E-Book, Deutsch, Band 2, 400 Seiten
Reihe: Die Chocolatier-Familie
Jonas Der Schokoladenpavillon
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-492-99543-6
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 400 Seiten
Reihe: Die Chocolatier-Familie
ISBN: 978-3-492-99543-6
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Koblenz 1952: Nach dem Tod ihres Bruders hadert die junge Krankenschwester Fenja mit sich selbst. Eigentlich wollte sie Medizin studieren, doch nun steht sie als Alleinerbin der Schokoladenmanufaktur ihres Vaters vor einer Aufgabe, die sie kaum bewältigen kann. Das Familienunternehmen hat im Krieg gelitten und kann nur unter massiven Einbußen weitergeführt werden. Gemeinsam mit ihrem Cousin Felix, der sich entgegen den Wünschen seines Vaters zum Konditor hat ausbilden lassen, und seiner Verlobten Amelie will sie das Unternehmen in moderne Zeiten führen. Als sich Fenja und Amelie dann jedoch beide in den Hotelerben Lennart verlieben, bringt diese Konkurrenz beinahe alles zu Fall, und die Zukunft des Unternehmens steht auf dem Spiel ...
Anna Jonas wurde im Münsterland geboren, hat einen Teil ihrer Kindheit im hohen Norden verbracht und lebt seit ihren Studententagen in Bonn. Nach ihrem Germanistikstudium widmete sie sich dem Schreiben. Die DELIA-Preisträgerin reist gerne und liebt das Stöbern in Bibliotheken, wo sie für ihre Romane intensive Recherchen betreibt. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Rheinnähe.
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2
März 1953 Der Zeitpunkt für einen Besuch war denkbar schlecht gewählt. Bis in die Halle hörte man Felix und seinen Vater streiten, und Lukas, der ihr die Tür geöffnet hatte, verdrehte nur die Augen. »Na, herzlich willkommen in deinem neuen Leben«, sagte er, während er Amelie den Mantel abnahm und an die Garderobe hängt. Ella Lombard kam die Treppe hinunter. Sie war so unfassbar elegant, dass jede Frau – Amelie konnte sich da nicht ausnehmen – unweigerlich in fast schon unbewusster Nachahmung die Haltung straffte, das Kinn hob. Gewiss half Ella nach, damit das Haar nach wie vor dunkel glänzte und kein grauer Faden zu sehen war. Sie nickte Amelie zu, indes ihre Stirn gefurcht war und sie in Richtung Salon lauschte. Dann durchquerte sie die Halle. »Jetzt wird es für Vater wohl ungemütlich«, erklärte Lukas. Amelie wusste, dass sie bei Ella gewiss keine Sympathien sammelte, wenn sie offen die Meinung vertrat, mehr Verständnis für Sebastian zu haben als für sie und Felix. Ihre Rolle erlaubte es ihr jedoch nicht, nun ebenfalls in den Salon zu gehen und Stellung zu beziehen. Und so blieb sie stehen, hörte Ellas Stimme, ohne zu verstehen, was sie sagte. Daraufhin Sebastian und dann Felix. Der verließ kurz darauf den Salon. »Bleib hier!«, rief ihm sein Vater nach. »Ich bin noch nicht fertig.« »Ich schon. Dann erzähl dir den Rest doch einfach selbst.« Sebastian Lombard lief rot an angesichts dieser Respektlosigkeit. Aber noch ehe er eine Antwort artikulieren konnte, hatte Felix bereits Amelies Hand ergriffen und strebte mit ihr aus der Halle in die Bibliothek. »Denkst du, hier findet er dich nicht?« »Er wird sich dir zuliebe zusammenreißen. Das Donnerwetter kommt dann heute Abend, wenn wir wieder unter uns sind.