E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: marixwissen
ISBN: 978-3-8438-0505-6
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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AUS STAUB GEBOREN. KOLLAPS EINER MATERIEWOLKE UND DER BEGINN DER ERDE
Die Geburt unserer Erde aus einer interstellaren (= »Raum zwischen den Sternen«) Gaswolke ist intensiv mit der Entstehungsgeschichte unseres Sonnensystems und unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße verbunden. Etwa 30.000 Lichtjahre vom Zentrum der Milchstraße entfernt, ereignete sich vor ca. 4,57 Milliarden Jahren für das Universum etwas relativ Alltägliches: Die zur Hauptsache aus Wasserstoff und Helium und nur zu geringen Anteilen aus mikroskopisch kleinen Staubteilchen von Kohlenstoff- und Siliziumverbindungen, Wasser und anderen Stoffen (= Interstellare Materie oder kurz ISM) zusammengesetzte Wolke wurde »gravitationsinstabil«. Die anfangs nur langsam rotierende Wolke zog sich infolge der eigenen Schwerkraft zusammen. Dadurch erreichte sie eine hohe Rotationsgeschwindigkeit vergleichbar mit einer Balletttänzerin oder Eiskunstläuferin, die zu einer Pirouette ansetzt, in dem sie sich zunächst mit ausgestreckten Armen dreht, dann aber die Arme an den Körper anlegt und somit die Drehung beschleunigt (= Drehimpulserhaltung). Dabei verdichtete sich die Materie durch die Schwerkraft und es kam zu einer gewaltigen Massenansammlung im Rotationszentrum. Denn nur auf elliptischen Bahnen um ein Massezentrum herrscht ein Gleichgewicht zwischen Schwerkraft und Zentrifugalkraft, während die Materie außerhalb der sich drehenden Scheibe nicht im Gleichgewichtszustand ist und gravitativ in das Zentrum gezogen wird, oder ins Weltall entflieht. Dieses Szenario einer kollabierenden Gaswolke ist kein einheitlicher Vorgang. Die Wolke zerfällt vielmehr in verschiedene Teilbereiche. Innerhalb der ursprünglich mehrere hundert Lichtjahre an Ausdehnung messenden Wolke entsteht eine Vielzahl an Fragmenten, die 0,1 bis 100 Sonnenmassen an Masse enthalten und in deren Zentren die Materie immer dichter und heißer wird. Die Kontraktionsprozesse kommen erst dann zum Erliegen, wenn der innere Gasdruck, der durch die Verdichtung ansteigt und der Kontraktion entgegenwirkt, und der äußere Druck durch Gravitation – der die Kontraktion bewirkt – im Gleichgewicht sind. Schließlich bildet sich ein kugelförmiger Gasball, ein Protostern. Der Protostern erhält zunächst aufgrund der Gravitationskraft einen stetigen Massezuwachs (= »Masseakkretion«) aus der ihn umgebenden Wolke. An der Akkretionsstoßfront (= »accretion shock«) werden die mit hohen Geschwindigkeiten eintreffenden Gasmoleküle stark abgebremst, wobei die kinetische Energie der Teilchen in thermische Energie umgewandelt wird und zur Aufheizung führt. Die Stoßfront emittiert in den ersten 100.000 Jahren intensiv Infrarotstrahlung (= sichtbarer Lichtbereich und längerwellige Strahlung; 1 mm bis 0,00078 mm). Schließlich erreicht die akkumulierende Masse eine kritische Größe, die durch die in Wärme umgesetzte Gravitationsenergie die Temperatur im Inneren auf etwa 10 Millionen Grad ansteigen lässt. Bei dieser hohen Temperatur springt das sogenannte »Wasserstoffbrennen« (auch »Deuteriumbrennen«) an, die Kernfusion von Wasserstoff zu Helium. Im Zuge der »Proton-Proton-Reaktion«, bei der vier Atomkerne des Wasserstoffs (1H) in mehreren Teilschritten zu einem um 0,635 % geringere Masse aufweisenden Helium-Atom (4He) verschmelzen, wird der anfallende Massenverlust (= Massendefekt) nach der Einstein’schen Gleichung der Äquivalenz von Masse und Energie, E = mc2, in erhebliche Energiemengen umgewandelt. Während dieses Stadium erreicht wird, oder relativ kurz davor, kommt es vermutlich durch die hohe Rotationsgeschwindigkeit und die Wirkung der sehr starken Magnetfelder zu »bipolaren Ausflüssen«. Beiderseits der Rotationsachse werden Materieströme mit Geschwindigkeiten bis zu 300 Kilometer pro Sekunde senkrecht zur Rotationsebene vom Protostern weg ausgestoßen. Protosterne, die sich in dieser Entwicklungsphase befinden, werden als T-Tauri-Sterne (= TTS) bezeichnet. Sie sind im Orionnebel, der mit bloßem Auge am Firmament sichtbar ist und ein hochaktives Sternentstehungsgebiet in unserer galaktischen Nachbarschaft darstellt, zu beobachten. Ein solcher Himmelskörper, der ein Alter von weniger als eine Million Jahre hat, ist noch nicht im hydrostatischen Gleichgewicht, daher ereignen sich auf ihm noch heftige Ausbrüche. Innerhalb der folgenden Stabilisationsphase, die einige zehn Millionen Jahre dauert, entwickelt sich der Protostern zu einem Stern. Als Stern im astronomischen Sinn wird ein massereicher, selbstleuchtender Himmelskörper