Jönsson | Zeit | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 121 Seiten

Jönsson Zeit


1. Auflage 2015
ISBN: 978-87-11-45201-1
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 121 Seiten

ISBN: 978-87-11-45201-1
Verlag: SAGA Egmont
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'Ein Menschenleben dauert im Durchschnitt 30.000 Tage. Sie machen unser Kapital, unser individuelles Vermögen aus. Deshalb ist es nicht richtig und schon gar nicht menschenwürdig, wenn wir akzeptieren, dass Zeit als Mangelware empfunden wird.' Aber wer hat nicht das Gefühl, keine Zeit zu haben? Im modernen Leben fühlen wir uns ständig gehetzt und packen dennoch immer mehr in den Terminkalender. Die Zeit scheint immer schneller zu rasen. In zehn 'Gedanken' berichtet Bodil Jönsson von den Tricks, mit denen sie selbst zu einem anderen Zeitverhältnis gefunden hat. Ihre Botschaft lautet: Es ist nur eine Illusion, wir hätten zu wenig Zeit. Wir können die Zeit anhalten, in einen anderen, menschengerechteren Rhythmus kommen - und ganz langsam kehrt die Zeitewigkeit zurück ... TEXTAUSZUG 'Es gab in meinem Leben nicht besonders viele Idole. Vielleicht nur ein einziges: meine Großmutter. ... Dass meine Großmutter sich so sehr in mein Gedächtnis eingeprägt hat, has sicher viele Gründe, aber in Moment denke ich vor allem an einen: Meine Großmutter hatte nie zu wenig Zeit.' DIE AUTORIN Bodil Jönsson, geboren 1942 in Helsingborg, Schweden, ist Physickerin und Autorin. Sie ist emeritierte Professorin an der schwedischen Lund-Universität. 'Zeit' war ihr erstes buch.

