E-Book, Deutsch, 281 Seiten
Hunter Bravelands - Der letzte Schwur
Deutsche Erstausgabe
ISBN: 978-3-407-75595-7
Verlag: Julius Beltz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Band 6
E-Book, Deutsch, 281 Seiten
ISBN: 978-3-407-75595-7
Verlag: Julius Beltz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Erin Hunter ist ein Autor:innenteam und inspiriert von der Liebe zu Katzen und der Faszination von der Wildnis. Immer mit dem größten Respekt gegenüber der Natur in all ihren Formen, findet Erin Hunter mystische Erklärungen für das Verhalten der Tiere und erschafft magische Welten.
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1. KAPITEL
Feuchte Rauchfahnen wanden sich in den blauen Himmel und trieben über das Grasland, bis sie sich im Hitzeschleier auflösten. Der Wald, der einmal so üppig und grün gewesen war, war nur noch eine zerrüttete und geschwärzte Wüste aus Schlamm und abgebrochenen Baumstümpfen. Der plötzliche Regen war vorüber und hatte einen beißenden Gestank hinterlassen.
Hoch erhobenen Hauptes stand Heldenmut ganz still da, nur seine Schwanzspitze zuckte. Hinter ihm wartete schweigend sein neues Rudel. Er konnte ihre Gegenwart spüren, ohne dass er sich hätte umdrehen müssen, so als würde ihre Kraft in ihn hineinfließen.
Und diese wortlose Stärke brauchte er auch. Denn vor ihm stand das Untier mit der schwarzen Mähne, das alle für tot gehalten hatten. Außer Heldenmut natürlich. Er hatte gewusst, dass die Kreatur noch lebte – sie in seinem Blut gespürt, diese Anwesenheit des Bösen, die in Bravelands noch weiterwirkte. Die Bestie, die seinen Vater Loyal getötet hatte, der Killer, der seinen Pflegevater Gallant betrogen hatte, der Rohling, der billigend zugesehen hatte, als seine Mutter Flink geblendet worden war.
Titan. Der Löwe, den ich geschworen habe zu töten.
Die schwarzen, wahnsinnigen Augen schauten ihn an und Heldenmut zitterte vor Hass am ganzen Körper. Er wandte den Blick nicht ab.
Auch Titan hatte um sich ein Rudel zur Unterstützung versammelt. Doch es waren keine Löwen. Die aufgestellten Nackenhaare, die scharfen, entblößten Zähne und die boshaft glühenden gelben Augen wiesen sie als die Goldenen Wölfe aus, die während der vergangenen Monde in ganz Bravelands eine Spur aus Blut und Verwüstung hinterlassen hatten. Wie sie so auf und ab streiften, besaßen sie die eindrucksvolle Eleganz von Löwen, und Heldenmut kannte auch den Grund dafür. Ihre Aura hatten sie den Löwen gestohlen, die sie getötet und deren Seelen sie verzehrt hatten.
Titans leises, aber bedrohliches Knurren durchbrach die Stille. »Du bist groß geworden, Heldenmut.«
»Ja.« Heldenmuts Stimme war kräftiger und klarer, als er befürchtet hatte. »Groß genug, um meinen Schwur zu erfüllen, Titan. Ich war zwar nur ein Löwenjunges, als ich geschworen habe, dich zu töten, aber ich habe vor, mein Versprechen zu halten.« Er straffte die Schultern und fletschte die Zähne. »Ich fordere dich heraus, Mörder. Kämpfe gegen mich. Hier und jetzt.«
Bevor er auch nur zwei Schritte auf Titan zugegangen war, hörte er, wie sein Rudel geräuschvoll die Luft einzog.
»Warte!«, keuchte Kaltschnauze.
Eine kleine Gestalt kam an Titans Seite geschossen: Quälgeist, seine verzogene Tochter und Kaltschnauzes Schwester. Sie verzog die Schnauze zu einem verächtlichen Grinsen und enthüllte dabei ihre noch kleinen, aber scharfen Fangzähne.
»Lass mich ihn für dich töten, Vater.«
Titan schaute zu ihr hinunter und seine Augen glühten vor Belustigung. »Du bist wahrhaftig meine Tochter, Quälgeist. Aber dieser Kampf ist nichts für dich. Zurück mit dir!«
»Ja, zurück«, knurrte Heldenmut und funkelte das Junge, das einmal unter seinem Schutz gestanden hatte, böse an. Sie war schon immer hochnäsig und selbstsüchtig gewesen, aber jetzt umgab sie eine neue Grausamkeit und er hatte nichts mehr für sie übrig. »Keine Spielchen mehr!«
»Ha!« Titans Fangzähne schimmerten gelb und Geifer tropfte von ihnen herab. »Ganz genau, Heldenmut – keine Spielchen mehr. Es wäre klug von dir, wenn du dich umdrehen und abhauen würdest. Lauf davon, wie das verängstigte Junge, das du warst, als ich Gallant tötete. Du bist noch immer dieses Junge, egal, wie sehr du dich aufplusterst und wie wütend du knurrst. Heldenmut, der Feigling mit dem unpassenden Namen, für den in Bravelands kein Platz ist!« In Titans Augen schimmerte der Wahnsinn. »Du glaubst, du könntest mich jetzt besiegen? Jetzt, wo ich stärker bin als jemals zuvor? Mein Herz und mein Bauch sind angefüllt mit den Seelen derer, die ich getötet habe. Ihre Stärke ist meine. Lauf weg und verstecke dich wieder bei den Pavianen. Heute hast du eine noch kleinere Chance gegen mich als damals!«
Aus der Tiefe seiner Kehle ließ Heldenmut ein Knurren ertönen. »Halte nur deine Reden, Titan. Die werden dir auch nicht helfen.« Mit großem Bedacht tat er einen Schritt nach vorn.
