John | Das Geheimnis des Rosenhauses | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Reihe: Gulliver Taschenbücher

John Das Geheimnis des Rosenhauses

Roman

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Reihe: Gulliver Taschenbücher

ISBN: 978-3-407-74138-7
Verlag: Beltz, J
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Ein Hexenroman, der vor Fabulierlust sprüht - ein großes Lesevergnügen!« Lifestyle Wien Lulu weiß sofort, was der grüne Schein bedeutet, den die alte Hexe Jovianda an ihr entdeckt - ein schreckliches Unglück wird sie oder ihre Familie treffen. Selbst die Schutzamulette können das nicht verhindern. Und so nimmt das Unglück seinen Lauf. Lulus Mutter, die schöne und kluge Hexe Graviata, wird das Opfer von Hochverrat und gewaltigen Intrigen. Ihre Kinder setzen mit Hilfe ihrer Zauberkräfte alles daran, Graviata zu retten. Die Spur führt sie zum Rosenhaus, das ein trauriges und mörderisches Geheimnis in sich birgt.
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1. Kapitel
Es war ein schon später Nachmittag, als die alte Vettel Jovinda den Unterricht für beendet erklärte. »Alte Vettel« war der Hassname, mit dem die Kinder Jovinda belegten, und heute hatte die Alte ihn redlich verdient, fand Lulu. Sie wusste nicht, was eine Vettel war, und sie war sich ziemlich sicher, dass ihre beiden Mitschüler und Leidensgenossen es ebenfalls nicht wussten. Aber alte Vettel klang gut. Schön böse. Es klang nach Fett, Falten, Schmutz und anderen unappetitlichen Dingen. Passend für Jovinda, die sie den ganzen langen Tag gequält hatte mit dem langweiligsten aller Unterrichtsstoffe: Genealogie oder Stammeskunde, die Geschichte der großen Hexenfamilien. Eigentlich hatte Lulu sich auf dieses Fach gefreut, sie hatte geglaubt, etwas darüber zu erfahren, wie die Hexen und ihre Kinder in den vergangenen Jahrhunderten gelebt hatten. Aber bei Jovinda klang das so: »Und Tavinia gebar Loren. Und Loren gebar Wieken und Salen und Tavinia-Nina. Und Tavinia-Nina gebar Einar, Wineta und Nassia. Und Wineta gebar Sandrina, doch Nassia hatte keine Kinder. Und Sandrina gebar …« So ging es weiter und weiter und weiter. Stundenlang saßen sie in Jovindas stickiger Stube und wiederholten im schläfrigen Singsang endlose Reihen von Namen, die der Hexenmütter, Hexentöchter, Hexensöhne, während Jovinda mit ihrer Krücke den Takt dazu auf den Boden klopfte und wie ein Schießhund aufpasste, dass sich keiner ihrer Schüler versprach. Geschah es doch einmal, so wandte sie sich mit einer Blitzesschnelle, die niemand ihrem schwerfälligen Körper zugetraut hätte, dem Unglücksraben zu und zwickte ihn mit scharfen Fingernägeln ins Ohr, was höllisch wehtat, und alle mussten wieder von vorne beginnen. Den kleinen Colin hatte es heute schon viermal getroffen, sein rechtes Ohr leuchtete wie eine Laterne. Er konnte kaum noch die Tränen zurückhalten, schniefte und wischte sich ständig mit dem Handrücken glänzende Tropfen von der Nasenspitze. Vettel, dachte Lulu hasserfüllt, widerliche, alte Vettel! Doch sie schlug die Augen nieder und machte ein Gesicht wie ein Engel, denn sie fühlte Jovindas harten, wässrigen Blick auf sich. »Schluss für heute«, verkündete Jovinda. »Colin und Bertha können gehen. Ludovica, du bleibst noch hier. Ich habe mit dir zu reden!« Mist! Lulu sank in sich zusammen. Colin und Bertha schossen von ihren Stühlen hoch, flitzten, ohne einen Blick auf die unglückliche Lulu zu riskieren, aus der Stube, aus dem Haus, und erst als sie über den Hof und den äußeren Ring hinaus und in Sicherheit waren, hielten sie kurz inne, drehten sich um, riefen ein dünnes »Wiedersehen, Madame Jovinda!