E-Book, Deutsch, Band 2, 608 Seiten
Reihe: Hotel Hohenstein
Jonas Das Erbe der Hohensteins
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-492-96585-9
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 608 Seiten
Reihe: Hotel Hohenstein
ISBN: 978-3-492-96585-9
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Im Jahr 1925 strahlt das Hotel am Drachenfels in bewährter Pracht. Die Goldenen Zwanziger bescheren dem Grand Hotel eine Schar illustrer Gäste und schillernder Abendveranstaltungen. Auch Valerie, die schöne Tochter des Hoteliers, genießt das Leben in vollen Zügen und verdreht zahlreichen Männern die Köpfe. Ihr Bruder Ludwig dagegen hadert mit seinem Schicksal als Hotelerbe. Viel lieber würde er nach Amerika aufbrechen und dort sein Glück als Ingenieur versuchen. Doch seine Verlobte Charlotte von Domin schreckt vor keiner Heimtücke zurück, um ihn von seinen Plänen abzubringen …
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Karl Hohenstein fragte sich, was ihn in diesem Moment mehr erschütterte: die Nachricht, dass der Hauptkoch mit einer Kiste Tafelsilber auf und davon war, oder der Moment der Erkenntnis, dass es sich bei dem androgynen Wesen, das gerade durch das Vestibül schritt, um seine Tochter Valerie handelte. »Grundgütiger!« Valerie drehte sich einmal um sich selbst, damit er die Gelegenheit bekam, das, was von ihrer dunklen Haarpracht übrig geblieben war, von allen Seiten bewundern zu können. »Sehr hübsch«, sagte Karls Onkel, Konrad Alsberg, und nickte Valerie aufmunternd zu. »Danke. Wenigstens einer, der Ahnung von Mode hat.« Valerie stützte sich auf die Rezeption und lehnte sich leicht vor. »Nun guck nicht so, Papa, das ist der letzte Schrei.« »War das Mariannes Idee?« Valerie hatte bei ihrer älteren Schwester in Köln übernachtet. »Nein, sie hat mich nur darin bestärkt. Man trägt sein Haar jetzt so.« Karl begutachtete erneut kritisch die Frisur seiner Tochter. Die Haare waren nun nur noch kinnlang, hatten eine Wasserwelle, und zwei Locken waren seitlich ins Gesicht gedreht worden. Glücklicherweise war das zu seiner Zeit anders gewesen, dachte er. »Ich werde Mama auch dazu überreden.« »Untersteh dich.« »Ach, Papa, du bist so hoffnungslos altmodisch.« Konrad grinste verhalten. Er hatte auch leicht lachen, seine eigene Tochter Emma sah immerhin noch aus wie eine Frau. »Wie geht es Marianne?«, wechselte Karl das Thema. »Gut. Heinrich sagte, das Kind kommt bestimmt früher. Ich glaube, wenn ihr Bauch noch dicker wird, platzt sie.« »Das hört sie sicher gerne.« Valerie lachte nur. »Und was gibt’s hier Neues?«, fragte sie, als sei sie länger als eine Nacht fort gewesen. »Unser Erster Koch ist weg, und einen Satz Tafelsilber hat er auch mitgehen lassen«, antwortete Karl. »Wie spannend.« »Das kommt wohl auf den Standpunkt an.« »Ruft ihr die Polizei?« »Das macht dein Bruder gerade.« Und offenbar dauerte die Sache länger, denn er hatte seinen Ältesten, Ludwig, bereits vor einer guten halben Stunde damit beauftragt. Valerie hielt sich nicht länger mit den langweiligen Details auf, sondern verließ das Vestibül, vermutlich, um ihrer Mutter die neue Frisur vorzuführen. »In den nächsten Tagen können wir uns noch irgendwie behelfen«, sagte Konrad. »Ich habe einem der Unterköche die Weisungsbefugnis über die Küche erteilt, aber wir brauchen dringend einen Ersatz. Jemand muss eine Anzeige aufgeben.