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3. Kapitel
Rüstzeit
Es gibt nicht viel, was man gleichzeitig tun könnte. Es gibt Menschen, die stehen bleiben müssen, wenn sie Kaugummi kauen wollen. Mir selber fällt immer wieder auf, dass ich langsamer Rad fahre oder laufe, wenn ich wirklich intensiv nachdenke. Frauen können angeblich viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten. Sicher, das können wir (und ich kenne auch manche Männer, die das schaffen), aber es geht nicht mit jedem Ball und auch nicht mit jeder beliebigen Anzahl. (Wie weit sind Sie inzwischen mit der Rechenaufgabe gekommen? Sind Sie überhaupt schon unter 400 gelangt? Und ist Ihnen aufgefallen, dass ich mich schon bei 471 minus 14 verrechnet habe? Wir sind eben nicht für gleichzeitige Arbeiten dieser Art geschaffen.) Vieles geht einem einfach viel besser von der Hand, wenn man nicht nur ungestört, sondern auch nach einer gewissen »Rüstzeit« ans Werk gehen kann. Rüstzeit – das ist die Zeit, die man braucht, um Ordnung in eine Sache zu bringen, sich für den Moment zu rüsten, in dem man mit der Arbeit anfangen kann. Für Forstarbeiter war das früher die Zeit, die sie brauchten, um das Pferd zum Abtransport der gefällten Bäume anzuschirren. In einer Werkstatt wird die Rüstzeit benötigt, um die Maschinen richtig einzustellen. In der Küche ist es die Zeit, die der Koch für die »Mise en place« benötigt, das Zusammentragen aller Zutaten und Geräte, die er zum Kochen braucht. Sogar in der modernen Projektplanung begegnet uns dieser Begriff als Summe der Zeit, die wir brauchen, um ein Projekt in die Wege zu leiten. Dieses Kapitel handelt davon, wie wichtig es ist herauszufinden, welche Rüstzeit unterschiedlichen Aufgaben angemessen ist. Außerdem überlege ich, wie wir unsere Investitionen in die Rüstzeit nutzen können – denn die wollen wir natürlich nicht vergeuden. So, wie man im Wald niemals ein Pferd angeschirrt hätte, ohne dann auch die Forstarbeiten zu erledigen. Oder wie man in der Küche niemals eine »Mise en place« vornimmt, ohne danach das Essen zuzubereiten. Genauso sollten wir eine Rüstzeit nutzen, die wir mit Denken verbracht haben. Wir sollten sie ernst nehmen und nie zulassen, dass sie durch Störungsmomente wie zum Beispiel Telefongespräche verpulvert wird. Unterschiedliche Aufgaben – unterschiedliche Rüstzeiten
leicht und angenehm leicht und langweilig schwer und angenehm schwer und langweilig Das alles wäre auch gut und schön, wenn man unbegrenzt Zeit hätte. Aber oft kommt man auf die beschriebene Weise überhaupt nicht mehr zu den schweren Aufgaben. Man konzentriert sich nur noch auf die leichten. Nicht, weil man die schweren für weniger wichtig hielte oder weil sie unmöglich zu bewerkstelligen wären. Nein, einfach weil man die scheinbar unproduktive Rüstzeit, die schweren Aufgaben vorausgeht, nicht durchhält. Ich glaube nicht, dass es sich dabei um Drückebergerei handelt – eher um »Rüstzeitangst«. Wenn man die Rüstzeit für eine anspruchsvolle Aufgabe durchhält, ist die Befriedigung viel größer als nach vielen kleinen Erledigungen. Aber man muss seine Prioritäten sehr genau setzen und einer größeren Aufgabe ganz bewusst eine ausreichende Rüstzeit einräumen. Und man muss es durchhalten, vor den Augen einer anfangs verständnislosen Umwelt die ständig wachsenden Stapel von kleinen Aufgaben zu ignorieren. Wie sollen andere denn erkennen, dass man sich der Rüstzeit für eine große Aufgabe widmet? Wie erkennt man es überhaupt selbst? Rüstzeit und Erreichbarkeit
Intellektuelle Konzentration braucht eine gewisse Rüstzeit – sie kann Stunden, Tage, Wochen oder sogar Monate dauern. Wenn man diese Zeit aufgebracht hat, darf man sie natürlich nicht vergeuden. Man muss sie nutzen, muss unerreichbar sein. Man muss sich dagegen wehren, dass heutzutage jeder stets erreichbar sein soll, per Handy zum Beispiel. Vor über fünfzehn Jahren habe ich angefangen, mein Verhältnis zum Telefon zu klären. Ich fing mit meinem Dienstanschluss an. Wie konnte ich den zum Schweigen bringen? Allerlei Entschuldigungen waren einprogrammiert. Ich konnte behaupten, ich sei in einer Besprechung, auf Dienstreise oder zu Tisch, ich unterrichte gerade oder habe schon Feierabend gemacht. Aber dass ich mich meiner Hauptaufgabe widmete, dem Denken nämlich (im Kopf, auf dem Papier, vor dem Computer, im Labor oder im Gespräch mit Kollegen und Studierenden) – dafür gab es keinen Knopf. Ich sprach damals mit unserer Telefonzentrale, und deren Reaktion war, die Anrufer würden auf die Auskunft »Nein, Frau Jönsson können Sie nicht sprechen, die denkt gerade« mit Empörung reagieren. Die Anrufer, meinte die Telefonzentrale (und ich glaube, nicht ohne Grund), würden dann pikiert zurückgeben: Wenn ich nichts Wichtigeres zu tun hätte als zu denken, dann könnte ich ja wohl ans Telefon gehen. Ich sah das nicht so. Ein Einsiedlerleben wagen
