Žižek / Zizek | Unordnung im Himmel | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Žižek / Zizek Unordnung im Himmel

Lageberichte aus dem irdischen Chaos

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-8062-4528-8
Verlag: Theiss in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Bewältigen oder scheitern? Slavoj Žižek und sein philosophischer Blick auf unsere Zeit
Pandemie, Klimawandel, verzweifelte Flüchtlinge, ein Krieg in Europa: In der Welt regiert das Chaos. Gesellschaftliche Probleme, soziale Ungleichheit und internationale Konflikte wirken erdrückend, Fortschritt scheint kaum mehr möglich. Können kritisches Denken und die moderne Philosophie Antworten finden?
Die »Unordnung unter dem Himmel« erkannte Mao Zedong als eine Chance für Neuanfänge. Aber vielleicht hat die Unordnung mittlerweile den Himmel selbst erreicht? Slavoj Žižek, Philosoph, Psychoanalytiker und Kommunist, geht den aktuellen Krisen auf den Grund und lotet in seinen Lageberichten ihr Potenzial für Veränderungen aus.

- Eine gesellschaftskritische Analyse der Krisen des 21. Jahrhunderts
- Slavoj Žižek ist einer der bekanntesten Kulturkritiker und politischen Philosophen der Gegenwart
- Von Julian Assange über die Alt-Right-Bewegung, die Krise der westlichen Demokratie und den Brexit zu Putins Krieg 
Was tun gegen das Chaos in der Welt? Kritisches Denken hilft!
Slavoj Žižek analysiert Texte von Orwell und Rammstein, Lenin und der Bibel und sucht universelle Wahrheiten auf lokalen politischen Schauplätzen. Er blickt auf die Zersplitterung der Linken, die leeren Versprechen der liberalen Demokratie und die lauen Kompromisse der Mächtigen. Nicht ohne Grund bezeichnete ihn DER SPIEGEL als »Popstar unter den Philosophen«!
»Die Lage ist mitnichten ausgezeichnet, und darum muss gehandelt werden.« (Slavoj Žižek)
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Weitere Infos & Material


Einführung
Ist die Lage immer noch ausgezeichnet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1 Warum es so gefährlich ist, mit Julian Assange
einen Kaffee zu trinken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2 Hat Amerika seinen Anspruch auf moralische Führung
verloren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
3 Radikale Veränderungen, nicht Mitgefühl . . . . . . . . . . . . . 22
4 Trump und Rammstein – eine Gegenüberstellung . . . . . . . . . 29
5 Die Grenzen der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
6 Der Mut der Covid-19-Hoffnungslosigkeit . . . . . . . . . . . . . 46
7 Wie man Trump in seinem Begriff tötet . . . . . . . . . . . . . . . 54
8 Democracy reborn? Nicht mit Joe Biden! . . . . . . . . . . . . . . 68
9 The Great Reset? Ja, gerne – aber bitte richtig! . . . . . . . . . . 63
10 Christus in Zeiten der Pandemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
11 Erst als Farce, dann als Tragödie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
12 Was ist Trumps größter Verrat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
13 Auf dich, Julian Assange! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
14 Biden über Putins (Mangel an) Seele . . . . . . . . . . . . . . . 102
15 Klassenkampf wider den Klassismus . . . . . . . . . . . . . . . 106
16 "Wir müssen leben, bis wir sterben":
Was uns Rammstein über das Leben in der
Pandemie zu sagen hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
17 Ein europäisches Manifest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
18 Licht am Ende des Tunnels? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
19 Drei ethische Haltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
20 Der Pariser Kommune zum 150. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
21 Mitgefühl reicht nicht aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
22 Ist der Kommunismus ein autoritärer Kapitalismus? . . . . . . . 174
23 Les Non-Dupes errent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
24 Letzter Ausstieg: Kommunismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
25 Die Taliban und das unvollendete Projekt der Moderne . . . . . 205
26 Assange gegen den digitalen Neofeudalismus und
die liberale Selbstgefälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
27 Ist es mit dem friedlichen Bosnien bald vorbei? . . . . . . . . . . 217
28 Abschied von Lenin im Donbass . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
29 Die Pandemie zwischen Apathie und Solidarität . . . . . . . . . 235
30 Wird China zu einem Nationalstaat? . . . . . . . . . . . . . . . . 241
31 Omikron – erst die schlechte Nachricht, dann die gute
(die sogar noch schlechter sein kann) . . . . . . . . . . . . . . . 246
32 Was wird aus einer Handvoll Sonnenblumenkerne wachsen? . . 250
33 Die Ukraine und die Dritte Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
34 Von Rasputin zu Dwaputin oder:
Willkommen im heißen Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
35 Warum ich immer noch Kommunist bin . . . . . . . . . . . . . . 277


