Neuendettelsauer Mission und meine Vorfahren in Neuguinea
E-Book, Deutsch, 228 Seiten
ISBN: 978-3-7597-0087-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hartmut Horn, Jahrgang 1947 Studium Politologie, Soziologie und Philosophie Universität Konstanz und Heidelberg; Fachschule für Betriebswirtschaft und Datenverarbeitung Stuttgart
Autoren/Hrsg.
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1. Vorwort In meiner frühen Kindheit war mein Großvater lange Zeit einer, der mir mächtig imponierte, ein Mann, zu dem ich aufschaute. War er doch in jenem geheimnisvollen Land, in dem es Schlangen und Krokodile gab, wo man immer aufpassen und ein Gewehr dabeihaben musste. So jedenfalls erzählte es Großvater uns Kindern und wir hörten ihm gespannt zu. Viele Fotos hatte er von diesem Land, und viele mit dunkelhäutigen Menschen, mit nacktem Oberkörper und finsterem Gesicht, häufig bemalt und mit Speeren. Palmen gab es und die Häuser waren weiß und aus Holz. Auch meine Großmutter lebte in diesem Land und meine Mutter war dort sogar geboren, wurde mir gesagt. Auch dass viele Leute dort hingingen, Missionare, wie sie genannt wurden. Das Wort Mission hörte ich täglich, hier in Neuendettelsau, wo ich geboren bin. Es war irgendwie allgegenwärtig. Alles schien sich um Mission zu drehen in den Gesprächen. Der Onkel Gottfried war auch Missionar und auch er war lange in Neuguinea, in dem Land ganz weit fort, wo man mit einem großen Schiff hinfahren musste. Alle gingen sonntags in die Kirche, wo ich immer auch mitmusste und wo ich am Ende ein Zehnpfennigstück in den Klingelbeutel werfen durfte. Vor dem Essen am großen Tisch in der Küche wurden die Hände gefaltet und das mir heute noch geläufige Tischgebet gesprochen. Mein Großvater mit kräftiger, lauter Stimme, die anderen Familienmitglieder eher murmelnd. Was Mission bedeutet, darüber machte ich mir keine Gedanken, sie gehörte irgendwie zum Leben. Dass es anders war, merkte ich erst, als ich als Achtjähriger mit meinen Eltern, meinem Bruder und meiner Schwester von Neuendettelsau ins Schwäbische zog. Dort redete niemand von Mission. In den Sommerferien ging’s dann mit unserer Mutter stets wieder zurück nach Neuendettelsau, zu Opa und Oma. Zwar vertraut, und doch zunehmend eigentümlich ernst und befremdlich kam mir das Leben hier vor. Langsam begann ich zu begreifen, dass die Missionsleute in Neuendettelsau eine eigene, von den übrigen Dorfbewohnern ziemlich isolierte Gesellschaft bildeten. So jedenfalls meine Wahrnehmung. Lange Zeit noch über die Kindheit hinaus hatte ich eine von Romantik geprägte Vorstellung vom kolonisierten Neuguinea und der dortigen missionarischen Tätigkeit. Zur Verklärung der tatsächlichen Vorgänge im Missionsgebiet und zur unhinterfragten Sichtweise hatten natürlich wesentlich mein Großvater und meine Mutter beigetragen. Erst viel später war ich in der Lage die Bedeutung von Mission zu verstehen und zu erkennen, dass Mission etwas mit Kolonialismus zu tun hat, in ihm verstrickt war, auch mein Großvater und die Neuendettelsauer Mission. In mir reifte der Gedanke, das Tun der Missionare in jener Zeit kritisch aufzuarbeiten, die vielen hinterlassenen Neuguinea-Bilder im Familienalbum meiner Mutter mit Leben zu füllen. Es dauerte nun doch viele Jahre, bis ich mir einen Ruck gab und mit der Recherche begann. Irgendwann wurde ich aufmerksam auf den neu erschienenen Roman von Katharina Döbler „Dein ist das Reich“.1 Die vielen Hinweise auf die gemeinsame Vorgeschichte unserer Vorfahren in den Buchbesprechungen elektrisierten mich. Auch Katharina Döblers Großeltern waren für die Mission in Neuguinea tätig. Ich verbrachte jede freie Stunde mit Lesen und war begeistert. Vor mir lag ein Buch, das einen Teil meiner Erlebniswelt beleuchtete. Es war, als käme die Vergangenheit zurück. Ich tauchte ein in das eigenartige Missionarsmilieu, wie ich es in meiner Kindheit in Neuendettelsau erlebt hatte, vom Kirchenbesuch bis zum Kaffeekränzchen. Lebendiges Fühlen und Tun fiktiver und doch mehr oder weniger wirklicher Personen ist mit realer Geschichte verknüpft. Katharina Döbler versteht ihr Buch nicht als Enthüllungsroman.2 Und doch glaubte ich die beschriebenen Akteure zu kennen, sie schienen mir vertraut, wie sie sich bewegten damals in Neuguinea. Deren Geschichte wird im Buch erzählt in einer Welt, in der sich die Wege unserer Vorfahren kreuzten. Und die Namen dieser Vorfahren sind es, die sich mir als Kind damals in Neuendettelsau aus den Gesprächen der Erwachsenen eingeprägt hatten, als seien sie täglich erwähnt worden. Die Hertles, die Holzknechts, die Wagners, die Döblers, die Stürzenhofeckers und andere. Viele verwandt mit meinen Großeltern, der Familie Schmutterer. Über Kolonialismus