Jonas | Der Eissalon | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

Jonas Der Eissalon

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-492-99881-9
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

ISBN: 978-3-492-99881-9
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die 50er-Jahre - eine mutige Frau in Zeiten des Aufbruchs Eine Affäre kostet Karina von Oedinghof die Ausbildungsstelle in einer Restaurantfachschule. Sie versucht, allein über die Runden zu kommen, was der verwöhnten Tochter aus gutem Haus sehr schwerfällt. Bei einer Kriegswitwe mietet sie ein Zimmer und gerät prompt mit dem zweiten Untermieter aneinander, dem gut aussehenden Italiener Ricardo. Karina verliebt sich in ihn, doch er will von ihr nichts wissen. Nur eines eint sie: ihr Traum vom Eissalon! Ricardo hat das Wissen um die Kunst des Eismachens, Karina das Gespür für die Sehnsüchte der Menschen. Alles läuft gut, bis Ricardos Vergangenheit ihn einholt. Und Karinas Vater plötzlich vor der Tür steht.

Anna Jonas wurde im Münsterland geboren, hat einen Teil ihrer Kindheit im hohen Norden verbracht und lebt seit ihren Studententagen in Bonn. Nach ihrem Germanistikstudium widmete sie sich dem Schreiben. Die DELIA-Preisträgerin reist gerne und liebt das Stöbern in Bibliotheken, wo sie für ihre Romane intensive Recherchen betreibt. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Rheinnähe.

