Holfelder / Ritter | Handyfilme als Jugendkultur | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 150 Seiten

Holfelder / Ritter Handyfilme als Jugendkultur


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7445-0943-5
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 150 Seiten

ISBN: 978-3-7445-0943-5
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
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Handyfilme sind ein neues audiovisuelles Medium, das mit der Weiterentwicklung der Smartphone-Technik zunehmend Verbreitung findet. Das Phänomen Handyfilm wird in diesem Buch auf der Grundlage eines mit Jugendlichen in der Schweiz durchgeführten Forschungsprojektes untersucht. Im Mittelpunkt stehen jugendliche Akteure, die ihr medienkulturelles Handeln zur Bewältigung und Konstruktion ihres Alltags sowie zur Identitätsarbeit einSetzen. Das Buch vermittelt erstmals systematisches Wissen zu Handyfilmen und den damit verbundenen Praktiken. Die Handykamera sowie die mit ihr hergestellten Filme werden unter technischen sowie medien- und kulturgeschichtlichen Aspekten beschrieben. Es werden jugendkulturelle Amateur-Praktiken rund um das Filmen mit dem Handy vorgestellt und die Filme hinsichtlich ihrer medialen und ästhetischen Eigenschaften analysiert. Im Anhang geben die Autoren Empfehlungen, wie Handyfilme in der Schule und in der offenen Jugendarbeit eingeSetzt werden können und wie das kreative Potenzial von Handyfilmen genutzt werden kann. Das Buch enthält zahlreiche Farbabbildungen und richtet sich an Fachleute aus der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit sowie an Studierende und Lehrende an Fachhochschulen und Universitäten.