und seine Folgen in den kolonisierten Ländern hatte ich durchaus ein Vorwissen, denn diese Themen waren auch Gegenstand meines Studiums in Konstanz und Heidelberg. Vor allem die Abhandlungen von Frantz Fanon wie z.B. sein Buch „Die Verdammten dieser Erde“3 oder auch Johan Galtungs „Strukturelle Gewalt“ 4 hatten mich beeindruckt und beeinflusst. In Unkenntnis war ich jedoch, was konkret die Entwicklung in Neuguinea und die Rolle der vielen dort tätigen Missionsgesellschaften betraf. Bei meinen jetzigen Recherchen hat mich doch das Ausmaß der systematischen Ausnutzung der Arbeitskraft der einheimischen Bevölkerung und das mehr oder weniger unkaschierte wirtschaftliche Kalkül der missionarischen Akteure überrascht. Und erschreckt hat mich das offene Eintreten für nationalsozialistische Ideen auch in Neuguinea, was niemandem entgangen sein konnte. Weniger überraschend fand ich die Neigung selbst, waren doch Kirchenmänner beider Konfessionen in Deutschland Mitträger des Systems und schauten bei der Judenverfolgung und -vernichtung schweigend zu. Erst nach Jahrzehnten machten sie sich zögerlich daran, ihre schändliche Vergangenheit aus einer kritischeren Perspektive zu betrachten. Meine Ausarbeitung will keine Familiengeschichte sein. Und doch versucht sie, diesen exotischen Teil der Historie der Vorfahren in den Kontext der missionarischen Tätigkeit und des politischen Handelns der Neuendettelsauer Mission in Neuguinea einzuordnen. Die Ausarbeitung soll auch dabei helfen zu erkennen, zu welchen katastrophalen Folgen ein politisches Denken führen kann, das andere Ethnien diskriminiert, deren Besitzrechte missachtet, von reinrassigem Volkstum träumt und Demokratie und Völkerverständigung geringschätzt und schließlich nationalistisch dominiert wird. Das Denken meiner Vorfahren war genau von solchen Ideologismen geprägt. Sie hatten sich für die falschen Werte entschieden. In dieser Hinsicht verstehe ich mein Buch auch als eine Mahnung, wachsam zu sein, denn der rassistischnationalistische Ungeist ist noch lange nicht ausgestorben und ist wieder dabei, den Kopf hochzurecken. Ohne Verständnis des Kolonialismus kein Verständnis der Missionierungen in der damaligen Zeit. Deshalb sei vorangestellt ein historisches Kapitel über den Weg der Kolonisierung des Pazifikraums durch das Deutsche Reich, wobei geographisch ein besonderes Augenmerk auf den nordöstlichen Teil des Festlandes von Neuguinea, in dem die Neuendettelsauer Mission aktiv war, gelegt wird. Den Hauptteil des Buches bildet die Darstellung und kritische Beleuchtung der Geschichte der Neuendettelsauer Mission sowie eine Auseinandersetzung mit gängigen Sichtweisen der kolonialen Vergangenheit Deutschlands und der Rolle der Mission. Der Bildanhang wie auch einige im Text eingestreuten Familienfotos aus der Neuguineazeit adressieren vor allem den Familienkreis und Nachkommen der damaligen Neuguineagemeinde. Er dürfte für Außenstehende in Ermangelung eines Personenbezugs eher von marginalem Interesse sein. Meine Ausführungen lassen bisweilen eine ruhige und distanzierte akademische Handschrift vermissen und sind bewusst in weiten Teilen kommentierend und essayistisch abgefasst, hie und da von etwas Sarkasmus begleitet. Der Stil reproduziert manchmal Rhetorik auf dem Papier und kommt so zu vielleicht befremdlichen Ausdrucksformen. Man möge mir das nachsehen. Obwohl der Problematik bewusst, tue ich mich schwer mit den aktuellen Regeln zur Gendersprache. Die gedehnt-holprige Lösung finde ich ziemlich unpassend und so sind für mich Missionare oder auch Dorfbewohner nach wie vor sowohl männliche wie weibliche Personen. Da ist eine Vermeidungsstrategie bei rassismussensitiven Begriffen einfacher zu handhaben. Ich habe überwiegend auf Sekundärliteratur zurückgegriffen, aber auch auf Veröffentlichungen von Missionaren und anderer Personen der damaligen Zeit, die heute in digitalisierter Form erfreulich breit zugänglich sind. Die Orthografie dieser alten Schriften habe ich an die heutige Schreibweise angepasst. Die Veröffentlichungen der frühen Missionierungszeit und die Berichte im „Neuendettelsauer Missionsblatt“ vermitteln einen tiefen Einblick in die missionarische Tagesarbeit, in geografische und klimatische Gegebenheiten, auch in die Kultur der missionarischen Zielgruppe, den Papuas. Freilich immer aus der Perspektive und den Beurteilungsmustern der Missionare, die von der Absicht geprägt sind, eine Erfolgsgeschichte zu vermitteln. Trotz viel Lektüre, eigene Forschungen habe ich nicht angestellt. Einige Fragen sind offengeblieben, die ich nicht klären konnte. Über die Zeit der deutschen Kolonisierung in der Südsee gibt es nicht wenige Studien, wobei die Rolle der Missionen leider eher nur am Rande...