3
Radikale Veränderungen, nicht Mitgefühl Pia Klemp, die Kapitänin des Seenotrettungsschiffs Iuventa, schloss ihre Erklärung, warum sie die Médaille Grand Vermeil, die höchste Auszeichnung der Stadt Paris, nicht annahm, mit der Parole: „Papiere und Unterkünfte, Freizügigkeit und Bleiberecht für alle!“1 Um es kurz zu machen: Wenn damit gemeint ist, dass jeder Mensch das Recht haben soll, in ein Land seiner Wahl zu gehen, und dass dieses Land dann die Pflicht hat, ihm das Bleiben zu ermöglichen, dann haben wir es mit einer abstrakten Vorstellung im strengen Hegel’schen Sinne zu tun, welche den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang in seiner Komplexität ignoriert. Auf dieser Ebene lässt sich das Problem unmöglich lösen. Die einzig wahre Lösung besteht darin, das weltweite Wirtschaftssystem zu ändern, welches Menschen erst in die Flucht treibt. Es gilt also, von der unmittelbaren Kritik einen Schritt zurückzugehen und sich der Analyse der antagonistischen Widersprüche zuzuwenden, von denen die Welt geprägt ist. Im Mittelpunkt muss dabei die Frage stehen, inwiefern unsere kritische Position selbst Teil des Phänomens ist, das sie kritisiert. Wenn Konservative im Sinne von Margaret Thatcher die Ansicht vertreten, dass man es mit der Nächstenliebe auch übertreiben kann, und entsprechend verlangen, sie auf vernünftige Weise einzuschränken, dann tasten sie das Gebot der Nächstenliebe nicht einfach nur ein bisschen an – nein, sie verändern seinen Status vielmehr radikal. Die „unmögliche“ Forderung, seinen Nächsten zu lieben, die im Sinne von Kants „Du kannst, denn du sollst“ unbedingt zu gelten hat, verkehrt sich in die Aussage: „Du sollst nur das tun, was du tun kannst, ohne dass dadurch dein hart erarbeiteter Lebensstandard ernsthaft beeinträchtigt wird.“ Auf diese Weise wird aus dem Gebot der Nächstenliebe eine „realistische“ strategische Überlegung. Ich für meinen Teil trete hier keineswegs für eine solche pragmatische „Mäßigung“ ein, sondern im Gegenteil für eine grundlegendere Verschärfung des Gebots. Um den Not leidenden Nächsten wirkliche Liebe entgegenzubringen, reicht es nicht, ihnen großzügig zu überlassen, was vom eigenen reich gedeckten Tisch herunterfällt. Man muss vielmehr die Bedingungen beseitigen, die ihrer Not zugrunde liegen. Bei einer öffentlichen Veranstaltung vor ein paar Jahren hat Gregor Gysi einen bemerkenswerten Satz gesagt. Ein Teilnehmer der Diskussion pochte darauf, dass er für das Elend und die Armut in der Dritten Welt nicht verantwortlich sei. Statt anderen Ländern zu helfen, sollte sich der Staat besser um das Wohlergehen seiner eigenen Bürger kümmern. Darauf erwiderte Gysi: Wenn wir keine Verantwortung für die Armen in der Dritten Welt übernehmen (und entsprechend handeln), dann werden diese Armen zu uns kommen (und genau dagegen wehren sich die Einwanderungsgegner vehement). Das mag für manche Ohren zynisch und unmoralisch klingen, dennoch ist diese Ansicht der Situation viel angemessener als der abstrakte Humanitarismus. Dieser appelliert an unsere Großzügigkeit und unser Gewissen („Wir sollten den Migranten unser Herz öffnen, zumal doch die eigentliche Ursache für ihr Leiden europäischer Rassismus und Kolonialisierung sind“). Dieser Appell wiederum verbindet sich oft mit