E-Book, Deutsch, 232 Seiten
Reihe: zur Einführung
Iser / Strecker Jürgen Habermas zur Einführung
ergänzt
ISBN: 978-3-96060-064-0
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 232 Seiten
Reihe: zur Einführung
ISBN: 978-3-96060-064-0
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jürgen Habermas (*1929) ist einer der renommiertesten Philosophen und einflussreichsten Intellektuellen der Gegenwart. Seine Überlegungen setzen in einer Vielzahl von Fachdisziplinen Impulse und stoßen in der breiten Öffentlichkeit auf reges Interesse – ob im Historikerstreit, in der Diskussion um die 68er-Bewegung oder um die Zukunft Europas. Worum geht es in dem kaum mehr überschaubaren Werk von Habermas? Diese problemorientierte Einführung stellt seine Leitidee in den Vordergrund, erläutert in anschaulicher Weise ihre theoretischen Grundlagen und diskutiert die wichtigsten Einwände. Wie kann das "Projekt der Moderne", das durch zwanglose Verständigung in öffentlichen Diskursen die Freiheit aller Menschen befördern soll, seinen heutigen Gefährdungen begegnen?
Autoren/Hrsg.
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1.Ein Spürsinn für Relevanzen –Habermas’ Leben als öffentlicher Intellektueller
Habermas’ Karriere als öffentlicher Intellektueller beginnt bereits im Alter von 24 Jahren. In einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der bundesweit Aufsehen erregt, kritisiert er den damals bekanntesten deutschen Philosophen, Martin Heidegger, in scharfer Weise. Was war passiert? Heidegger hatte 1935 unter dem Titel Einführung zur Metaphysik eine Vorlesung gehalten, die er 1953 ohne weitere Erläuterung veröffentlicht. Habermas wird durch seinen älteren Freund Karl-Otto Apel darauf aufmerksam gemacht, dass sich in dieser Vorlesung ein äußerst problematischer Satz findet. Es ist nämlich von der »inneren Wahrheit und Größe dieser Bewegung« (zit. n. PPP: 66) die Rede, was für Apel, Habermas und viele andere unmissverständlich auf die nationalsozialistische Bewegung anspielt. Empört schreibt Habermas jenen denkwürdigen Artikel, in welchem er insbesondere Heideggers mangelnde Aufarbeitung der Vergangenheit kritisiert. Heidegger scheint mit seiner Veröffentlichung den Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus schlicht zu ignorieren. Aber auch inhaltlich nimmt Habermas hier bereits Argumente voraus, die sein späteres Werk maßgeblich prägen sollen (vgl. auch NR: 24). So sieht er in Heideggers Text einen Beleg dafür, dass der Nationalsozialismus sich zwar nicht notwendig, aber doch keineswegs zufällig aus typisch deutschen Traditionen speisen konnte (PPP: 66). Es ist vor allem die Abwehr der universalistischen Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die für Habermas zu jenen überlieferten Einstellungen gehört, die ein für allemal überwunden werden müssen. Zwar erkennt Habermas durchaus an, dass sich in der Zeit zwischen 1935 und 1953 Heideggers Ansichten geändert haben, aber die elitäre Stoßrichtung gegen das Alltägliche und Durchschnittliche bleibe doch bestehen. Zudem würde der bloß aufrufende Charakter des Texts Argumente vermissen lassen. Das aber ist Habermas zufolge politisch gefährlich, weil sich darin die Überzeugung ausdrückt, es komme weder darauf an, Probleme klar zu benennen, noch darauf, andere zu überzeugen. Wenn aber die Ehrfurcht vor dem Unverstandenen innerhalb der Politik desaströse Folgen zeitige, dürfe auch die Philosophie nicht so verfahren (vgl. TK: 49ff.). Bereits hier deutet sich ein Schema an, das sich im Laufe von Habermas’ Karriere als öffentlicher Intellektueller mit erstaunlicher Regelmäßigkeit wiederholen wird. Er sieht in bestimmten Äußerungen eine Gefährdung der demokratischen politischen Kultur, die auf den grundlegenden Werten von Freiheit und Gleichheit beruht. Die Gegenseite – die nicht immer, aber doch zumeist dem konservativen Lager zugehört – sieht sich hingegen vorschnell verdächtigt, sieht Moralismus und Alarmismus am Werk: Habermas wolle die freie Meinungsäußerung im Namen der political correctness unterbinden. Dieses Schema greift auch hier. In der damals noch konservativen Wochenzeitung Die Zeit erscheint prompt ein Kommentar, in dem Habermas’ Lesart als einseitig kritisiert wird. Heidegger habe sich über den Nationalsozialismus lediglich mokieren wollen, und Habermas’ Entlarvungsgeste zeuge von »Verfolgungssucht« (zit. n. Wiggershaus 2004: 30). Spätere Enthüllungen über Heideggers Text legen hingegen nahe, dass Habermas recht hatte (ebd.: 31). Solch angebliche »Verfolgungssucht« lässt sich – positiv gewendet – auch als eine besondere Sensibilität für Gefahren verstehen, die Habermas als »avantgardistischen Spürsinn für Relevanzen« bezeichnet (AE: 84). Der öffentliche Intellektuelle müsse »sich zu einem Zeitpunkt über kritische Entwicklungen aufregen können, wenn andere noch beim business as usual sind« (AE: 84). In all den Debatten, die wir im Folgenden skizzieren werden und mit denen Habermas die