Johnson | Color - Ein amerikanisches Leben | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Johnson Color - Ein amerikanisches Leben


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7543-7667-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-7543-7667-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Ist man auch dann ein Schwarzer, wenn es niemand sehen kann? In einem tief gespaltenen Land macht sich ein hellhäutiger Afroamerikaner auf die Suche nach seiner Identität. Die fiktive Autobiografie "Color - Ein amerikanisches Leben" wurde 1912 zunächst anonym veröffentlicht. Darin beschreibt der namenlose Ich-Erzähler die Stationen seines bewegten Lebens. Die Suche nach Zugehörigkeit und Heimat treibt ihn einmal quer durch die USA, nach Europa und wieder zurück, von der Zigarrenfabrik über die Spielhölle in den Ragtime-Club, von der Pariser Oper über Berliner Konzerthäuser bis zu einem Treffen evangelikaler Christen in den Südstaaten. Zwei Morde erweisen sich als schicksalsentscheidend ... Das Buch liest sich wie eine Mischung aus Coming-of-Age-Roman und Road Novel. Schnörkellos, ehrlich und zugleich unterhaltsam vermittelt es einen Einblick in das diverse Leben der schwarzen Bevölkerung und einen Eindruck der amerikanischen Gesellschaft um 1900.

Autor James Weldon Johnson (1871-1938) war ein Mann mit vielen Talenten und einem außergewöhnlichen Werdegang. Er war Schriftsteller, Komponist, Hochschullehrer, Rechtsanwalt, Diplomat und Bürgerrechtler. Als führendes Mitglied der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) setzte er sich u. a. für ein Anti-Lynch-Gesetz ein. Gemeinsam mit seinem Bruder John Rosamond Johnson schrieb er das Lied "Lift Every Voice and Sing", das zur Hymne des schwarzen Amerikas wurde. Später komponierten die beiden noch etliche Ragtime-Hits. Johnson war eine Schlüsselfigur der Kulturbewegung Harlem Renaissance und verfasste Gedichte, Essays und eine Autobiografie. "Color - Ein amerikanisches Leben" blieb sein einziger Roman.

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KAPITEL 2
Seit ich älter bin, denke ich oft an diese Zeit zurück und versuche, den Wandel zu analysieren, den mein Leben nach diesem schicksalhaften Tag in der Schule durchmachte. Der tiefgreifenden Veränderung war ich mir trotz meiner Jugend bewusst, auch wenn ich sie nicht ganz verstand. Wie das erste Mal, als ich eine Tracht Prügel bezog, ist dies eines der wenigen Ereignisse in meinem Leben, an die ich mich deutlich erinnere. Jeder Mensch macht im Laufe seines Lebens einige unglückliche Erfahrungen, die sich nicht einfach in seinem Gedächtnis verankern, sondern sich dort einbrennen. Noch Jahre später kann man sie detailliert abrufen und die von ihnen erzeugten Gefühle aufs Neue durchleben. Dies sind die Tragödien des Lebens. In späteren Jahren mögen wir manche davon als triviale Vorkommnisse unserer Kindheit abtun – ein zerbrochenes Spielzeug, ein nicht eingelöstes Versprechen, harte, verletzende Worte –, jedoch gehören sie ebenso wie die bitteren Erfahrungen und Enttäuschungen reiferer Jahre zu den Tragödien des Lebens. Und so habe ich viele Male jene Stunde, jenen Tag, jene Woche neu durchlebt, als ich auf wundersame Weise von einer Welt in die andere hinüberwechselte. Denn ich fand mich tatsächlich in einer anderen Welt wieder. Von da an sah ich alles mit anderen Augen, meine Gedanken waren gefärbt, meine Worte bestimmt, meine Handlungen beschränkt durch eine alles dominierende, alles durchdringende Vorstellung, die immer gewaltiger und gewichtiger wurde, bis ich darin schließlich eine große, klare Tatsache erkannte. Diesem alles hemmenden, verzerrenden und verfälschenden Einfluss unterliegt