E-Book, Deutsch, 312 Seiten
Reihe: Piper Spannungsvoll
Jenssen Es ist nie vorbei
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-98477-5
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Kiel-Krimi
E-Book, Deutsch, 312 Seiten
Reihe: Piper Spannungsvoll
ISBN: 978-3-492-98477-5
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Samstag, 5. Juli
Die Sonne brannte trotz der frühen Stunde bereits vom Himmel. Pünktlich zwei Tage nach der Kieler Woche waren die hochsommerlichen Temperaturen nun angebrochen. Während des großen Segelereignisses hatten grauen Wolken den Himmel bedeckt und feiner Nieselregen war auf die Segler auf der Förde und die Besucher an Land getropft. Aber von so etwas ließen sich die Norddeutschen nicht beeindrucken. Es gab kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung. Und so waren die Menschen in Gummistiefeln über die Kiellinie, durch Schilksee und Strande gestapft, und fröhliche Kinder waren matschverschmiert auf der Krusenkoppel herumgelaufen und hatten das lustige Volksfesttreiben genossen. Davon war nun nichts mehr zu spüren. Die Tausende von Besuchern hatten die Stadt verlassen, und die Kieler erfreuten sich einmal mehr an der beschaulichen Stille. Das Mädchen und die beiden Jungen fuhren mit ihren Rädern an dem noch menschenleeren Kitzeberger Strand entlang. Der Älteste der drei lebte in einem der beeindruckenden Häuser am Schönkamp, eingeschlossen zwischen der Förde und einem kleinem Wäldchen. Die anderen beiden, sein Cousin und seine Cousine, Zwillinge, waren zu Besuch. Die Sommerferien hatten vor drei Tagen begonnen, und sie genossen die freie Zeit in vollen Zügen. Für die Kinder war der Forst ein großer Wald, ein wahres Paradies. Sie stromerten oft am Strand und zwischen den Bäumen herum und kamen dann meist erst in letzter Minute zum Abendessen nach Hause, dreckig und quietschfidel. Auch an diesem Morgen bogen sie links in den schmalen Feldweg ein, der durch das Wäldchen führte, vorbei an einigen einsam gelegenen Häusern, die im Schatten der großen und mächtigen Bäume lagen. Die Hitze hatte Kiel nun in ihrer Gewalt, und selbst zu dieser frühen Stunde war die Luft drückend. Wie Funken glitzerten die Strahlen auf dem dunkelblauen Wasser der Förde, die ersten Segler waren unterwegs und genossen die morgendliche Ruhe. Die Boote trieben träge dahin, die Wärme hatte den Wind vertrieben. Ein Fördedampfer tuckerte vorbei. Vor der Einfahrt zum Nord-Ostsee-Kanal auf der gegenüberliegenden Seite der Förde wurde ein knallrotes Containerschiff in die Schleuse manövriert. Alles wirkte friedlich. Im Wald umfing die Kinder eine angenehme Kühle. Sie ließen ihre Fahrräder achtlos am Rand der Straße liegen und machten sich auf den Weg tiefer in das Dickicht. Hierin verirrte sich keine Menschenseele, die Erwachsenen blieben auf dem Pfad. Zunächst liefen die drei durch einen dichten Laubwald. Von Zeit zu Zeit mussten sie über kleine Bäche springen, die sich überall hindurchschlängelten, aber nicht genug Wasser für eine Abkühlung führten. Nach wenigen Minuten kamen sie schließlich in den »Hexenwald«. Hier standen knorrige alte Fichten und Tannen, die eine fast unheimliche Atmosphäre verbreiteten. Sie standen dicht an dicht, Sonnenstrahlen kamen kaum hindurch, es war immer dämmerig. Nur das Zwitschern