Buch, Deutsch, Band 18, 314 Seiten, Format (B × H): 147 mm x 214 mm, Gewicht: 403 g
Reihe: Arbeit und Alltag
Lebenswelten von Alleinerziehenden
Buch, Deutsch, Band 18, 314 Seiten, Format (B × H): 147 mm x 214 mm, Gewicht: 403 g
Reihe: Arbeit und Alltag
ISBN: 978-3-593-51296-9
Verlag: Campus
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Spezielle Soziologie Familiensoziologie
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Spezielle Soziologie Wirtschaftssoziologie, Arbeitssoziologie, Organisationssoziologie
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Spezielle Soziologie Freizeitsoziologie, Konsumsoziologie, Alltagssoziologie, Populärkultur
Weitere Infos & Material
Inhalt
Hinführung 9
Alleinerziehend – Begriffsbestimmungen 14
An vorhandenes Wissen anknüpfen – Forschungsstand 17
Aufbau der Arbeit 21
'Das Private ist politisch': Familie. Macht. Arbeit 25
Frau und Mann – eine harmonische Ergänzung: Historie 29
'Entzauberung der Welt': Feministisches (Nach)Denken 33
Vater, Mutter, Kind? Mythos Familie 39
Subventionierung der Ehe: familienpolitischer Rahmen 48
Ein-Elter-Familien im Spannungsfeld von (Re)Produktion 61
Care-Seiten des Lebens: der Wert von Arbeit 62
Alleinerziehende zwischen Reglement und Selbstermächtigung 68
München – eine Stadt als Lebensraum? 73
Eine Stadt in Zahlen – Politik und Infrastruktur 75
Soziale Welt: Frauen- und Gleichstellungsprojekte in München 84
Anknüpfungen und Vorgehensweise 89
Samplebildung 97
'What is it like?' Eigene Herangehensweisen reflektieren 99
Vielschichtige Realitäten: Lebenswelten Alleinerziehender 103
Frau B.: 'Also es kommt keiner und nimmt dich an der Hand' 115
Alleinerziehend werden in unübersichtlichen Strukturen 122
Herr L.: 'Ich darf nicht krank werden. Ist nicht vorgesehen' 137
(Un)Gleichzeitigkeiten: Spannungsfeld von Care und Erwerb 142
Keine Zeit, aber Druck: 'Tag und Nacht, 24 Stunden Mama' 143
Abhängigkeiten: 'Sie is’ mit der Kleinen im
Auto gesessen – stillbereit' 146
Work-Life-Balance: 'Momentan ist es wichtiger,
für mein Kind da zu sein' 152
Frau J.: 'Mir bleibt genau nichts' 159
Ökonomische Widersprüche 167
Leben? 'Du hast doch noch Geld in der Spardose' 167
Wohnraum? 'Lauter Pärchen, alle gut situiert' 179
Pflichten? 'Lieber geh’ ich in Knast,
als dass ich Unterhalt zahle' 184
Frau N.: 'Kinder von Alleinerziehenden nehmen wir ungern' 189
Zum Suchen und Finden von Kinderbetreuung in München 194
Frau C.: 'Ich würde mir komisch vorkommen,
Hilfe in Anspruch zu nehmen' 203
Kontext München 208
Netze in der Stadt: 'Wenn man sich trifft, is’ es einfacher' 209
Spezifika eines Lebensraums:
'Also München ist meine Heimat' 219
Frau R.: 'Das Label ›Alleinerziehend‹
inkludiert so viele andere Dinge' 223
Die Alleinerziehenden? Wahrnehmung und Distinktion 228
Frau H.: 'Ich fühl’ mich gut ohne Mann' 238
Konstruktion von Geschlechter- und Familienbildern 242
Familienwandel in starren Strukturen:
Schlussbetrachtungen und Ausblicke 255
Lücken im System – (Betreuungs)Leerstellen in München 260
Zeit ist Geld? 264
München als Netz und Lebensraum – über Ein- und Ausschlüsse 267
Beziehungsweisen: Alleinerziehend 270
Druck auf allen Ebenen 272
Verschiedene Wege gehen 276
Literatur 281
Quellen 305
Danksagung 313
Hinführung
'[Es] ist und bleibt die revolutionärste Tat,
immer ›das laut zu sagen, was ist‹.'