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2.2 Die Anfänge des Bewegtbildes Das Anschauen von Filmen ist heute ein selbstverständlicher Bestandteil unserer Sehgewohnheiten. Wir gehen ins Kino und schauen uns unterschiedliche Filme im Fernsehen, auf DVD oder im Internet an: Dokumentationen, Spielfilme, Reality Soaps, Nachrichtensendungen, private Aufnahmen und Werbespots. Historisch betrachtet ist die Allgegenwart bewegter Bilder jedoch ein noch relativ junges Phänomen. Die Möglichkeit, Filme herzustellen und vorzuführen, folgte unmittelbar auf die Entstehung der Fotografie Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Frage nach der »Geburt« des Films und danach, wer für sich in Anspruch nehmen könne, der Erfinder von Film, Projektionsgeräten oder dem Kino gewesen zu sein, gilt allerdings mittlerweile als Mythos der frühen Filmgeschichtsschreibung (vgl. Faulstich/Korte 1994, Elsaesser 2002). Es ist davon auszugehen, dass bei der Entstehung des Films verschiedene Faktoren zusammenspielten: Dazu zählen zum einen bereits bestehende Formen der Unterhaltungskultur und kulturell geprägte Sehweisen sowie zum anderen technische Innovationen, die das Herstellen und Vorführen von bewegten Bildern erst möglich machten. Unterhaltungskultur um 1900 Bis ins 19. Jahrhundert hinein waren audiovisuelle Vorführungen vor Publikum als gesellschaftliches Ereignis sehr beliebt (vgl. Hick 1999, Segeberg 1996). Darunter sind durch Musik und Kommentare begleitete Vorführungen beispielsweise mit der »Laterna magica« zu verstehen, einem Gerät, mit dem man gemalte und später auch fotografische Bilder an die Wand projizieren konnte. Immer ausgefeiltere Techniken ermöglichten dem Publikum Erlebnisse in Bild und Ton, die zunächst ausschließlich der Unterhaltung dienten, dann aber zum Ende des 19. Jahrhunderts auch als didaktisches Mittel in der Volksbildung eingesetzt wurden. Umherziehende Schausteller boten »Laterna magica«-Aufführungen auf Jahrmärkten, Messen und in Varieté-Theatern, die bis zu zwei Stunden dauerten. Die Projektionskünste sind hinsichtlich des frühen Films deshalb von Bedeutung, weil damit einerseits auf ein interessiertes Publikum und bestehende Markt- und Vertriebsstrukturen gesetzt und anderseits an die Programmstruktur der kurzen, durch einen moderierenden »Conferencier« zusammengehaltenen Einzelbeiträge angeknüpft werden konnte. Technische Entwicklungen In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde an verschiedenen Orten und von verschiedenen Personen daran gearbeitet, Bewegungsabläufe mit technischen Mitteln festzuhalten und vorführbar zu machen. Als wichtige Vorläufer des Films gelten die Bewegungsstudien des Fotografen Ottomar Anschütz (1846–1907), des Mediziners Étienne-Jules Marey (1830–1904) und des Fotografen Eadweard Muybridge (1830–1904). Berühmt wurde Muybridges Versuch, die Bewegung eines galoppierenden Pferdes festzuhalten, indem er mehrere (zunächst 12, dann 24 und 36) Fotoapparate nebeneinander aufstellte und miteinander verband. So konnten Bruchteile von Sekunden fixiert und in einer Serie aufgenommen werden (Abb. 7). Mit den eigens für diesen Zweck konstruierten Vorführgeräten wurde die Trägheit des Auges überlistet und beim Publikum der Eindruck erweckt, das Motiv in Bewegung zu sehen. Muybridges Bewegungsstudien wurden über die Foto- und Filmgeschichte hinaus bekannt – und erleben heute eine Renaissance im digitalen Format: Von der Londoner Tate Gallery wurde eine App namens »Muybridgizer« entwickelt, mit der sich Bildfolgen im Stil von Muybridge herstellen lassen. Ein weiterer Meilenstein hin zum Medienformat Film war die Erfindung des durchsichtigen fotografischen Films Ende der 1880er-Jahre. Darauf erfolgte die Konstruktion von Apparaten zum Einlegen von Filmstreifen für die Aufnahme von fotografischen Serien. Um diese wiederum sicht- und vorführbar zu machen, mussten weitere Geräte entwickelt werden. Als Pioniere auf diesem Gebiet haben sich der US-Amerikaner Thomas Alva Edison (1847–1931), die französischen Brüder August und Louis Lumière (1862–1954 / 1864–1948) und die in Berlin ansässigen Brüder Eugen und Emil Skladanowsky (1863–1939 / 1866–1945) einen Namen gemacht. Nahezu zeitgleich führten die zwei Geschwisterpaare im Jahr 1895 ihre jeweiligen Projektionsapparate dem Publikum vor: Die Skladanowskys gaben im Berliner Varieté »Wintergarten« ein filmisch festgehaltenes, akrobatisches Potpourri mit dem von ihnen hergestellten »Bioscop« zum Besten (Abb. 8). Zwei Monate später zeigten die Gebrüder Lumière in Paris den Film »Arbeiter verlassen die Lumière-Werke« mittels des »Kinétoscope de projection«. Als Begründer des kommerziellen Kinobetriebs gilt wiederum Alva Edison. Er erfand im Jahr 1895 ebenfalls ein Vorführgerät, einen von Einzelpersonen nutzbaren Guckkasten für zahlendes Publikum (Abb. 9). Abb. 7: Bewegungsstudie von Eadweard