einer seltsamen ökonomischen Argumentation („Europa ist auf Einwanderung angewiesen, damit es wirtschaftlich weiter expandieren kann“) und einer Bevölkerungsrhetorik, die man eher von der Rechten erwarten würde („Bei uns werden immer weniger Kinder geboren, und dadurch büßen wir zunehmend unsere Vitalität ein“). Worum es dabei aber eigentlich geht, ist offensichtlich: Öffnen wir uns für die Migranten – aber nur in dem verzweifelten Versuch, den radikalen Wandel, an dem in Wahrheit kein Weg vorbeiführt, doch irgendwie zu vermeiden und unsere liberal-kapitalistische Ordnung aufrechtzuerhalten. Gysi argumentierte bei der besagten Veranstaltung genau entgegengesetzt: Wenn wir unsere Identität, unsere Art zu leben, wirklich schützen wollen, dann brauchen wir einen grundlegenden sozioökonomischen Wandel. Das symptomatische Merkmal der „globalen Linken“, wie sie sich derzeit darstellt, ist eine Art Doppelstandard: Einerseits lehnt sie es ab, überhaupt von „unserer Art zu leben“ oder von kulturellen Unterschieden zu sprechen, und sieht darin eine reaktionäre Haltung à la Huntington, welche die grundlegende Gleichheit (oder besser gesagt Gleichmachung) aller Menschen im globalen Kapitalismus verschleiert. Im selben Zug aber fordert sie, dass wir die jeweilige kulturelle Identität der Einwanderer respektieren und ihnen nicht unsere eigenen kulturellen Normen aufzwingen sollen. Dahinter steht offensichtlich der Vorwurf, dass „unsere Art“ und „ihre Art“ zu leben nicht gleichberechtigt nebeneinanderstehen, da unsere Lebensweise auf Vorherrschaft ausgelegt ist. Das ist zwar an sich richtig, geht jedoch am Kern des Problems vorbei: dem Status der Allgemeinheit beim Kampf um die Emanzipation. Es stimmt, dass der geflüchtete Mensch in vielerlei Hinsicht der „Nächste“ schlechthin ist, der Nächste im streng biblischen Sinne: der Andere in seiner bloßen, nackten Präsenz. Damit, dass sie nichts besitzen, kein Zuhause haben und keinen festen Platz in der Gesellschaft, stehen Geflüchtete für das Allgemeinmenschliche. Und darum sagt die Haltung, die wir ihnen gegenüber einnehmen, auch sehr viel darüber aus, wie wir es mit dem Menschlichen an sich halten. Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen, unterscheiden sich von uns nicht nur so, wie sich alle Menschengruppen voneinander unterscheiden; sie sind in gewisser Hinsicht der Unterschied an sich. Hegelianisch betrachtet aber fallen hier Allgemeinheit und Besonderheit zusammen. Geflüchtete kommen als nur materiell Nackte und Mittellose, und darum scheint es uns, als klammerten sie sich umso mehr an ihre jeweilige kulturelle Identität. Sie werden als eine Allgemeinheit wahrgenommen: als Wurzellose, gleichzeitig aber auch als Menschen, die in ihrer besonderen Identität verhaftet sind. Nomadische Einwanderer sind keine Proletarier – trotz der gegenteiligen Behauptungen von Alain Badiou und anderen, die im „nomadischen Proletarier“ die exemplarische Gestalt des heutigen Proletariats sehen wollen. Was Proletarier zu Proletariern macht, ist die Tatsache, dass sie ausgebeutet werden; sie bilden das zentrale Moment der Kapitalverwertung; ihre Arbeit schafft Mehrwert. Ganz anders verhält es sich bei den nomadischen Flüchtlingen, die nicht nur als wertlos betrachtet werden, sondern die als