« Auf Felix’ Gesicht zeichnete sich Überdruss ab, und Amelie strich ihm über die Wange, zog seinen Kopf zu sich hinunter und küsste ihn. »Am liebsten würde ich dich jetzt schon heiraten«, murmelte er an ihren Mund, als sie den Kuss einen Moment lang unterbrachen. Während sie die Lippen erneut unter seinen öffnete, durchzuckte sie der Gedanke, dass sie gar nicht einmal unglücklich darüber war, die Hochzeit erst im nächsten Jahr stattfinden zu lassen. Die Umstände, die dazu geführt hatten, waren natürlich traurig, aber der Gedanke daran, im kommenden Sommer bereits verheiratet zu sein, hatte ein diffuses Gefühl der Panik in ihr ausgelöst. Es war schön, ihn zu küssen, und sie mochte auch seine zögerlichen Liebkosungen, aber diese Sinnlichkeit ging nicht einher mit dem Wunsch eines dauerhaft gemeinsamen Bettes. Die Vorstellung, dass sie nie wieder allein schlafen würde, machte ihr sogar ein wenig Angst. Und sie wusste nicht, ob diese der Vorstellung einer Heirat allgemein galt oder nur einer Heirat mit Felix. Das wiederum war ein so verstörender Gedanke, dass sie ihn immer wieder rasch von sich schob. War sie so wankelmütig in ihren Gefühlen? Offenbar bemerkte er, dass sie nicht bei der Sache war, denn er löste sich aus dem Kuss und sah sie prüfend an. »Ist alles in Ordnung?« Sie lächelte. »Ja, gewiss.« »Es tut mir leid, dass du diesen ganzen Ärger mitbekommen musst.« »Das gehört dazu, wenn man in eine Familie einheiratet, nicht wahr?« Er nickte nur vage. »Und wenn du ihm ein klein wenig entgegenkommst?«, wagte Amelie einen behutsamen Vorstoß. »Also einmal die Woche ins Werk gehst und dich in die Sache einarbeitest?« »Was soll das bringen? Es interessiert mich nicht im Geringsten.« »Es soll ja auch nicht dein Lebensinhalt werden.« »Das wird es zwangsläufig, wenn ich mich darauf einlasse. Anfangs ist es nur ein Tag, und dann wird es ein zweiter Tag, bis es nach und nach mein gesamtes Leben vereinnahmt.« Amelie seufzte angesichts dieser dramatischen Ausführung. »Die Streitereien werden nie aufhören, weißt du. Es wird immer weitergehen.« »Nicht, wenn er irgendwann einsichtig wird und merkt, dass es nichts bringt, einen Erben zu haben, der nicht mit dem Herzen bei der Sache ist.« »Er wird dir Fenja vor Augen halten, und erzähl mir nicht, das hätte er nicht schon längst getan. Sie hatte auch andere Pläne, wollte Ärztin werden.« »Der Unterschied ist, dass Onkel Eric von Fenja nicht verlangt, dass sie das Unternehmen übernimmt. Sie tut es, weil sie es will.« »Weil die Umstände sie dazu zwingen.« »Das ist schlicht und ergreifend nicht wahr. Onkel Eric würde das Werk auch verkaufen, ihm lag nie viel daran, er hat es nur geführt, damit die Familie ein Auskommen hat. Das hätte sie auch, wenn er einen guten Preis aushandelt. Und Fenja könnte hernach tun, was sie wollte.« »Fenja ist eben zu der Einsicht gekommen, dass ein Erbe auch eine Verantwortung ist.« »Ah, du willst mir sagen, ich sei mir der Verantwortung nicht bewusst?« »Na ja, im Grunde genommen stimmt das doch.« Amelie biss sich auf die Unterlippe, wollte keinen Streit. Aber sie konnte einfach nicht mit ihrer Meinung hinter dem Berg halten. Felix sah sie schweigend an, wirkte enttäuscht. Um keine Missstimmung zuzulassen, ging sie zu ihm, berührte seinen Arm. »Gewiss wurden Kaffee und Kuchen bereits aufgetragen.« Ein kleines Lächeln begleitete ihre Worte, und wie stets war bei ihm die Versöhnungsbereitschaft ihr gegenüber stärker, als jeder Groll und jede Enttäuschung es sein konnten. Fenja gab ungern zu, dass sie am liebsten schon am ersten Tag alles hingeschmissen hätte. Sie arbeitete sich durch Geschäftsberichte, von denen sie nicht einmal die Hälfte verstand. Und das, nachdem Rainer Hartmut ihr alles geduldig erklärt hatte. Es war zum Verzweifeln. Sie klappte den Ordner zu, rieb sich die Augen und sah zum Fenster hinaus, das ihr einen wunderbaren Blick auf die Mosel gewährte. Obwohl die Stadt im Wiederaufbau war, waren die Zeichen der Zerstörung nach wie vor überall präsent. Fast neunzig Prozent der