E-Book, Deutsch, Band 4, 143 Seiten
Reihe: Pferdeheimat im Hochland
E-Book, Deutsch, Band 4, 143 Seiten
Reihe: Pferdeheimat im Hochland
ISBN: 978-87-26-87737-3
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ursula Isbel lebt und arbeitet als freie Autorin und Übersetzerin in Staufen bei Freiburg. Mit 27 Jahren hat sie ihren ersten Roman verfasst. Nachdem sie vor ein paar Jahren das Schreiben zu ihrer Haupttätigkeit gemacht hat, verfasst sie vorwiegend Kinder- und Jugendbücher für ein weibliches Lesepublikum.
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3
Der Wind hatte sich gelegt. Die Wolken, die wild und rastlos wie Segelschiffe auf stürmischem Meer über den Himmel gejagt waren, verdichteten sich zu einer grauen Masse. Bleiern hingen sie über dem Hochland und löschten die Konturen der fernen Berge aus. Es begann zu regnen, als ich die Westpforte erreichte. Dandy stand am Gatter und wieherte mir nach und ich kam mir wieder einmal wie ein Verräter vor, weil ich mich heimlich davonstahl, um Danny zu treffen. Verschwunden waren die Vögel und Schmetterlinge, die die Weiden, das nahe Wäldchen und die Pfade einen Sommer lang mit ihrem Leben erfüllt hatten. Die Wiesenblumen waren verblüht, die Hecken verloren ihr buntes Laub. Rote und schwarze Beeren hingen zitternd im Regen. Es begann still zu werden in den Highlands, als hielte die Natur den Atem an, um sich auf den großen Schlaf des Winters vorzubereiten. Schon von weitem sah ich Danny beim Efeubaum warten, ihn und seinen Hund: eine schmale Gestalt in Jeans und Windjacke, und Nessie, schwarz und wollig wie ein Schaf. Und wie immer, wenn ich Danny traf, spürte ich, dass nichts falsch war an dem, was ich tat, auch wenn es gegen Onkel Scotts Willen war, weil er seine Nachbarn ablehnte und mir jeden Kontakt mit ihnen verboten hatte. Ich rannte los. Meine Füße waren plötzlich so leicht; und Danny lief mir entgegen. Ungestüm umarmten wir uns; es war fast wie ein Zusammenstoß. Dannys Lippen waren nass vom Regen und schmeckten salzig. Sein blondes Haar klebte an den Schläfen. »Ich dachte schon, du kommst nicht mehr«, sagte er. Der Ton seiner Stimme verriet mir, dass etwas anders war als sonst. Ich trat einen Schritt zurück, die Hände auf seinen Schultern, und sah ihn forschend an. Eine Falte stand zwischen seinen Augenbrauen. Sein Gesicht wirkte noch schmaler als gewöhnlich, seine Augen, goldbraun wie Moorwasser, waren voller Anspannung. Erschrocken fragte ich: »Was ist los?« Und er erwiderte: »Die Schafseuche. Ich glaube, wir haben die Seuche. Eins unserer Tiere ist krank geworden.« »Woher wisst ihr, dass es die Seuche hat?«, fragte ich. »Genau wissen wir’s noch nicht. Aber die Anzeichen deuten darauf hin«, sagte er und legte den Arm um meine Schultern. »Kommst du mit nach Braeside? Es regnet Hunde und Katzen.« Ich nickte. Dass ich nur wenig Zeit hatte, mochte ich ihm jetzt nicht sagen. »War Dr. Drury da?«, fragte ich, wusste die Antwort jedoch schon im Voraus. »Der ist nicht zu erreichen. Mom, Shee und ich versuchen schon seit Stunden bei ihm anzurufen.« »Will war vormittags da«, sagte ich. »Wenn ich gewusst hätte, dass ihr ihn braucht, hätte ich ihn vorbeigeschickt.« Es regnete jetzt wie verrückt. Wir rannten den Pfad zwischen den Hecken entlang, mit Nessie an unserer Seite, und erreichten das Wäldchen, das Braeside von The Laurels trennte. Hier boten die Bäume Schutz vor der Nässe. »Aber es muss doch nicht sein, dass die anderen Schafe sich angesteckt haben«, sagte ich. »Nicht unbedingt. Wir haben das kranke Tier natürlich sofort isoliert, als wir die ersten Anzeichen bemerkten. Aber da müssten wir schon totales Glück haben ... und das haben wir selten.« Dannys Stimme klang bitter. Ich wusste, dass diese Seuche die Katastrophe für ihn und seine Familie bedeuten konnte, falls sie wirklich auf die Herde übergriff. Verdammt, dachte ich, verdammt, verdammt, warum muss ausgerechnet ihm das passieren? Aber vielleicht kommt es doch nicht so schlimm, vielleicht machen wir uns umsonst Sorgen... »Seid ihr gegen Seuchen versichert?«, fragte ich. Danny schüttelte den Kopf. Ich versuchte positiv zu denken, so, wie meine Freundin Annika es mir immer eingeschärft hatte, doch irgendetwas in mir hielt hartnäckig an den düsteren Vorahnungen fest. Auf der Türschwelle von Braeside empfing uns Sheila, Dannys Schwester. Mit dem sorgenvollen Ausdruck in den braunen Augen und dem schmalen Gesicht sah sie fast wie Dannys Spiegelbild aus. »Hast du den Doktor erwischt?