«, und verschwanden kreischend vor Erleichterung im Schatten der hohen Bäume. In der Stube wurde es sehr still. Die Wanduhr seufzte. Evchen, Jovindas fette Katze, sprang mit einem lautlosen Satz auf den Tisch, blieb mit zuckendem, hoch erhobenem Schwanz stehen und starrte Lulu unverwandt an. Jovinda sah zum Fenster hinaus, in die Richtung, in die ihre beiden Schüler verschwunden waren. Endlich drehte sie sich um und stampfte unwillig mit ihrer Krücke auf den Boden. »Keine Manieren«, schimpfte sie. »Diese beiden haben keine Manieren. Aber ich nehme es ihnen nicht übel. Sie sind Bauernkinder, von ihren Eltern hergeschickt, damit sie ein paar Zaubersprüche lernen für den Garten und das Feld und vielleicht, um hin und wieder ein krankes Stück Vieh zu kurieren.« Und was sie wirklich lernen, sind sinnlose Reihen von Namen und wie man es anstellt, vor Langeweile nicht zu sterben, dachte Lulu. »Evchen kann deine Gedanken hören«, sagte Jovinda. Lulu erschrak. Evchen setzte sich und begann, hektisch ihr Brustfell zu lecken. Lulu wollte nicht glauben, was Jovinda gesagt hatte, allerdings benahm Evchen sich genau so, wie Katzen sich benehmen, wenn sie bei etwas ertappt worden sind. »Vettel«, sagte Jovinda, »ist eine verächtliche Bezeichnung für eine alte Frau. Heißt so viel wie liederliches, schlampiges, schmutziges, altes Weib.« Dann war ich ja nah dran, dachte Lulu trotzig. Wieder stampfte die Krücke auf den Boden. »Ich bin eine Hexe und keine schlechte. Glaubst du, ich könnte nicht, wenn ich wollte, genauso schön und jung aussehen wie deine Mutter? Ja, deine Mutter, die schöne, ewig junge Graviata. Ich weiß, wie alt sie wirklich ist, sogar ziemlich genau. Doch das ganze Land, selbst der Palast liegt ihr zu Füßen, weil sie keinen Tag älter als zwanzig aussieht. Als ob das etwas Besonderes wäre. Sie ist eine Hexe, genau wie ich. Sie verkauft ihre Sprüche, ihre Wässerchen und lässt die Leute jung und schön aussehen. Na und? Firlefanz ist das. Unwichtiger, unnötiger Firlefanz!« Sie spuckte ein bisschen, als sie »Firlefanz« sagte. Lulu überlegte, was Firlefanz war, sie wusste es nicht. Nichts Gutes vermutlich. »All diese Sprüche und Wässerchen, die kenne ich auch«, fuhr Jovinda fort. »Doch ich wende sie nicht an. Evchen und ich haben schon vor langer Zeit beschlossen, in Würde zu altern.« Sie betonte das Wort Würde. Als ob Lulus Mama kein Krümelchen Würde besäße, nur weil sie auf ihr Äußeres hielt. Aber Graviata musste jung bleiben. Ihr Aussehen war ihre Reklame, Jugend und Schönheit waren ihr Geschäft, ein gutes Geschäft, das sie bis in den Palast gebracht hatte und sie alle ernährte. Einschließlich Jovinda, die für ihren langweiligen Unterricht ein saftiges Schulgeld von Graviata bezog. »Glaubst du nicht auch«, fuhr Jovinda fort, »dass eine Frau, selbst eine alte Hexe, das Recht hat, so zu sein, zu leben und auszusehen, wie sie es für richtig hält, ohne dafür ein hässliches Schimpfwort hinnehmen zu müssen, das vermutlich vor einigen hundert Jahren von ein paar arroganten jungen Schnöseln erfunden worden ist?« Du liebe Güte, jetzt kam die alte Vet… äh … Dame ja richtig in Fahrt. Lulu wusste nicht so recht, was sie von Jovindas Vortrag halten sollte und ob sie ihn überhaupt verstanden hatte. Lulu war elf und die Probleme von alten Leuten waren ihr irgendwie schnurz. Jovinda war uralt. Lulus Mama war auch alt, zwar schön, aber alt. Sogar Rafaela, Lulus Schwester, war alt. Und die war gerade mal vierzehn. Beneidenswert alt, aber alt. Jovinda seufzte. »Stammeskunde gehört seit Jahrhunderten zur Schulbildung. Jede gebildete Hexe hat als Kind die Namen der großen Hexenmütter auswendig gelernt und kann sie vermutlich noch auf dem Totenbett