wertloser Rest des globalen Kapitals buchstäblich „ohne Wert“ sind: Die Mehrheit von ihnen ist nicht in den Prozess der Kapitalverwertung einbezogen. Linke wie Kapitalisten träumen davon, die mit der neuen Einwanderungswelle kommenden Migranten in die kapitalistische Maschinerie einzugliedern, wie es in den 1960er-Jahren in Deutschland und dann in Frankreich gemacht wurde. Europa, so sagen sie, „braucht Einwanderung“. Das Problem ist nur, dass es diesmal nicht funktioniert; die Einwanderer werden gesellschaftlich weitgehend nicht integriert und der Großteil von ihnen bleibt „außen vor“. Dies macht die Situation der einwandernden Flüchtlinge noch viel tragischer – sie sind in einer Art sozialem Schwebezustand gefangen, einer Sackgasse, aus welcher der Fundamentalismus einen falschen Ausweg bietet. In Bezug auf die globale Kapitalzirkulation befinden sich die Flüchtlinge in einer Position der menschlichen Überflüssigkeit, der spiegelbildlichen Verkehrung des Mehrwerts, und keine humanitäre Hilfe und Offenheit kann diese Spannung auflösen; das lässt sich nur durch eine Umstrukturierung des gesamten internationalen Gefüges erreichen. Dass es in erster Linie darauf ankommt, die Ursachen zu bekämpfen, aufgrund derer Menschen ihre Heimat verlassen, wird von linksliberaler Seite häufig als vorgeschobenes Argument zurückgewiesen. Sie sieht darin bloß eine (nicht sonderlich) subtile Ausrede, um Flüchtlinge davon abzuhalten, zu uns zu kommen. Dieser Vorwurf lässt sich aber mit mindestens der gleichen Berechtigung entsprechend zurückgeben: Den vor Krieg und Armut fliehenden Menschen „unser Herz zu öffnen“ stellt eine (nicht sonderlich) subtile Möglichkeit dar, eben nichts zu unternehmen, um die globalen Bedingungen zu ändern, die zuallererst zu den Fluchtbewegungen führen. Der Humanitarismus begeht den gleichen Irrtum, dem auch die sogenannte deep ecology unterliegt – deren „tiefenökologisch“ motivierte Ablehnung des Anthropozentrismus ist nicht weniger heuchlerisch. Das ganze Gerede, dass wir, die Menschheit, eine Bedrohung für sämtliches Leben auf der Erde darstellen, ist letztlich nur Ausdruck der Sorge um unser eigenes Schicksal. Die Erde an sich tangiert das nicht. Selbst wenn wir alles Leben auf ihr vernichten, wird dies nur eine Katastrophe sein, die ihr widerfährt – und nicht einmal die größte. Wenn wir uns um die Umwelt sorgen, so geht es uns dabei um unsere eigene...


Žižek, Slavoj
Slavoj Žižek ist hegelianischer Philosoph, lacanianischer Psychoanalytiker und Kommunist. Er gehört zu den bekanntesten Philosophen und Kulturkritikern der Gegenwart und ist International Director am Birkbeck Institute for Humanities der University of London, Visiting Professor an der New York University sowie Professor für Philosophie an der Universität seiner slowenischen Heimatstadt Ljubljana.

Slavoj Žižek ist hegelianischer Philosoph, lacanianischer Psychoanalytiker und Kommunist. Er gehört zu den bekanntesten Philosophen und Kulturkritikern der Gegenwart und ist International Director am Birkbeck Institute for Humanities der University of London, Visiting Professor an der New York University sowie Professor für Philosophie an der Universität seiner slowenischen Heimatstadt Ljubljana.


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