der Vögel war auch hier zu hören. Die Kinder waren auf der Suche nach einem Abenteuer. Zurzeit verschlangen sie Die drei ??? Kids und hofften inständig, selbst einmal einen Verbrecher zu fangen. Bisher allerdings ohne Erfolg. Ihre Zentrale war eine aus heruntergefallenen Ästen zusammengebaute Hütte zwischen zwei verwachsenen Fichten. Hier hatten sie sich eine Decke ausgebreitet und ihre Detektivausrüstung in einer eisernen Kiste unter den Zweigen versteckt. Fernglas, Lupe, Taschenlampe, Finderabdruckpulver, Maßband, Pauspapier – sie waren für den Ernstfall vorbereitet. Die drei packten ihre mitgebrachten Vorräte aus: Apfelsaft, Brote, Obst und Kekse, Johanns Mama hatte für alles gesorgt. Dann ließen sie sich zufrieden auf die Decke fallen. »Was wollen wir unternehmen?«, fragte Lucy mit vollem Mund. »Lass uns doch ein Weitspringen über den breiten Bach machen«, schlug Johann vor. »Ach nee, da fall ich nur wieder rein«, maulte Lenny. »Dann eben Fangen«, erklärte Johann und schob sich das letzte Schokoplätzchen in den Mund. »Ich fang an.« Die Kinder quietschten vor Vergnügen, während sie hintereinanderher durch den Wald liefen. Es war nicht leicht, schnell zu rennen, ohne einen Ast ins Gesicht zu bekommen. Schließlich blieb Lucy außer Atem stehen. »Spielstopp«, rief sie und rang nach Luft. »Nein, ich habe dich.« Lenny schlug ihr triumphierend auf die Schulter. »Das zählt nicht«, schimpfte Lucy. Sie blickte sich um. »Wo sind wir eigentlich? Johann, kennst du dich hier noch aus?« »Klar«, antwortete er. »Lasst uns dort entlang zurückgehen, das geht schneller. Ich habe jetzt auch genug von der Rennerei.« Er ging langsam vor, und die Zwillinge folgten ihm. Aber bereits nach wenigen Metern blieb Johann stehen. »Schaut mal«, sagte er verwundert. Vor ihnen unter einem klein gewachsenen Baum stand eine einfach zusammengezimmerte, große Holztruhe. Langsam gingen die Kinder darauf zu und besahen sie sich von allen Seiten. »Komisch, warum steht hier eine Kiste herum?« Lenny blickte die beiden anderen fragend an. »Das verstehe ich auch nicht.« Johann zuckte die Schultern. »Die sieht neu aus, scheint hier noch nicht lange zu stehen.« Er griff in die Hosentasche und zog sein Taschenmesser hervor. »Wollen wir doch mal nachsehen, was darin ist.« Damit kniete sich Johann neben die Kiste und begann, mit dem Messer in den abgedichteten Fugen zu bohren. »Lass das doch«, sagte Lucy nun zaghaft. »Wer weiß, was da drin ist. Ich möchte nach Hause, kommt schon.« Johann sah sie herablassend an. »Endlich passiert hier etwas, und du bekommst gleich Angst. Typisch Mädchen.« »Gar nicht wahr, ich habe keine Angst.« Lucy funkelte ihn böse an, sagte aber nichts mehr. Lenny kniete sich neben seinen großen Cousin und sah gebannt zu, wie er Stückchen für Stückchen des Silikons herauspulte. Nach einigen Minuten sank Johann zurück und strich sich über die Stirn. »Ein bisschen was habe ich gelöst. Wir brauchen jetzt einen stabilen Stock, mit dem wir den Deckel aufhebeln können. Ich möchte unbedingt wissen, was da drin ist.« »Vielleicht ein Schatz, das wäre ja irre!«, frohlockte Lenny und sah sich suchend um. Lucy beobachtete die beiden stumm. »Hier, probier es damit.