E-Book, Deutsch, Band 2, 116 Seiten
Gartenkrimi
E-Book, Deutsch, Band 2, 116 Seiten
Reihe: Den Mörder sucht immer der Gärtner
ISBN: 978-3-7517-6158-1
Verlag: beTHRILLED
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Christian Humberg verfasst Romane, Comics, Theaterstücke und Sachbücher für Kinder und Erwachsene. Seine Werke wurden in mehr als ein knappes Dutzend Sprachen übersetzt und vielfach für die Bühne adaptiert. Seine Krimis spielen an der Ostsee, in Cornwall, auf Santorin - und in der Kleingartenanlage Hortensia. Christian Humberg lebt vor einem PC-Monitor, der ihm die Sicht auf den Eifelwald versperrt.
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KAPITEL 2
Eine Leiche zum Dessert Eines musste man der Kleingartenanlage lassen: Neuigkeiten verbreiteten sich auf ihr schneller als Unkraut. Nele hatte die Pfanne kaum auf dem Herd, da hörte sie auch schon, wie sich der Schankraum füllte. Neugierig schaute sie durch die offen stehende Küchentür und fand nahezu alle üblichen Gesichter an den Tischen. Selbst Karl Paschulke war gekommen. Er stand am Tresen und unterhielt sich mit Kartoffel-Paul, einem grauhaarigen Gartenfreund, dessen Nachname selbst alteingesessenen Hortensianern unbekannt war. Wie schon am Nachmittag trug Paschulke seine geliebte Latzhose. Da er sich die Hemden oft sparte, sah man nun seine schmalen Schultern und die sonnengebräunten Arme sehr deutlich. Weiter hinten saßen Renate, Tehzett und Erik Gertner an einem Fenstertisch. Tehzett schien zu einem seiner gefürchteten Spontanvorträge anzusetzen, die meist von seiner aktiven Zeit bei der Bahn handelten und in etwa so spannend waren wie Klee beim Wachsen zuzuschauen, denn Renate verdrehte prompt die Augen. Gertner hingegen lauschte gebannt. Oder wollte er bloß höflich sein? Es sähe ihm ähnlich, fand Nele. Sie mochte Gertner. Obwohl sie ihn noch nicht lange kannte, fühlte sie sich ihm irgendwie verbunden. Sie hatten denselben Humor, dieselbe Sicht auf die Welt und so weiter. Und hässlich war der Polizist auch nicht gerade – mit seiner sportlichen Statur, dem Lausbubenlächeln und dem Bartschatten auf dem markanten Kinn, gegen den er machtlos zu sein schien, ganz egal wie oft er sich auch rasierte. Aber Nele war nicht hier, um Anschluss zu finden. Nicht diese Art von Anschluss, besser gesagt. Die Hortensia war ein Neustart für sie, ein klarer und bewusster Bruch mit dem Leben, das sie zuvor gelebt und das sie krank gemacht hatte. Ein neuer Mann war da so wenig sinnvoll wie eine neue Festanstellung bei einem Ausbeuter-Chef. Genauso gut konnte sie ihren Ex Thomas bitten, es nochmals mit ihr zu versuchen, oder? Und wenn der Gedanke nicht ausreicht, dir die Flausen aus dem Kopf zu vertreiben, dachte sie bitter, dann weiß ich auch nicht weiter. Sie schüttelte den Kopf, jagte die Erinnerungen zurück in die dunkelsten Winkel ihres Verstandes. Dorthin, wo sie hingehörten und hoffentlich blieben, bis die Hölle zufror. Dann kehrte sie zurück zu ihrer Pfanne. Das Öl war warm genug. Es wurde Zeit, den Kartoffelteig hineinzugeben. Nele griff nach der schweren Schüssel, nahm sich einen großen Plastiklöffel und … »Na, klappt alles?