aus Gas und Plasma (= vollständig oder teilweise ionisiertes Gas, wie man es von Leuchtstofflampen kennt) verstanden, der in seinem Inneren so hohe Temperaturen entwickelt, sodass Kernfusion in Gang gesetzt und die dabei entstehende Massedifferenz in Energie umgewandelt wird. Auf die geschilderte Weise entstand auch das Zentralgestirn unseres Planetensystems, nämlich die Sonne. Unsere Sonne wandelt pro Sekunde 600 Millionen Tonnen Wasserstoff in 596 Millionen Tonnen Helium um. Dieser Vorgang geht auf die Substanz, denn pro Sekunde wird sie um 4 Millionen Tonnen leichter. Aber nicht nur das: Die fehlende Masse wird vollständig in Energie umgewandelt. Die pro Sekunde freigesetzte Energie würde ausreichen, um den gegenwärtigen europäischen Energiebedarf für etwa 4 Millionen Jahre zu decken. Seit ihrer Entstehung hat die Sonne in ihrem Kern rund 14.000 Erdmassen Wasserstoff in Helium umgewandelt. Dabei sind 90 Erdmassen an Energie frei geworden. Im Laufe ihrer Entwicklung hat die thermonukleare Strahlungsleistung der Sonne um etwa 30 % zugenommen. Diese liegt heute bei 3,85 x 1026 Watt, wobei 1,7 x 1017 Watt pro Sekunde auf die angestrahlte Erdhälfte zukommen. Im Mittel wird derzeit nahezu ein Drittel der eintreffenden Energie von Aerosolen (= feste und flüssige Schwebeteilchen) in der Atmosphäre, von Wassertropfen in den Wolken und der Erdoberfläche selbst reflektiert und gelangt so wieder zurück ins Weltall. Rund die Hälfte der Sonnenstrahlung wird von der Erdoberfläche absorbiert und gespeichert, in Form von thermischer Konvektion (Luftströmung auf Grund von Dichteunterschieden) und als langwellige Wärmestrahlung in die Atmosphäre eingebracht, oder für die Umwandlung von Wasser in einen anderen Phasenzustand (z. B. für das Abschmelzen von Eismassen, die Wolkenbildung) verwendet (= latente Energie/Wärme). Schließlich ist die Energie der Sonne auch der Motor der oxygenen Fotosynthese: Erst durch diese einzigartige Fähigkeit »pflanzlicher« Organismen, das atmosphärische Kohlenstoffdioxid und das Wasser mittels Verwertung der Lichtenergie zum Aufbau von Kohlehydraten als Energiequelle zu nutzen, wurde die wesentliche Grundlage für die Entwicklung des irdischen Lebens in den heute bekannten Formen geschaffen. Als Nebenprodukt des Fotosynthese-Prozesses entsteht Sauerstoff. Sauerstoff wiederum macht die effektive Verwertung von Nährstoffen durch die aerobe Respiration (Oxidation) heterotropher Organismen – diese benötigen zur Ernährung energiereiche organische Stoffe, die sie nicht selbst herstellen können – erst möglich. Kehren wir nochmals zurück zur Gaswolke, aus der die Sonne entstand. Sie hatte nach Modellrechnungen eine Ausdehnung von 65 Lichtjahren (= ca. 615 Billionen km) und bestand wie die heutigen beobachtbaren interstellaren Wolken, neben der quantitativ dominierenden Gasphase (Wasserstoff und Helium) zu sehr geringen Anteilen (vermutlich deutlich unter 1 %) aus Staubteilchen. Diese Staubteilchen, die kleiner als Rußpartikel in Zigarettenrauch sind, setzen sich aus schwereren Elementen und Verbindungen, wie Wasser (H2O), Kohlenstoffmonoxid (CO) und Kohlenstoffdioxid (CO2), einigen kurzkettigen Kohlenstoffverbindungen, Ammoniak (NH3) und unterschiedlichen Siliziumverbindungen zusammen und sind von einer gefrorenen Schicht aus Wasser, Kohlenstoffdioxid, Methan (CH4) und Schwefelwasserstoff (H2S) umgeben. Der Wasserstoff und der überwiegende Teil des Heliums war bereits beim Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren gebildet worden, als Materie, Raum und Zeit entstand und damit das Universum zu existieren begann. Die schwereren Elemente und Verbindungen hingegen, die den »Staub« der Wolke aufbauten, waren im Innern von Sternen erzeugt worden, die am Ende ihres Lebenszyklus vermutlich vor sechs Milliarden Jahren explodierten und dabei diese Elemente und Moleküle als »Sternenstaub« freigesetzt hatten. Während so einer Explosion, die man als »Supernova« bezeichnet, kollabierte ein massereicher Stern, mit einer Anfangsmasse von mehr als acht Sonnenmassen, nachdem dieser all seinen nuklearen Brennstoff aufgebraucht hatte. Dabei entsteht ein sogenanntes »Schwarzes Loch«. Oder es kollabierte ein Stern mit geringerer Masse durch Eigengravitation und explodierte danach. Dabei entsteht ein sogenannter »Weißer Zwerg«. Die Materiedichte einer Gaswolke ist äußerst gering und könnte beinahe als Vakuum bezeichnet werden, denn in einem Kubikzentimeter befinden sich nur etwa 1.000 Teilchen. Im Vergleich dazu enthält ein Kubikzentimeter der Stratosphäre in über 20 km Höhe immerhin noch etwa fünf Billionen Moleküle. Dennoch vereinigt eine typische interstellare Wolke eine Gesamtmasse von bis zu 10.000 Sonnenmassen,...