« Es war Anfang Juni, die Hochsaison hatte begonnen, und das Haus war ausgebucht – zum ersten Mal seit Ende des Großen Krieges ging es der Familie und dem Hotel finanziell wieder gut. In den Jahren zuvor war alles mehr Schein als Sein gewesen, eine glanzvolle Fassade, während in ihrem Privatleben jeder Pfennig zweimal umgedreht wurde. Das strikte Sparprogramm, das Karl und Konrad den Familien verordnet hatten, begann nun, Früchte zu tragen, und dieses Jahr, das hatte Karl seiner Tochter versprochen, würde man feiern wie in alten Tagen. Ausgerechnet jetzt musste er sich allerdings um diese ärgerliche Geschichte kümmern. Weit konnte der Kerl jedoch nicht gekommen sein, und vielleicht erhielten sie das Silber zurück, ohne vorher den Umweg über die Versicherung zu gehen. »Übrigens wird nächste Woche das neue Automobil geliefert«, sagte Konrad in seine Überlegungen hinein. Ein Rolls Royce Phantom, der sich zu Konrads geliebtem Silver Ghost gesellen würde. Der neue Wagen war ein Geschenk für Konrads Tochter Emma, Karls Cousine, die mit ihren achtzehn Jahren vier Jahre jünger war als Valerie. Das lag daran, dass sein Onkel nur zehn Jahre älter war als er, ein Umstand, der einer außerehelichen Affäre von Karls Großvater geschuldet war. Vor gut zwanzig Jahren, nachts zur Jahreswende, war Konrad Alsberg urplötzlich aufgetaucht und hatte Anspruch auf seinen Anteil am Hotel gefordert, ein legitimes Recht, denn er war mit Karls Vater zusammen der Haupterbe gewesen. Seither hatte sich vieles geändert – es gab Elektrizität, Lifts, und nach dem Großen Krieg war das Hotel mit einer richtigen Telephonzentrale ausgestattet worden, die sich ein wenig zurückgelagert im Vestibül befand. In der Remise standen vier Hotelautomobile, die die Hoteldroschken ersetzt hatten, sowie zwei private, eines gehörte Karls Ehefrau Julia, das andere Konrad, beide wurden jedoch rege auch von den Kindern genutzt. Karl konnte zwar fahren, tat es jedoch ungern und überließ das meist einem der Hotelchauffeure. Einer der Kellner näherte sich der Rezeption. »Es gab einen etwas unschönen Vorfall im Garten, gnädiger Herr. Die Zofe der Gräfin von Lichtenberg wurde beleidigt.« »Von wem?« »Ich bedaure es vielmals, aber Ihr werter Neffe hat sich wohl ein wenig im Ton vergriffen, gnädiger Herr.« Karl musste nicht wissen, welcher der beiden. Hans, das ständige Ärgernis. Nachdem Valerie sich bei ihrer Mutter die Bestätigung geholt hatte, dass ihre neue Frisur hinreißend war, verließ sie das Haus wieder und ging in den Garten. Die ständige Unruhe, die in ihr vibrierte, erlaubte ihr kein längeres Verweilen in der Wohnung, und das herrliche Sommerwetter lud dazu ein, draußen nach Zerstreuung zu suchen. Im letzten Sommer hatte ihre Tante Johanna sie nach Ungarn eingeladen, wo sie mit deren ältester Tochter eine herrliche Zeit in den Ballsälen von Budapest und später auch in Wien verbracht hatte, denn zum Ende der Saison reisten ihre Tante und deren Mann Victor mitsamt ihren fünf Kindern meist nach Österreich. Im Sommer zuvor war Valerie in England gewesen. Den Winter über bei einer Freundin in Paris. Es hatte gutgetan, in den Zeiten massiver Einschränkungen trotzdem ein recht mondänes Leben führen zu können. Obgleich Valerie wusste, dass dies nur möglich war, da ihre Verwandten in Ungarn und England