jeder Schwarze in den Vereinigten Staaten. Er ist gezwungen, alles nicht etwa aus der Perspektive eines Bürgers, eines Mannes oder einfach eines Menschen zu betrachten, sondern aus dem Blickwinkel eines Schwarzen. Es ist ein wahres Wunder, dass wir so große Fortschritte machen konnten, denn die meisten unserer Gedanken und all unsere Handlungen müssen sich durch dieses Nadelöhr zwängen. Das ist auch ein Grund, warum die schwarzen Menschen dieses Landes für die Weißen so rätselhaft sind. Für einen Weißen ist es sehr schwierig zu ergründen, was ein Schwarzer wirklich denkt. Seine Gedanken müssen in einem anderen Licht betrachtet und zusätzlich ausgeleuchtet werden, denn sie werden oft von so subtilen und heiklen Überlegungen beeinflusst, dass es ihm unmöglich wäre, sie einem Weißen zu offenbaren oder zu erklären. Dadurch entwickelt jeder Schwarze eine seiner Intelligenz entsprechende gespaltene Persönlichkeit. Er besitzt eine Seite, die er nur innerhalb der verschworenen schwarzen Gemeinschaft zeigt. Oft habe ich mit Interesse und bisweilen Erstaunen beobachtet, wie selbst ungebildete Schwarze in Anwesenheit von Weißen verborgen hinter einem breiten Grinsen und Minstrel1-Clownereien dieses doppelte Spiel spielten. Ich bin überzeugt, dass die Schwarzen dieses Landes die Weißen besser kennen und verstehen als umgekehrt. Ich glaube heute, dass ich die Veränderung in meinem Leben anfangs eher subjektiv empfunden habe, als dass sie objektiv existierte. Ich glaube nicht, dass sich die Haltung meiner Schulkameraden mir gegenüber merklich veränderte, sondern dass ich mich ihnen gegenüber anders verhielt. Ich wurde distanzierter, misstrauischer, weil ich fürchtete, meine Gefühle und mein Stolz könnten verletzt werden. Häufig sah ich Beleidigungen, wo sicher keine beabsichtigt waren. Falls meine Lehrer und Freunde sich überhaupt anders verhielten als vorher, waren sie eher besonders rücksichtsvoll mir gegenüber. Aber es war genau diese Haltung, die mir gegen den Strich ging. Red war der Einzige, der mich nicht auf diese Weise verletzte. Bis zum heutigen Tag wird mir warm ums Herz, wenn ich an seine unbeholfenen Bemühungen zurückdenke, mir zu verstehen zu geben, dass nichts seine Zuneigung zu mir mindern könne. Ich bin mir sicher, dass meine weißen Klassenkameraden damals den Unterschied zwischen ihnen und mir weder wahrnahmen noch verstanden, aber einige waren offensichtlich zu Hause informiert worden, und mehr als einmal stellten sie ihr Wissen in Wort und Tat unter Beweis. Im Laufe der Jahre wurden sich auch die Unschuldigsten und Unwissendsten unter den anderen Schülern dieses Unterschieds bewusst. Ich selbst hätte ihn nicht so deutlich wahrgenommen, wenn nicht die anderen schwarzen Kinder gewesen wären. Ich hatte gelernt, welchen Status sie hatten, und nun lernte ich, dass dies auch mein Status war. Ich empfand weder besondere Sympathie noch Abneigung gegenüber diesen schwarzen Jungen und Mädchen. Mit Ausnahme von Shiny hatte ich mir selten Gedanken über sie gemacht. Doch als mich dieser Schlag traf, wehrte ich mich innerlich dagegen, mit ihnen in einen Topf geworfen zu werden. Also wurde ich zum Eigenbrötler. Red und ich blieben unzertrennlich, und auch Shiny und ich waren einander wohlgesonnen, aber im Umgang mit anderen war ich nie ganz unbefangen. Allerdings beschränkte sich diese Befangenheit fast ausschließlich auf den Umgang mit Gleichaltrigen. Bei Personen, die älter waren als ich, blieb dieses Gefühl aus. Und als ich erwachsen wurde, war ich gegenüber älteren Weißen viel unbefangener als gegenüber denen in meinem Alter. Ich war damals erst elf Jahre alt, aber die oben beschriebenen Gefühle und Eindrücke hätten