E-Book, Deutsch, Band 2, 131 Seiten
Reihe: Mission Genesis
Überleben
E-Book, Deutsch, Band 2, 131 Seiten
Reihe: Mission Genesis
ISBN: 978-3-7325-5970-1
Verlag: beBEYOND
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Christian Humberg verfasst Romane, Comics, Theaterstücke und Sachbücher für Kinder und Erwachsene. Er schrieb unter anderem bereits für Star Trek und Perry Rhodan Neo, und seine Werke wurden in mehr als ein halbes Dutzend Sprachen übersetzt und vielfach für die Bühne adaptiert. Seine Kolumnen und Artikel erscheinen bundesweit in der Presse, u.a. in GEEK! und SpaceView.
Christian Humberg ist häufig auf Conventions zu finden, u.a. als Moderator auf Europas größter SF-Veranstaltung FedCon. Noch häufiger zu finden ist er vor seinem PC-Monitor, der ihm die Sicht auf den Mainzer Dom versperrt. Anlässlich der Frankfurter Buchmesse erhielt er 2015 den Deutschen Phantastik-Preis.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
23. November 2120 Irgendwo im LL-Theta-System Das neue Eden, so hatten sie es getauft. Der Name klang fast wie Zynismus. Nichts an diesem Ort war paradiesisch. Hannah Dell, fünfundzwanzigjährige Journalistin aus dem Mittleren Westen der USA, streifte nun schon seit Tagen durch das Wrack des abgestürzten Raumschiffs Genesis. Sie und ihre in die Pupille integrierte Kamera hatten eigentlich den Aufbruch der Menschheit dokumentieren sollen. Nun sahen sie nichts außer Tod und Elend, verbogenen Stahl und verendende Generatoren. Nein, diese neue Welt war kein Eden. Aber sie blieb eine Chance. Ihre letzte. »Wohin bringen Sie ihn?«, fragte Dell. Sie passierte gerade die halb zerstörte Krankenstation tief im Bauch des Schiffes, als zwei Männer in weißen Kitteln einen weiteren Offizier aus dieser heraustrugen. Auch er war letztendlich an seinen Verletzungen gestorben. Einer von Dutzenden seit dem Absturz des Schiffes. »In die Berge«, antwortete Benji Kutcher. Der Mittvierziger mit dem roten Haar sah müde aus. Seit Tagen ernährte er sich von Aufputschmitteln, um durchzuhalten. Es gab keine Alternative. »Da lagern alle unsere Toten seit Neuestem.« Dell nickte. Kutcher und sein Mitstreiter, der Ägypter Youssef Mahdi, kämpften ohne Unterlass um das Leben ihrer Patienten. Dell half selbst mit, wann immer sie konnte, denn außer den beiden – dem Arzt Kutcher und dem ehemaligen Chemiker Mahdi, der schon vor Jahren beruflich umgesattelt hatte und Pfleger geworden war – war kein Mitglied des medizinischen Stabes mehr am Leben. Doch Wunder vermochten die zwei Männer selbst mit der Unterstützung Freiwilliger nicht zu vollbringen, denn auch die Ausrüstung der Krankenstation hatte den Absturz des Schiffes nur in geringen Teilen unbeschadet überstanden. Was daheim auf der Erde ein medizinischer Klacks gewesen wäre, ließ sich hier im lebensfeindlichen Nirgendwo aus Mangel an Hilfsmitteln kaum noch behandeln. Der Mangel regierte mittlerweile überall. Auch das war ganz anders geplant gewesen. Die Genesis hatte Mutter Erde vor mehreren Jahren verlassen. Das vom exzentrischen Technikguru John DeFalco finanzierte Siedlungsschiff war unterwegs zum Planeten LL-Theta-337 gewesen, der laut jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen erdähnliche Bedingungen aufwies. Dort sollten die Siedler ein neues Zuhause für die Menschheit gründen, denn das alte – die Erde – hatte in DeFalcos