Die Rüstzeit für Denkarbeit kann unterschiedlich lang sein, es kommt auf unsere Umgebung an. Der rasche und unkomplizierte Zugang zum Internet hat zum Beispiel meine Denk-Rüstzeit beeinflusst – und vermutlich auch schon mein Unterbewusstsein. Ich lasse meinen Gedanken heute noch viel freieren Lauf, denn ich bin sicher, dass ich jederzeit problemlos Informationen zu einem neuen Aspekt finden kann. Es ist schon ein großer Unterschied, ob man auf die lakonischen Auskünfte eines Lexikons angewiesen ist oder Internet-typisch selbst aktiv in vielen Verzweigungen sucht. Lexika haben übrigens ihre eigene Rüstzeit und sind in besonderer Weise von ihrer Gegenwart geprägt. Die Rüstzeit sorgt dafür, dass sie nur selten zeitgenössische Denkstrukturen oder Neuentwicklungen widerspiegeln – zumeist halten sie sich an bereits Etabliertes, das heißt, an bereits teilweise veraltete Informationen. Vermutlich muss das so sein, damit tagesfrische Ideen das Lexikon nicht in eine Eintagsfliege verwandeln. Das schlagendste Beispiel dafür, wie sehr Lexika von ihrer Zeit geprägt sind, verdanke ich einer Zehnjährigen. In einem Aufsatz über Liberia schrieb sie: »Das Land ist bewohnt von wilden und halbwilden Negern.« Auf meine gelinde gesagt verblüffte Frage, woher sie das habe, antwortete sie: »Das steht im Lexikon.« Und bei dem Lexikon handelte es sich um »Das Wissen unserer Zeit« aus dem Jahre 1938. Nur selten ist der Name eines Lexikons für einen Text so bezeichnend gewesen wie für diesen Auszug aus »Das Wissen unserer Zeit«. Jugend als Rüstzeit für das Leben?
Zunächst ein kleines Beispiel. Jedes Kind lernt frühzeitig, nicht mit dem Löffel in den Teller zu schlagen, schließlich soll es später gute Tischmanieren haben. Wie relativ belanglos diese Erziehungsmaßnahme ist – von den Nerven der Eltern einmal abgesehen –, zeigt sich daran, dass kein einziger Erwachsener mit seinem Löffel in den Teller haut. Obwohl jeder bestimmt eine ganz andere Erziehung genossen hat. Mit dem Löffelschlagen verhält es sich sicher wie mit vielem anderem: Es legt sich von selber, wenn man nur lange genug wartet. Nicht nur bei den Tischmanieren, sondern auch in anderen Lebensbereichen gilt offenbar: Kinder und Jugendliche sollen erzogen werden, damit sie später, als Erwachsene, gut zurechtkommen. Davor liegt die ausgedehnte (kulturell definierte) Jugendzeit – nicht zu verwechseln mit der biologischen Jugend. In einer Jägergesellschaft erwachsen zu werden, war das eine, in einer Bauerngesellschaft, schon etwas anderes, wieder anders liegt die Sache in einer Industriegesellschaft. So wurde die Jugendzeit immer weiter ausgedehnt, damit Jugendliche die Kenntnisse erwerben können, die heutzutage im Erwachsenenalter verlangt werden. Was jedoch, wenn wir es nicht mehr schaffen, erwachsen zu werden? Was, wenn die junge Generation der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts sich als die erste aller kommenden Generationen herausstellt, die erleben muss, dass es kein Erwachsensein gibt? Dann ist es doch unabweisbar, dass den wichtigsten Abschnitten unseres Lebens – nämlich Kindheit und Jugend – ein Eigenwert zugebilligt werden muss und dass sie nicht mehr als Rüstzeit für die Zukunft gelten können. Wenn meine Eltern sich mit fünfunddreißig Jahren noch so gekleidet hätten wie mit zwölf, wenn sie herumgerannt wären, als ob sie spielten (»Joggen« nennt man das heute), dann wären sie für verrückt erklärt worden. Erwachsene hatten damals erwachsen zu sein und sich auch entsprechend zu benehmen. Kinder sollten Kinder sein, am besten nicht auffallen und auf ihr zukünftiges Erwachsensein hinarbeiten. Oder, wie es in der ersten Strophe eines Liedes heißt: Wenn ich groß bin, will ich sein weise wie die Eltern mein. Doch im Herzen bleib ich gleich, bin ein Kind in Gottes Reich. Im Gegenteil – wir Älteren sind alten Denkmustern verhaftet, was unsere Erlebnismöglichkeiten einfach begrenzt. Auch wenn (wie ich im ersten Kapitel beschrieben habe) Erlebnisse durchaus nicht an Intensität einbüßen müssen, nur weil wir älter werden, so ändern Denkweisen sich doch von einer Generation zur anderen. Ein Denkmuster, das die eine Generation prägt, hat für die nächste vielleicht gar keine Bedeutung mehr. Junge Denkologen gesucht!
Arbeit ist nun wahrlich kein uralter Menschheitstraum – ganz im Gegenteil. Ich kenne zum Beispiel keine einzige bildliche Darstellung des Paradieses, auf der die Menschen nicht faulenzten. Die ganz besondere Form von Arbeitsmangel, die wir heute beobachten, nämlich der Mangel an formaler Erwerbsarbeit, wird, da bin...



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