nach wie vor vermögend waren. Das Siebengebirge war immer noch ein beliebtes Reiseziel, und der nach dem Krieg erlahmte Tourismus erlebte eine neue Blütezeit. Alles in allem war es wunderbar, und Valerie freute sich unbändig auf die Saison. Sie ließ sich eine Tasse Kaffee bringen und beobachtete die Gäste. Das war jedes Mal ein großer Spaß, und gelegentlich hielt sie die ein oder andere Szene in schriftlichen Skizzen fest. »Ah, Valerie, du bist es«, hörte sie die Stimme ihres Cousins Hans hinter sich und drehte sich zu ihm um. »Im ersten Moment glaubte ich, ein Mann mit einer seltsamen Vorliebe für Frauenkleider hätte sich unter die Gäste gemischt.« Valerie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht trat. Hans war erst siebzehn – fast noch ein Kind –, und doch schaffte er es ständig, sie zu provozieren. »Höre ich da Begehrlichkeit und Enttäuschung?«, fragte sie, beobachtete gespannt seine Reaktion und feixte, als ihm seinerseits vor offensichtlicher Empörung die Röte über die Wangen kroch. Er schwieg, schien nach einer angemessenen Antwort zu suchen, während ihm ihre Belustigung offenbar nicht entging. »Ist das gar der Grund für diesen Auftritt?«, fragte er schließlich. »Dass du aufreizend auf Männer wirken möchtest, die einen Hang zu Herren in Damenkleidern haben?« »Hans!« Karl Hohenstein musste seine Stimme nicht erheben, um ihr die Schärfe eines Armeesäbels zu verpassen. »Was, um alles in der Welt, sind das für Worte, die du meiner Tochter gegenüber äußerst?« Provozierend langsam drehte Hans sich um. »Onkel Karl. Ich denke, ich bin Ehrenmann genug, nicht zu sagen, welche Worte deiner Tochter den meinen vorangegangen sind.« Nun spürte Valerie den Blick ihres Vaters auf sich und hob das Kinn, schwieg. »Entschuldige dich bei ihr«, forderte Karl Hohenstein. Hans lächelte aufreizend. »Ich entschuldige mich in aller Form, Cousinchen.« Valerie neigte huldvoll den Kopf, während ihr Vater die Brauen nach wie vor finster zusammenzog. »Was war das eben mit der Zofe der Gräfin von Lichtenberg?« Hans wirkte, als müsse er überlegen. »Ach, das. Keine große Sache. Sie ist im Garten spazieren gewesen, und ich habe lediglich angemerkt, dass der Garten vornehmlich unseren Gäste vorbehalten ist und es für ihresgleichen andere Möglichkeiten der Zerstreuung gibt.« Damit hatte er nicht einmal unrecht, in den Garten durften in der Tat nur die Gäste des Hauses. Valerie bemerkte, wie ihr Vater sich entspannte. »Verstehe. Und darüber, dass du ihre Zofe darauf hingewiesen hast, hat sich die Gräfin geärgert?« Ein nonchalantes Schulterzucken. »Ich vermute eher, es war, weil ich angedeutet habe, an welche Art der Zerstreuung ich gedacht habe.« Hans zwinkerte Valerie zu, drehte sich um und schlenderte von der Terrasse. Karl Hohenstein konnte ihm nicht nachfolgen, ohne die Aufmerksamkeit der anwesenden Gäste auf sich zu ziehen. Also blieb er stehen, und Valerie konnte sehen, wie es in ihm brodelte. »Schick ihn doch eine Weile nach Ungarn«, schlug sie vor. »Vielleicht tut es ihm gut, mal etwas anderes zu sehen, andere Leute um sich zu haben.« »Eine Woche bei Johanna, und wir sehen die Gute nie wieder. Nein, das ist keine Lösung. Zumindest nicht, wenn du ein Interesse daran hast, deine Tante auch künftig besuchen zu dürfen.« Tatsächlich hatte es im vorigen Jahr schon einmal einen äußerst...