Augen keine Zukunft mehr. Natürlich gab es viele, die anderer Meinung waren – insbesondere in den einflussreichen Machtzentren von Politik und Wirtschaft. Doch DeFalco hatte seinen Traum irgendwie durchgesetzt und die Genesis auf den Weg gebracht. Gegen alle Widerstände, gegen allen Spott – und gegen die öffentliche Meinung, die in ihm einen wirren Idioten sah, der sein Geld vergeudete. Er hatte die Genesis ins All geschickt, das erste irdische Raumschiff mit menschlicher Besatzung und einer interstellaren Aufgabe. Und vermutlich das einzige, das es je geben würde. Erst ein Meteoritenhagel hatte DeFalcos bahnbrechendes Schiff kurz vor dem eigentlichen Ziel bremsen können. Der unerwartete Beschuss – Gerüchten zufolge war er mit einem mysteriösen Fehler des Bordcomputers einhergegangen – hatte die Genesis vor ernste Probleme gestellt. In einem ebenso heroischen wie schicksalhaften Rettungsversuch war es der Technikerin Zoe Chu, einer einfachen Frau aus den Slums von Manhattan, gelungen, das trudelnde Schiff auf diesem kursnahen Fels im All notzulanden. In allerletzter Sekunde hatte Chu so Dutzenden Besatzungsmitgliedern das Leben gerettet und das Schlimmste verhindert. Seitdem lag die Genesis in steiniger, lebloser Ödnis da und leckte ihre Wunden. Am Tag blickte Dell, die den Absturz körperlich unversehrt überstanden hatte, auf zwei ihr völlig fremde Sonnen, auf Wüstenboden und felsige Berghänge. Bei Nacht, schlaflos und von Sorgen zerfressen, sah sie unwirklich scheinende Sterne am Himmel und hörte Sandstürme um die Außenwände des Wracks toben. Nein, dies war keine freundliche Welt, kein zweites Eden. Im Gegenteil: Der Planet schien die Menschen regelrecht abzuweisen. Wir gehören hier nicht hin, dachte Dell abermals. Hier lebt nichts. Und hier überlebt nichts. Aber uns Schiffbrüchigen bleibt keine Wahl. Die Journalistin ging weiter. Jeden Tag drehte sie ihre Runden und staunte stets von Neuem über die Fortschritte der Gruppe. Jeder, der noch stehen und arbeiten konnte, packte irgendwo mit an. Was immer an Ausrüstung funktionierte, war im Einsatz, und selbst die Trümmer fanden noch einen Nutzen – als Baumaterial oder Rohstoff. Nichts wurde verschwendet. Wir wissen vielleicht nicht, wo wir gelandet sind, dachte die junge Frau, aber wir wissen, wie man Lecks abdichtet. Wie man Wunden versorgt. Schweigend sah sie einer Handvoll Arbeiter in Overalls dabei zu. Die Meteoriten und der Aufprall hatten mehrere Risse und Löcher in die Außenhülle der Genesis gerissen. Diese galt es schnellstens zu schließen – oder die betroffenen Schiffsbereiche dauerhaft aufzugeben –, denn die Kraftfelder aus elektrischer Energie, die die Lecks bislang stopften, würden nicht ewig halten. Sie fraßen zu viel Energie aus den Speichern der großen Generatoren im Bauch des Schiffes. Und noch wusste niemand, wie lange dieser Vorrat reichen würde. Einige Korridore und Weggabelungen weiter fand Dell die Messe des Schiffes. Der große Saal mit dem breiten Panoramafenster hatte sich zum Treffpunkt aller Überlebenden gemausert. Zu nahezu jeder Tages- und Nachtzeit wurde dort beratschlagt und debattiert. Die Mahlzeiten, die das fünfköpfige Küchenteam immer wieder aufs Neue aus den streng rationierten Vorräten zauberte, verkamen da beinahe zur Nebensache. Auch in diesem Moment befanden sich Menschen in der Messe. Dell sah verwundete