« Verblüfft sah sie auf. Niemand Geringeres als Uschi Gabinsky stand im Durchgang zwischen Schankraum und Küche. Die Vereinspräsidentin der Hortensia musste gerade im Augenblick angekommen sein. Sie trug sogar noch ihre Arbeitskleidung, einen ärmellosen Kittel mit dem Namen des Dorflädchens auf der Brust, wo die Mittvierzigerin und zweifache Mutter tagtäglich an der Kasse saß. »Wo kommst du denn her?«, staunte Nele. Gabinsky deutete an sich hinab, als trüge sie keinen Sparkauf-Kittel, sondern die neueste Mode aus Paris. »Aus der großen weiten Welt, was denkst du denn? Ich habe gehört, dass du Reibekuchen machst. Da habe ich mir Mann und Kinder geschnappt und bin sofort her. Du hast doch genug für alle, oder? Andernfalls helfe ich dir gern dabei, noch mehr Kartoffeln zu reiben.« Das wird langsam nötig, fürchte ich, dachte Nele. Doch sie lächelte. »Guck mal draußen nach Kartoffel-Paul, ja? Frag ihn, ob er uns ein, zwei Handvoll aus seinem Garten abtritt.« Gabinsky nickte begeistert. »Ich wusste doch, dass ich helfen kann! Wird sofort erledigt, Blümchen.« Sie verschwand wieder im Schankraum. Nele hörte sie reden, achtete aber nicht weiter darauf. Es wurde höchste Zeit, sich aufs Kochen zu konzentrieren. Sie gab die erste Fuhre der Reibekuchenmasse in die Pfanne, und sofort brutzelten sie los. Köstlicher Duft stieg in Neles Nase: Zwiebeln, Petersilie, ein Hauch von Muskatnuss … Oma Gittes Rezept schien ein Volltreffer zu sein. »Ich schätze, das muss es auch«, murmelte sie leise. »Andernfalls hab ich da draußen viele enttäuschte Kleingärtner sitzen.« Nach wenigen Minuten kehrte Uschi in die Küche zurück, eine gewaltige Schüssel in den Armen. »Paul sagt, wir sollen uns melden, wenn das nicht reicht.« »Im Ernst?«, staunte Nele. »Das sind doch locker zwei Kilo.« »Zweieinhalb«, bestätigte die Präsidentin. »Von seiner besten Sorte, meint er. Eine Privatzüchtung, die gerade erst richtig reif geworden sei. Ich reibe dann mal los und verschaffe dir Nachschub, okay?« »Dich schickt echt der Gärtnerhimmel, weißt du das?« Uschi Gabinsky gluckste vor Lachen und stellte sich an die Arbeitsplatte auf der anderen Seite des Herdes. Dort wusch, schälte und verarbeitete sie ein Pfund nach dem anderen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Ihr Tempo war beängstigend. Als die ersten Kuchen fertig waren, platzierte Nele sie auf den bereitgestellten Tellern. Auf jeden Teller kamen drei Reibekuchen, dazu ein Klacks Apfelmus, etwas Brot und eine große Scheibe Räucherlachs. Waren genug Teller zusammen, lud sie sich Hände und Unterarme voll und trug die noch immer heiße Kost hinaus zu ihren Gästen. Die Hortensianer begrüßten sie mit großem Hallo. Kartoffel-Paul nickte so stolz, als habe er persönlich am Herd gestanden und gebraten. Karl Paschulke fuchtelte mit beiden Händen durch die Luft, um auch ja keinen einzigen Dufthauch zu verpassen, der von den Reibekuchen aufstieg. Tehzett und Renate sahen aus, als liefe ihnen das Wasser im Mund zusammen, und Erik Gertner lächelte einfach nur. Nele beschloss, ihm den ersten Teller zu geben. »Für unseren Freund und Helfer, einverstanden? Guten Appetit.« »Du kannst kochen und Mörder fangen?« Gertner sah bewundernd auf seine Portion, die durchaus üppig ausgefallen war. »Respekt.« »Eine gute Partie, findest du nicht auch?