wissenschaftliche und politische Landschaft der Bundesrepublik nachhaltig geprägt hat, war es ihm stets wichtig, die Rollen des akademischen Gelehrten und des politisch engagierten Intellektuellen klar voneinander zu trennen. Zu groß erscheint ihm die Gefahr, dass die fachliche Reputation des Wissenschaftlers – und noch stärker die des Moralphilosophen – dazu missbraucht wird, der Öffentlichkeit autoritative, nicht zu hinterfragende Antworten vorzugeben. Was innerhalb demokratischer Verfahren als legitim gelten kann, soll der Philosoph gerade nicht vorentscheiden. Aber auch wenn Habermas gegenüber inhaltlichen Empfehlungen seitens der Philosophie skeptisch ist, will er doch sein philosophisches und sozialwissenschaftliches Wissen nutzen, um Gefährdungen der Verständigungspraxis auch dort aufzuspüren, wo sie der Alltagsverstand gar nicht vermuten würde. Insofern können und sollten sich Philosophen und Sozialwissenschaftler seines Erachtens als Intellektuelle dazu »provozieren« lassen, »ungefragt, also ohne Auftrag und Abstimmung, von ihrem beruflichen Wissen jenseits ihrer Profession einen öffentlichen Gebrauch zu machen« (AE: 79f., Hervh. M.I./D.S.). Auch wenn man sich den »avantgardistischen Spürsinn für Relevanzen« nicht aneignen könne wie eine Theorie, bedürfe es doch innovativer theoretischer Sichtweisen, damit der Gesellschaftskritiker »wichtige Themen aufspürt, fruchtbare Thesen aufstellt und das Spektrum der einschlägigen Argumente erweitert, um das beklagenswerte Niveau öffentlicher Auseinandersetzungen zu verbessern« (AE: 81). Allerdings lassen sich diese Rollen bei allem Bemühen nicht immer ganz trennen. Das wird bereits daran deutlich, dass sich Habermas auch als Wissenschaftler durch eine Tugend auszeichnet, die er eigentlich dem Intellektuellen zuschreibt, nämlich über »eine argwöhnische Sensibilität für Versehrungen der normativen Infrastruktur des Gemeinwesens« (AE: 79) zu verfügen. Gerade weil Habermas’ Denken einen prinzipiell eingreifenden Charakter hat, scheinen sich mitunter verschiedene Rollen zu überlagern. Auch seine großen Werke sollen letztlich politische Auswirkungen zeitigen, ohne damit ihren wissenschaftlichen Anspruch aufzugeben. Und auch die eher polemischen Interventionen sind im Falle von Habermas unterfüttert durch seine theoretischen Ansichten. Dabei lassen sich natürlich Grade der Zuspitzung unterscheiden. Die Interventionen, vor allem veröffentlicht in den Kleinen Politischen Schriften, tendieren zu provokanteren und klarer politischen Thesen (ST: 7f.). Aber obgleich im Einzelfall nicht immer ganz deutlich sein mag, welche dieser Rollen Habermas gerade einnimmt, ist ihm die Trennung von Staatsbürger, Intellektuellem, Sozialwissenschaftler und Philosoph äußerst wichtig. Zu sehr fürchtet Habermas, der Sozialwissenschaftler und insbesondere der Philosoph könnten eine Autorität reklamieren, die ihnen im demokratischen Prozess gar nicht zukommt. Doch kehren wir zurück zu jenem ersten Ausrufezeichen, das der junge Habermas mit seiner Kritik an Heidegger setzt. Dieses speist sich – wie auch die drei Motive, die wir in der Einleitung in ersten Strichen umrissen haben – aus frühen biografischen Erfahrungen. 1.1Habermas’ Jugend und die Erfahrung des Zivilisationsbruchs
Am 16. Juni 1929 in Düsseldorf geboren, lebt Habermas bis zu seinem Abitur in Gummersbach, einem oberbergischen Städtchen etwa fünfzig Kilometer östlich von Köln. Sein Vater arbeitet dort als Geschäftsführer der Zweigstelle der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Wie sehr unsere Identität abhängig ist von der Weise, wie die anderen sich uns gegenüber verhalten, erfährt der junge Habermas bereits früh. Aufgrund einer »verzerrten Artikulation« (NR: 19), die von einer Gaumenspalte herrührt, kann er sich gegenüber anderen Kindern nicht immer verständlich machen. Hieran können auch zwei Operationen, kurz nach der Geburt und im Alter von fünf Jahren, nichts Wesentliches ändern. Damit wird der Wechsel von der schützenden Privatsphäre der Familie in die Öffentlichkeit des Schulhofs zu einer Erfahrung des Andersseins und der Ausgrenzung (NR: 20). Habermas selbst glaubt im Rückblick, dies habe seine Sensibilität für die – insbesondere sprachliche – Abhängigkeit von den anderen geschärft, die sein ganzes Werk bestimmen wird (NR: 17ff.). Verstärkt wird diese Erfahrung durch ein Erlebnis kurz nach dem Krieg, als er wegen der Nahrungsmittelknappheit auf einem Bauernhof arbeitet. Erneut wird er Opfer einer verbalen Kränkung: »Da war meine Gaumenspalte auch nicht gerade ein Privileg […] und dann machte wieder irgendeiner von den Jungen eine Bemerkung. Ich hatte diese Heugabel in der Hand, ich hab die in den Heuwagen gestoßen, hab mich wortlos umgedreht, bin in mein Zimmer, hab meine Sachen gepackt, ohne jedes weitere Wort, und bin abgehauen. Emanzipation, das hat für jeden von uns ja eine andere Konnotation in der eigenen Lebensgeschichte, aber das war eine Emanzipation.«...