Soldaten ebenso wie rangniedrige Offiziere – vom Führungsstab lebte niemand mehr – und Zivilisten. »… müssen wir unbedingt herausfinden, ob wir da draußen atmen können«, sagte eine Frau gerade. Sie trug einen zerknitterten Overall und sah aus, als wäre sie eben erst aus der Kryostase erwacht. Hilflos sah sie sich in der Gruppe um. »Lange halten die Sauerstoffgeneratoren das nämlich nicht mehr durch, versteht ihr? Wir werden jämmerlich ersticken, wenn wir nicht bald Luft finden! Dieses Wrack, in dem wir uns gerade hermetisch einigeln … Das allein kann doch nicht die Lösung sein!« »Du kannst gern mal raus auf die Oberfläche gehen«, sagte einer der Soldaten. Er trug einen Arm in einer Schlinge, und seine Stirn war dick verbunden. »Ohne Helm und Atemmaske, versteht sich. Denn die Sensoren sind nach wie vor kaputt – inzwischen munkelt man sogar, dass sie gar nicht mehr zu retten sind. Wir wissen schlicht nicht, ob es hier Sauerstoff gibt. Also, nur zu. Geh raus. Und dann atmest du tief durch. Wenn du danach nicht blau anläufst, wissen wir alle mehr.« Es war scherzhaft gemeint, aber niemand lachte. Der Rest der Gruppe gab der Frau recht, wagte es aber gleichzeitig nicht, die Initiative zu ergreifen. Niemand wusste eine Lösung. Auch die Frau setzte sich schließlich wieder, stumm und so hilflos wie eh und je. So verliefen viele Treffen an Bord des Wracks. Sie begannen in Angst und endeten in Schweigen. Noch. Hannah Dell ging auch auf der Brücke ein und aus, da sie und Zoe Chu sich in den vergangenen Tagen ein wenig angefreundet hatten. Deswegen wusste sie, wie schlecht es um die Generatoren stand – ähnlich schlecht wie um die Technik im Allgemeinen. Und von allein würde sich die Lage wahrscheinlich nicht bessern, da hatte die ängstliche Frau aus der Schiffsmesse vollkommen recht. Die Uhr tickte. Auch deswegen waren die Reparaturarbeiten so wichtig. Sie gaben den Menschen das Gefühl, ihr Schicksal mitzubestimmen. Und sie verbesserten die Überlebenschancen der gesamten Gruppe. Allerdings … »Gibt es Neuigkeiten von Funk und Radar?«, fragte Dell. Sie betrat gerade die Brücke, auf der eifrig gearbeitet wurde. Techniker in schmutziger Dienstkleidung knieten vor oder lagen unter wuchtigen Konsolen. Ein breiter Holo-Monitor prangte in der Raummitte und flackerte so wild, als hinge sein Leben am seidenen Faden. Die Luft roch nach verschmorten Platinen und verfliegender Hoffnung. »Das wäre nämlich echt gut. Die Leute werden unruhig.« Zoe Chu, der die Frage galt, stand mitten im Chaos der Brücke und stemmte seufzend die Hände in die Hüften. »Nicht nur die …« Chu war von schlanker, aber robuster Statur. Ihre Züge mit dem schönen asiatischen Einschlag hatten etwas Exotisches, doch ihre Miene, ihr Akzent und ihre Gesten wiesen sie als waschechte New Yorkerin aus. Chu ließ sich weder für dumm verkaufen, noch wartete sie geduldig ab, während andere Däumchen drehten. Sie mochte es selbst nicht so sehen, aber sie war eine Macherin durch und durch. Ein Arbeitstier … und eine Anführerin. Zu Letzterer hatte die Gruppe sie quasi ungefragt ernannt – einfach weil Chu nach dem Absturz schnell Initiative gezeigt hatte, anstatt sich schreiend in eine Ecke zu verkriechen wie andere Personen. Und die Tatsache, dass es ihr gelungen war, das Schiff notzulanden, machte sie ebenfalls zu einer Art Hoffnungsträgerin für die Menschen an...