Muybridge (1878) Abb. 8: Die Brüder Skladanowsky mit dem Filmvorführgerät »Bioscop« Abb. 9: Das »Kinetoskop« von Alva Edison Öffentliche Filmvorführungen Typisch für die Anfangszeit des neuen Medienformats war die Kürze der Filme. Die meisten waren nicht länger als eine Minute und entsprachen damit den medialen Vorgängern, also den Vorführungen in den Varietés und Schaustellerbuden, in denen kurze Showelemente aneinandergereiht wurden. Langfilme entstanden erst ab den 1910er-Jahren. In den Vorführungen wurde zu dieser Zeit noch nicht zwischen fiktionalen und nicht fiktionalen Filmen oder verschiedenen Gattungen unterschieden. So wechselten sich Slapsticks mit der Darstellung von Tieren oder der Dokumentation von Ereignissen wie der Einfahrt eines Zugs in den Bahnhof ab. Eine gewisse Berühmtheit erlangte z. B. die knapp 30 Sekunden lange Sequenz »Das boxende Känguruh«, in der ein Känguru gegen einen Mann kämpft (Abb. 10). Die Szene war Teil des »Wintergartenprogramms« der Berliner Brüder Skladanowsky im Jahr 1895. Die Vorführungen fanden zunächst auf Jahrmärkten, Messen, Wanderkinos und in festen Spielstätten wie Varietés und dann in den um die Jahrhundertwende errichteten Abb. 10: »Das boxende Känguruh« der Gebrüder Skladanowsky (1895) Filmpalästen und Lichtspieltheatern statt. Allerdings verloren die Filme bald an Attraktivität. Dies führte zum einen dazu, dass die Filmproduzenten nach neuen Formen und Themen suchten und sich die Filmgenres ausdifferenzierten. Zum anderen adressierte die aufstrebende Filmindustrie zunehmend Privatpersonen als Kunden, für die sie Vorführgeräte – aber auch Kameras – zum Hausgebrauch entwickelte. 2.3 Amateure werden Filmproduzenten »Reiche Leute legen schon heute Wert darauf, alle wichtigen Handlungen ihres Lebens vor einer kinematographischen Kamera vorzunehmen, um so ihren Memoiren auch Illustrationen hinzufügen zu können, und diese Mode, die vorläufig noch den Multimillionären vorbehalten ist, hat sicherlich noch eine große Zukunft.« (Altenloh 1914: 35) Diese Zukunftsaussicht imaginierte die Soziologin und spätere Politikerin Emilie Altenloh bereits 1913 in ihren Überlegungen zur »Soziologie des Kinos«. Führt man sich die Geschichte des Amateurfilms bis zur Gegenwart vor Augen (vgl. Kuball 1980), ist diese Prognose in mehrfacher Weise bemerkenswert: Zum einen hat in den letzten hundert Jahren tatsächlich ein Demokratisierungsprozess stattgefunden, sodass es sich heute längst nicht mehr nur kapitalstarke Akteure leisten können, eigene Filme herzustellen. Die großen, schweren Filmkameras der Anfangszeit konnten nach und nach ersetzt werden durch kleinere, leichtere und damit mobilere Aufnahmegeräte, die vor allem eines sind: erschwinglich. Zum anderen weist Altenlohs Beobachtung, dass die Leute Wert darauf legten, »alle wichtigen Handlungen ihres Lebens« zu filmen, »um so ihren Memoiren auch Illustrationen hinzufügen zu können«, ebenfalls eine Kontinuitätslinie auf. Welche Handlungen des Lebens als filmenswert gelten, hat sich mittlerweile allerdings verändert: Heute werden in viel größerem Ausmaß als früher Alltäglichkeiten gefilmt – und zwar sowohl was die Menge der Aufnahmen als auch was das Spektrum der Motive betrifft. Vom Amateurfilm-Club … Lange Zeit wurde der »Amateur« als laienhafter Bewunderer und Nachahmer des Künstlers angesehen. Seine kreativen Möglichkeiten galten als begrenzt, es wurden ihm allenfalls handwerkliche Fähigkeiten attestiert, und er befand sich in einer gefährlichen Nähe zum noch geringer bewerteten »Dilettanten«. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, insbesondere im Zusammenhang mit der zunehmenden Verbreitung der Fotografie ab dem frühen 20. Jahrhundert, verschob sich die Wortbedeutung allerdings dahingehend, dass sie den Unterschied zwischen Professionellen und Nicht-Professionellen markierte. Amateure verfolgen im heutigen Sprachgebrauch ein Hobby, oft sehr ernst, gewissenhaft und mit großer Expertise, sodass die Grenzen zum Professionellen fließend sind. Entsprechend sind Amateurfilme von Nicht-Profis aufgenommene Filme, mit denen keine ökonomischen Interessen verfolgt werden (vgl. Burgmann et al. 2013). Schon vor 1900 wurde ein »Amateur-Kinematograph« angeboten, den sich jedoch nur wohlhabende Personen leisten konnten (vgl. Roepke 2005). Für diese avancierte die Möglichkeit, selbst Filme aufnehmen und vorführen zu können, zu einem Statussymbol. Aufgrund der technischen Weiterentwicklungen der Aufnahme- und Vorführgeräte sowie des Trägermaterials Film erreichte das neue Medium...


Dr. Ute Holfelder ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft an der Universität Zürich. Christian Ritter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am gleichen Institut. Er forscht und lehrt zu den Themen Jugendkultur, visuelle Medien und Migration.



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