nicht stärker oder klarer sein können, wenn ich älter gewesen wäre. Meine unfreiwillige Einsamkeit hatte zwei Dinge zur Folge: Zum einen wurden Bücher meine besten Freunde und zum anderen widmete ich mich mit noch mehr Vergnügen der Musik. Meine Liebe zu Büchern nahm ihren Anfang mit einer großen illustrierten Bibel in goldgeprägtem Einband, die völlig unbeachtet unter einem Fotoalbum auf dem Tisch in unserem kleinen Wohnzimmer lag. Ich hatte schon oft die Bilder in dem Album betrachtet, aber als ich eines Tages das größere Buch nahm, um es auf dem Boden aufzuschlagen, war ich hocherfreut festzustellen, dass es ebenfalls eine schier unglaubliche Menge an Bildern enthielt. Ich schaute mir die Illustrationen immer wieder an, so oft, dass ich die Geschichte zu jeder kannte, ohne den dazugehörigen Text zu lesen. Dann entdeckte ich die Erzählungen über die Leiden und Prüfungen des Volkes Israel, die ich mit fieberhaftem Interesse und Spannung las. Lange Zeit war König David, dicht gefolgt von Samson, mein größter Held und blieb es, bis ich den schottischen König Robert Bruce kennenlernte. Ich las einen Gutteil des Alten Testaments, all die Seiten, die von Kriegen und Gerüchten über Kriege handelten, und dann begann ich mit dem Neuen. Das Leben Jesu Christi interessierte mich sehr, doch verlor ich die Geduld und war enttäuscht, als er die große Macht, die er besaß, nicht einsetzte, als es meiner Ansicht nach am nötigsten gewesen wäre. Und so glich mein erster Eindruck von der Bibel dem, den ich später bei vielen modernen Büchern auch hatte, nämlich dass die Autoren sich mit dem ersten Teil besondere Mühe gegeben hatten, aber gegen Ende die Lust oder Energie verloren hatten. Nachdem ich die Bibel gelesen hatte – zumindest die Passagen, die mich interessierten –, erforschte ich die bereits erwähnte Büchervitrine. Dort fand ich Die Pilgerreise von John Bunyan, Peter Parley‘s History of the United States, Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm, Erzählungen eines Großvaters von Sir Walter Scott, den Sammelband einer alten englischen Zeitung (Ich glaube, sie hieß The Mirror), ein kleines Buch mit dem Titel Familiar Science und eines, das Natural Theology hieß. Letzteres war natürlich zu schwierig für mich, aber ich versuchte es dennoch, was zu einer dauerhaften Abneigung gegen jede Art von Theologie führte. Es gab noch einige andere Bücher, unbekannt und wertlos, wie Vertreter sie Leuten verkaufen, die sich mit Büchern nicht auskennen. Ich habe nie nachgefragt, wie meine Mutter zu dieser kleinen Bibliothek gekommen war, die erstaunlich gut meinen Bedürfnissen entsprach. Sie war bei Weitem keine ungebildete Frau und hatte wahrscheinlich die meisten dieser Bücher gelesen, doch sah ich sie nie mit einem Buch in der Hand, mit Ausnahme des Gebetbuchs der Episkopalkirche. Aber sie spornte mich zum Lesen an, und als ich alle Bände der kleinen Bibliothek gelesen hatte, die mich interessierten, kaufte sie mir weitere Bücher. Sie gab mir auch regelmäßig Geld, um eine Wochenzeitung für Jungen zu kaufen, die damals sehr beliebt war. Zur gleichen Zeit widmete ich mich mit einer für einen Jungen meines Alters ungewöhnlichen Ernsthaftigkeit der Musik. Dafür war vor allem ein neuer Lehrer verantwortlich. Ich nahm nun Unterricht bei dem Organisten der Kirche, die ich mit meiner Mutter besuchte. Er war ein guter Lehrer und ein recht anständiger Musiker. Seine Lehrmethoden waren so erfolgreich und er weckte eine solche Begeisterung in mir, dass ich, wie er selbst sagte, erstaunliche Fortschritte machte. Mit knapp zwölf Jahren trat ich zusammen mit einigen Erwachsenen bei einer...



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