Rosa Luxemburg (1971: 338)
München ist die teuerste Stadt Deutschlands (vgl. Röhl/Schröder 2016: 1). Etwa 406.000 Familien lebten 2017 in der Region. Knapp 20 Prozent davon waren sogenannte Alleinerziehenden-Haushalte. In der kreisfreien Stadt lag der Anteil an den dort lebenden knapp 190.000 Familien sogar bei fast 24 Prozent jener alleinerziehender Mütter in diesen Haushalten lag wiederum bei über 80 Prozent (vgl. Bayerisches Landesamt für Statistik 2018: 50). Unter armutsgefährdeten Personen und unter den sogenannten working poor sind Alleinerziehende überproportional stark vertreten (vgl. Büttner 2014; Hellmuth und Urban 2010; Müller/Lien 2017: 3). Später münden diese Lebenslagen zumeist in eine Altersarmut (vgl. Götz 2018b: 13; Schuster 2010: 90). An Brisanz gewinnen diese Zahlen in Kombination mit der Vielzahl an Herausforderungen, vor die Eltern in Ein-Elter-Familien gestellt werden, wenn sozialräumliche Faktoren sowie individuelle Zugriffe auf finanzielle, soziale und kulturelle Ressourcen in ihren Verschränkungen Berücksichtigung finden. Wo etwa eine Infrastruktur mit Blick auf Betreuungseinrichtungen unzureichend ausgebaut ist und wo Lebenshaltungskosten überdurchschnittlich hoch sind, können sich Herausforderungen für Ein-Elter-Familien potenzieren.
Vor diesem Hintergrund ist ein Blick auf die Stadt München von besonderer Bedeutung. Alleinerziehende Eltern sind hier erst recht auf eine Erwerbsarbeit angewiesen, um die Lebenshaltungskosten ihrer Familie zu decken, da sie in der Regel die einzig verdienende Person in der Familie sind (vgl. Rudolph 2009b: 22). Ein Betreuungsplatz wird dann unumgänglich; Betreuungsbedarfe in der Stadt können aufgrund fehlender Plätze allerdings nicht vollumfänglich abgedeckt werden (vgl. Landeshauptstadt München 2017c).
Alleinerziehende müssen in Ein-Elter-Familien häufig das leisten, was Zwei-Eltern-Familien auf zwei Personen verteilen: Carearbeit und Erwerbsarbeit. Von Relevanz ist mit Blick auf Familie, Care und Erwerb sowie unter Einbezug der obenstehenden Zahlen offenbar die Struktur-kategorie Geschlecht. Wo der Großteil alleinerziehender Elternteile Frauen sind, stellen sich Fragen nach klassischen Rollenzuschreibungen und tradierten Vorstellungen von Mutter- und Vaterschaft (vgl. Steinbach u.a. 2015). Angesichts dessen werden normative Familienvorstellungen relevant, wenngleich sich Ein-Elter-Familien als familiale Lebensform längst etabliert haben. Lebens- und Familienverläufe sind wandelbar und dynamisch, verändern sich im Laufe der Zeit, werden brüchig, finden zusammen. Dennoch werden bedingt durch ein normatives Vater-Mutter-Kind-Modell Ein-Elter-Familien als defizitär betrachtet (vgl. Rinken 2010: 226; Schuster 2010: 12f.).
Was bedeutet es aber, als ›alleinerziehend‹ adressiert zu werden beziehungsweise sich selbst als ›alleinerziehend‹ zu benennen? Nachzuzeichnen gilt es den konstruktiven Charakter von Familienformen und damit verbundenen Zuschreibungsprozessen aus subjektiver und lebens-weltlicher Perspektive. Denn ein Zusammenhang von geschlechtlichen und familialen Konstruktionen in Verbindung mit Selbstbildern Alleinerziehender wurde bis dato kaum betrachtet (vgl. Rinken 2010: 17). Wenn es um die Frage geht, was Alleinerziehendsein meint, wird die Bedeutsamkeit einer empirischen Untersuchung der Lebenswelten Allein-erziehender offenkundig. Kulturwissenschaftliche Ansätze schaffen dabei Zugänge zu lebensweltlichen Räumen in ihren vielfältigen Ausgestaltungen, die mit gesellschaftlichen, politischen und theoretischen Kontexten verknüpft werden können (vgl. Götz 2015: 26), denn:
'Unter welchen Bedingungen soziale Kategorien in den Hintergrund treten können oder relevant gesetzt werden, kann ohne Einbeziehen institutioneller und makrogesellschaftlicher Bedingungen in historischer Perspektive kaum beantwortet werden.' (Klann-Delius 2005: 76f.)