«, fragte er. Sie schüttelte den Kopf und küsste mich auf die Wange. »Mom ist gerade losgefahren, um Will zu suchen«, sagte sie. Eine Weile standen wir ratlos und unschlüssig in der Halle. Nessie schüttelte sich und rieb seinen nassen Rücken an der Tapete. Unter Dannys und meinen Füßen bildeten sich Pfützen, bis wir die Gummistiefel auszogen und in die Küche gingen, um Tee zu kochen. Danny gab mir ein Handtuch, damit ich die schlimmste Nässe aus meinen Haaren reiben konnte, und Sheila brachte mir eine von ihren Jeans und einen trockenen Pulli, der nach Schafen roch. Danny wärmte meine Hände, die klamm und blaurot waren. Dann setzten wir uns zu dritt auf die Fensterbank und schlürften den Tee; er war so heiß, dass ich mir beinahe die Zunge verbrannte. Sheila hatte reichlich Whisky hineingegossen und ich hustete, während Danny düster vor sich hinstarrte. Sheila erzählte, sie hätte kurz vor unserer Ankunft mit einem anderen Schafzüchter telefoniert, dessen Farm jenseits des Heathery Hill lag. »Er sagt, die Seuche fängt damit an, dass die Schafe Schluckbeschwerden bekommen«, erklärte sie. »Später können sie nicht mehr richtig atmen. Sie haben Fieber und wollen nicht aufstehen.« »Von Schluckbeschwerden hab ich nichts bemerkt«, murmelte Danny. »Aber es atmet schwer, das stimmt. Und es will nicht aufstehen.« Er biss sich auf die Unterlippe und schwieg. »Das wollen kranke Tiere doch meistens nicht«, warf ich ein. »Es ist ganz normal, dass sie liegen bleiben möchten, wenn es ihnen schlecht geht. Sie sind schwach, das ist doch klar. Ich hab das bei Pferden oft erlebt. Wir legen uns ja auch ins Bett, wenn wir krank sind.« Eine Weile brüteten wir vor uns hin. Dann seufzte Danny, stellte seinen Becher auf den Tisch und sagte: »Ich gehe rasch in den Stall, bin gleich wieder zurück. Lauf nicht weg, Laurie.« Es wäre längst Zeit für mich gewesen, nach The Laurels zurückzukehren, doch ich schaffte es nicht, jetzt einfach so zu verschwinden. Als Danny die Küche verlassen hatte, sagte Sheila schwer: »Wenn wir die Seuche haben, müssen wir damit rechnen, dass wir mindestens die Hälfte der Herde verlieren. Dann können wir einpacken, Laurie. Wir schaffen’s sowieso immer nur mit Hängen und Würgen, uns über Wasser zu halten. Wenn uns das jetzt auch noch trifft, müssen wir den Kampf aufgeben.« Sie sagte es ruhig, aber mit so endgültigem Unterton, dass mein Herz noch schwerer wurde. Ich schluckte. »Aber ... was wollt ihr dann machen?«, fragte ich. Und im Geist sah ich Danny schon auf der Straße stehen, ein Bündel in der Hand, um nach Amerika auszuwandern oder zur See zu gehen. »Keine Ahnung«, sagte Sheila. Ihr Gesicht sah plötzlich wie das eines ängstlichen Kindes aus. »Land verkaufen, um unsere Schulden zu zahlen – denn wir haben Schulden bei der Bank, seit der Sturm im Frühling unser Stalldach abgedeckt hat, das kommt auch noch dazu. Und dann muss sich eben jeder von uns irgendeinen Job suchen...« Wir hörten Schritte in der Halle und schwiegen unwillkürlich. Danny betrat die Küche und fuhr sich mit dem Handrücken über die nasse Stirn. »Besonders gut sieht’s nicht aus«, sagte er. »Aber es könnte auch eine stinknormale Lungenentzündung sein.« »Hast du seine Brust abgehört?«, fragte Sheila. »Ja, versucht hab ich’s. Da waren auch komische rasselnde Geräusche, aber vielleicht kam’s vom Darm, ich kann es nicht so genau sagen.« »Will wird es wissen«, sagte ich. Mir war jetzt heiß vom Whisky oder vom Tee oder beidem und ich begann neue Hoffnung zu schöpfen. »Möglich wär’s schon, dass es eine Lungenentzündung ist«, meinte Danny. »Das Schaf ist aus einer Schweizer Züchtung. Die sind unser Klima nicht gewöhnt und erkälten sich leichter als unsere Hochlandschafe. Wir wollten es nur wegen der feineren Wolle mit dieser Rasse versuchen.« Wir sahen uns an, Danny, Sheila und ich, in dem Bewusstsein, dass wir uns alle drei an den gleichen Hoffnungsschimmer klammerten. Danny brachte ein bleiches Grinsen zu Stande. »Was für ein glückseliger Nachmittag!«, sagte er mit trockenem Spott in der Stimme. Ich dachte: Morgen um diese Zeit werden wir mehr wissen. »Ich muss jetzt gehen«, sagte ich leise. »Aber nach der Abendfütterung schaue ich rasch noch mal bei euch vorbei.« »Ich bring dich mit dem Fahrrad bis zu eurer Pforte«, sagte Danny. »Es schüttet noch...