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1
Mai 1957 Karina hatte mal gehört, dass ein Schrei Glas zerspringen lassen könnte. Der Schrei, den sie nun vernahm, war sicher nicht dazu angetan Glas, aber ganz sicher doch ihr Leben in tausend Teile zerbersten zu lassen. Da half es nichts, dass sie und Robert Waldberger hastig auseinanderfuhren, mit fliegenden Fingern ihre Kleidung richteten – der Schaden war angerichtet. Sie befanden sich in einem Klassenraum, und Karina hatte sich von diesem jungen Mann, der nicht nur ein begabter Confiseur, sondern auch ihr Lehrer an der Restaurantschule von Ingeborg Becker war, unter hitzigen Liebesschwüren küssen lassen, während die Finger, die so geschickt Süßspeisen zubereiteten, Knopf um Knopf von Karinas Bluse geöffnet hatten. Neben der jungen Frau, die aufgeschrien hatte, drängten sich nun andere Damen in die Tür, wollten den Ursprung der Aufregung ausmachen. Karina wandte den Blick ab, um das Sensationslüsterne darin nicht sehen zu müssen. »Ich bin ruiniert«, murmelte Robert. »Meine Damen!«, hörte Karina nun eine Frauenstimme, und kurz darauf erschien die Lehrerin für Hauswirtschaft in der Tür, sah Karina an, dann Robert. Ihre Nasenflügel bebten, als ginge von dem Raum ein unangenehmer Geruch aus, dann schüttelte sie den Kopf, machte auf dem Absatz kehrt und schritt von dannen. »Ich bin ruiniert«, wiederholte Robert. Karina war kurz davor, ihn zu ohrfeigen. »Und was ist mit mir? Du hast gesagt, hier sei es sicher, keiner käme um diese Uhrzeit hier hinein.« »Das ist es normalerweise auch. Und was soll schon mit dir sein? Du kehrst zu deiner reichen Familie zurück, und kein Mensch fragt mehr nach dieser unseligen Geschichte. Aber für mich sieht es düster aus.« »Das hättest du dir gerne vorher überlegen können.« Robert murmelte etwas, das vermutlich wenig schmeichelhaft war, aber Karina war es gleich. Sie verließ das Klassenzimmer und trat hinaus in den Korridor, sah sich den Blicken einiger junger Frauen ausgesetzt, die in der Nähe geblieben waren, vermutlich, um nichts zu verpassen. Für einen Moment empfand Karina den kindischen Impuls, ihnen die Zunge herauszustrecken, wandte sich stattdessen aber ab. Um in ihr Zimmer zu gelangen, musste sie durch die große Eingangshalle, und ihre Schritte hallten auf dem Marmorboden, als sie zur Treppe eilte. Keinen Blick hatte sie in diesem Moment für die gediegene Eleganz der Umgebung, sie wollte nur noch auf ihr Zimmer und die Tür hinter sich schließen, als könnte sie damit gleichsam den Fehler aussperren, den sie begangen hatte, diese unglaubliche Torheit. Gut möglich, dass Robert zuerst zur Schulleiterin zitiert wurde, immerhin hatte er sich von den jungen Damen fernzuhalten. Ob man sie wirklich der Schule verweisen würde? Die Restaurantschule war für Karina der erste Schritt in die Unabhängigkeit, und obwohl sie sich mit der strikten Disziplin schwertat, so schätzte sie doch das Wissen, das man sich als junge Frau hier aneignen konnte, und wollte die Lehre unbedingt erfolgreich abschließen. Karina klammerte sich an die Hoffnung, dass die Schulleiterin das allein ihren Eltern zuliebe nicht tun würde. Immerhin kannte und schätzte sie diese sehr, da würde sie doch gewiss über diese einmalige Verfehlung hinwegsehen. Was war denn auch schon geschehen? Man hatte sie bei einem Kuss erwischt, immerhin waren sie vollständig bekleidet gewesen – wenngleich Karinas Bluse aufgeknöpft und seine Krawatte gelöst gewesen war. Karina hatte sich gerade darangemacht, beim Küssen die Knöpfe seines Hemds zu öffnen, als der Schrei erklungen war. Eine der Hausangestellten betrat den Raum und wies Karina an, vor der Schulleiterin zu erscheinen. Karina wappnete sich, straffte die Schultern und überlegte, wie sie sich gegenüber Ingeborg Becker geben sollte. Selbstbewusst? Ja, aber nicht zu sehr. Zerknirscht, reuevoll, einsichtig. Sie hatte einen Fehler begangen, gewiss. Aber da war sie bestimmt nicht die Erste. Karina lief durch die mittlerweile so vertraut gewordenen Korridore, an denen die Bilder ehemaliger Absolventinnen hingen, die mit Bestnoten abgeschnitten hatten. Seit September war sie nun schon hier und hatte noch zwei Jahre vor sich, und ihre Leistungen waren durchweg gut. Das musste einfach schwerer ins Gewicht fallen als der Umstand, beim Küssen erwischt worden zu sein. Sich fortwährend Mut zuredend, stieg sie die Treppe hoch in die Beletage des ehemaligen, weitläufigen Herrenhauses, wo sich die Räumlichkeiten der Schulleiterin befanden. Dennoch schlug ihr das Herz so schnell, dass ihr der Atem in kurzen Stößen ging. Vor der Tür von Ingeborg Becker blieb sie stehen, sah an sich hinunter, zupfte die Kleidung zurecht und holte tief Luft. Sie straffte sich, hob das Kinn gerade genug an, um nicht wie ein Häufchen Elend zu wirken, gleichzeitig aber nicht kampflustig, selbstbewusst, aber doch ausreichend demütig, um Einsicht