«, rempelte Renate ihn von der Seite an. Uuund ich gehe besser weiter, dachte Nele und tat dies schnell. Der Abend versprach, ein voller Erfolg zu werden. Als Nele in die Küche zurückkam, hatte Uschi bereits die nächste Fuhre Teigmasse in der Pfanne und eine zweite Pfanne heiß werden lassen. »Von jetzt an zweigleisig, einverstanden?«, fragte sie entschuldigend. »Dann geht’s schneller.« »Kommst du denn hinterher mit dem Reiben?«, wunderte sich Nele. »Sind Radieschenblüten rosa?«, gab die Präsidentin zurück. Nele, die keine Ahnung hatte, da sie mehr mit Leuten zu tun hatte, die Radieschen von unten als von oben anschauten, beschloss, das als Ja zu nehmen. Dankbar übernahm sie den Platz an den Pfannen. Karl Paschulke steckte seinen Kopf und die sonnengebräunten Schultern durch die offene Tür. »Blümchen? Ich zapf mal an, einverstanden? Ich mache dir ’ne Liste, damit du nachher kassieren kannst.« »Du bist ein Schatz, Karl«, dankte sie ihm. Er lächelte und verschwand an die Theke. »Unser werdender Bohnenkönig, hm?«, murmelte Uschi. Sie rieb bereits wieder an der nächsten Kartoffel, dann der übernächsten. »Du weißt davon?« »Jeder hier weiß das«, gab die Präsidentin zurück. »Karl redet seit Wochen von kaum etwas anderem. Hast du mitbekommen, dass morgen die Preisrichter anreisen, um sich seine Pflanzen anzusehen? Der Zug mit ihnen soll am Nachmittag drüben in Schönrath halten.« »Hm.« Nele drehte ein paar Reibekuchen mit dem Pfannenwender. »Tehzett meint, einer von denen sei schon da. Er schleiche heimlich über die Anlage, quasi inkognito.« Das war der Vereinspräsidentin merklich neu. Uschi Gabinsky drehte sich um und hielt in ihrer Arbeit inne. »Nicht im Ernst!« »Doch, scheint so.« Nele nickte. »Heute Nachmittag soll das gewesen sein, Karl selbst war drüben im Blühdorado und hat gar nichts mitbekommen.« »Und?« Uschis Augen waren groß geworden, ihre Miene ein Spiegel des Entsetzens. Nele wusste nicht, was sie mehr erschreckte: der heimliche Besuch des Preisrichters oder die Tatsache, dass sich Ortsfremde ohne ihre Kenntnis zwischen den Parzellen herumtrieben. Vermutlich Letzteres, dachte sie. »Und Tehzett hat ihn weggejagt«, erklärte Nele. »Bevor er Karls Bohnen bewerten konnte, schätze ich.« »Ojemine«, murmelte Uschi. »Wer rechnet denn damit, dass die sich nicht an ihre eigenen Termine halten und heimlich kommen?« »Glaubst du wirklich, Karl hat eine Chance auf den Titel?«, fragte sie zurück. »Ich kenne seine Bohnenstangen, klar. Jeder kennt die, der an seiner Parzelle vorbeikommt. Aber ich weiß nicht allzu viel über Bohnen. Sind die wirklich so besonders?« Uschi sah zum Durchgang in den Schankraum, um sicherzugehen, dass sie auch ja niemand überraschte. Erst dann antwortete sie – mit verschwörerisch gesenkter Stimme. »Karls Bohnen sind die besten, die ich je gesehen habe. Aber verrate ihm nicht, dass ich das gesagt habe. Sonst kommt der nie wieder von seinem hohen Ross herunter.« »Ich dachte, als Züchter sei er eine rechte Niete«, meinte Nele. »Bei Neuzüchtungen, ja.« Ihre Begleiterin nickte. »Das fuchst ihn ganz schön. Irgendwie kommen sein Selbstanspruch und seine Talente da nie ganz zusammen. Aber bestehende Bohnenarten? Für die hat Karl Paschulke das beste Händchen weit und breit, das garantiere ich dir. Da macht dem niemand etwas vor, nicht einmal Renate. Vor zwei Jahren hatten wir Karls Ernte sogar drüben im Sparkauf, so gut war die. Mehrere Kilogramm hatten wir im Angebot, frisch aus der...