Übergeordnetes Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Lebenswelten Alleinerziehender im sozialräumlichen Kontext München in Bezug auf Teilhabeprozesse und Ressourcen empirisch zu untersuchen. Nachgezeichnet wird, wie aufgrund struktureller Rahmenbedingungen oft erschwerte Lebenssituationen von Ein-Elter-Familien individuell verhandelt werden. Entgegen einem häufig defizitorientierten Blick auf Alleinerziehende können vor diesem Hintergrund nicht nur Schwierigkeiten Einzelner, sondern gleichermaßen Selbstermächtigungsprozesse und Alltagsstrategien herausgearbeitet werden. Wie werden beispielsweise Geschlecht, Care und Arbeit in Ein-Elter-Familien konkret verhandelt? Soziale Netzwerke spielen dabei eine ebenso entscheidende Rolle wie etwa finanzielle Ressourcen und die persönlichen Hintergründe der jeweiligen Situation. Ausgangspunkt dieser Zielstellung ist die Annahme, dass sich Lebenslagen von alleinerziehenden Elternteilen im städtischen Raum Münchens als besondere Herausforderung darstellen mit Blick auf die widersprüchlichen Verhandlungslogiken von Care und Erwerb sowie in Bezug auf zu wenig Betreuungsplätze und überdurchschnittlich hohe Lebenshaltungskosten in München. Da sich strukturelle Rahmen-bedingungen häufig als starr und wenig flexibel herauskristallisieren, wird darauf aufbauend davon ausgegangen, dass letztlich das jeweilige vorhandene ökonomische, soziale und kulturelle Kapital ausschlaggebend für die (Nicht)Bewältigung individueller Lebenslagen sind (vgl. Bourdieu 1983).
Lebenswelten werden dementsprechend auch auf der Folie sozial-räumlicher Kontexte und struktureller Rahmenbedingungen betrachtet, um in den Fokus zu rücken, wie Ein-Elter-Familien mit ihren Situationen individuell umgehen, wo ihnen Hürden gestellt werden und wo sie Unterstützung in Anspruch nehmen können. Inwiefern schafft eine teure Stadt wie München aufgrund ihrer Lebenshaltungskosten eine Basis, um Ein-Elter-Familien ein adäquates Leben zu ermöglichen? Wie Wohnraum finanzierbar sein kann, wie einer Erwerbstätigkeit bei gleichzeitiger Betreuungsaufgabe nachgegangen werden kann, wie eine Betreuungs-einrichtung gefunden werden kann, wie damit umgegangen wird, wenn ein Einkommen trotz Erwerbstätigkeit nicht zum Leben ausreicht – diese Fragen müssen insbesondere Alleinerziehende häufig auf sich gestellt verhandeln. Diese Aspekte sollen keineswegs vorwegnehmen beziehungs-weise bedingen, Alleinerziehende lebten zwangsläufig unter erschwerten Bedingungen und seien ihrer Situation mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Vielmehr geht es darum, Blicke auf die vielfältigen Lebens-lagen von Ein-Elter-Familien zu werfen, um auf diese Weise individuelle Handlungsspielräume und Selbstermächtigungsprozesse nachzuzeichnen. Inwiefern allerdings Formen von empowerment wiederum Symptome neo-liberaler Verwertungslogiken sein können und vor diesem Hintergrund Aktivierungsmechanismen zugunsten ökonomischer Prozesse in Gang gesetzt werden, soll an dieser Stelle nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. Lehnert 2009a: 44). Ebenso wie strukturelle Ungleichheitsprozesse nicht aufgrund der Tatsache in den Hintergrund geraten dürfen, dass nicht alle vermeintlich benachteiligenden Lebenslagen immer und für alle Gültigkeit besitzen.
Wo schalten sich außerdem zivilgesellschaftliche Institutionen ein, etwa weil kommunalpolitische Maßnahmen keine hinreichende Wirkung entfalten? Wer hat Zugang zu diesen Institutionen und inwiefern nehmen diese selbst eine Machtposition in einer hierarchisierten Gesellschaft ein? Eine weitere der Arbeit zugrunde liegende Annahme ist, dass Anlaufstellen dieser Art nach wie vor vonnöten sind, um Herausforderungen und alltägliche Schwierigkeiten von Alleinerziehenden aufzufangen, denen vonseiten Gesetzgebung und weiterer Rahmenbedingungen nicht hin reichend Rechnung getragen wird und wo gegebenenfalls staatliche Kontrollen und Reglementierungen erfolgen. Kritisch hinterfragt werden müssen in diesem wie auch in anderen Zusammenhängen außerdem die Verfestigungen von stereotypen Rollenbildern, ein doing gender (vgl. Gildemeister/Wetterer 1992: 233) sowie ein doing family (vgl. Jurczyk 2018: 146), sowohl im Hinblick auf eine Gruppe der Alleinerziehenden – insofern es sich um Institutionen für Alleinerziehende handelt –, als beispielsweise auch auf die Frauen, wenn sich einzelne Projekte konkret an Frauen richten. Da die vorliegende Arbeit sich den Lebenswelten Alleinerziehender widmet und dementsprechend ihre Perspektiven eingefangen werden, kann nachgezeichnet werden, inwiefern sich 'subjektive Ungleichheitserfahrungen räumlich, sozial und kulturell […] kontextualisieren' (Degener/Rosenzweig 2006: 15) und wie der städtische Raum in individuelle Lebenswelten Alleinerziehender eingebunden wird (vgl. Löw 2011: 64).