zu zeigen. Ja, mir ist mein Fehler bewusst. Nein, so etwas wird nie wieder vorkommen. Keine zehn Minuten später stand sie wieder vor der Tür, einen Brief an die Eltern in der Hand, in der die Schulleiterin noch einmal schriftlich darlegte, was sie ihr gerade in vernichtender Deutlichkeit gesagt hatte. Karina war nicht einmal zu Wort gekommen. Zittrig lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Wand, legte den Kopf zurück und musste ein paarmal tief durchatmen, um nicht hier und jetzt in Tränen auszubrechen. Als sie die Augen öffnete, bemerkte sie zwei junge Frauen, die gerade die Treppe hochkamen, Mappen in den Händen, mit denen sie vermutlich auf dem Weg zur Schulleiterin waren. In Kürze würde es die Runde machen, in welch desolatem Zustand man Karina hier vorgefunden hatte. Sie wich den neugierigen Blick aus und lief zur Treppe. Schon beim Abendessen durfte sie nicht mehr dabei sein, denn obwohl man ihr ausreichend Zeit geben würde zu packen und die Heimreise zu organisieren, so durfte sie am geselligen Leben im Haus nicht mehr teilnehmen. Als sei ihr Vergehen irgendwie ansteckend. Die Tränen in tiefen, konzentrierten Atemzügen wegatmend, stieg Karina langsam die Treppe hinunter, durchquerte die Halle und ging in den Wohntrakt mit den Zimmern. Wie sollte sie ihren Eltern unter die Augen treten? Nach dieser Geschichte würden sie ihr kein zweites Mal ermöglichen, fern der Heimat zu lernen. Keinesfalls würde man dulden, dass die einzige Tochter des Hotels von Oedinghof Schande über die Familie brachte. Vermutlich blieb ihr nur, zu heiraten und eine brave Hausfrau zu werden. Karina zerknüllte im Gehen den Brief in der Hand, krallte die Finger so fest darum, als könnte das dazu führen, dass er sich einfach auflöste. Mit jedem Schritt fiel es ihr schwerer, die Tränen zurückzuhalten, sodass ihr immer wieder der Blick verschwamm. Endlich war sie an ihrem Zimmer angelangt, öffnete die Tür und wollte gerade erlöst den ersten Schluchzer tun, als sie ihre Mitbewohnerin, Hanne Schmitz, bemerkte und nur ein Geräusch hervorbrachte, das einem Schluckauf ähnelte. Sie wischte sich mit der Faust, die den Brief hielt, in einer trotzigen Geste über die Augen, warf das zerknitterte Schreiben auf das Bett und ging zu ihrem Schrank, stellte sich auf die Zehenspitzen und hob den Koffer hinunter. Dann öffnete sie die Schranktür und begann achtlos alles auszuräumen und in den geöffneten Koffer zu werfen. Hanne saß an dem kleinen Schreibtisch und beobachtete sie schweigend. »Sie wirft dich raus, ja?« Da Karina es nicht einsah, das Offensichtliche auch noch zu bestätigen, schwieg sie und fuhr fort, die Kleidung aus dem Schrank zu räumen. Was sollte sie jetzt nur tun? »Was sagen deine Eltern dazu?« Konnte Hanne etwa Gedanken lesen? »Die werden entzückt sein, was sonst?« Sie war dreiundzwanzig und musste nun zerknirscht und reumütig heimkehren wie ein kleines Kind, das einen Fehler zu beichten hatte. Aber was blieb ihr sonst? Sie verdiente kein eigenes Geld, und sollte sie eine Arbeit annehmen, um sich irgendwie über Wasser zu halten, so konnte ihr Vater jederzeit einfach für sie kündigen und sie damit nötigen, nach Hause zu kommen. Zwar war erst in diesem Monat das Gleichberechtigungsgesetz beschlossen worden, aber das galt vor allem für Ehefrauen, hieß es doch darin, dass der Mann bei Meinungsverschiedenheiten nicht mehr allein die abschließende Entscheidung treffen durfte. Als unverheiratete Frau unterstand man jedoch nach wie vor dem Vater. »Wirst du dich woanders bewerben?« Karina zuckte mit den Schultern, warf den überquellenden Koffer zu und kniete darauf, um die Schnallen irgendwie zu schließen. Ihre Brüder hatten gewiss auch während der Ausbildung das eine oder andere amouröse Abenteuer erlebt, gerade Lennart war nun wahrlich kein Kind von Traurigkeit. Aber da sagte niemand etwas, solange sie diskret waren. »Herr Waldberger hat übrigens eine Verwarnung bekommen«, erklärte Hanne. »Hat mir Greta erzählt.« »Ach?« Das war ja klar. Vermutlich hatte er es noch so hingedreht, als wäre sie, Karina, allein die Schuldige, hätte den armen Kerl verführt, der ja gar nicht anders konnte, als nachzugeben. Verwünscht sollte er sein, er und seine Nachstellungen. Warum hatte sie überhaupt nachgegeben? Im Nachhinein kam ihr die Verliebtheit in ihn geradezu töricht vor. Allein die Vorstellung, wie er dagestanden und gejammert hatte, nur auf sich selbst bedacht und kein Wort über sie. Hanne stand auf, kniete sich neben sie auf den Koffer und half ihr, die Schnallen zu schließen. »Rufst du deine Eltern gleich an? In diesem Fall erlaubt die olle Weitzel das bestimmt.« Normalerweise mussten sie zum Telefonieren zum öffentlichen Fernsprecher gehen. Außer dem Fernsprecher der Direktorin gab es noch einen weiteren, über den die Frau des Hausmeisters wie ein Schießhund...



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