« Lenny reichte Johann einen Ast. Johann nickte, steckte den Stock in das Loch in der Fuge und versuchte, einen Hebel anzusetzen. »Nein, das geht nicht. Die Kiste ist echt stabil, da bricht der Ast bloß ab.« »Irgendwie stinkt es hier«, sagte Lucy. »Merkt ihr das nicht?« Die Jungen sahen sie an und schnupperten in die Luft. »Du hast recht«, sagte Johann. »Es riecht komisch.« »Was kann das sein?« Lenny sah die beiden ratlos an. »Eben war das noch nicht.« »Vielleicht kommt es aus der Kiste«, vermutete Lucy leise. »Ich finde, wir sollten jetzt wirklich gehen.« »Du hast doch wohl keine Angst vor einem Geruch«, feixte Johann. »Merkwürdig ist es schon.« Auch Lenny sah nun ein wenig besorgt aus. Es roch süßlich, aber nicht wie Süßigkeiten, sondern irgendwie unangenehm. »Ich kann gar keine Vögel mehr hören, das ist doch komisch, oder?« Lucys Stimme war noch leiser geworden. »Bitte, das ist mir zu unheimlich, wer weiß, was da drin ist. Lasst uns gehen.« Johann nickte. »Vielleicht wäre es doch das Beste.« Er sah Lenny und Lucy an. Irgendetwas stimmte hier nicht. »Könnte das etwa …«, fragte Lenny leise. Langsam wichen die Kinder zurück. Um sie herum war es totenstill, kein Laut war zu hören. Endlich drehte Johann sich um und rannte davon. Die beiden anderen folgten ihm. Wie von wilden Hunden gehetzt liefen sie durch den Wald zurück zu ihren Rädern und rasten nach Hause. »Das war herrlich, Karl.« Hans schüttelte seinen Kopf, sodass die Wassertropfen aus seinen nassen Haaren in alle Richtungen flogen. »Wie gut, dass du mich überredet hast, mitzukommen. Meine Kopfschmerzen lassen wirklich langsam nach.« »Es gibt nichts Besseres, um nach einem ausschweifenden Abend wieder einen klaren Kopf zu bekommen.« Karl Hansen sah seinen Kollegen lächelnd an. Ex-Kollegen musste man nun leider sagen. Hans Langmann war seit heute im Ruhestand, fast drei Jahrzehnte der guten Zusammenarbeit waren damit Geschichte. Aus diesem Grund hatte es gestern im Präsidium eine kleine Abschiedsparty mit den Kollegen gegeben, und danach waren die beiden Freunde noch allein in ihrer Lieblingskneipe in der Holtenauer Straße versackt. Sie hatten mit einigen Bieren und Schnäpsen auf die gemeinsamen Berufsjahre angestoßen und sich von Stunde zu Stunde rührseliger an die vielen kleinen Anekdoten ihrer Polizeiarbeit erinnert. Da die Nacht kurz gewesen war, war Karl nicht wie gewohnt frühmorgens in der Förde schwimmen gegangen, sondern hatte sich erst um zehn Uhr mit Hans in der Badeanstalt in der Innenförde getroffen. Langsam und schweigend waren sie nebeneinander einige Bahnen durch das erfrischende Ostseewasser geschwommen. Als Karl nun zu seinen Sachen zurückkehrte, sah er routinemäßig auf sein Handy. Er seufzte. Fünf Anrufe in Abwesenheit, alle vom Präsidium. Das verhieß nichts Gutes, ausgerechnet am ersten Tag ohne Hans. Eigentlich hatte er an diesem Wochenende dienstfrei, da aber Sommerferienzeit war, musste er in Rufbereitschaft sein. Die jüngeren Kollegen mit Kindern hatten jetzt Vorrang. Hans sah ihn mitleidig an. Er erkannte an Karls gequältem Gesichtsausdruck sofort, was los war. »Tut mir leid, mein Alter. Wir sehen uns.« Er griff nach seinen trockenen Klamotten und machte sich auf den Weg zu den Umkleidekabinen. Karl wählte verdrossen die Nummer vom Präsidium und ergab sich in das unausweichliche Schicksal, seinen ersten Fall ohne Hans bearbeiten zu müssen. Um kurz...