All diese Aspekte werden gerahmt von der Zuschreibung ›allein-erziehend‹. Nicht nur Selbstbeschreibungen sind an dieser Stelle relevant, sondern auch Fragen danach, wie Alleinerziehende adressiert werden. Inwiefern spielen demnach Ein- und Ausschlussmechanismen sowie Stigmatisierungsprozesse in Bezug auf Ein-Elter-Familien eine Rolle im individuellen Alltagshandeln und in den Lebenswelten Einzelner? Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es dementsprechend auch, 'Alleinerziehen als eine heterogene Lebensform [zu] konzeptualisieren, die durch unter-schiedliche familiale Übergänge im Lebensverlauf entsteht' (Zagel 2018: 3). Die Bearbeitung der genannten Fragestellungen ermöglicht es, strukturelle Benachteiligungsmechanismen aufzudecken, da nur auf dieser Basis konkretisiert werden kann, wie weitere Gestaltungen und Maß-nahmen für eine geschlechtergerechtere Gesellschaft auszusehen haben. Paula-Irene Villa spricht davon, dass es nicht nur um die Berücksichtigung einer diskursiven Ebene gehen kann. Vielmehr sind Auseinandersetzungen mit realen sozialen Missständen und die Erfassung subjektiver Ungleichheitserfahrungen vonnöten, um strukturelle Ungleichheiten sichtbar zu machen (vgl. 2010b: 272). Sowohl Ansätze der Empirischen Kulturwissenschaft als auch der Frauen- und Geschlechterforschung ermöglichen es, Perspektiven eingreifender Wissenschaft auszuloten (vgl. Binder u.a. 2013: 10). Eine solche Vorgehensweise befürworten auch Ursula Degener und Beate Rosenzweig:
'Für die Entwicklung eines geschlechtergerechten Wohlfahrtsstaatsmodells bedarf es weiterer empirischer Analysen, die ein differenziertes Bild bestehender Ungleichheiten und Ungerechtigkeitserfahrungen sowie ihrer Folgen für Teilhabechancen am öffentlichen Leben liefern.' (2006: 31)
Vor diesem Hintergrund wird auf die Frauen- und Geschlechterforschung (vgl. Butler 1991), Alleinerziehenden- und Familienforschung (vgl. Allmendinger/Hinz 1999; Enders-Dragässer 2000; Enders-Dragässer/
Sellach 2002) sowie auf caretheoretische Perspektiven (vgl. Madörin 2007; Tronto 1994; Villa 2018; Winker 2015) Bezug genommen, um sich auch mit unterschiedlichen Wertigkeiten von Arbeit auseinanderzusetzen. Historische Aspekte hierzu werden in dieser Arbeit ebenso thematisiert wie wissenschaftliche Diskussionen zu einem sex-gender-Diskurs und weiter führend die Reproduktion geschlechtlicher Zuschreibungen insbesondere einer Frau-Mann-Dichotomie (vgl. Bendl u.a. 2007: 36; Knapp 2009: 43f.; Young 1994: 224). Vornehmlich Letztere gilt es auch im Rahmen dieser Arbeit kritisch zu reflektieren, da Forschungstätigkeiten, die sich den Aspekten geschlechtlicher Ungleichheiten widmen und dadurch Unter schiede zwischen den Geschlechtern konkretisieren und artikulieren, beständig Gefahr laufen, selbst Teil des Diskurses zu werden, der das zu hinterfragende Sujet gleichzeitig selbst durch seine Arbeit aufs Neue verfestigt. Ansetzen kann die Arbeit dementsprechend auch an macht- und diskurstheoretischen Auseinandersetzungen (vgl. Binder/Hess 2013: 30; Foucault 1983). Kulturwissenschaftliche Herangehensweisen zeichnen sich in diesem Zusammenhang insbesondere durch eine qualitative Forschung aus: Die Auseinandersetzung mit einem spezifischen Feld ermöglichtes, dieses umfassend und nachvollziehbar im Zusammenwirken mit den beteiligten Akteur*innen zu erfassen (vgl. Amann/Hirschauer 1997: 21; Bitzan u.a. 1998: 29; Hamm 2013: 57). Eine Konkretisierung auf ein Sample ermöglicht es, beispielhaft Alltagsphänomene einer Personengruppe im sozialräumlichen Kontext zu erörtern und mögliche Anknüpfungen für zukünftige Forschungsaspekte zu liefern.