»Na gut, wenn du darauf bestehst.« Titan zog seine kraftvollen Schultern hoch. »Ich werde mir dein Herz holen, wie ich mir das Herz des Großen Anführers geholt habe.«
Heldenmut spürte, wie die Pranke, die er noch erhoben hielt, anfing zu zittern. Dorn? Was?
»Ganz recht«, knurrte Titan. »Dieser Pavian, der den Anspruch erhob, ganz Bravelands anzuführen? Ein schmackhaftes Herz, so voller Elan.«
Heldenmuts Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt und sein Magen rebellierte. Dorn war tot? Der Pavian, der sein ganzes Leben lang sein Freund, sein Verbündeter und Vertrauter gewesen war?
Das kann nicht wahr sein …
Doch an Titans teuflischem Knurren erkannte er, dass die Bestie nicht log. Zorn und Trauer loderten in Heldenmuts Innerem. Jählings ging er zum Angriff über. Er preschte über die Ebene, um seine Klauen in Titans Hals zu rammen.
Unverzüglich kamen geschmeidige gelbe Gestalten an die Seite ihres schwarzmähnigen Anführers geeilt und kreisten ihn schützend ein. Ihre mageren Pfoten wirbelten dabei Staub auf, der sich in Wolken erhob. Heldenmuts Kehle und seine Augen brannten, und einen Augenblick lang gerieten seine Pranken ins Straucheln, doch er rannte verbissen weiter. Er fühlte, wie sich scharfe Fangzähne in seine Schulter und seine rechte Flanke bohrten, doch er schüttelte alle Wölfe ab. Einen beförderte er mit einem kräftigen Prankenschlag zur Seite. Dieser jaulte auf und stürzte in den Staub, doch andere nahmen beißend und kratzend seine Stelle ein.
In dem Chaos wirbelte immer mehr Staub auf und verschleierte Heldenmuts Sicht. Wutschnaubend holte er aus und befreite sich von weiteren Wölfen. Durch die Düsternis drang Titans bösartiger Spott.
»Keinen von ihnen konntest du retten, nicht wahr, Heldenmut? Deinen Vater nicht und auch nicht deinen guten Freund Loyal. Deine Mutter nicht. Du konntest ja nicht mal diesen Pavian beschützen!«
Orientiere dich an seiner Stimme, sagte sich Heldenmut. Zum Glück kann er sich nicht beherrschen und muss immerzu reden. Mit einem heftigen Hieb schlug er einen weiteren Wolf von sich und sprang in die Richtung von Titans verhöhnenden Reden. Links von ihm war etwas im Gange, das Gejaule und verängstigte Knurren eines kleineren Löwen in der Gewalt der Wölfe – doch Heldenmut musste fokussiert bleiben. Die anderen aus seinem Rudel sollten sich darum kümmern. Heldenmut war Titan inzwischen schon so nah – der Umriss der Bestie zeichnete sich in der trüben Luft ab, und Heldenmut spannte seine Hüften an, bereit zum Angriff.
Da kam Quälgeist aus den Staubwolken gesprungen und versperrte ihm den Weg. Ihre Augen funkelten.
»Meinen Vater angreifen? Oder Nichtsnutz retten?«
Erschrocken kam Heldenmut schlitternd zum Stehen.
Er hörte ein amüsiertes Knurren von Titan. »Ein unnötiges Spiel, mein Kleines, aber ein lustiges. Schauen wir mal, was er jetzt macht, ja? Überlege es dir gut, Heldenmut.«
Quälgeist wirbelte ihren kleinen Kopf herum und herrschte einige Wölfe an:
»Tötet ihn! Tötet meinen Verräter-Bruder!«
Einen Augenblick lang stand Heldenmut in gequälter Unentschlossenheit da und starrte nur. Der Wirbel, den er aus dem Augenwinkel bemerkt hatte: Zwei Wölfe hatten den jungen Kaltschnauze vom Rudel getrennt und zerrten ihn nun mit den Zähnen in seinem Bein und seiner Seite auf ein kahles Stück Erde zu. Aus seinen Augen sprach die blanke Panik.
»Titan! Ruf sie zurück!«, brüllte Heldenmut. »Selbst du würdest doch nicht deinen eigenen Sohn töten!«
»Kaltschnauze ist nicht mehr mein Sohn«, knurrte Titan und trat ein paar Schritte nach vorn. »Er hat sich auf die Seite meines Feindes geschlagen. Mein Seelenrudel kann mit ihm machen, was es will.«
Quälgeist grinste Heldenmut triumphierend an. Freudig jaulend stürzten sich noch mehr Wölfe auf den zusammengekauerten Kaltschnauze. Heldenmut hörte hinter sich sein Rudel wütend brüllen, während es sich zum Sprung bereit machte. Doch er war am nächsten an Kaltschnauze dran, und er wusste, dass er keine Wahl hatte. Er wandte sich von Titan ab und sprang auf die Wölfe zu.
Heldenmut blieb nichts anderes übrig, als seine ganze...