hersagen. Und genauso wie wir haben die Magier und die Gelehrten ihre Stammväter und -mütter, die sie in Ehren halten und deren Namen sie in ihre Bücher schreiben. Wir Hexen schreiben nicht, wir lernen auswendig. Du wirst in deinem Leben noch Tausende und Abertausende von Sprüchen und Rezepten lernen müssen, da ist die Genealogie ein gutes Training. Und wenn Gedächtnistraining für ein Hexenkind gut ist, warum sollte es dann für Bauernkinder schlecht sein? Auch sie werden sich anstrengen müssen, all das zu behalten, was ich ihnen im kommenden Herbst beibringen werde.« Lulu rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her. Es gab nun keinen Zweifel mehr: Jovinda kannte ihre Gedanken. Ob von Evchen oder ob die Alte selbst in den Köpfen anderer Leute horchen konnte, war egal. Lulu fühlte sich ertappt. Kalt erwischt. Wenn sie ein Brustfell gehabt hätte wie Evchen, hätte sie hektisch daran zu lecken begonnen. »Ich weiß selbst nicht, warum ich dir das alles zu erklären versuche«, brummte Jovinda missmutig. »Erstens verstehst du nichts und zweitens legst du keinen Wert auf meine Erklärungen. Es ist …« Mit einer herrischen Bewegung brachte sie Lulus Beteuerungen zum Schweigen, dass sie sehr wohl verstehe und auch Wert lege auf Erklärungen und all so was – und das bevor Lulu auch nur einen Laut hatte von sich geben können. »Es ist nur so, dass Evchen etwas an dir aufgefallen ist. Du trägst den Schein.« Lulu brach der Boden unter den Füßen weg, bildlich gesprochen. Er brach nicht wirklich weg, sie hatte nur das Gefühl, er täte es. »Du liebe Güte!«, rief Jovinda. »Reiß dich ein wenig zusammen, du bist ja weißer als ein Käsekloß. Und schau mich nicht mit diesen riesigen, schwarzen Augen an, als hätte ich dir ein Messer in die Brust gestoßen. Da!« Sie schnippte mit dem Daumen und vor Lulu erschienen ein Becher und ein Tonkrug. »Trink was!«, befahl Jovinda. »Das Wasser ist frisch und kühl.« Der Becher war schon voll eingeschenkt, dafür war Lulu dankbar. Sie hätte es nicht geschafft, sich selbst aus dem Krug zu bedienen. Ihre Hände zitterten so stark, dass sie den Becher kaum zum Mund brachte, und ein Teil des Wassers schwappte auf die Tischplatte. »Wisch es weg, das gibt Ringe!«, zischte Jovinda. Hastig patschte Lulu in der Pfütze herum, aber sie schmierte das Wasser nur weiter über den Tisch. Jovinda seufzte. »Wenn deine Hände schon mal nass sind, fahr dir damit durch die Haare. Sie stehen nach allen Seiten ab. Ich kann mich nicht mit jemandem unterhalten, der wie ein Igel aussieht.« Gehorsam strich Lulu sich die Haare glatt. Mit mäßigem Erfolg. Ihr Haar war schwarz und dick und widerspenstig. Sehr widerspenstig, vor allem, wenn ihr jemand sagte, sie trage den Schein. »Du weißt also, was es bedeutet, wenn man sagt, jemand trägt den Schein«, bemerkte Jovinda. Lulu nickte. »Das bedeutet …«, ihre Stimme versandete in einem Flüsterton. Sie trank noch einen Schluck und nahm von Neuem Anlauf: »Das bedeutet, ein schreckliches Unglück wird mich treffen oder jemanden aus meiner Familie oder uns alle, und ich bin schuld, ich bin eine Aussätzige, jeder kann es mir ansehen, oh …« Ihre Stimme wurde immer dünner und piepsiger, und sie wusste, sie würde gleich...


Schöffmann, Eva
Eva Schöffmann-Davidov, geboren 1973, besuchte nach dem Abitur die Freie Kunstwerkstatt in München und studierte anschließend Graphik-Design in Augsburg. Nach ihrem Studium machte sie sich als freie Illustratorin selbständig und gehört mittlerweile zu einer der bekanntesten deutschen Illustratoren für Kinder- und Jugendbücher. Eva Schöffmann-Davidov lebt mit ihrer Familie in Augsburg.


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