Alleinerziehend – Begriffsbestimmungen
Wenngleich bei der Bezeichnung ›alleinerziehend‹ häufig konkrete Vor-stellungen einer Familienform entstehen und vage Ideen dazu genannt werden können, was Alleinerziehen bedeutet, existiert keine einheitliche Definition dieser Begrifflichkeit. Je nach Blickwinkel können unter-schiedliche Begriffsbestimmungen ausfindig gemacht werden. Die Soziologin Hannah Zagel plädiert dafür, Definitionsansätze insbesondere im Hinblick auf rechtliche, sozialrechtlich-administrative sowie amtlich-statistische Aspekte zu trennen. Eine rechtliche Bezeichnung des Status ›alleinerziehend‹ wird dabei auf die juristische Festschreibung dieser Familien form bezogen, welche beispielsweise für den Anspruch auf Sorgerecht relevant ist (vgl. Zagel 2018: 18). Von einer sozialrechtlich-administrativen Definition spricht Zagel wiederum im Hinblick auf Leistungen, Ansprüche und Belastungen von Alleinerziehenden: 'Die sozialrechtliche Perspektive orientiert sich weniger am Wohl des Kindes als mehr an der Frage danach, wo die Kosten der Fürsorge und Erziehung anfallen.' (ebd.: 19)
In Bezug auf eine amtliche Statistik führt sie aus, dass rechtliche wie finanzielle Aspekte in den Hintergrund rücken und das vornehmliche Interesse darin besteht, verschiedene Familientypen voneinander abzugrenzen, um sie systematisch zu erfassen. Das bedeutet, es werden Haushaltszusammensetzungen erfasst, um daraus Verteilungen ableiten zu können. Weiterhin benennt die Autorin den Ansatz subjektiver Definitionen, der für den Rahmen dieser Arbeit eine wichtige Perspektive darstellt. Bei diesem Blick steht im Vordergrund, wie sich Familien selbst einordnen und welche Definition sie sich selbst zuschreiben (vgl. ebd.: 15ff.). Darüber hinaus werden bereits durch die unterschiedlichen sprachlichen Verwendungen verschiedene Assoziationsmöglichkeiten deutlich:
'Während es sich bei dem Begriff der Alleinerziehenden um die personen-gebundene Bezeichnung einer Gruppe handelt, beschreibt der Begriff des Allein-erziehens (oder alleinerziehend als Adjektiv) einen Status, eine Situation oder eine Handlungsweise, in den bzw. in die Personen ein- aber auch wieder austreten können.' (ebd.: 15)Für die vorliegende Arbeit liegt es nahe, da anzusetzen, wo von einer lebensverlaufssoziologischen Perspektive ausgegangen wird. Das bedeutet konkret, Alleinerziehen in einer Wandelbarkeit zu betrachten, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass familiale Lebensformen ständigen Veränderungen unterliegen (können) und keine starren Konstrukte sind (vgl. ebd.: 21). Dementsprechend wird keine festgezurrte Definition für die Auswahl eines Samples angelegt. Im Gegenteil geht es darum, aus subjektiver Perspektive nachzuzeichnen, wer sich in welchen Situationen und in welchen Lebenslagen selbst als alleinerziehend bezeichnet. Das bedeutet, die Begrifflichkeit ›alleinerziehend‹ findet in der vorliegenden Arbeit Verwendung, um einem Lebensalltag derjenigen gerecht zu werden, die etwa auf rechtlicher Ebene als Alleinerziehende de fi niert oder von ihrem Umfeld als Alleinerziehende wahrgenommen werden. Insbesondere, weil Alleinerziehende häufig als solche angesprochen werden, ist es unumgänglich, sich mit einer solchen Formulierung auseinanderzusetzen, da sie stereotype Zuschreibungsprozesse impliziert, die in der vorliegenden Arbeit hinterfragt werden können. Das heißt, die eigene Verwendung des Begriffs ›alleinerziehend‹ wird wiederum hinterfragt und kritisch eingeordnet, um Zuschreibungen nicht unkommentiert zu (re)produzieren.