Stadt hatten zum Kriegsende hin in Trümmern gelegen, und nicht einmal ein Zehntel der Menschen hatte überhaupt noch in der Stadt gelebt. Wochenlang waren die Menschen, deren Anwesenheit in der Stadt als kriegswichtig erachtet wurde, in Betonbunkern dahinvegetiert. Koblenz war kein wichtiger Industriestandort, niemand hatte begriffen, warum man die Stadt fast dem Erdboden gleichgemacht hatte. Bis zum Schluss hatte man die Stadt weitgehend in Ruhe gelassen, dann jedoch hatte das Eisenbahnnetz zunehmend an Bedeutung gewonnen, und die Aufmerksamkeit hatte sich auf Koblenz gerichtet. Die Familien Dorn und Lombard waren während der Evakuierung im Hotel von Oedinghof untergekommen. Fenja hatte bei ihrer Rückkehr geweint. Es gab nichts Vertrautes mehr, an dem sich der Blick festhalten konnte, es war nur noch eine Landschaft aus zerklüfteten Ruinen und Schuttbergen. Die neuen Häuser, die auf den freigeräumten Flächen entstanden, waren modern und zweckmäßig. Zunächst baute man vor allem einstöckig, um möglichst viel neue Wirtschaftsfläche zu schaffen. Das Rosenpalais hatte man erst vier Jahre nach Kriegsende wieder eröffnet, als die Leute sich diese Art von Vergnügen wieder leisten konnten. Seufzend wandte Fenja sich vom Fenster ab und ging zurück zu dem Schreibtisch, hinter dem sie sich klein und verloren fühlte, der ebenso zu groß für sie war wie das ganze Büro. Als sei sie ein Kind, das in die Kleidung eines Erwachsenen schlüpfte. Sie musste an ihre Tante Ella denken, die hier vor vielen Jahren ebenfalls gesessen hatte – vermutlich mit erhobenem Kopf und keineswegs bereit, klein beizugeben. Wieder seufzte Fenja und nahm die nächste Mappe zur Hand. Immerhin konnte sie damit etwas anfangen, das waren die Kosten für die Lieferanten von Kakaobohnen, eine Übersicht, in der Einnahmen und Ausgaben einander gegenübergestellt waren. Das verstand sogar sie. Und für die Auswahl der richtigen Qualität hatten sie Mitarbeiter. Derzeit wurde der Rohkakao unter den Herstellern aufgeteilt. Unternehmen, die keine eigene Herstellung hatten, konnten den Kakao wiederum verkaufen oder aber bei Herstellern für sich produzieren lassen. Fenja ging alles durch, setzte ihr Kürzel darunter und legte die Mappe beiseite. Danach stand sie auf und ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu kochen. Monika Greif, mit der Fenja gerne ein paar Worte wechselte, wenn sie sich hin und wieder in der Fabrik über den Weg liefen, war gerade dabei, sich eine Kanne Tee zuzubereiten. »Sie brauchen eine Sekretärin«, sagte sie nun, als Fenja mit geübtem Griff Wasser aufsetzte und die Kaffeemühle bediente. »Und mich damit um die einzige Abwechslung des Tages bringen? Na, ich kann mich bremsen.« Monika Greif lächelte. »Hat der Arbeitsalltag Sie so fest im Griff?« »Ach, fragen Sie nicht.« »Das klingt nicht eben begeistert.« »Ich werde mich schon daran gewöhnen.« »Eine Sekretärin brauchen Sie trotzdem. Kein männlicher Geschäftsführer würde sich selbst in die Küche stellen und Kaffee kochen. Man wird Sie nicht respektieren, wenn Sie nicht genauso auftreten, wie ein Mann das tun würde.« Fenja nickte nur. »Ich bin momentan ohnehin auf der Suche nach einer beruflichen Umorientierung«, sagte Monika Greif, und Fenja blickte sie erstaunt an. »Bieten Sie sich gerade als meine Sekretärin an?« »Nun ja, Geschäftsführersekretärin, das würde mir schon besser gefallen als Kontoristin. Ich habe einen Kurs in Stenografie abgeschlossen, ich kann schnell tippen, und ich mache gerade einen Kurs in Wirtschaftsmathematik.« »Na, da können Sie ja bald mehr als ich.« Monika Greif lachte. »Machen Sie dieses Geständnis nie in Gegenwart anderer....