl, eine so auffällige Handlung zu begehen wie etwa einer, der ein Billett nach dem Amazonenstrom verlangt. Allein der Mann am Schalter nahm zu meiner geheimen Freude ganz gleichgültig das Geld in Empfang und beantwortete ebenso gleichgültig meine Frage nach der Abfahrtzeit. Der nächste Zug in dieser Richtung fuhr erst mitten in der Nacht, und so gab ich denn meinen Rucksack ab, um in die Stadt zu gehen. Es regnete immer noch, und ich trieb mich eine Zeitlang planlos in den Straßen umher. Es kam mir darauf an, in Bewegung zu bleiben und die Zeit totzuschlagen, deren plötzlicher Überfluß mir lästig war. Bald wirkte jedoch die Schwerkraft auf mich ein, mit der jede Großstadt sich den Obdachlosen unterwirft, um ihn an ganz bestimmte Punkte zu ziehen. Ich folgte dem Verkehr, der noch lebendig war, bis in die Hauptstraße, um endlich von einem jener überdachten Verkaufsgänge eingesogen zu werden, die man Passagen nennt und in denen man zu jeder Stunde auf Gestalten stoßen wird, deren einzige Aufgabe im Schlendern oder im Verweilen besteht. Hier fühlte ich mich geborgener, zugehöriger – ich hatte bereits vorhin im Zuge unklar gespürt, daß es für einen, der auf Abenteuer zieht, einen leeren Raum nicht gibt, sondern daß er bald mit unbekannten Kräften Berührung gewinnt. Es wird ihm, allein durch die veränderte Art, sich zu bewegen, ein neues Treiben sichtbar, das dem Müßiggange, dem Verbrechen, dem Vagantentum gewidmet ist – eine breite und überall verteilte Schicht, die das bürgerliche Element begrenzt und ihn als Bundesgenossen in Anspruch zu nehmen sucht. Dieser Ort, an dem die Straße etwas von der verdächtigen Wärme eines rot beleuchteten Hausflures gewann und die Geschäfte an die Schaubuden auf den Jahrmärkten erinnerten, schien mir wohl geeignet für jemanden, der sich auf der Flucht befand und der zuweilen verstohlen mit der Hand in die Hosentasche fuhr, um den angerauhten Griff eines sechsschüssigen Revolvers zu liebkosen. Ich verbrachte einige Zeit damit, die zweifelhaften Postkarten zu studieren, die in ungeheuren Mengen hinter den Schaufenstern aushingen. Dann zog mich der grelle Eingang eines Wachsfigurenkabinetts an. Mit beklommener Neugier wandelte ich in vielen verwinkelten Räumen zwischen den starren Abbildern berühmter und berüchtigter Zeitgenossen umher, mannigfaltigen Beispielen für die beiden Richtungen, in denen man die Heerstraße des gewöhnlichen Lebens verlassen kann. Vor dem letzten Zimmer wurde noch ein besonderes Eintrittsgeld erhoben: eine Sammlung von anatomischen, elektrisch beleuchteten Gebilden war dort unter Glasstürzen aufgebaut. Unerhörte Krankheiten waren da mit blauen, roten und grünen Farben auf wächserne Körperteile gemalt. Bei den ganz schrecklichen dachte ich mit einer halb grausenden Befriedigung: »Die kommen gewiß nur in den Tropen vor!« Dem Wachsfigurenkabinett gegenüber, auf der anderen Seite des Ganges, lag ein erleuchtetes Restaurant. Beim Eintreten sah ich, daß es automatisch betrieben war. Die verschiedensten, für das Auge bunt zubereiteten Speisen standen auf runden Platten oder in kleinen Aufzügen zur Wahl, und man brauchte nur ein Geldstück einzuwerfen, um durch ein...


Jünger, Ernst
Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901–1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 1914–1918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens 'Pour le Mérite'. 1919–1923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings 'In Stahlgewittern'. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 1936–1938 Reisen nach Brasilien und Marokko. 'Afrikanische Spiele' und 'Das Abenteuerliche Herz'. Übersiedlung nach Überlingen. 1939–1941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 1946–1947 'Der Friede'. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen 'Werke'. 1966–1981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.

Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901–1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 1914–1918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens 'Pour le Mérite'. 1919–1923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings 'In Stahlgewittern'. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 1936–1938 Reisen nach Brasilien und Marokko. 'Afrikanische Spiele' und 'Das Abenteuerliche Herz'. Übersiedlung nach Überlingen. 1939–1941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 1946–1947 'Der Friede'. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen 'Werke'. 1966–1981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.



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